Herzstillstand durch IT Versagen Querdenker Marco Nussbaum über das grosse Online Jammern
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Herzstillstand durch IT-Versagen

Querdenker Marco Nussbaum über das grosse Online-Jammern

Foto: radub 85 Fotolia

Bremen. Querdenker Marco Nussbaum, CEO von prizeotel, Autor und Betreiber des Blogs www.so-geht-hotel-heute.com, spricht Tacheles. Er ist jammernde Kollegen leid, kann keine OTA-Beschimpfungen mehr hören und staunt immer noch über die Leidensfähigkeit und Unentschlossenheit der Branche. Mit diesem exklusiven Gastbeitrag will er aufrütteln, wachmachen für die neue Ära, die unausweichlich kommt. Der internet-affine Hotelier sagt: Verändert sich der klassische Hotelier nicht, wird er sterben. An IT-Versagen!

"Als Robert Ragge 1972 HRS gründete und 1985 mit seinem ersten Computer-Reservierungssystem startete, ahnten wohl nur wenige, welch ein gewaltiger Veränderungsprozess auf die Hotellerie zukommt. Der CEO einer grossen, weltweiten 5 Sterne-Hotelgruppe soll damals nach einer HRS-Präsentation zu Robert Ragge gesagt haben: "Das Internet ist wie Hula Hoop, es ist eine Modeerscheinung und wird schon wieder vergehen".

Marco Nussbaum.

Wenig Weitsicht zeigen auch noch heute die Führungsetagen der Hotellerie, wenn es um Online-Marketing, Distribution, Social Media und allen vor allem um IT geht. Konsequent hat es die Hotellerie verpasst, sich diesen Themen anzunehmen und darin zu investieren. Dazu gehören auch die IT-Partner unserer Branche, denn die heutige zerfledderte, inhomogene System-Landschaft mit Beratern absolut unterschiedlichster Kompetenz trägt ebenfalls dazu bei, dass wir in den meisten Fällen gegenüber den OTAs und auch anderen Branchen im Hintertreffen sind.

Als junger Verkaufsdirektor habe ich schon seit Ende der neunziger Jahre gepredigt, dass die Hotellerie durch das Internet völlig neu definiert werden wird. Für das Thema interessiert haben sich damals immer noch nicht viele. Dabei hatte Robert Ragge an der ITB Berlin 1996 schon die erste Version des weltweiten HRS Hotel-Reservierungssystems im Internet vorgestellt!

Nun, nach Jahren des Auslachens, dann des Schimpfens und des schlichten Verschlafens von Entwicklungen fällt unserer Branche nichts anderes ein, als zu rufen: "Papa Staat, bitte beschütze uns vor den Gestaltern des digitalen Zeitalters" oder aber sich mit unqualifizierten Kommentaren über die OTAs zu äussern!

"Papa
Staat,
hilf!"

Auf Veranstaltungen und in der Presse wurden erst Robert Ragge und danach sein Sohn Tobias immer wieder angefeindet. Hoteliers wollten einem privat-wirtschaftlichen Unternehmen die Spielregeln diktieren, z.B. niedrigere Kommissionen… Was würden diese Hoteliers denn sagen, wenn ihnen jemand die Preiskalkulation für ihre Zimmer vorschreiben würde?

Am Ende des Tages ist es doch ganz einfach: Mich zwingt als Hotelier niemand dazu, einen Vertrag mit einem OTA abzuschliessen. Wenn mir etwas nicht passt, versuche ich, gemeinsam mit diesen eine Lösung zu finden - oder ich gehe aus dem Portal raus!

Die Vorgehensweise des geschätzten Unternehmers Eugen Block und seinem Elysée Hotel Hamburg dient der Eigenwerbung, dürfen aber bitte nicht als Blaupause für die Branche verstanden werden. Die Folge des Ausflugs in die "guten alten Methoden": Im Elysée versteht heute niemand, wie man sich denn jetzt im Bereich Online-Vermarktung verhalten soll. Das ist traurig.

Die OTAs mit all ihrer Macht stehen heute symbolisch für die mangelnde Weitsicht und Unfähigkeit der Hotellerie, gepaart mit einer grossen Portion Neid und getrieben von einer heftigen inneren Existenz-Angst mangels Kompetenz!

"Zuerst betitelte
man HRS
als Monster,
nun ist es
Booking.com."

Aktuell freut sich die Hotellerie, dass sie jetzt auch wieder den besten/günstigsten Preis auf ihrer Homepage anbieten dürfen. Das Bundeskartellamt hat gegen die Bestpreis-Klausel von HRS entschieden und auch Booking.com abgemahnt. Ein Pyrrhus-Sieg für die Hotellerie, aber richtig genutzt haben es bis dato die wenigsten. Im Gegenteil: Ein Grossteil hat schlicht die Hosen voll, will die OTAs nicht verärgern und lässt alles, wie es ist. Andere machen es heimlich und vergessen dabei, dieses an ihre Kunden und potentiellen Kunden zu kommunizieren.

"Tue Gutes und sprich darüber"! Das findet in der Hotellerie einmal mehr nicht statt, wie man auch am nachfolgenden Tweet sieht. Deshalb können die Massen auch weiterhin nur "wissen": Den Bestpreis gibt es über die Portale. Ein teures Armutszeugnis für die Sprachunfähigkeit der Branche!

Natürlich gibt es ein paar Hoteliers, die die guten News kommunizieren. Aber am Ende stolpern sie wieder über sich selbst: Ihre Website erstickt Buchungsversuche durch eine absolut benutzerunfreundliche Buchungsroutine, so dass die genervten Kunden am Ende auf ihren Preisvorteil verzichten und lieber beim OTA buchen. Was ist da noch die Investition in die eigene IT wert? Das ist ein noch teureres Armutszeugnis für die Branche!

