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Zukunft Mensch: Ed Fuller, André Witschi & Horst Schaffer über Relationship

Augsburg. Wenn sich ein Jahr dem Ende zuneigt, gibt es Top-Manager, die in besonderer Weise zurückblicken – und gleichzeitig nach vorn: Sie haben "losgelassen" oder sind im Begriff es zu tun und treten in einen neuen Lebensabschnitt ein. An der Schwelle zum Ruhestand fällt es aber vielen schwer, jahrelang getragene Verantwortung über Nacht abzulegen. Ist das überhaupt ratsam? Drei Top-Hoteliers meinen eindeutig "Nein"! Mit Anfang/Mitte 60 fängt das Leben erst an… Endlich kann man der Karriere jene Dinge abwringen, die einem persönlich immer wichtig waren. Ed Fuller, der ehemalige Präsident von Marriott Hotels, seine langjährige Communications Managerin June Farrell, André Witschi, ex-CEO von Accor und Steigenberger, und der langjährige Motel One-Vorstand Horst Schaffer erzählen hier und heute Privates, schildern ihre Gefühle und Unsicherheiten und haben dabei ein paar Tipps für Manager-Kollegen parat, die diesen grossen Schritt noch vor sich haben.

 

Horst Schaffer.
Im Juli 2014, kurz vor seinem 65. Geburtstag, hörte er nach über 20 Jahren in der Motel One Group auf. Das Vorstandsmitglied der One Hotels & Resorts AG, der Leiter der Rechtsabteilung und Geschäftsführer der Motel One GmbH, wechselte nahtlos in den Aufsichtsrat. Die Low Budget Design-Kette Motel One ist aktuell die erfolgreichste und profitabelste Hotelgruppe Deutschlands.

Vor sechs Jahren, nach einer Herz-OP, wollte er eigentlich aufhören. Er tat es nicht. Aber vor drei Jahren begann er die Weichen zu stellen. "Seitdem kämpfte Horst gegen Schaffer und Schaffer gegen Horst," erzählt er heute lachend von seinem inneren Schweinehund. Sein Herz wollte noch nicht loslassen, obwohl sein Verstand es ihm sagte. "Es war schlimm. Aber ich wollte partout nicht altersstur werden."

Familie Schaffer posiert spontan fürs Foto: Monika Schaffer, Horst Schaffer und Sohn Denis, Direktor im Motel One München-Gasteig.Foto: map

Drei Ziele setzte er sich: Er wollte seinen Nachfolger im Vorstand mit aussuchen. Er würde ihn resp. das Team "vom Rücksitz aus" mitbegleiten wollen. Und die Firma sollte ihren Spirit nicht verlieren, nicht mit ihm an der Seite. In den letzten drei Jahren hat er seinen Nachfolger Stefan Lenze, bei Antritt 37 Jahre alt, eingearbeitet. "Ich hatte noch nie so wenig Urlaub wie in diesen drei Jahren," gibt er zu. "Aber ich wollte bis zur Übergabe alles fertig haben."

Seine Frau Monika – mit der er seit 1971 verheiratet ist – und seine beiden Söhne Denis und Fabian glaubten nicht daran, dass er je loslassen würde. In Griechenland wartete der Oliven-Bauernhof, seit Jahren das geliebte Hobby des rührigen Hotel-Juristen. 1.000 Liter Olivenöl erntet er jedes Jahr aus den vier Hektar Land. Motel One war sein Leben. Als junger Jurist hatte er 1982 bei Accor angefangen und dort Dieter Müller kennengelernt. Dann rief dieser ihn zu seiner eigenen, gerade neu gegründeten Hotelgruppe Astron. Müller kochte eines Abends einen Topf Spaghetti für ihn und bat ihn, bei ihm einzusteigen: "Er sagte, ich werde keine Sekretärin haben, nur das halbe Gehalt von Accor bekommen und neben der Juristerei darf ich noch das Development übernehmen. Dafür bekäme ich die beste technische Ausstattung, die es gibt." Müller hielt Wort und hatte einen Freund fürs Leben an seiner Seite, auch als er später Astron Hotels an NH verkaufte und Motel One startete. Dieter Müller wollte auch, dass Schaffer mit dem Eintritt in den Ruhestand der Gesellschaft verbunden bleibt.

