Der Weg führt über das Ich Eiger Grindelwald ist ein Selfnes Hotel und schwierig zu vermarkten
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Der Weg führt über das Ich

Eiger Grindelwald ist ein "Selfness"-Hotel – und schwierig zu vermarkten

Wo endet Wellness, wo fängt Selfness an? Der Blütenpool im Eiger Hotel Grindelwald.

Grindelwald. "Selbst – bewusst – leben". So definiert das 4 Sterne-Hotel Eiger im schweizerischen Grindelwald den Begriff "Selfness". Seit zehn Jahren setzt man bereits auf dieses Konzept, das in der facettenreichen Spa- und Wellness-Welt von heute aber immer noch Exoten-Status besitzt. Der Fokus in der Umsetzung liegt bisher vor allem bei den Mitarbeitern und ihrer Auseinandersetzung mit sich selbst und im Team. Natürlich gibt es spezielle Selfness-Angebote für Gäste, doch bei vielen scheint dieses Thema auch noch nicht so richtig angekommen zu sein. Die meisten kommen wegen der spektakulären Berglandschaft mit Eiger, Mönch und Jungfrau.

Inzwischen ist es zehn Jahre her, als Daniel Heller zum ersten Mal den Begriff Selfness hörte. Erfunden hat ihn 2002 der Trendforscher Matthias Horx, der überlegte, wohin sich die Gesundheit- und Werte-Trends wohl entwickeln werden. Selfness beginnt dort, wo Wellness zu kurz greift, hiess es damals.

Heller war begeistert von dem Ansatz und gemeinsam mit seiner Frau Gisela Heller-Thum richtet er ein Selfness-Center im Hotel Eiger ein, das er sei 2000 leitet. "Im Grunde genommen war das eine Wellness-Anlage", sagt der Hoteldirektor heute. Damals hörte auch der Gestalttherapeut und Experte für Gruppendynamik und Team-Entwicklung, Werner J. Arnet, davon. Er besuchte das Hotel, weil ihn das Thema Selfness interessierte, und wollte sehen, wie man das Konzept dort umgesetzt hat. "Er war dann wohl recht enttäuscht", erinnert sich Gisela Heller-Thum.

Man tauschte sich aus und es entstand eine enge Zusammenarbeit. Ihr braucht Offenheit und Vertrauen, hat Arnet den Hotelbesitzern damals ans Herz gelegt. "Wir dachten, das haben wir ja", erinnert sich Gisela Heller-Thum. Zusammen mit den Mitarbeitern besuchten die beiden dann Seminare bei dem Therapeuten und erkannten, dass das Ganze noch viel tiefer geht. "Da hat sich für uns noch eine völlig neue Dimension der Auseinandersetzung mit sich selbst eröffnet", erinnert sie sich.

Von der Jugendherberge zum Selfness-Center

Seitdem hat sich viel geändert in dem Eiger Selfness Hotel im Gletscherdorf Grindelwald. Das Dorf inmitten der faszinierenden Bergwelt von Eiger, Mönch und Jungfrau ist mit 4.000 Einwohnern, 2.700 Hotelbetten und rund 6.000 Betten in Ferienwohnungen Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Hauptattraktion ist die Fahrt mit der Bahn auf das Jungfraujoch mit Europas höchster Bahnstation auf 3.445 Metern.

Ein ungewöhnliches Hotel-Konzept in zentraler Lage.

David Heller ist Hotelier in dritter Generation. Sein Grossvater hatte seinen Kindern vier Hotels vermacht. Das im Ortszentrum gelegene Hotel Eiger war einst eine Art Jugendherberge. 1968 wurde es im damals üblichen, kastenförmigen Stil mit Sichtbeton neu gebaut. 1976 entstand hinter dem Haus Eiger 2 mit zwölf Apartments. Inzwischen wurden die Häuser sukzessive renoviert, vor allem innen.

