Wenige Gelüste aber Lust auf Stärke Hintergrund Gespräch HRS Geschäftsführer Tobias Ragge zum neuen Profil
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Wenige Gelüste, aber Lust auf Stärke

Hintergrund-Gespräch: HRS-Geschäftsführer Tobias Ragge zum neuen Profil

Seit 2013 tritt HRS an der ITB bereits als Gruppe auf.Foto: map

Köln. Solange die Hotels ihre Online-Vertriebskanäle nicht im Griff haben, werden Online Travel Agents auf der Raten-Tastatur weiter spielen – sagt Tobias Ragge, Geschäftsführer der HRS Group im Interview mit hospitalityInside.com in Köln. Acht Wochen nach dem Fall der Ratenparität sieht er HRS nach wie vor in einer guten Position, als Partner der Hotellerie mit einem fairen Preisleistungsverhältnis und auf dem Weg zu einem Unternehmen mit neuem Profil, das neben den globalen OTAs wie Expedia und Booking auch künftig Bestand haben wird. Unternehmenszahlen waren dem 37jährigen – wie immer – nicht zu entlocken, aber Betrachtungen über die Kosten-Entwicklungen in der Online-Distribution und einige Gedanken darüber, in welchen Punkten HRS künftig sein Profil schärfen möchte – oder auch nicht.

Der finale Kartellamts-Bescheid letzten Dezember zur Ratenparität habe HRS nur partiell getroffen, das Buchungsgeschäft in den HRS-Portalen habe sich "null" verändert, sagt der Chef des Hotel-Vermittlungsportals. Schliesslich habe man seit dem Einschreiten des Kartellamtes 2012 die Ratenparität freiwillig ausgesetzt.

Gleichwohl ist der OTA-Markt in Bewegung: Der Hotelverband Deutschland weist in seinem aktuellen Branchenreport 2014 darauf hin, dass HRS in den letzten Jahren deutlich an Marktanteilen verloren hat, vor allem gegenüber Booking.com.

Die "HRS-Story" hat in jüngster Vergangenheit für etliche Schlagzeilen und Aufregung im Markt gesorgt, entwickelte sich das Unternehmen durch Übernahmen schliesslich vom einzelnen Deutschland-orientierten Hotel-Portal zur international aufgestellten HRS Group.

Online-Distribution sieht Tobias Ragge heute emotionsloser denn je und nur noch unter Kosten-Aspekten: Google sei inzwischen ein sehr teurer Kanal, darüber hinaus aber würden die neuen, kapitalstarken Privatzimmer-Vermittler zunehmend Adwords und Clicks kaufen und damit die Kosten weiter heftig nach oben treiben. "Hotelketten haben das Thema Ratenparität, Kosten und Kosten-Akquise verstanden, die kleinen und mittleren Unternehmen verstehen die Zusammenhänge noch nicht und kennen ihre Kosten nicht," sagt der HRS-Chef, fest davon überzeugt, dass der OTA unter allen Vertriebskanälen immer noch nicht der teuerste ist.

Sechsstellige Vertriebssummen für Einzelhotels

"Es gibt drei Kostentreiber," rechnet Ragge vor, "den Aufbau von Knowhow, den Aufbau einer professionellen Infrastruktur und die Akquisitionskosten." Ragge, ein Rechenkünstler par excellence, gibt kühl zu bedenken, dass der erste Punkt fast gar nicht betriebswirtschaftlich zu beziffern sei. Und wenn der Hotelier das Knowhow selbst nicht habe, benötigt er einen Profi – was beispielsweise 50.000 Euro Personalkosten im Jahr verursachen könnte. Die gleiche Summe dürfte der Hotelier dann nochmals als Kosten für den Unterhalt und die Weiterentwicklung der Website und seiner Mobile Website ansetzen – was zusammen 100.000 Euro ergibt. Hinzu kommen dann noch die Kommissionen für diverse Vertriebskanäle, so dass die Gesamtkosten auch für Einzelhotels mittlerer Grösse sich leicht auf 200.000 bis 300.000 Euro addieren könnten. Kann das ein Privathotel pro Jahr stemmen?

