Als Mensch erwünscht Im Trend Integrationsbetriebe für Mitarbeiter mit Handicap und Gäste ohne
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Als Mensch erwünscht

Im Trend: Integrationsbetriebe - für Mitarbeiter mit Handicap und Gäste ohne

Miteinander arbeiten und voneinander lernen: Mitarbeiter mit Handicap sind wertvolle Mtiarbeiter.

Much. Die Integration behinderter Mitarbeiter in Hotelbetriebe ist nicht erst seit dem Fachkräfte-Mangel ein Thema in der Branche. Allein zu der aus Deutschland stammenden Kooperation Embrace zählen bereits über 40 Hotels, die Mitarbeiter mit Handicap beschäftigen. Die Bandbreite der Embrace-Mitglieder reicht von der Jugendherberge bis zum Tagungshotel. Dahinter stehen oft Sozialverbände wie z.B. die Caritas. Geld verdienen müssen die Betriebe trotzdem. Was ihnen fehlt, ist Bekanntheit und Marketing. Im Thema selbst wittern inzwischen andere einen Branchen-Trend.

Wenn sich Konstantin am Telefon des Hofguts Himmelreich in Kirchzarten meldet, erhält der Gast garantiert die richtige Antwort. Kompetent gibt der junge Mann Auskunft über reservierte Tische, verbindet mit dem Chef oder weiss, ob noch Zimmer frei sind. Eine Selbstverständlichkeit? Normalerweise schon, doch Konstantin gehört zu den Mitarbeitern mit Handicap, die im Himmelreich beschäftigt sind. Und was er heute alles kann, hat er nicht nur seinem eisernen Willen und seiner Begeisterung für die Branche zu verdanken, sondern auch Kollegen, die an ihn glauben.

Als Konstantin ins Himmelreich kam, konnte er nicht lesen. Mit viel Geduld und Übung ist er heute Fachkraft für das Gastgewerbe und arbeitet auch im Restaurant. Er kann kassieren und Rechnungen splitten.

"Wir sind ein ganz normaler Gastronomiebetrieb", sagt Jochen Lauber, Geschäftsführer des Hofguts Himmelreich mit 18 Zimmern und Restaurant. Gäste, die auf dem Weg von Freiburg in den Schwarzwald in dem idyllischen, 500 Jahre alten Schwarzwaldhof einkehren, merken frühestens, wenn sie bereits am Tisch sitzen, dass dort etwas anders ist. Von insgesamt 30 Mitarbeitern in Küche, Service und Etage haben elf ein Handicap.

Hofgut Himmelreich: ein anerkanntes Integrationshotel mit integrativer Akademie.

Das Hofgut Himmelreich ist seit 2004 anerkannter Integrationsbetrieb. Seit 2007 gibt es auf dem Gelände auch eine integrative Akademie, die behinderte Menschen auf Berufe im Gastgewerbe vorbereitet. Dafür wurden die Tätigkeiten einer Fachkraft im Gastgewerbe in 13 einzelne Module unterteilt, die knapp sieben Monate lang unterrichtet und geübt werden. Ein Modul heisst beispielsweise "Arbeiten an der Kasse", ein anderes "Frühstücksbuffet" oder "Theke."

"Wir dürfen das nicht Ausbildung nennen", erklärt Lauber. Die IHK Südlicher Oberrhein verleiht jedoch den Teilnehmern nach jedem Modulkurs ein IHK-Zertifikat. "Unsere Mitarbeiter sind sehr froh, bei uns arbeiten zu können. Wenn sie nicht hier wären, hätten sie den Weg in eine Werkstatt für behinderte Menschen gehen müssen, in der sie wenig Kontakt in die ganz normale Gesellschaft haben", sagt Lauber.

Oft Sozialverbände im Hintergrund

Insgesamt 42 integrative Hotels und Gastronomiebetriebe, davon drei im Ausland, zählen heute zu der 2008 gegründeten Kooperation Embrace; das Himmelreich zählte zu den Gründungsmitgliedern. Das Motto der Kooperation lautet: "Als Gast willkommen, als Mensch erwünscht." Insgesamt schaffen die Mitgliedshäuser 850 Arbeitsplätze für behinderte Mitarbeiter. Alle Embrace Hotels sind individuell geführte Betriebe, die Behinderte beschäftigen und gerne auch behinderte Gäste empfangen. Nicht alle Häuser bilden aus, einige Häuser aber auch mit dem Hintergrund, sie auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten.

