Experiment Mindestlohn vor dem Start
HI+

Experiment Mindestlohn vor dem Start

Wiesbaden. Die deutsche Bundesregierung hat sich nicht umstimmen lassen: Am 1. Januar 2015 startet der neue Mindestlohn von 8,50 Euro flächendeckend in allen Bundesländern. Die Hotellerie fürchtet am meisten die damit einhergehende Arbeitszeitregelung. Und: Es könnte zu Problemen beim Praktikanten-Einsatz kommen.

"Wir sehen den Mindestlohn als gigantisches arbeitsmarkt-politisches Experiment, gerade für Gastronomie und Hotellerie. Denn das Gastgewerbe ist eine besonders arbeitsintensive Branche, der Personalkosten-Anteil liegt mit 25 bis 40 Prozent besonders hoch", erklärt Pressesprecher Christopher Lück vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Kleine und mittelständische Betriebe in strukturschwachen Regionen wie vor allem in Ostdeutschland hält der Verband für gefährdet. "Die Personalkosten-Steigerungen liegen durch den Mindestlohn in einigen Regionen bei 20 Prozent und mehr. Auch bei einigen Zulieferern werden die Kosten steigen", so Lück.

Die Hotellerie im Land sieht die Lohnkosten relativ gelassen, sie fürchtet sich vielmehr vor der mit dem Mindestlohn einhergehenden neuen Pflicht zur Aufzeichnung und Dokumentation der Arbeitszeit. "Dieser Aufwand wird oft unterschätzt, stellt aber für viele Betriebe in der Umsetzung das grösste Problem dar", unterstreicht auch Lück.

Hochzeitsfeiern abbrechen?

Derzeit beträgt die gesetzliche Höchstarbeitszeit 10 Stunden. Die Forderung des Dehoga lautet, diese auf 12 Stunden anzuheben. "Wenn die Hochzeitsfeier länger dauert als geplant, können nachts nicht neue Mitarbeiter ihren Dienst aufnehmen. In diesen Fällen kommt es in der Praxis immer wieder zu Überschreitungen der täglichen Höchstarbeitszeit. Wenn dies nun dokumentiert werden muss, drohen nach dem Arbeitszeitgesetz Bussgelder oder es wird die in diesen Fällen tatsächlich geleistete Stundenzahl nicht eingetragen", sagt Lück.

Sein Verband habe deshalb an seinem letzten "Branchentag" noch einmal eindringlich an die Bundesregierung appelliert, das Arbeitszeitgesetz an die Lebenswirklichkeit anzupassen. Dabei gehe es nicht um eine Verlängerung der Gesamtarbeitszeit, sondern um eine notwendige Flexibilität der Betriebe, die von den Gästen erwartet werde.

Gerd Ripp, Eigentümer des Romantik Hotels Schloss Rheinfels in St. Goar, kann über die Arbeitszeitreglung nur den Kopf schütteln. "Wir zeichnen die Stunden derzeit mit einem neuen elektronischen System auf und überlegen uns nach der Analyse dieser Aufzeichnungen eine Strategie", sagt er. Bisher hätten sich die effektiven Arbeitszeiten immer wieder von selbst relativiert und wenn mal wirklich viel länger gearbeitet werden musste, habe er eben einen halben Freitag gewährt. "Wir müssen uns ernsthaft über alternative Arbeitszeitmodelle Gedanken machen. Es gibt hierfür aber genug Möglichkeiten."

Die Einführung des Mindestlohns an sich begrüsst Ripp: "Sie ist aus meiner Sicht zwingend notwendig. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir unsere Leute endlich vernünftig entlohnen."

Azubis ausgenommen, Trainees verprellt

Die 8,50 Euro gelten nicht für die Azubi-Vergütung. "Künftig treten Mindestlohn und Azubi-Vergütung in Konkurrenz. Wenn einfachste ungelernte Tätigkeiten mit mehr als 1.400 Euro pro Monat entlohnt werden, gibt es einen starken Fehlanreiz, sich eben nicht für eine Ausbildung mit ein paar hundert Euro Ausbildungsvergütung zu entscheiden", sagt Lück. Ausbildungsanfänger sind in Deutschland im Schnitt knapp 20 Jahre alt. Der Dehoga hat daher gefordert, dass der Mindestlohn für Jugendliche und junge Erwachsene ohne Berufsabschluss oder Studium erst frühestens ab 23 Jahren, besser ab 25 Jahren, gelte.

