Kein Entrinnen mehr Das deutsche Mindestlohngesetz nach 6 Monaten Teil 1 Inhalte Akteure
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Kein Entrinnen mehr

Das deutsche Mindestlohngesetz nach 6 Monaten - Teil 1: Inhalte & Akteure

Mindestlohn in Deutschland: Zuständig für die Kontrollen ist der Zoll. Er tritt nicht zurückhaltend auf. Foto: Bundesministerium der Finanzen

Berlin/Offenbach. Seit 11. August 2014 ist nunmehr eines der meist diskutierten Gesetze in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Kraft: das Gesetz zur Rege-lung eines allgemeinen Mindestlohns. Danach gilt seit 1. Janu-ar 2015 in Deutschland ein Mindestlohn von 8,50 Euro. Das Gesetz regelt die Pflichten und Rechte der Unternehmen bzw. der Arbeitgeber sehr klar – und ahndet es mit Horror-Strafen. hospitalityInsides redaktioneller Experte für Arbeitsrecht, der Rechtsanwalt Joachim Jung-bluth, Partner der Kanzlei Jungbluth & Hermann aus Offenbach am Main, hat gemeinsam mit seiner Assessorin Maike Ehlers das neue Gesetz in seine wesentlichen Bestandteile zerlegt und erklärt Vorgaben, Rollen und Kontrollen. Nächste Woche folgt Teil 2 zum Thema Mindestlohn, mit den juristischen Eigenheiten des MiLoG und den ersten Erfahrungen damit.

Das Gesetz: Der Anspruch gilt für alle

"Die wesentlichen Vorschriften des Mindestlohngesetzes finden sich bereits in seinen ersten drei Paragraphen. Danach hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber, der zum 1. Januar 2015 auf brutto 8,50 Euro je Zeitstunde festgesetzt wurde. Gleichzeitig ist geregelt, dass dieser gesetzliche Mindestlohn auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner, auch Mindestlohn-Kommission genannt, durch die Bundesregierung geändert werden kann. Es bedarf danach keiner förmlichen gesetzlichen Regelung durch den Bundestag über die Veränderungen dieses Mindestlohns mehr.

Bierdeckel aus einer Brauerei im Saarland: Der Wirt rechnet dem Gast seine Kosten vor.Foto: map

Geklärt ist auch die Fälligkeit des Mindestlohns: Danach ist dieser zum vereinbarten Zeitpunkt zu zahlen, spätestens jedoch am letzten Bankarbeitstag jenes Monats, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Eine Ausnahme gibt es, wenn für das Arbeitsverhältnis im Rahmen einer flexiblen Arbeitszeit-Gestaltung ein individuelles Mitarbeiter-Arbeitszeitkonto geführt wird. In diesem Fall kann ein entsprechender Ausgleich binnen zwölf Kalender-Monaten erfolgen.

Wesentlich ist auch, dass Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschliessen, unwirksam sind. Ein Arbeitnehmer kann auf den Mindestlohn-Anspruch nur durch einen gerichtlichen Vergleich verzichten, jeder andere Verzicht ist ebenso ausgeschlossen wie eine Verwirkung des Anspruchs. Regelt damit ein Arbeitsvertrag etwa, dass jegliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, z.B. binnen einer Frist von drei Monaten geltend zu machen sind, wäre diese Vorgabe unwirksam.

Mit diesen Vorgaben sind die wesentlichen Leitplanken des Gesetzes fundamentiert. Wesentlich sind dann noch die Regelungen über die Besetzung der Mindestlohn-Kommission, deren Beschlussfassung, die so genannte Auftraggeber-Haftung, die Kontrolle und Durchsetzung des Gesetzes sowie dessen persönlicher Anwendungsbereich.

Die Mindestlohn-Kommission:
Gemeinsamkeit gefordert

Diese Kommission besteht aus jeweils drei stimmberechtigten Mitgliedern, die einerseits von den Arbeitgeber-Verbänden und andererseits von den Gewerkschaften vorgeschlagen und durch die Bundesregierung bestellt werden. Die genannten Organisationen sollen sich darüber hinaus auf einen Vorsitzenden einigen, der gemeinsam vorzuschlagen und ebenfalls durch die Bundesregierung zu ernennen ist. Können sich die Spitzen-Organisationen der Arbeitgeber und der Gewerkschaften nicht auf diesen Vorsitzenden einigen, schlägt jede Seite einen Vorsitzenden vor, die alternierend, jeweils nach einer Beschlussfassung über eine Anpassung des Mindestlohnes tätig werden. Darüber hinaus ist jeweils ein beratendes Mitglied vorzuschlagen, wobei es sich dabei um einen sachkundigen Wissenschaftler handeln muss.

Diese Mindestlohn-Kommission hat erstmals bis zum 30. Juni 2016 über eine mögliche Anpassung der Höhe des Mindestlohnes zu befinden. Da-nach erfolgen solche Beschlüsse jeweils nach zwei Jahren.

Die Auftraggeber-Haftung: Haften für die Subs

Rechtsanwalt Joachim Jungbluth: Das neue Gesetz ist eines der meist diskutierten in der Geschichte der Bundesrepublik.

Was die sogenannte Auftraggeber-Haftung angeht, verweist das Gesetz auf eine entsprechende Regelung im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Danach haftet der Unternehmer, der einen anderen mit Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, dafür, dass dieser sämtliche Vorgaben des Mindestlohn-Gesetzes erfüllt - insbesondere den Mindestlohn auch tatsächlich an den Arbeitnehmer zahlen. Diese Vorgabe belastet alle Arbeitgeber.

