Ferien für die pflegende Familie carehotels wagt die Gratwanderung zwischen Hotel und Pflege Services
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Ferien für die pflegende Familie

carehotels wagt die Gratwanderung zwischen Hotel- und Pflege-Services

Urlaub für alle Familien-Mitglieder: Carehotels integriert professionelle Pflege ins Ferienhotel-Konzept.Foto: kzenon Fotolia

Goslar. "Familien, die ihre Angehörigen zuhause pflegen, sollen auch einmal wandern gehen können und dabei ihre Patienten beruhigt in der Hotel-Obhut lassen können." Das ist ein Bild, das hinter der Philosophie der jungen Betreiber-Gruppe "carehotels" aus Goslar steckt. "Das Thema selbst ist komplex und kleinteilig", hat Geschäftsführerin Karina-Anna Dörschel seit dem Projektstart vor drei Jahren gelernt. Das erste, im Bau befindliche Projekt verzögert sich gerade, dafür ist aber auch schon ein zweites unterschrieben. Ihre Idee führte sie geradewegs hinein in eine Gratwanderung zwischen Hotel-Services und Pflege-Dienstleistungen. Damit hat sie allerdings auch eine zukunftsträchtige Nische identifiziert.

Die Projektplanung begann vor etwa drei Jahren – und die Initial-Zündung kam durch einen Projekt-Entwickler, der Apartments für altersgerechtes Wohnen bauen wollte. Karina-Anna Dörschel hatte zudem selbst schon Erfahrungen mit ihrer pflegebedürftigen Schwiegermutter. Aus dieser Konstellation ergab sich das Konzept: Ferienhotels zu bauen und zu betreiben, die barrierefrei sind und eine Reihe von Pflege-Dienstleistungen anbieten, damit auch die betreuenden Personen abschalten können vom Alltag. Trotzdem sollen sich auch Menschen ohne Handicaps dort wohlfühlen. "Wir sprechen bei carehotels deshalb nicht von Zielgruppen, sondern von Lebenssituationen", differenziert die Geschäftsführerin, "ausserdem berührt das Konzept auch das Mehrgenerationen-Thema."

Karina-Anna Dörschel kennt die Hotellerie von der Pike: Ihrer Familie gehören die Sonnenhotels, eine Ferienhotel-Gruppe mit zehn Häusern in Deutschland und Österreich alle im 3- und 4 Sterne-Segment. Nun ist die ausgebildete Hotelfachfrau Geschäftsführerin für beide Gruppen; die carehotels stecken aber noch in ihren Anfängen.

Ziel ist es, in den nächsten fünf Jahren bis zu fünf 3- und 4 Sterne-Ferienhotels an attraktiven Standorten im deutschsprachigen Raum anzubieten. Zurzeit befindet sich das carehotel Niddasee im hessischen Schotten in Bau, ca. 80 km nördlich von Frankfurt gelegen. Die Eröffnung ist nach der ersten Verzögerung jetzt für 2018 geplant. Das zweite carehotel entsteht bis Ende 2018 in Bad Rappenau bei Heilbronn. Weitere Destinationen werden gesucht, u.a. auch am Meer.

"Als Hotel-Betreiber will carehotels von der Buchung bis zur Abreise der Ansprechpartner für die Gäste sein", definiert sie die Rolle der Gruppe. Gleichzeitig erlebte sie auch, wie schwierig und aufwändig es ist, Investoren und Projekt-Entwickler für dieses diffizile Konzept zu sensibilisieren. Als Berater holte sich Karina-Anna Dörschel deshalb als erstes den Diakonieverein Berlin-Zehlendorf e.V. dazu.

Der Plan für das erste carehotel in Schotten, nördlich von Frankfurt.

Schwester Susette Schumann vom Diakonieverein unterstützt die Idee von Karina-Anna Dörschel: "Ich sehe grossen Bedarf für diese Zielgruppe. Nehmen Sie nur das Beispiel: Eine ältere Frau pflegt ihren Mann. Wann kann diese Frau durchatmen? Irgendwann verabschieden sich auch die besten Freunde in solchen Lebenssituationen." Die ausgebildete Krankenschwester ist heute Pflege-Sachverständige und eine Expertin in Pflege-Versicherungen. Sie verweist auf die nächste Gesetzesänderung: Ab 1. Januar 2017 wird das neue "Pflege-Stärkungsgesetz II" darauf drängen, dass Pflegebedürftige länger ambulant, also zuhause, versorgt werden müssen. Damit würden in der Konsequenz auch solche Ferienhotels in den Fokus rücken.

