Spanischer Tourismus zerrissen zwischen Nachfrage und Brexit
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Spanischer Tourismus zerrissen zwischen Nachfrage und Brexit

Madrid. Über die Hälfte des Wachstums im spanischen Tourismus geht auf das Konto "geliehener" Nachfrage aus dem Mittelmeerraum. Mit Blick auf den Sommer 2016 zeigen sich der Spanische Verband des Hotelgewerbes, Cehat, und Exceltur, eine Gruppe aus 23 führenden Touristik-Unternehmen, optimistisch, obgleich die Tourismus-Lobby besorgt ist. Zudem sinken die durchschnittlichen Tagesausgaben der Touristen.

Mehr als die Hälfte der von Exceltur befragten Tourismus-Unternehmen erwarten eine Verbesserung ihrer Ergebnisse, vor allem an Stränden mit grösserem Anteil ausländischer Touristen. Laut einer Umfrage und Cehat unter den eigenen Mitgliedern ist mit positiven Zahlen zu rechnen.

Mit Blick auf den Sommer 2016 hebt Cehat die positiven Entwicklungen bei Aufenthaltsdauer und Durchschnittspreisen hervor, die "den höchsten Wert seit vier Jahren" erreicht haben. Exceltur weisst auf die "geliehene Nachfrage" hin, da der Tourismus in Spanien derzeit mehr denn je von den Terror-Attacken in Tunesien, Ägypten und in der Türkei profitiert. Laut Bericht verdankt Spanien derzeit mehr als die Hälfte der eintreffenden Touristen den übrigen Mittelmeer-Ländern. Demzufolge könnte man sagen, dass 1,5 Milliarden Euro der geplanten Ausgaben von 2,7 Milliarden Euro ebenfalls nur "geliehen" sind.

Diese Entwicklung ist der Hauptgrund dafür, weshalb das BIP der spanischen Tourismusbranche 2016 mehr als vier Prozent betragen wird. Ohne sie würde das BIP einen Punkt niedriger ausfallen, da die Binnennachfrage nur leicht anstieg.

"Wir müssen die Nachhaltigkeit der Tourismus-Modelle hinterfragen, da der enorme Zustrom aus exogenen Gründen stattfindet und sich jederzeit wieder in die entgegengesetzte Richtung entwickeln kann", warnt Exceltur. Cayetano Soler, Partner von PwC im Bereich Tourismus, stellt fest, dass "der Sektor Jahr für Jahr wächst."

In den Augen von Cehat hat die politische Unsicherheit in Spanien kaum Einfluss auf diese Entwicklung. Exceltur fordert die Bildung einer stabilen Regierung, die den Tourismus als Wachstumsmotor anerkennt. Die Tourismus-Lobby äussert ebenfalls Bedenken hinsichtlich einiger überfüllter Destinationen in Spanien. In den vergangenen Wochen veröffentlichten einige Zeitungen Berichte über die "Vermassung" von Barcelona und welche Probleme sie den Einheimischen bereitet. Manche sprechen bereits von einer "Tourismusphobie". Der Stadtrat von Barcelona führte eine Umfrage unter den Einwohnern durch, in der zum ersten Mal der Tourismus als Problem genannt und sogar als das viertgrösste gesehen wird.

Furcht vor Brexit-Folgen

Mit Blick auf den Brexit stimmen beide Organisationen überein, dass die Entscheidung der Briten noch keine Auswirkungen auf die Saison 2016 haben wird, vor allem da die meisten Reisen bereits im Voraus gebucht werden. Vor diesem Hintergrund haben die meisten vom britischen Tourismus abhängigen Destinationen Spaniens damit begonnen, alle erdenklichen Massnahmen zu ergreifen, um Touristen aus Grossbritannien nicht zu verlieren.

Am meisten gefürchtet ist eine weitere Abwertung des Britischen Pfunds. "Ein abgewertetes Pfund führt natürlich zu geringeren Ausgaben britischer Touristen, aber es bestimmt zugleich auch die Suche nach alternativen Mittelmeerdestinationen", so Cristina Rodes Sala, Präsidentin der Hotelvereinigung APHA, der Asociación Provincial de Hoteles y Alojamientos Turísticos de Alicante. Antonio Vicente Hormiga, Präsident der Hotelier-Vereinigung ASOFUER, de Asociación de Empresarios Turísticos de Fuerteventura, stimmt zu: "Eine Abwertung des Pfunds könnte dazu führen, dass sich die Briten anderen Reisezielen zuwenden, z.B. der Karibik, die in starkem Wettbewerb zu uns steht."