Nach Meinung des Arbeitsrechtsexperten Hartmut Bohne zeigt die Ausgestaltung des Mindestlohnes Licht und Schatten. Er bewertet es positiv, dass Auszubildende ausgenommen sind. "Dadurch ist die Chance gegeben, dass Bewerber und Betriebe die Berufsausbildung als Bedingung für einen adäquaten Mindestlohn interpretieren", erklärt er.

Doch es gebe auch sehr ärgerliche Regelungen. Die bisher stark nachgefragten Traineeprogramme nach einem Studienabschluss würden ab Januar 2015 von vielen Hotels nicht mehr angeboten. Das sei eine fatale Fehlentwicklung, denn gerade mit diesen praxisorientierten Profilierungsprogrammen für 6, 12 oder 18 Monate zeigte sich die Branche offen für Absolventen jenseits der klassischen Berufsausbildung.

"Aufgrund ihres grossen Personal-Bedarfs darf die Hotellerie nicht auf diese Mitarbeiterquelle verzichten. Es bleibt abzuwarten, welche kreativen Programme und Entlohnungsregeln für solche Bewerber entwickelt werden. Auch die Einschränkung, dass freiwillige Praktika während eines Studiums nur bis zu drei Monaten vom Mindestlohn ausgenommen sind, ist sehr ungünstig, denn sinnvolle Praktika sollten mindestens sechs Monate dauern - vor allem im Interesse des Praktikanten", sagt er. "Solange in diesem Bereich niemand durch prozentuale Abschläge auf den Mindestlohn zum Beispiel oder durch stufenweise Anpassungen je nach Lern-/Arbeitsfortschritt nachjustiert, wird es zu Reaktionen der Betriebe kommen müssen. Gleichzeitig sind diese Vorgaben Ansporn für Bildungseinrichtungen und Hotels gleichermassen, sich auf neue Modelle zu einigen, bspw. durch längere Pflichtpraxisanteile in Studienplänen - diese wären vom Mindestlohn nicht betroffen."

Mindestlohn als Tool der Marktbereinigung?

Bohne ist überzeugt: "Es wird mehr Bewegung im Verhältnis zwischen Bewerbern, Bildungseinrichtungen und Arbeitgebern entstehen und es sind mindestlohn-kompatible Strukturen erforderlich, um ein Abdriften junger Menschen in andere Branchen zu verhindern. Der Mindestlohn darf nicht zum Ausbluten personal-intensiver Branchen führen."

In Deutschlands Hotellerie wird übrigens schon heute oft ein höherer Stundenlohn als 8,50 Euro bezahlt. Bei einer Diskussionsrunde an der Hochschule Heilbronn zu diesem Thema bezifferte der Vertreter des Grand Hotel Elysée in Hamburg die dortigen Stundenlöhne bereits im Vorjahr mit 9,00 Euro brutto und Frank Marrenbach, CEO der Oetker Hotel Collection, resümierte: "Dauerhaft signifikant unter 2.000 EUR zu verdienen, kann für die Vollzeit-Tätigkeit einer ausgelernten Fachkraft nicht vernünftig sein und wird nicht zu langfristiger Zufriedenheit führen." Gleichzeitig merkte Marco Nussbaum, CEO von prizeotel an, dass es durch eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro auch zu einer Markt-Bereinigung kommen könne und wohl auch werde; das sei aber positiv zu sehen. / sst

{"host":"www.hospitalityinside.com","user-agent":"claudebot","accept":"*/*","referer":"http://www.hospitalityinside.com/articles/experiment-mindestlohn-vor-dem-start,32958,280.html","x-forwarded-for":"13.59.82.167","x-forwarded-host":"www.hospitalityinside.com","x-forwarded-port":"443","x-forwarded-proto":"https","x-forwarded-server":"d9311dca5b36","x-real-ip":"13.59.82.167","accept-encoding":"gzip"}REACT_APP_OVERWRITE_FRONTEND_HOST:hospitalityinside.com &&& REACT_APP_GRAPHQL_ENDPOINT:http://app/api/v1