Berlin/Offenbach. Ausgerechnet Deutschlands sozialdemokratische Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles hat mit dem deutschen Mindestlohn-Gesetz ein Bürokratie-Monster aufgebaut, das Arbeitgeber unverhältnismässig stark in die Pflicht nimmt. Die Dokumentation der Arbeitszeiten ist krass, belastend und wirtschaftsschädigend – wie auch hospitalityInside-Mitarbeiterin Susanne Stauss in ihrem separaten Artikel heute aufzeigt. Auf welchen nüchternen Gesetzesfüssen dieses Dokumentationspflicht-Monster steht, erläutert heute hospitalityInsides redaktioneller Experte für Arbeitsrecht, der Rechtsanwalt Joachim Jungbluth, Partner der Kanzlei Jungbluth & Hermann aus Offenbach am Main, gemeinsam mit seiner Assessorin Maike Ehlers. Und auch dieser Experte kann am Schluss nur ein sehr nüchternes Fazit ziehen.
Dokumentation: Zwei Jahre aufbewahren
"Das Gesetz bestimmt spezielle Pflichten, was das Erstellen und Bereithalten von Dokumenten angeht, für Wirtschaftsbereiche, die das Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit nennt. Darunter fällt auch das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe. Danach sind Arbeitgeber aus Hotellerie und Gastronomie verpflichtet, den Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu dokumentieren, inklusive der Pausenzeiten. Alles muss spätestens bis zum Ablauf des siebten Kalendertages, der dem Tag der Arbeitsleistung folgt, aufgezeichnet werden. Diese Aufzeichnungen müssen mindestens zwei Jahre aufbewahrt werden.
Ebenfalls zwei Jahre aufzubewahren sind alle Unterlagen, die für die Kontrolle der Einhaltung der Mindestlohn-Zahlung notwendig sind, also alle Entgelt-Unterlagen und alle weiteren Unterlagen, aus denen sich ergibt, dass tatsächlich für jede einzelne geleistete Stunde der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wurde.
Gleiches gilt grundsätzlich für alle Arbeitgeber im Hinblick auf die bei ihnen tätigen geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer, aktuell sogar auch in den Fällen, in denen es sich bei den geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern um Familien-Angehörige des Arbeitgebers handelt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat jedoch angekündigt, auf die Aufzeichnungspflichten für die Beschäftigung von Ehegatten, eingetragenen Lebenspartnern, Kindern und Eltern des Arbeitgebers zukünftig verzichten zu wollen.
Speziell: Deutschland im Transit
Diese Verpflichtung gilt dabei sowohl für alle inländischen Arbeitgeber als auch für ausländische Arbeitgeber, die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland einsetzen. Insbesondere der zweite Fall hatte bei Inkrafttreten des Gesetzes für erhebliche Diskussionen bezogen auf das Transport-Gewerbe gesorgt. Die Umsetzung des Gesetzes hätte nämlich bedeutet, dass etwa Mitarbeiter eines Transport-Unternehmers aus der Ukraine, deren Arbeitgeber dort ortsübliche Löhne zahlt und die Transporte nach Spanien durchführen, für den Zeitraum des Transits durch die Bundesrepublik Deutschland mit dem deutschen Mindestlohn zu vergüten gewesen wären.
Nach erheblichen Interventionen ausländischer Logistik-Verbände wurden derartige Transits aus dem Gesetz herausgenommen. Dennoch: Diese Ausnahme gilt nicht, wenn neben dem eigentlichen Transit in Deutschland eine eigenständige Arbeitsleistung, etwa das Abladen einer Palette, erfolgt. In diesem Fall hat der entsprechende Arbeitnehmer während der gesamten Zeitdauer seines Aufenthaltes in der Bundes-republik Deutschland einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.