Der APHA-Präsident bliebt jedoch optimistisch: "Angesichts der geopolitischen Gesamtlage in allen Küstenländern und selbst unter der Annahme, dass unsere Destination teurer wird, bieten wir nach wie vor die bei weitem günstigste Option einschliesslich garantierter Sicherheit und Stabilität."

Bei den Immobilien dürfte der Brexit die Aktivitäten in einem Sektor begrenzen, der für die spanische Küste, vor allem für die Costa Blanca, ebenfalls von grösster Bedeutung ist. Laut einem Bericht der Provia, der Vereinigung von Immobilien-Entwicklern von Alicante, stellen hier die Briten 22,35 Prozent der Käufer hinter den Franzosen und Deutschen. Immobilien-Experten sorgen sich ausserdem um laufende Darlehen und Hypotheken von Immobilien-Eigentümern.

Doch die Feprova, die spanische Vereinigung der Immobilien-Makler und -Entwickler in Valencia, zeigt sich nach wie vor optimistisch und erwartet trotz des Brexit-Szenarios ein zweistelliges Umsatzwachstum.

Brexit könnte manche Märkte stark treffen

Der Brexit und seine Folgen für den Tourismus in Spanien bleiben ein Thema. Das Real Instituto Elcano, ein spanischer Think-Tank, der zahlreiche internationale Studien veröffentlicht, rechnet vor, dass 15 Millionen britische Touristen jedes Jahr nach Spanien kommen. Diese Zahl "wird nach dem Ausscheiden aus der EU aller Voraussicht nach sinken, da das Pfund weiter an Wert verlieren wird, wodurch sich nur noch die reichsten und wohlhabendsten Briten Reisen leisten können", so Salvador Llaudes, einer der Analysten in seiner Kolumne im Juni über die Auswirkungen des Brexits auf Spanien.

Für einige spanische Provinzen sind die Touristen aus Grossbritannien von entscheidender Bedeutung. In der Region Alicante z.B. generieren sie 22,64 Prozent der Übernachtungen. In der Stadt Alicante sind es 20 Prozent. Laut Statistik der Agencia Valenciana de Turismo, der Tourismusagentur für Valencia, "stieg die Zahl der Touristen aus Grossbritannien im ersten Quartal 2016 deutlich an." In Benidorm sind die britischen Gäste ähnlich bedeutend: 85,8 Prozent der Besucher geben durchschnittlich 122 Euro am Tag aus.

Auf den Kanarischen Inseln ist die Situation ganz ähnlich, vor allem auf Teneriffa, wo 30 Prozent der Touristen aus dem Vereinigten Königreich kommen. Darum vertraute die Region auch auf ein eindeutiges NEIN für den Brexit. Doch jetzt "beginnt eine Zeit der Unsicherheit und niemand weiss, wie es mit dem britischen Markt weitergeht", so Antonia Vicente Hormiga. Jorge Marichal, Präsident von Ashotel, der zweiten grossen Vereinigung auf den Kanaren, ist überzeugt, dass höhere Flugpreise von vielen Faktoren abhängen werden, nicht nur von der Abwertung des Pfunds. "Trotz allem hoffen wir", so Hormiga, "dass sich das Pfund mittel- und langfristig wieder stabilisiert."

Ein gutes Gefühl für den Sommer

ASOFUER spurt, dass "alle versuchen, ihre Position zu wahren und abzuwarten, wie es nun weitergeht. Mit Blick auf den Sommer sind unsere Erwartungen sehr positiv, da wir an den meisten Orten Belegungen von etwa 90 Prozent erwarten." Auch in Alicante sind die Aussichten gut. Hier übertraf die Belegung deutlich die Zahlen von 2015 – eines der besten Ergebnisse der letzten 20 Jahre.

Dennoch will sich niemand auf diesen Erfolgen ausruhen. Zahlreiche Arbeitsgruppen analysieren die momentane Situation und handeln entsprechend. "Die Arbeitskommission des regionalen Tourismusministers sucht nach neuen Möglichkeiten, wie man den Marktanteil in Grossbritannien beibehalten kann. Zur gleichen Zeit werden neue Märkte erkundet und aufstrebende Länder, die in Zukunft dabei helfen könnten, den möglichen Wegfall britischer Touristen auszugleichen", führt Rodes Sala aus.

Die Präsidentin der ASOFUER versichert: "Wir sind zu allen erdenklichen Formen der Unterstützung bereit und werden uns in Kürze mit den anderen wichtigen Akteuren des Tourismus und den Behörden der Kanarischen Inseln zusammensetzen." / BdL

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