Tobias Ragge: Unser Modell ist viel fairer als das anderer.

"Für 15 Prozent OTA-Kommission lassen sich ähnliche Erfolge auch nicht über Google schaffen – abhängig vom Standort natürlich," rechtfertigt Ragge die HRS-Position weiter, die für ihn immer noch ein hervorragendes Preisleistungsverhältnis darstellt. Der Hotelier werde lernen müssen, seine Online-Distribution nach "return on invest" auszurichten. Er versichert den Hoteliers: HRS hat kein Interesse daran, die Kommission von durchschnittlich 15 Prozent anzuheben. "Damit müssen wir klarkommen," sagt Tobias Ragge. "Wir haben auch keine Gelüste, Cost-per-Click-Modelle auf der HRS-Website zu etablieren. Unser heutiges Modell ist viel fairer – weil der Kunde nur für die getätigte Buchung zahlt." Er bleibt bei seinen Grundsätzen. Und solange der Markt sich nicht verändere, müsse er die Risiken auch nicht auf die Hotellerie abwälzen. Ragge ist überzeugt davon, dass HRS immer noch ein fairer Partner der Hotellerie ist.

Deshalb hat auch er gegen Expedia und Booking.com wegen unfairer Behandlung geklagt; das Kartellamt soll auch Änderungen für deren AGBs durchsetzen. Gleichzeitig stützen nationale Hotelverbände die Kartellbehörden in ihren Ländern, um europaweit die Abhängigkeit der Branche von den OTAs zu minimieren.

Fokus auf Innovation, Schlankheit und Selektion

Wie wird sich HRS weiter entwickeln? Eine Frage, die sicherlich im Kontext der beiden anderen Wettbewerber Booking und Expedia zu sehen ist. Beide bedienen zudem inzwischen den Globus, HRS ist dagegen noch sehr europäisch. "Wir wollen nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern einen Mix," lässt sich Tobias Ragge entlocken. "Wenn wir beispielsweise booking.com kopieren, würden wir verlieren," denkt er laut nach. "Uns sind Innovation, Schlankheit und der Fokus auf selektive Märkte und Segmente wichtig." Das bedeutet Diversifizierung und Nische.

Bei den Märkten denkt er an China und an Zentral- und Osteuropa. Unter den Segmenten sieht er im Geschäftsreise-Bereich eine Menge Potential "mit Services, über die wir uns differenzieren können. … Uns fehlen in diesem Segment auch noch Länder, in denen wir bald Büros eröffnen werden," kündigt Ragge an. Im Gegensatz zu den globalen und eher leisure-lastigen Playern Booking und Expedia ist HRS im Geschäftsreise-Segment bereits stark vertreten und verfügt über ausgesprochen viel Expertise – die sich künftig auch für andere, fernere Märkte nutzen lässt.

HRS-Gründer Robert Ragge und Sohn Tobias.

Von der Idee, ein bestehendes Travel Consortium zu kopieren, ist HRS unterdessen weit entfernt. "Ich glaube nicht an die Transaktionsmodelle der heutigen Konsortien," sagt Ragge, "es gibt eher einen Bedarf für integrierte, schlüssselfertige Prozess-Lösungen." HRS sei in der Hotelbranche wesentlich spezialisierter als traditionelle Konsortien – "und wir produzieren in 50 Ländern Content," fasst er die HRS-Benefits zusammen. Damit trifft er einen Nagel auf dem Kopf: Klassische Konsortien arbeiten mit dem System-Rahmen eines GDS, HRS verfügt über eine eigene Buchungsmaschine und eigenen Content. Und der Kunde will heute beides: ein Hotel-Portfolio und den Content.