An der Fassade selbst sind zwar keine gravierenden Änderungen möglich, aber die Balkons mit ihren Wänden aus grauen Natursteinen, den Decken und Böden aus Holz und dem Glasgeländer geben dem Haus einen modernen Anstrich. Heute hat das Hotel 50 Zimmer. Zudem gibt es drei Chalets mit mehreren Wohnungen. Insgesamt verfügt das Haus über 140 Betten. Die Zimmer-Preise beginnen ab 210 Schweizer Franken.

Derzeit ist Eiger 3 ist in Planung. Das neue Haus soll auf dem heutigen Parkplatz gebaut werden. Das Bewilligungsverfahren läuft noch. Nachdem sich die Schweizer vor zwei Jahren dafür ausgesprochen haben, dass Orte, die mehr als 70 Prozent Zweitwohnungen haben, keine neuen Ferienwohnungen mehr bauen dürfen, stockt das Ganze.

Im Focus: Kommunikation und Feedback

Sobald der Gast die Lobby betritt, merkt er aber, dass dort etwas anders ist. Als Erstes fallen einem die handgeschriebenen Sprüche auf. "Es ist besser Brücken zu bauen als Mauern", steht auf einer Säule vor der ganz in Holz gehaltenen Rezeption. Auf der gegenüberliegenden Wand heisst es "Es stolpern mehr Menschen über ihre Zunge als über ihre Füsse". In der Ecke ragt ein Felsen in den Raum, eine Nachbildung des Eiger.

Die Kombination von Tradition und Moderne, von Lifestyle und Natur zieht sich durch das gesamte Haus. Im Zimmer überrascht eine Wand aus grauen Natursteinen mit einer Sitzecke aus roten Sesseln. Andere Zimmer vermitteln mit viel Holz Chalet-Ambiente. Warme Farbtöne und Einsätze aus Holz schaffen eine oftmals überraschende und angenehme Atmosphäre. Überall im Haus, in den Gängen, auf den Zimmern oder im Ruheraum im Selfness-Center, stösst man Sprüche, die zum Nachdenken anregen. "Hebt man den Blick, so sieht man keine Grenzen", liest man im Gang. "Probleme löst man nicht mit dergleichen Denkweise, durch die sie entstanden sind" steht quer über die Wand im Ruheraum im Selfness-Center.

Viel Holz und inspirierende Sprüche heissen den Gast willkommen.

"Die Gäste sagen, die Atmosphäre bei uns ist speziell, herzlich und authentisch", erzählt die Heller-Thum. Doch dazu trägt nicht nur die Gestaltung des Hotels bei, sondern vor allem die intensive Arbeit im Team. Seit zehn Jahren arbeitet das Führungsteam mit Werner J. Arnet und inzwischen mit seinem Nachfolger Erwin Germscheid drei mal drei Tage im Jahr zusammen. Es geht vor allem um Kommunikation, Feedback und vor allem um die Team-Entwicklung.

Der Küchenchef ist der "Coach Cuisine"

Die grösste Herausforderung sei am Anfang gewesen, die Mitarbeiter zum Mitmachen zu bewegen, erinnert sich die Chefin an die Selfness-Anfänge. Inzwischen haben die meisten zusätzlich ein einwöchiges Seminar besucht, das emotionale Fähigkeiten schult. Vom ursprünglichen, neunköpfigen Führungsteam sind heute noch fünf Mitarbeiter da. Einigen sei das Ganze zu intensiv gewesen, so Heller.

Führungskräfte heissen im Hotel Eiger "Coach", weil der Führungsstil einem Coaching entspricht, d.h. Mitarbeiter zu fordern, fördern und zu unterstützen. Der Küchenchef heisst daher "Coach Cuisine", der Leiter der Rezeption "Coach Front Office". Derzeit besteht das Führungsteam aus neun Coaches und sechs Stellvertretern. Die Mitarbeiterzahl liegt im Schnitt bei 60.

Jeden Monat gibt es eineinhalbstündigen Team-Talk im Führungskreis, aber auch in den einzelnen Teams Küche, Restaurant, Housekeeping, Rezeption und Selfness Center sowie den Lernenden. Auch im Housekeeping, wo überwiegend Portugiesinnen arbeiten, funktioniert das. "Die haben zwar eine andere Mentalität und eine andere Sprache, aber das Vertrauen unter den Frauen ist enorm gewachsen", erzählt Heller.