Der innere Schweinehund liess sich nur schwer bändigen. Nur langsam schaffte Horst Schaffer es in den letzten drei Jahren, "die Klappe zu halten". Aber die resignierenden Blicke des jungen Nachfolger-Teams zwangen ihn dazu. "Ich habe mich einfach an die Kindererziehung erinnert und sie machen lassen…Sollten sie sich doch Beulen holen und Wasser schlucken!"

Bei Motel One war ein Wort immer ein Wort gewesen, ein Handschlag ein Handschlag. Einzelne Hotelprojekte sind sogar noch per Handschlag besiegelt worden – die Menschen im "people business" Hotellerie zählten mindestens so viel wie Paragraphen. Das war auch eine neue Erfahrung für den Juristen Schaffer. "Man muss mit den Menschen sprechen, endlose eMails lösen heute auch keine Probleme. Diese Einstellung wollte ich vermitteln, bevor ich ging," erzählt Schaffer. Aber wie?

Dann gab es diese Episode mit dem Anwalt eines Partners: 25 Punkte eines Vertrags lehnte dieser rigoros ab. Das Motel One-Team lud ihn zum persönlichen Gespräch ein, und binnen kurzer Zeit waren die allermeisten Punkte abgehakt. "Es ist heute wichtig, gegen jede Form von Gier zu arbeiten, auch gegen die eigene – und nicht alles und jeden bis zum Maximum auszupressen," lautet Horst Schaffers Botschaft.

Der frisch gebackene Aufsichtsratsvorsitzende freut sich, jetzt mehr Zeit zu haben. Für seine Frau, fürs Golfspielen mit Dieter, fürs Lesen, fürs strategische Nachdenken in aller Ruhe. Ein halbes Jahr nach dem Abschied aus dem aktiven Manager-Leben "bin ich mit mir im Reinen. Das ist wichtig. Nein, ich muss nicht auf die Couch." Ob nun Horst gegen Schaffer oder Schaffer gegen Horst gewonnen hat, weiss er nicht.



André Witschi.
Der gebürtige Schweizer legte seit 1991 eine Bilderbuch-Karriere bei Accor hin. Unter seiner Ägide entwickelte sich Accor Deutschland zur grössten Hotelkette im Land. Bis Juli 2007 war er Vorsitzender der Geschäftsführung der deutschen Accor-Tochter, dann traf ihn im Alter von 57 Jahren die Blitz-Kündigung des Pariser Konzerns. Gründe bis heute unbekannt. Der geschätzte Top-Manager avancierte wenige Monate später zum CEO der deutschen Steigenberger Hotels. Deren neuer Eigentümer, der Ägypter Hamed El Chiaty, setzte ihn knapp zwei Jahre später, pünktlich zu Silvester 2009, vor die Tür. Gründe: unterschiedliche Auffassungen. Zu diesem Zeitpunkt war Witschi 59.

Eine neue Ära als EHL-Präsident: André Witschi.

"Ja, die Accor-Kündigung war damals ein sehr einschneidendes Erlebnis gewesen," blickt André Witschi zurück. "Aber von heute aus gesehen war es gut, weil ich so neue Perspektiven entdeckt habe."

Bis zu dieser Erkenntnis aber war es noch ein weiter Weg. "Nach Accor wollte ich eigentlich nicht mehr ins Büro, aber dafür war ich noch nicht reif gewesen," berichtet er. Als Annemarie Steigenberger, die Frau des Gründers des Frankfurter Hotelkonzerns, ihn ansprach, prickelte es wieder. Er trat an, analysierte und entwickelte eine neue Strategie. Dann entschied Familie Steigenberger, die Gruppe an den Ägypter zu verkaufen. Eines halbes Jahr später kündigte ihm El Chiaty. "Ich wusste schon beim Verkauf, dass wir beide nicht zusammenkommen würden. Aber dann war ich endlich bereit, loszulassen." Von seinem Fünf-Jahresvertrag hatte er nur zwei abgearbeitet.