Zwei Partner: Hotel und Pflege

Das Konzept à la carehotels birgt Herausforderungen in der Hotel-Operation: Hotelbetriebs- und Pflege-Gesellschaft müssen in Deutschland juristisch getrennt aufgesetzt werden, da die Pflege-Gesellschaft z.B. die Hilfsmittel für die pflegebedürftigen Gäste organisiert und Fördermittel erhält; sie holt diese Gäste beispielsweise zuhause ab. Die spezielle Betreuung beim Frühstück muss auch über die Pflege-Gesellschaft abgerechnet werden.

"Einen Service zu bieten, der wirklich all diese Hilfsmassnahmen und Details abdecken würde, würde – selbst wenn es juristisch erlaubt wäre in Deutschland – auf jeden Fall die Personalquote eines Hotels sprengen und damit die Hotel-Leistung viel zu teuer machen", erläutert Dörschel. "Die Hotel-Mitarbeiter sollen grundsätzlich keine Pflege-Dienstleistungen erbringen."

Solche Vorschriften münden letztlich in einer Gratwanderung für die klassische Hotel-Operations. Entsprechend detailliert muss das Konzept vorab geklärt sein. Für den Gast sollen schliesslich die Leistungen wie Pflege, besondere Serviceleistungen sowie Unterkunft/Verpflegung "gefühlt" aus einer Hand wahrnehmbar sein. Die gewünschten Pflege-Leistungen werden gleich bei der Buchung in der Reservierungszentrale der carehotels mit aufgenommen. Der Pflegedienst übernimmt dann die komplette Koordination; darüber hinaus prüft er die Refinanzierungs-Möglichkeiten für jeden Gast. Eine Refinanzierung ist bei vorhandener Pflegestufe z.B. in der Regel über die Pflegekassen möglich und wird mit diesen auch abgerechnet.

Cross-Training der Mitarbeiter

Vor Ort wird der Gast bei den täglichen Verrichtungen unterstützt, ohne dass dabei unterschieden werden kann, ob es sich um einen Mitarbeiter des Pflegedienstes handelt oder eine Servicekraft des Hotels. "Alle Mitarbeiter müssen sich 'über Kreuz' qualifizieren," fasst Dörschel es pragmatisch zusammen: Hotel-Personal wird eingesetzt in Küche und an der Rezeption; Service und Housekeeping muss auf Pflege- und Hotelfachkräfte verteilt werden.

Karina-Anna Dörschel: Die Baukosten steigen nur moderat.

Dies bedeutet umfangreiche Schulungen des Personals, Einsatz eines gesonderten Abrechnungsprogrammes für Pflege-Leistungen und eine intensivere Buchungsabwicklung und Betreuung. Dies führt vermutlich zu etwas höheren Personal- und Sachkosten, so Dörschel, "wobei das später der Alltag exakter zeigen wird. Momentan haben wir im Hotel-Bereich genauso viele Mitarbeiter eingeplant wie in jedem anderen Hotel dieser Grösse."

"Als das erste carehotels-Projekt in Schotten bekannt wurde, haben wir spontan viele Initial-Bewerbungen bekommen, weil das Konzept für viele Mitarbeiter weitaus attraktiver ist als das standardisierte Arbeiten in der ambulanten Pflege zum Beispiel," berichtet sie – erleichtert über dieses positive Signal. Dörschel allerdings weiss, dass aus Kostensicht die Auslastung des Pflegedienstes in einem carehotel eine Herausforderung werden wird.

Die Abrechnung der getrennten Tätigkeiten hält Expertin Susette Schumann vom Diakonieverein Berlin im Alltag nicht für knifflig. Die Regeln seien klar. Aufwändig sei der kommunikative Part mit dem Gast: Sein Aufenthalt in einem Hotel à la carehotel setzt gute Planung voraus, da der Pflegebedürftige bei der Bezahlung seiner gewünschten Pflege-Leistungen im Hotel genau festlegen muss, was er über die Pflege-Versicherung abrechnen möchte bzw. darf und was er privat zahlen möchte. Alle reinen Hotel-Services müssen, wie erwähnt, eh privat bezahlt werden. Hotel-Betreibern und ihren Pflege-Partnern legt sie ins Ohr: In Deutschland sei die Pflege mit vielen "Qualitätsprüfungen" unterlegt – die am Ende des Tages aber auch Abrechnungsprüfungen beinhalten.