Hausherrin Gisela Heller-Thum: Der Alltag wird analysiert.

Die Gruppe umfasst jeweils sechs bis 15 Teilnehmer. "Da gibt es geführte Übungen und Reflektionen", erzählt Gisela Heller-Thum. "Dabei werden Situationen aus dem Alltag analysiert." Beispiel: Warum haben wir über eine Sache nicht gesprochen? Wie geht es mir in der Runde? Wie geht es mir mit dem Gast? Welche Probleme hatte ich mit meinen Kollegen? Wie geht es mir im Team? Wie geht es mir mit Stress?

Dauerhafte Veränderung ist das Ziel

Anfangs sei Selfness eher Wellness für den Gast gewesen, heute stehe es mehr für eine Haltung mit dem Fokus nach innen, resümiert die Geschäftsleiterin. "Bei uns sind zwei Drittel der Selfness nach innen gerichtet." Und im Leitbild des Hotels heisst es: "Bei Selfness geht es nicht um die vorübergehende, oberflächliche Entspannung, sondern um dauerhafte Selbstveränderung und -entwicklung. Habe Wellness noch auf das reine 'sich verwöhnen lassen' abgezielt, so bedeutet Selfness, sich selber bewusst Gutes zu tun."

Selfness definiert man dabei in den drei Worten: "selbst – bewusst – leben", das heisst: Eigenverantwortung für sich übernehmen, bewusste Achtsamkeit und Präsenz und das Leben als Prozess der Veränderung wahrnehmen. Grundlage der Haltung und des Tuns der Hotel-Mitarbeiter bilden die sieben Selfness-Werte Präsenz, Offenheit, Teamfähigkeit, Kommunikation, Feedback-Kultur, Entscheidungsfähigkeit und Empathie. "Unser Organigramm ist rund, in der Mitte steht die Geschäftsleitung", erklärt Daniel Heller.

"Wir sind davon überzeugt, dass das Team das wichtigste ist", sagt seine Frau. Die emotionale Bindung der Mitarbeiter sei gross, die Fluktuation gering. Inzwischen habe sich auch herumgesprochen, dass das Arbeiten im Hotel Eiger etwas anders ist. Obwohl es derzeit äusserst schwierig sei, neue Mitarbeiter zu finden, hätten sogar die Blind-Bewerbungen zugenommen.

Selfness-Angebote für Gäste

Aber natürlich gibt es auch Selfness-Angebote für den Gast wie ein Lach-Wochenende oder Kochkurse. Die Workshop-Pauschalen mit Übernachtung liegen bei 400 bis 500 Schweizer Franken. Besonders erfolgreich läuft das zweitägige Seminar "Führen – aber wie?" mit Erwin Germscheid. Auf dem Zimmer findet der Gast eine Coach-Mappe mit den Profilen von zwölf Coaches - darunter eine Heilpraktikerin, einen Mental-Coach, eine Yoga-Lehrerin und einen Bergführer. Es gibt ein Selfness-Package mit zwei Übernachtungen, Wellness-Anwendungen und einer Stunde Coaching oder Personal Training für 1.140 Schweizer Franken.

Die Selfness-Lounge. Nachdenken über das Ich.

"Wir haben drei Selfness-Coaches für verschiedene Bereiche", so Heller-Thum. Diese arbeiten aber nur im präventiven Bereich. "Wir sind keine Psychologen." Zudem gibt es sogenannte Gipfeltreffen, bei dem man interessante Persönlichkeiten wie einen Shaolin-Mönch zum Abendvortrag einlädt. Die Auswahl der Dozenten erfolgt über ein persönliches Kennenlernen. "Wir schauen dann, ob die Chemie stimmt und das Angebot ins Programm passt", sagt Gisela Heller.

Auch in die Behandlungen fliesse das Thema Selfness ein. "Der Fokus liegt eher auf energetischen Behandlungen und weniger auf reiner Fitness", erklärt Heller-Thum. Angeboten wird z.B. die "haki"-Methode des Österreichers Harald Kitz, ein "massgeschneidertes und ganzheitliches Konzept für den kopflastigen Menschen von heute", bei dem sich der Masseur auf die Bereiche Schulter, Nacken und Kopf konzentriert.