Ein Beispiel für ein gleichermassen beliebtes Stadthotel bei Businessgästen und Touristen ist das Embrace-Hotel Grenzfall in Berlin-Mitte. Es hat einen tollen Garten mit Terrasse, ein Restaurant, 37 Zimmer und ebenso viele Mitarbeiter. "80 Prozent von ihnen haben Beeinträchtigungen", erklärt Hotelleiter Thomas Binroth. Laut Martin Bünk, Präsident des Embrace-Verbunds, machen Mitarbeiter mit Behinderungen in den Embrace-Hotels im Schnitt rund 51 Prozent des Teams aus.

Embrace-Präsident Martin Bünk: Die Hälfte der Mitarbeiter im Verbund haben ein Handicap.

"Hinter den Embrace-Hotels steht die Idee, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen", sagt Bünk. Allerdings seien derzeit auch alle Hotels barrierefrei, nicht zuletzt deshalb hat Bünk inzwischen die Zertifizierung der Embrace Hotels mit dem vom Deutschen Seminar für Tourismus gegründeten Siegel "Reisen für Alle" auf den Weg gebracht.

Die Bandbreite der Embrace-Mitglieder reicht von der Jugendherberge bis zum Tagungshotel. "Die Mutter des Gedankens, Hotels für behinderte Mitarbeiter zu schaffen, war das Hotel Stadthaus in Hamburg", erläutert Bünk. Hinter diesem Haus stehe ein Elternverein. Die meisten Embrace-Hotels seien jedoch Gründungen von Sozialverbänden wie beispielsweise der Caritas, von Diakonien, der Lebenshilfe oder der Arbeiterwohlfahrt. Diese Eigentümer gründeten dann als GmbH gemeinnützige Betriebsgesellschaften, die beim Aufbau Unterstützung erhielten, danach aber alleine am Markt zurechtkommen müssten. "Wir verstehen uns als Wirtschaftsbetriebe, die real am Markt tätig sind", so Bünk. "Durch unsere Gemeinnützigkeit stehen wir zwar nicht unter einem so hohen Gewinn- und Rendite-Druck wie Hotels aus der freien Wirtschaft, wir müssen aber durchaus zum ROI beitragen und operativ wirtschaftlich arbeiten."

Unterstützung über die Ausgleichsabgabe

Integrationsbetriebe erhalten Mittel aus der Ausgleichsabgabe, die diejenigen Firmen bezahlen müssen, die keine behinderten Mitarbeiter beschäftigen. "Die Höhe der Förderung nach Bundesland ist unterschiedlich. Sie besteht aus zwei Teilen: eine Unterstützung bei den Investitionen für die Einrichtung der Arbeitsplätze, abhängig von der Anzahl und dem Anteil an der Gesamt-Belegschaft. Dazu gibt es den sogenannten 'Minderleistungsausgleich', der individuell auf die Leistungsstärke des Mitarbeiters eingestellt werden kann. In der Regel sind es ca. 30 Prozent des Bruttolohns", erklärt Bünk. Zusätzlich hätten viele Betriebe Unterstützung der Stiftung Aktion Mensch erhalten, die sich sehr stark für die Einrichtung von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung engagiert.

Integrationshotels sind ein wachsender Markt. In Deutschland zählen etwa drei bis vier Häuser noch nicht zu Embrace, weitere potenzielle Kooperations-Mitglieder befinden sich in Planung. Als wichtigste Leistung seines Verbandes bezeichnet Bünk den Erfahrungs- und Knowhow-Austausch bei Mitglieder-Treffen. "Dabei geht es u.a. darum, welche Böden man im Zimmer am besten benutzt oder wie man ein Bad baut, das leicht geputzt werden kann", sagt er.

Die Gebühr für die Mitgliedschaft liegt derzeit bei 1.020 Euro im Jahr. Die Embracer treffen sich zweimal im Jahr zum Verbandstreffen, Workshops und Erfahrungsaustausch. Der Verbund besucht - teilweise in Zusammenarbeit mit Partnern - mehrere Messen, hält Vorträge, führt die Barrierefrei-Zertifizierung "Reisen für Alle" durch, organisiert die gemeinsame Vermarktung z.B. online und mit Flyern und baut Netzwerke auf. Der Vorstand ist ehrenamtlich. Zu den Sponsoren des Verbandes gehört zudem u.a. die Firma Bionade.