HRS verfügt über Milliarden von Daten. Im Zeitalter von Big Data und kommerziellem Daten-Management liegt da die Frage nahe, ob Ragge daraus nicht kurzfristig Profit schlagen will? Er schüttelt den Kopf. Nein, diese Form von Profit ist nicht sein Ding, obwohl Daten-Management der Kern von HRS ist. Er würde die HRS-Daten nie an Google herausgeben. "Alles, was unsere Kern-Kompetenz ist, werden wir weiter selbst machen," unterstreicht er entschlossen. "Wir sind aber offen für Partnerschaften aller Art," fügt er kryptisch hinzu.

Ist HRS auf dem Weg zu einem datengetriebenen Vertrieb? Tobias Ragge denkt offenbar stark in diese Richtung, wenn es um Services für die Kunden und Beratung geht. Die passenden Mitarbeiter dazu hat er sich bereits gesucht: Die beiden jüngsten Mitglieder der Geschäftsleitung von HRS kommen nicht aus der Hotellerie. Dr. Johannes Fuhr, der heutige Leiter Hotel Solutions, war vor HRS für den Einkauf bei Lufthansa zuständig. Ulrich Hauschild, der heutige Leiter Consumer Solutions, war vor HRS Leiter des Lufthansa-Kundenbindungsprogrammes Miles & More und davor bei der Allianz Deutschland tätig.

Der mobile Kunde als Geheimnis des Wachstums

Als dynamischen Treiber künftiger Pläne empfindet er Mobile. Nach 12 Prozent Mobile-Geschäft bei HRS im Jahr 2013 erwartet der HRS-Chef für sein eigenes Geschäft in diesem Jahr einen Anstieg auf 20 Prozent und in den nächsten drei Jahren auf 50 Prozent.

"Mobile treibt die Bequemlichkeit des Reisens, das ist uns wichtig." Die Bewegungen unter den Anbietern in diesem schnelllebigen Markt betrachtet er mit voller Aufmerksamkeit, ebenso die Reaktionen der Kunden auf das Design von Touch-Devices zum Beispiel. Der Kunde treibe und entscheide, er suche aus. Mit Spannung wartet Ragge auf die Erfahrungen von Hotelketten wie Starwood oder Scandic, die derzeit den mobilen Checkin marken- oder flächendeckend vorantreiben. Solche Pilotprojekte faszinieren ihn, Google Glasses weniger – die Brille oder auch eine Chip-Linse werden zu einem Rückzug ins Private führen. Auch der Social Media-Euphorie gibt er keine grosse Zukunft – viel spannender wäre es zu wissen, wie daten-skeptisch die nächste Generation ist.

Zeitweise klingt es, als würde HRS sich zwischen den globalen Mega-Playern hindurch lavieren wollen… Ragge verneint kategorisch: "Ich glaube nicht an ein globales Modell für den Reisemarkt. Es wird immer wieder Verwerfungen neuer Spieler geben. Weltweit entscheidet letztlich die 'executional excellence' – die Umsetzung." Das erfordert Investitionen. "Ja, es stehen gewaltige Investitionen an," bestätigt er. Und die könne man am Ende nur über eine starke Expansion oder eine extreme Margen-Strategie stemmen. "Ja, wir können das finanziell alleine stemmen," strahlt der Vertreter des Familienunternehmens Ragge. HRS stehe finanziell hervorragend da, sei nach wie vor zu 100 Prozent im Familienbesitz und plane weder externe Investoren zu akzeptieren noch an die Börse zu gehen. Geld treibt die Familie offenbar nicht: Konsequent habe man bisher alle "Schecks auf dem Tisch" verworfen…

Als Tobias Ragge vor zehn Jahren die Geschäfte von seinem Vater, dem HRS-Gründer Robert Ragge übernahm, hatte das Unternehmen 120 Mitarbeiter. Heute sind es 1.300 in 21 Büros von 15 Ländern weltweit. Tobias Ragge weiss eines ganz sicher: "Ich habe keine Chance anzuhalten." / Maria Pütz-Willems

 