Das Selfness-Center besteht aus einer Sauna-Landschaft mit Ruheraum und einem gekühlten Meditationsraum. Beliebt ist der Blütenpool, ein grosser Whirlpool für bis zu vier Personen, der mit Frischwasser und Duft-Essenzen nach Wahl vorbereitet wird. 30 Minuten mit zwei Gläsern Prosecco kosten 60 Schweizer Franken.

Nur 10 Prozent Selfness-Gäste

Rund 20 Prozent der Gäste buchen Wellness, ebenso viele ein Romantik-Paket mit Blütenpool und rund zehn Prozent ein Selfness-Paket mit Coach. Doch rund die Hälfte der Gäste kommt noch immer wegen der spektakulären Natur. Sie fahren aufs Jungfraujoch, gehen wandern oder skifahren. "Das ganze Haus können wir nicht auf Selfness einstellen", stellt Daniel Heller klar. "Wir müssen eine Balance aus Selfness und Wirtschaftlichkeit finden."

Trotzdem will man auch diese Gäste auf den Selfness-Gedanken aufmerksam machen. "Wir wollen sie inspirieren", sagt die Chefin. "Viele fragen uns, was Selfness ist und dann erklären wir, was dahinter steht." Manchmal sei das jedoch eine echte Herausforderung. "Wir machen ein spannendes Programm und sind dann ernüchtert, wenn sich nur zwei oder drei Teilnehmer anmelden", bedauert Gisela Heller-Thum. Selfness gibt es zudem nur für die deutschsprachigen Gäste, schon allein weil die Programme auf Deutsch sind.

Die Gäste kommen rund zur Hälfte aus der Schweiz, je rund zehn Prozent sind Deutsche und Engländer. Zuwächse gibt es derzeit bei den Asiaten aus China, Taiwan und Indien und den Gästen aus dem arabischen Raum. Im Schnitt belieben die Gäste zwei Nächte, die Araber bleiben fünf bis sechs Nächte und mieten ein Apartment.

Das persönliche Konzept spiegelt sich auch in den warmen Zimmern.

Die Altersstruktur der Gäste ist gemischt. Jüngere Paaren buchen das Romantik-Paket; insgesamt bucht die Hälfte online, davon 30 Prozent direkt, der Rest geht über Portale. Die Hotel-Auslastung liegt bei rund 65 Prozent, wobei der Winter stagniert, der Sommer dagegen wächst. Rückgänge gibt es bei den deutschen Gästen aufgrund des gestiegenen Franken-Kurses.

Die Herausforderung
des Exoten

Auch Nachhaltigkeit gehört zum Selfness-Konzept. Unter dem Label "Eigerness" werden vor allem lokale Produkte verwendet. Selbst die Minibar ist mit Schweizer Spezialitäten ausgestattet.

Im urig-gemütlichen Restaurant "Barry's Napf", benannt nach einem Bernhardiner, gibt es deftige Kost mit einem mongolischen Buffet, wo man sich 26 Produkte selbst zusammenstellen und kurz anbraten lassen kann. Schweizer Küche gibt es auch im Bistro "Memory". Hotelgäste essen im Speisesaal "Galleria" und können danach noch einen Schlummertrunk in der "Gepsi"-Bar nehmen.

Daniel und Gisela Heller sind überzeugt, dass ihr Selfness-Weg richtig ist. Doch die beiden sind auch selbstkritisch. "Der Begriff Selfness hat sich letztlich nicht durchgesetzt", gesteht Daniel Heller. Und seine Frau ergänzt: "Unser grosses Thema ist die Vermarktung. Wir kriegen unser Konzept noch nicht so richtig rüber." Dabei hilft den beiden auch der Blick auf andere Hotels nicht so recht weiter. Zwar verwenden inzwischen einige Hotels den Begriff Selfness, doch dabei geht es meist in erster Linie um Wellness-Angebote und weniger auf den Fokus nach innen. / Bärbel Schwertfeger

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