Der grosse Widerspruch

Der grosse Widerspruch

2. World Tourism Forum Luzern diskutierte Nachhaltigkeit global

Mit einem Solarmobil rund um die Welt: Der Schweizer Louis Palmer warb für alternative Energien.

Luzern. Der Weg zu einer nachhaltigen Welt ist noch weit, sehr weit. Noch besteht die Welt aus Widersprüchen: Der reiche Westen denkt drüber nach, will aber nichts dafür bezahlen. Die "emerging markets" verlangen erst nach materiellem Wohlstand, und die Diskussion um "Sustainability" findet dort bisher nur in wenigen Köpfen der obersten Hierarchien statt. Auf der einen Seite spriessen die ersten "grünen" Hotels und Tourismus-Konzepte, auf der anderen Seite entstehen immer neue Low Cost Airlines, die nur Wachstum suchen. Und die globale Reiselust steigt und steigt… Es waren am Schluss die grossen Widersprüche der Nachhaltigkeitsentwicklung, die in den Köpfen der rund 200 Teilnehmer des 2. World Tourism Forum Luzern hängen blieben. Und die Erkenntnis, dass selbst die Executives, die in Luzern dabei waren, nicht viel ändern können. Konkrete Erkenntnisse oder gar Beschlüsse blieben am Schluss aus. Dafür waren auch zu wenige potente Entscheidungsträger da.

Christopher Rodrigues.

Am Schluss der zweitägigen Konferenz zeigte der Schweizer "Umwelt-Abenteurer" Louis Palmer Fotos von begeisterten Menschen, die ihn auf seiner Weltreise mit einem Solar-Mobil empfingen. Er säte Nachhaltigkeitssamen, machte auf alternative Energien aufmerksam. Die PR-Wirkung war gross.

Die Realität ist nüchterner. Die Auftakt-Diskussion legte den Finger am deutlichsten in die Wunde - in den Widerspruch zwischen Wachstum/Profit und Nachhaltigkeit. "Wachstum ist nicht nachhaltig," stellte Tim Jackson, Ökonom in der britischen Sustainable Development Commission, gleich klar. Seine Idee: wirtschaftlicher Wohlstand ohne Wachstum. Sein Lösungsvorschlag: Effizienzsteigerungen, angetrieben durch Technologie!

"Wir leben auf einem begrenzten Planeten", mahnte er eindringlich. Dem gegenüber steht ein ungeheures Bevölkerungswachstum: 2050 wird es neun Milliarden Menschen geben. Schon 2020 werden laut UNWTO 1,6 Milliarden Menschen reisen. Alle wollen vom Wachstum profitieren. Das kollidiert mit allen Emissions-Einsparzielen, die man sich bisher gesetzt hat. Deshalb plädierte Jackson für eine neue Geisteshaltung - "Tourism of the mind".

Im Grossen denken!

Alle Diskussionen zeigten sehr schnell, dass sich die Konferenzteilnehmer durchaus ihrer Verantwortung bewusst sind und ein Umdenken für dringend erforderlich halten. Schnell erfolgte der Ruf globalen Vereinbarungen, nach Erneuerungen der Eigentumsregeln bei Fluggesellschaften z.B., nach Abflug-Steuern, die als "grüne" Steuern zurück fliessen, nach dem Ende des Konsums….

"80 Prozent der Herausforderungen in der Tourismusbranche können doch gar nicht von Touristikern gelöst werden!", warf Teilnehmer Klaus Lengefeld von der GIZ ein. Beispiel: Ein Hotel zahlt für Abfallbeseitigung, aber der Müll landet trotzdem im Feld… "Tourismusminister haben keinen Einfluss auf relevante Faktoren, z.B. auf die Besteuerung im Land oder auf die Qualität des Wassers", pflichtete Christopher Rodrigues, Chairman von VisitBritain, bei.

Prof. Geoffrey Lipman.

Die Diskussionen verstrickten sich im kleinen wie im grossen Kreis immer wieder in Details; analog erfolgten die Appelle, "im Grossen zu denken." Schliesslich wächst die Kluft zwischen Arm und Reich, durch die Bevölkerungsexplosion verdoppelt sich der Konsum - "folglich müssen wir unsere Effizienz verdreifachen!" forderte Stephan Farrant, Director von International Tourism Partnership. Laut Weltbank wird im Jahre 2020 die Nachfrage nach frischem Wasser bereits 15% höher sein als die Ressourcen es hergeben - und künftig wird sich die Ressourcen-Knappheit alle 20 Jahre verdoppeln. "Wir brauchen eine Revolution der Innovation," so Farrant.