André Witschi war und ist ein Macher. Er ist stets voll in seiner Arbeit aufgegangen, identifizierte sich stark mit seinen Aufgaben und seinem menschlichen Umfeld. Ein Chef zum Anfassen, ein Manager mit Emotionen. "Eine Vision hatte ich immer – nämlich die zu lernen, zu produzieren und zu teilen."

Nach Steigenberger war sein Energie-Pegel nicht auf Null gesunken, der 59jährige setzte sich jetzt rational mit seinen Zielen auseinander, suchte Orientierung: Ab 60 wollte er nicht mehr regelmässig ins Büro gehen. Er wollte endlich mehr Zeit für seine kleine Tochter – damals sechs – und für seine Frau haben. Und es war ihm ein Bedürfnis, seine Erfahrungen an den Management-Nachwuchs weiterzugeben.

Alle drei Punkte hat er inzwischen umgesetzt. Sein höchstes Glück ist seine kleine Familie – erst recht seit einem unverschuldeten Radunfall im Jahr 2011, der den agilen Manager in ein einwöchiges Koma katapultierte. Er wachte wieder auf und wurde gesund. "Seitdem ist mein Bewusstsein für andere Werte erst recht geschärft worden," zieht er seine ganz persönliche Bilanz. Seitdem sind Geld oder "Big Boss"-Denken überhaupt kein Massstab mehr.

Witschi suchte sich Jobs im Aufsichtsrat. Natürlich half ihm da das grosse Netzwerk, das er sich über Jahren aufgebaut hatte. Heute sitzt er im Aufsichtsrat von B&B Hotels, aus dem Board von Scandic Hotels ist er – angesichts von deren geplantem Börsengang – kürzlich ausgeschieden. Zu seiner Haupt- und Lieblingsaufgabe hat sich die Arbeit für die renommierte Ecole de Hotelière Lausanne entwickelt, deren Präsident des Stiftungsrates er seit Januar 2013 ist. Und weil er ein Macher ist, hat er im Hintergrund begonnen, der Schule eine neue, internationalere Struktur zu geben.

"Die Schule zu drehen" – das macht dem pragmatischen Hotelier Spass, gemeinsam mit deren EHL-Führungskräften. Den grossen Branchen-Erfahrungsschatz zu teilen, macht Freude – und gibt Power für neue Ziele.

Beim Blick zurück hält er in einem Punkt nochmals nachdenklich inne: "Ich würde mich beim nächsten Mal vermutlich früher auf berufsnahe Tätigkeiten vorbereiten," meint er mit Blick auf die Zeit nach 60. "Aber ich lerne jetzt auch noch viel dazu, z.B. von den jungen Finanzexperten in der Hotellerie."

André Witschis ganz persönliche Vision – zu lernen, zu produzieren und zu teilen – geht damit auf.



Ed Fuller.
2012 hat Edwin D. Fuller die Marriott-Tür hinter sich zugemacht, nach 40 Jahren mit dem Unternehmen und über 20 Jahren als President & Managing Director für Marriott International und International Lodging Operations. Aus 16 Hotels, die es in seinen Anfängen ausserhalb der USA gab, hat er über 550 gemacht. Heute lebt er in Irvine, Kalifornien, und ist nicht nur Präsident einer weltweiten Beratungsfirma namens Laguna Strategic.

Voller Energie und Tatendrang: Ed Fuller.

"It's been a terrific ride so far – full of wonderful experiences and memorable people. And now, it's time to move on. Let the next chapter begin!" Mit diesen Worten in seinem eigenen Blog meisterte er verbal den Übergang: von Jahrzehnten an der Seite des Hotel-Magnaten Bill Marriott hin zu seinem ganz eigenen, selbst geschaffenen neuen Lebenskreis. Doch Ed wäre nicht Ed und auch kein Amerikaner, hätte er diese "Transition" nicht von langer Hand geplant. "Ich habe schon fünf Jahre vor dem Ruhestand mit der Planung begonnen und kann jedem Manager nur raten, es auch so zu machen," erläutert er. "Meine Frau sagte aber, ich plane zu viel."