BRANCHENREPORT DEUTSCHLAND 2014: HRS VERLIERT DEUTLICH

Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 20,7% aller Hotelbuchungen über Online-Buchungsplattformen generiert. Innerhalb dieses Vertriebsweges konnte das Portal Booking.com seinen Buchungsanteil in Deutschland in den letzten zwei Jahren enorm ausbauen. Lag der Marktanteil im Jahr 2011 noch bei 28,5%, wurde im Jahr 2013 ein Anteil von 42,5% gemessen, was einem Anstieg um 50% entspricht. Damit verdrängt Booking.com den bisherigen Marktführer Hotel Reservation Service knapp von der Spitzenposition in Deutschland.

Booking.com legte in den letzten Jahren europaweit ein gigantisches Expansionstempo vor. Lag der Marktanteil 2007 noch bei rund 11% und damit auf Rang drei hinter Expedia und Travelocity/Lastminute.com, erreichte Booking.com 2010 bereits einen Anteil von 22%. Im Jahr 2011 kletterte der Booking.com-Marktanteil laut PhoCusWright sogar auf 27%. Damit setzte sich Priceline/Booking.com in Europa auf die Spitze der Online-Buchungsportale vor Expedia, Lastminute.com, Ebookers und HRS.

BuchungsplattformAnteil 2013 in %Im Unternehmensverbund
HRS32,5%
Hotel.de11,5%44,1%
Tiscover  0,1% 
Booking.com42,5%42,5%
Expedia  2,3% 
Venere  1,0%  4,2%
Hotels.com  0,9%
Sonstige Plattformen  9,2%

Quelle: Hotelverband Deutschland und Institut für Tourismus,
Fachhochschule
Westschweiz Wallis.

2011 war HRS mit einem Marktanteil von 34,4% Marktführer unter den Online-Buchungsportalen in Deutschland. Dieser Anteil sank um 5,5% auf 32,5% im Jahr 2013. Mit der Übernahme des Portals Hotel.de im Oktober 2011 für ca. 43 Mio. Euro baute HRS seine damalige Position als Marktführer in Deutschland aus. Hotel.de war im Jahr 2011 mit einem Marktanteil von 15,8% das drittgrösste deutsche Hotelbuchungsportal. Im Jahr 2013 lag der Anteil nur noch bei 11,5%, was einem Rückgang um 27% entspricht.

Insgesamt besitzt die HRS Group im Jahr 2013 einen Marktanteil bei den Online-Buchungsportalen in Deutschland von 44,0%. Zählt man den deutschen Marktanteil des "Alpenportals" Tiscover, welches ebenfalls zur HRS-Gruppe gehört, dazu, ergibt sich ein Marktanteil von 44,1%.

Expedia, wozu auch die Online-Buchungsplattformen Venere und Hotels.com gehören, verlor ebenfalls Marktanteile und erreichte nur noch einen Wert von zusammen 4,2%.

Aus: Branchenreport "Hotelmarkt Deutschland 2014"

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24.4.2014

Brüssel/Berlin/Rom. Viel dringt in der Regel nicht nach aussen, doch hinter den Kulissen geben sich die Funktionäre der europäischen Hotellerie Mühe, die Hotellerie vor geschäftsschädigenden Einflüssen aus dem Markt und aus der Politik zu verteidigen. Dazu zählen in diesen Zeiten vor allem der Kampf gegen die Giganten unter den Online Travel Agents und die neuen Wettbewerber aus der Grauzone der Privatzimmer-Portale. Viele Themen werden aber auch durch die EU diktiert, weshalb der europäische Dachverband der Hotels, Restaurants und Cafés, HOTREC, auch in Brüssel sitzt und die kurzen Wege zu den Politikern nutzt. "Die EU sieht in uns die Stimme der Hospitality-Branche," unterstreicht HOTREC-Präsident Kent Nyström die wachsende Wahrnehmung der Branchen-Lobbyisten. Sie haben in den letzten Jahren gelernt, mit harten Zahlen und Fakten zu argumentieren.

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