Mindestlohn-Dokumentationspflicht: Obergrenze korrigiert
Damit sind in Kürze die wesentlichen Vorschriften des Gesetzes dargestellt. Anzusprechen ist noch die Mindestlohn-Dokumentationspflichten-Verordnung vom 18.12.2014. In dieser ist noch einmal konkretisiert, welche Arbeitnehmer z.B. im Hotel- und Gaststättengewerbe den besonderen Dokumentationspflichten, wie oben beschrieben, unterfallen.
Es sind dies alle Arbeitnehmer, deren regelmässiges Monatsentgelt 2.958 Euro brutto nicht überschreitet. Dividiert man den genannten Betrag dabei durch 8,50 Euro, so stellt man fest, dass man mit diesem Betrag insgesamt 348 Arbeitsstunden pro Monat abdecken könnte, bei 172 Arbeitsstunden pro Monat bei einer Vollzeit-Tätigkeit im Rahmen einer 40 Stunden-Woche.
Alleine dies zeigt, wie übertrieben hoch die Obergrenze der Dokumentationspflicht in der genannten Verordnung gezogen wurde. Ein Arbeitnehmer müsste nämlich mehr als doppelt so viel als die normale monatliche Arbeitszeit leisten, damit seine Arbeitszeit tatsächlich im Hinblick auf die Einhaltung des Mindestlohn-Gesetzes relevant würde.
Nach intensivem Dialog mit den Sozialpartnern beabsichtigt das Bundesministerium nun, die MiLoDokV insoweit zu ändern, dass die Aufzeichnungspflicht bereits dann entfällt, wenn das regelmässige Arbeitsentgelt mehr als 2.000 Euro brutto beträgt und das sich hieraus ergebende Netto-Entgelt jeweils für die letzten tatsächlich abgerechneten 12 Monate regelmässig gezahlt wurde. Diese Änderung soll zumindest für länger bestehende Arbeitsverhältnisse, d.h. nicht für saisonale Beschäftigungsver-hältnisse gelten.
Bestandsaufnahme: Viel zu positiv
Am 30. Juni 2015 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dazu eine "Bestandsaufnahme – Einführung des allgemeinen Mindestlohns in Deutschland – Juni 2015" vorgelegt. Hierin wird ein positives Bild des Mindestlohns gezeichnet, das allerdings mit einer Vielzahl von Hypothesen und durch nichts bewiesenen Unterstellungen arbeitet. So heisst es etwa, dass es nicht unwahrscheinlich sei, dass Arbeitnehmer ihre Nebenjobs aufgegeben haben, weil sie durch den Mindestlohn endlich ihren Lebensunterhalt bereits mit einer einzigen Beschäftigung sichern können. Diese Aussage zielt wohl auf eine Feststellung des renommierten Kieler Instituts für Weltwirtschaft, nach der es im März 2015 160.000 weniger Mini-Jobber gegeben hat als noch ein Jahr zuvor.
Bezogen auf die zitierte Aussage des BMAS ist es insofern auch mindestens genauso wahrscheinlich, dass die Arbeitnehmer, die ihre Mini-Jobs verloren haben, nunmehr vollständig auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II angewiesen sind.
Darüber hinaus enthält die Bestandsaufnahme einige Ankündigungen, auf die oben bereits eingegangen wurde, etwa das Absenken des Höchstbetrages oder die Herausnahme mitarbeitender Familienmitglieder aus der Dokumentationspflicht.
Das alles weist in die richtige Richtung, geht aber noch nicht weit genug. So ist z.B. nicht ersichtlich, dass Bundesministerin Nahles dem Bürokratie-Monster den Garaus macht - oder dass dessen Regeln auch nur so weit anpasst werden, dass Kosten und Nutzen der Umsetzung auch nur einigermassen in ausgeglichenem Verhältnis stehen.
Danach bleibt als Fazit, dass hier eine Bundesministerin offensichtlich Klientel-Politik für die Arbeitnehmer-Organisationen betrieben hat, welchen sie selbst angehört, ohne sich auch nur einen Deut darum zu kümmern, welche Belastungen hierdurch für die Wirtschaft und deren Anstrengungen zum Erhalt von Arbeitsplätzen im Land entstehen."