Ein Tweet, der ausdrückt, was viele User denken: Online-Portale machen das Buchen einfacher als Hotels.

Liebe Besitzstandswahrer, die Geschichte zeigt, dass diese armseligen Hilferufe Euch ein bisschen mehr Zeit verschaffen. Was aber macht Ihr, während HRS, Expedia, Priceline, Google & Co dabei sind, diese Stolpersteine aus ihrem Weg zu räumen? Wo ist Eure Strategie? Ist sie sichtbar? Nutzt Ihr dieses zusätzliche Zeitfenster?

Hoffnung ist keine Strategie, ein Ticket zurück ins "Früher-war-alles-besser"-Land gibt es nicht. Zu versuchen, die Starken zu schwächen, ist nur ein Erfolg auf Zeit. Wer keine Lösung hat, ist an der falschen Stelle. Und es wird Zeit, dass der Markt das bereinigt!

Jeder Hotelier hätte früh genug selbst in das Thema investieren und sich damit auseinandersetzen können. Das hat fast niemand gemacht, es war ja einfacher, die Buchungen abzugreifen. Schlecht gelebt haben die meisten Hoteliers davon nicht. Ob man es hören will oder nicht: Es war bis dato immer eine Win-Win-Situation, denn alleine würde der Hotelier niemals die Reichweite erzielen, die die OTAS heute bieten und der Hotelier dringend braucht.

Was früher die grossen Verkaufsabteilungen, der nationale und internationale Vertrieb der grossen Marken erledigten, führen heute andere Partner aus. Das Monster HRS ist durch ein anderes Monster abgelöst worden. Was durch HRS angestossen wurde, haben andere weiter konsequent nach vorne getragen. Partner wie Booking.com haben sukzessive die einzelnen digitalen Bausteine zum Vermarkten eines Hotels aufgebaut, und die letzte Akquisition von Pricematch durch die Booking-Mutter Priceline bestätigt das einmal mehr.

"Die alte
Hotellerie
gibt es
nicht
mehr!"

Meines Erachtens stehen wir jetzt an einem Scheidepunkt der Hotellerie. Die alte Hotellerie, die wir alle kennengelernt haben, gibt es nicht mehr! Die Hotellerie wird die OTAs in ihrer Entwicklung nicht mehr einholen, sie hat weder das Knowhow noch die Ressourcen dazu, vor allem aber keine klare und kräftige Lobby. In Deutschland streiten sich die kleinen Verbände mit den grossen und in Europa fahren sich die Hotelverbände gegenseitig in die Parade.

Mein Kommentar dazu heisst: "Es ist erstaunlich, was Du alles erreichen kannst, wenn es Dir egal ist, wer die Anerkennung dafür erntet." Oder anders formuliert: Unserer Branche ginge es bedeutend besser, wenn die Leute ihr Ego besser im Griff hätten!

Ich gehe davon aus, dass sich die Rolle der Hotels, der Hotelmarken, -gruppen -und kooperationen neu definieren wird. Einige werden noch einmal versuchen, die Herausforderungen mit aller Gewalt selbst zu meistern. Andere werden sich überlegen, ob sie ihren elektronischen Vertrieb nicht doch lieber in die Hände von Profis geben sollen.

Es ist an der Zeit, alles zu hinterfragen – einfach alles: die IT-Landschaft der Hotellerie, das Knowhow der Chefetagen in puncto Online-Marketing und elektronischem Vertrieb, die Einstellung zum Wandel und zur Digitalisierung, die eigenen finanziellen Ressourcen und Investitionsschwerpunkte, die Attraktivität als Arbeitgeber für eine neue Generation von Mitarbeitern. Das alles sind nur ein paar Beispiele.

In jeder Krise liegt aber auch die Chance. Ich glaube, dass gerade die Privathotellerie und die Hoteliers mit einem "entrepreneural spirit" tolle Chancen haben, am Markt erfolgreich zu sein. Von diesem Spirit gibt es aber leider zu wenig.

"Der Hotelier
stirbt.
An
IT-Versagen!"

Was würde ich tun, wenn ich heute ein einzelnes Hotel betreiben würde? Ich glaube, ich würde die Kernkompetenz von Booking.com nutzen und mich dafür auf meine Kernaufgabe als Hotelier konzentrieren: Gastgeber zu sein und Qualität in der Dienstleistung gemeinsam mit meinem Team abzuliefern.

Erste Gedanken dieser Art drangen bereits an mein Ohr. Eine ehemaliger Berater, der immer auf Direktvertrieb gepocht hat und nun selbst ein Hotel betreibt, stellte plötzlich fest, wie einfach das doch alles mit den Tools von Booking.com ist und überlegt sich, nun deren komplettes Angebot zu nutzen. Keine Kooperation, kein Marketing-Verbund, niemand wird ihm das liefern können, was Booking.com ihm bietet.

Liefert sich dieser Hotelier dann dem OTA völlig aus? Das mag sein, aber tut er das in anderen Fällen nicht auch? Die Mega-OTAs liefern ihm zumindest die beste Technologie und die kundenfreundlichste Usability.

Die Hotellerie steht erst am Anfang einer neuen Ära. Sie wird sich völlig neu definieren müssen! Schliesslich dreht sich immer noch alles um den Gast – heute und künftig um den digital gesteuerten Gast!

Die Frage ist nur: Mit wem und mit welcher Technologie soll der Hotelier zusammenarbeiten? Der Hotelier wird sich für einen IT-Partner und eine Strategie entscheiden müssen. Oder er stirbt. An IT-Versagen."

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