3 Sterne-Hotels optimal

Mittlerweile befassen sich auch Consulting-Unternehmen und private Investoren mit dem Modell Integrationshotel, so beispielsweise die FFF Hospitality Group aus Falkenstein. "Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass sich ein Tagungshotel im 3 Sterne-Bereich am optimalsten als Integrationshotel eignet", erklärt Geschäftsführer Dirk Feid. "Behinderte Mitarbeiter sind in der Regel hoch motiviert, unsere Erfahrung mit ihnen hat sogar gezeigt, dass rund ein Drittel von ihnen über das Gastgewerbe den Einstieg in den Arbeitsmarkt ausserhalb der Integrationsbetriebe sucht. Im Unterschied zu den meisten anderen Mitarbeitern streben die Integrationsmitarbeiter jedoch nicht vordergründig eine Karriere an. Beliebt sind vor allem Arbeiten, die im Hintergrund stattfinden, und klar strukturierte Arbeitsabläufe." An den bisherigen Integrationshotels bemängelt Feid, dass dort zu wenige nicht-behinderte Gäste absteigen. "Das ist ein geschlossener Kosmos, den wir mit unseren Betrieben durchbrechen würden."

Grenzfall in Berlin-Mitte: ein ganz normales Business-Hotel bei Embrace.

Beraten von FFF hat inzwischen das Berliner Unternehmen Integra GmbH, in dem Geschäftsführer Karl Bubenheimer bereits ein Reinigungsunternehmen sowie eine Party-Ausstattung mit behinderten Mitarbeitern führt, eine Betriebsgesellschaft für Hotels gegründet, um das Gästehaus der Landesmusik-Akademie in Berlin zu übernehmen. "Als nächstes schwebt uns ein 120- bis 140 Zimmer-Hotel mit Tagungsräumen vor, für das wir als erste Gästegruppen politische Institutionen und Unternehmen gewinnen würden, die sich das Thema Soziales Engagement auf die Charta geschrieben haben," sagt Feid. Er ist überzeugt: "Wir können eine extrem hohe Kundenbindung erreichen, wenn wir die Gäste erst einmal in ein Integrationshotel gebracht haben."

Behinderte und nicht-behinderte Gäste mischen sich

Martin Bünk stimmt Feids Aussagen nicht hundertprozentig zu: "Es ist zu pauschal zu sagen, dass Behinderte am liebsten standardisierten und immer gleichen Arbeitsabläufen nachgehen, es gibt durchaus auch welche, die Abwechslung mögen und gerne mit Gästen zu tun haben," erklärt er. Grundsätzlich funktioniere jedoch Tagungshotellerie wirklich gut. Die meisten der Embrace-Hotels böten daher auch Tagungsmöglichkeiten an. 3 Sterne seien auch tatsächlich der Bereich, in dem sich die die Mehrzahl der Häuser bewegten.

Auch dass in den Integrationsbetrieben zu wenige nicht-behinderte Gäste abstiegen, stimme nicht: "Gerade das Hotel Grenzfall in Berlin ist ein klassisches Tagungs-Stadthotel", sagt er. "Dort ist der Anteil behinderter Gäste gering." Auf der anderen Seite dokumentiere eine höhere Zahl behinderter Gäste in Integrationshotels ja auch, dass herkömmliche Hotels offensichtlich nicht in der Lage seien, die Nachfrage für barrierefreies Reisen zu befriedigen.

Berater Dirk Feid denkt über weitere Hotels mit sozialem Engagement nach.

An Führungskräfte stellt die Arbeit mit Behinderten jedenfalls besondere Anforderungen. Sie müssen den Betrieb am Laufen zu halten und dabei die behinderten Menschen einbeziehen. "Die Hoteldirektoren in unseren Häusern sind immer gelernte Fachleute, die im Hintergrund in der Regel von Sozialarbeitern der Sozialverbände unterstützt werden", sagt Bünk. Die Mindestanforderung an die Service-Mitarbeiter mit Handicap sei, dass sie ein volles Glas ohne Verschütten zum Gast bringen könnten, Küchen-Mitarbeiter müssten gefahrlos mit einem Messer umgehen können.

Bünk macht keinen Hehl daraus, dass es auch in seinen Häusern hin und wieder zu Reibungen kommt. "Geduld und Langmut sind nicht die üblichen Eigenschaften von beispielsweise Küchenchefs", schmunzelt er. Dafür schätzten sie früher oder später die dort erlebte zwischenmenschliche Entschleunigung und die echte Wertschätzung.

Auch Bünk sieht in der Weiterentwicklung des "Inklusionsgedankens" eine Zukunft. Er betreut derzeit mehrere Inklusionshotel-Projekte und plant gemeinsam mit Partnern die Gründung einer Hotelgesellschaft für Inklusionshotels. Bei diesen Partnern, so ein stets hervorragend informierter Branchen-Insider, handle es sich vermutlich um eine mittelgrosse deutsche Hotelgesellschaft, die zur Professionalisierung dieses Vorhabens beitragen möchte. / Susanne Stauss

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