Zimmer und Freizeit-Angebote barrierefrei

Es gibt eben viel zu beachten bei solchen Konzepten. So ist es eine andere anspruchsvolle Aufgabe, die Pflege-Erfordernisse in einem Ferienhotel dezent zu verpacken. Beispiele: Die Betten im Zimmer sollten nicht als ein Pflegebett zu erkennen sein – "was dann die Kosten pro Bett auf 2.500 Euro hochschnallen lässt", so Dörschel –, im Bad muss die Dusche befahrbar sein, Haltegriffe müssen stabil, zugleich aber auch abnehmbar sein. Für schwerhörige Menschen müssen optische Hilfen integriert werden, z.B. signalisiert ein Blink-Signal ein Anklopfen an der Tür oder einen Telefon-Anruf. Entsprechende Massnahmen werden auch für sehbehinderte Menschen umgesetzt.

Der Faden zieht sich weiter in die Freizeit-Gestaltung der pflegebedürftigen Gäste. Auch das erfordert Einfühlungsvermögen, denn "alle Angebote sollten möglichst Barrierefreiheit garantieren – ob es sich um eine Ausflugsfahrt handelt, einen Abstecher zum Café oder ob man zum Lesen oder Spielen im Hotel bleibt", gibt Karina-Anna Dörschel Einblick in die Details.

Jedes carehotel soll im Haus einen umfangreichen Wellness-Bereich bieten, dessen eine Herausforderung in einem behinderten-freundlichen Pool-Zugang bestand. "Gemeinsam mit Architekten haben wir einen Poolzugang für Rollstuhlfahrer entwickelt, welcher von anderen Gästen nur als etwas erhöhter Beckenrand wahrgenommen wird," erläutert Dörschel, "über diesen Beckenrand kann man sich in den Pool gleiten lassen."

Das zweite carehotel entsteht in Bad Rappenau, direkt am Erlebnisbad der Stadt.

Das alles klingt nach deutlich höheren Kosten in Bau und Ausstattung. Dörschel relativiert: "Die Baukosten steigen nach unseren neuesten Erkenntnissen moderat, vielleicht um drei Prozent; die Kosten für die Einrichtung hingegen klettern deutlich nach oben." Das FF&E setzt sie im zweiten Objekt in Bad Rappenau bei 16.000 Euro/Zimmer fest. Die Betriebskosten werden nach ihrer Kalkulation nicht von denen eines regulären Hotels abweichen.

Die beiden ersten Hotels

Der Projekt-Entwickler und Investor, mit dem das erste carehotel in Schotten nördlich von Frankfurt entsteht, ist die Berliner Immexa AG. Geplant sind in einem Bestandsgebäude mit Neubau insgesamt 76 barrierefreie Zimmer in Grössen von 24 bis 35 qm. Ursprünglich sollte das Haus zuerst 2015, dann im Frühjahr 2017 eröffnen, jetzt wird es sich aufgrund von Finanzierungsdiskussionen vermutlich nochmals um ein Jahr verschieben.

Der zweite Standort in Bad Rappenau bei Heilbronn ist unterschrieben. Bauherr und Endinvestor ist Kruck + Partner Wohnbau und Projektentwicklung GmbH & Co. KG, ein lokal gut verankertes Unternehmen. Kruck investiert 17 Millionen Euro in das Hotel direkt neben dem städtischen Sole- und Saunaparadies "Rappsodie" und will das Hotel gemeinsam mit einer regionalen Investorengruppe langfristig im Eigentum behalten. Das Ferienhotel wird zusätzlich Tagungsmöglichkeiten für 200 Personen bieten. Die 132 Zimmer sind bis zu 40 qm gross; über 60 sind rollstuhlgeeignet. Die benachbarte Wellness-Landschaft "Rappsodie" ist für die Hotelgäste über einen geschützten "Bademantel-Gang" zu erreichen.

Mit carehotels hat Kruck einen 15jährigen Pacht-Vertrag abgeschlossen. Karina-Anna Dörschel befürwortet Verträge zwischen 15 bis 25 Jahren, abhängig von den Instandhaltungsregeln; bei der Vertragsgestaltung selbst gibt sie sich flexibel.

Sie denkt schon an die nächsten Standorte: Derzeit liegen ihr zehn Anfragen vor. Eines der nächsten carehotels würde sie gerne an der Ostsee-Küste umsetzen – und zwar für Kinder unter dem Motto "Kids Care". Doch auch ein oder zwei Destinationen im deutschen Mittelgebirge wären gut. / map

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