Die Zollverwaltung: Heftiger Auftritt der Kontrolleure

Zuständig für die Prüfung der Einhaltung der Arbeitgeber-Pflichten sind die Behörden der Zollverwaltung; so ist es ebenfalls bereits im Arbeitnehmer-Entsendegesetz geregelt. Diese Behörde ist dafür bekannt, dass sie bei der Ausübung ihrer gesetzlichen Befugnisse nicht zimperlich ist: Bei entsprechenden Betriebs-Kontrollen taucht sie in erheblicher Mannschaftsstärke auf, mit demonstrativ bewaffneten Beamten. Schilderungen zufolge verhalten sich die Beamten in diesem Zusammenhang bewusst nicht zurückhaltend, die Interessen des Betriebs nicht wahrend, wobei regelmässig der Eindruck entsteht, dass eine grösstmögliche Öffentlichkeit bei der Durchführung der Kontrolle gesucht wird, um Druck auf das Unternehmen auszuüben.

Bussgelder: Horrende Strafen drohen

Zuwider-Handlungen gegen das Gesetz können mit Bussgeldern bis zu 30.000 Euro geahndet werden. Das bezieht die Nichtzahlung bzw. die nicht rechtzeitige Zahlung des Mindestlohns mit ein, ebenso wie die Beauftragung eines Nachunternehmers, von dem man bereits weiss oder ahnt, dass er das Mindestlohn-Gesetz nicht korrekt umsetzen wird. Das kann sogar mit Bussgeldern bis zu 500.000 Euro geahndet werden.

Assessorin Maike Ehlers: Auftraggeber haften auch für ihre Subunternehmer.

Klarstellend äusserte sich das Bundesministerium für Arbeit jüngst dahingehend, dass ein Arbeitgeber die Verantwortung für beauftragte Nachunternehmen nur dann zu übernehmen hat, wenn er eigene vertraglich übernommene Aufgaben weitergibt. Werden Arbeitgeber in diesem Zusammenhang mit einer Geldbusse von mehr als 2.500 Euro belegt, sind diese für eine angemessene Zeit von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen - bis zur nachgewiesenen Wiederherstellung ihrer Zuverlässigkeit.

Praktika: Nur schulische Zwecke entbinden

Was den persönlichen Geltungsbereich des Gesetzes angeht, so gilt dieses grundsätzlich für alle Arbeitnehmer. Praktikanten gelten dabei als Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes – ausser wenn sie das Praktikum im schulischen Rahmen, im Rahmen ihrer Ausbildung, ihres Hochschul-Studiums oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie absolvieren müssen. Es darf aber zuvor kein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden haben.

Ausgenommen von den Vorgaben des Mindestlohntarifes sind weiterhin Auszubildende im Sinne des Berufsausbildungsgesetzes und Langzeit-Arbeitslose während der ersten sechs Monate ihrer Beschäftigung."

Welche Konsequenzen das MiLoG für die damit verbundene Dokumentationspflicht in den einzelnen Betrieben hat, lesen Sie in Teil 2 in der nächsten Ausgabe.

 

DER MINDESTLOHN IN DER HISTORIE

Schon die Väter des deutschen Grundgesetzes machten sich bereits Gedanken über die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern und formulierten dies in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes wie folgt:

"Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereini-gungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Massnahmen sind rechtswidrig."

Mit dieser Regelung übertrugen die Väter des Grundgesetzes den Arbeitgeber-Verbänden und Gewerkschaften die Regelung der gesamten Arbeitsbedingungen, einschliesslich der Entgelt-Findung, vor allem auch in den Unternehmen der privaten Wirtschaft. Dies galt viele Jahre, insbesondere auch über die Wiedervereinigung hinaus, als unumstösslicher Grund-satz.

Arbeitgeber-Verbände und Gewerkschaften wachten in ihrer sich aus dem Grundgesetz ergebenden Verantwortung streng darüber, dass sich insbesondere die Politik aus dem Lohnfindungsprozess im Rahmen von Tarif-Verhandlungen heraus hielt. Wenn dann doch einmal ein Politiker, etwa der Bundeswirtschaftsminister, glaubte, den Tarifvertrags-Parteien gute Ratschläge geben zu müssen, wurde dies in seltener Einmütigkeit zurückgewiesen.

Dies änderte sich erst, als die Gewerkschaften auf breiter Basis feststellen mussten, dass ihr Einfluss in den Betrieben sank bzw. ihr Einfluss in einzelnen Branchen nicht signifikant zu steigern war – vor allem dort, wo er bisher auch nicht allzu hoch war, z.B. im Hotel- und Gaststättengewerbe. Zu diesem Zeitpunkt wurden aus Gewerkschaftskreisen Rufe nach der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns laut, wobei aus diesen Kreisen offensichtlich übersehen wurde, dass damit die Grundlage des eigenen Selbstverständnisses mit Füssen getreten wurde. Was über Verhandlungen mit dem Sozialpartner auf Arbeitgeberseite nicht zu erreichen war, sollte nunmehr die Politik richten… Eine eigene Bankrotterklärung.

Im Herbst 2013 tauchte der flächendeckende Mindestlohn wieder konkret auf der politischen Agenda auf, insbesondere die designierte Bundesministerin für Arbeit und Soziales und Mitglied der Gewerkschaft IG Metall, Andrea Nahles, schrieb diese Forderung in den Koalitionsverhandlungen auf ihre Fahne. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn war dann auch eines der ersten Projekte, das die neue Ministerin anging und in die parlamentarische Umsetzung brachte. / JJ

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