Der Song der Zukunft heisst ''green growth''

"Einzelfragen sind nicht relevant," postulierte dann auch Prof. Geoffrey Lipman, Berater des Generalsekretärs der UNWTO und Director von greenearth.travel. Schliesslich könnten Tsunamis, politische Unruhen und Nuklear-Katastrophen, wie in den letzten Monaten erlebt, alle Klima-Konzepte und Kalkulationen über den Haufen werfen. Der Klima-Wechsel werde alle Ebenen des Lebens beeinflussen. "Hört auf aufzuzählen, wie viel Hotels oder nicht zur Klima-Entwicklung beitragen, hört auf auf Zahlen zu hören… Der Song der Zukunft heisst ''green growth''!".

Maximal 40 Jahre habe man noch, um die jungen Leute zu dieser Denkweise zu erziehen - vernetzt die Dinge zu betrachten. Im Tourismus bedeutet das, Produkte, Märkte, Konsumenten, Versorgungsketten, Vertrieb, Marken und Investments neu zu analysieren. Mobilität, Destinationen und Lifestyle müssen nachhaltig hinterfragt und neu gekoppelt werden. Einzel-Aktionen und Initiativen gibt es über alle Branchen hinweg, auch im Tourismus. Die grossen Business-Modelle aber dafür fehlen.

Young Talents: Benno Küng, BUCHERER AG; James Hyde, KornFerry; Bernard S. Zen-Ruffinen, Korn

Veränderung durch die Jugend

Nur am Anfang und am Schluss der Konferenz wurde ein weiterer, wichtiger Faktor deutlich angesprochen: die Zeit. Ändert sich in den nächsten Jahrzehnten nichts Gravierendes, leiden die nächsten Generationen. Deshalb plädierte Lipman für "Erziehung und Bildung als Politik" der nächsten Jahre.

Das World Tourism Forum hatte die Bedeutung der Jugend bei diesem Thema erkannt und einen Programm-Schwerpunkt auf "Young Talents" gelegt. Tourismus-Studenten von sechs internationalen Partner-Universitäten bzw. Hochschulen hatten sich für eine Einladung zur Konferenz qualifizieren müssen; drei von ihnen erhielten einen Preis. Kempinski-CEO Reto Wittwer, COO Duncan O''Rourke und Talent-Managerin Henrike Gosemann unterstützten diese Initiative ideell und durch ihre Anwesenheit. / Maria Pütz-Willems

Gibt es eine Nachfrage für nachhaltigen Tourismus?

Unterstützt vom Schweizer Reiseveranstalter Kuoni erforschten das Institut Tourismus der Hochschule Luzern und das Datenforschungsinstitut IPK International aus München die Nachfrage für nachhaltigen Tourismus. 750 Antworten von Menschen aus acht Ländern ergaben u.a. folgende Aussagen:

Nachhaltiges wird mit "Lokalem" gleichgesetzt - mit lokalen Produkten, lokaler Kultur und der lokalen Gemeinschaft.
Touristen verstehen unter Nachhaltigkeit auf ökologischem Level Ressourcen-Schonung und Abfall-Management; auf sozialer Ebene die Erhaltung von schönen Aussichten und kulturellem Erbe, die Einbeziehung der lokalen Community, die Einflüsse auf das lokale Umfeld; auf wirtschaftlichem Level den Gebrauch von lokalen Produkten und Services, regionale Beschäftigung und einen langfristigen regionalen Wohlstand.
Touristen teilen sich in fünf Typen auf: 32,6% stehen für den ausbalancierten Typen, der alle Dimensionen beobachtet; 25% stellen den skeptischen Typen; 15.1% kümmern sich vor allem um ökologische Aspekte; 15% präferieren lokale Aspekte; 12,3% betrachten sozio-ökonomische Aspekte.
Deutsche Touristen sind am kritischsten gegenüber dem Thema Nachhaltigkeit, die ökologischen Touristen-Typen sind in der Schweiz überrepräsentiert; Russen geben sich bei Energie-verwandten Attributen kritisch und repräsentieren meist den lokalen Typ; Inder sehen eher soziale Aspekte.
Am wichtigsten sind für Reisende in ihren Ferien folgende Kriterien in folgender Reihenfolge: 1. Wetter/Klima, 2. Preis, 3. Zugang zur Destination, 4. lokale Kultur, 5. Landschaft, 6. Essen, 7. Nachhaltigkeit, 8. Aktivitäten vor Ort. Für 22% der Befragen gehört Nachhaltigkeit zu den Top-3-Faktoren bei der Urlaubsentscheidung.
Je nachhaltiger ein Reiseprodukt ist, umso häufiger wird es gewählt. Aber zahlen will man dafür nur wenig: Von einem Paket-Preis wäre der Tourist bereit, nur 1,42% oder 77 Dollar zu bezahlen. / kn


 

1.4.2011 Executives suchen intelligente Lösungen - 2. "World Tourism Forum" Luzern mit Focus auf Nachhaltigkeit

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