Bevor wir sprechen – er muss mal kurz nach China –, mailt er seinen "10 Punkte-Plan für den Ruhestand". Zwei Punkte hat er noch nicht erreicht: "I failed to obtain 3 Business Boards I am still looking…", schreibt er, ausserdem: "I failed to expand my speaking as a source of significant income. I overestimated the potential."

Ansonsten ist er mit sich und der Welt ganz zufrieden inzwischen. Denn sein persönlicher Rückzugsplan gedieh auch mit Hilfe von Bill Marriott und seinem CEO-Nachfolger Arne Sorenson. Seit 2009/2010 zog sich Ed Fuller stufenweise aus dem Unternehmen und der ganz grossen Verantwortung zurück.

Nachdem Ed Fuller in seiner Marriott-Ära achtmal zwischen West- und Ostküste hin- und hergezogen war, entwickelte er eine Liebe zu Kalifornien und machte einen Deal mit Marriott, dass er sein "Diensthaus" behalten durfte. Seinen Kollegen rät er: "Auch wenn es nicht Dein Traumhaus in Kalifornien ist, kaufe es!" Eine Basis zum Wohlfühlen ist der Ausgangspunkt jedes Rentner-Glücks.

Dann überlegte er, wie er sich in seiner neuen Wahl-Heimat sozial verankern konnte. Er wurde Mitglied des Berater-Komitees für den Dean der School of Business an der University of California Irvine. Ausserdem wurde er Mitglied in der Kalifornien-Kommission für Reise & Tourismus. Und stellte sich für Reden zur Verfügung… "Der Name Marriott öffnete alle Türen," gibt er unumwunden zu. Sein Marriott-Buch, veröffentlicht 2011, brachte den nächsten Schub im ersten Ruhestandsjahr. "You can't lead with your feet on the desk" wurde bis heute 40.000mal in den USA verkauft, jetzt wird es in Japan und China gedruckt.

Als President & CEO zählte Ed Fullers Arbeitswoche 120 Stunden, heute sind es noch 35 oder 40. Der Top-Manager lebt jetzt, im Ruhestand, das Leben eines "normalen" Angestellten. "Abrupt aufzuhören, ist absolut ungesund!", kann er nur jeden Manager warnen. "Schliesslich kannst Du auch nur einmal in der Woche Golf spielen."

Auf dem Golfplatz ist er so oder so selten, er bevorzugt die Spaziergänge mit seinen zwei Hunden, geht walken, steigt auf den Stepper zuhause, und besucht mit seiner Frau sehr gerne Themenparks. "Ich habe jetzt ein Wochenende," sagt er stolz, und das kann er doppelt geniessen, nachdem er in seiner neuen Lebensphase zum zweiten Mal geheiratet hat. Dank Michaela, einer Italienerin, werden die Fullers 2015 endlich Ferien in Europa machen.

Das Wort Ferien betont Ed Fuller schon noch schmunzelnd, denn die Lehrtätigkeit an der Uni, die Sitzungen mehrerer Aufsichtsräte von Universitäten, Wohltätigkeits-Organisationen und einer Investment-Gruppe geben ihm übers Jahr gesehen durchaus einen Termin-Rahmen vor. "Aber heute ist alles 'my schedule' ", hebt er erleichtert hervor.

Auch wenn er weniger reist – er reist noch viel. Als President and CEO der Orange County Visitors Association, seinem örtlichen Tourismusbüro, muss er zweimal jährlich nach Peking, Shanghai, Dubai, Mexiko City… "So sehe ich auch meine alten Freunde wieder," strahlt der Unruhe-Ständler. "Wir sind dazu da, menschliche Beziehungen aufzubauen und das Unsere dazu beizusteuern", zieht er sein persönliches Fazit, so wie er es auch ausführlich in seinem Buch beschrieben hat. "Ich denke gerne ans Arbeiten, an soziale Interaktion – ich will etwas schaffen."

Und das will Ed Fuller, der Kommunikationsexperte, der Welt auch mitteilen. Er hat seine eigene Website geschaffen und bloggt zweimal monatlich im "Forbes" Magazine.

Über seinen jüngsten Lebensabschnitt sagt Ed schmunzelnd und selbst-ironisch: "Sorry, I failed retirement."

Ein Beitrag von Maria Pütz-Willems.


 

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