Community streng selektiert
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Community streng selektiert

Wie das Budget-Hotel prizeotel seinen Vertrieb und Social Media organisiert

Die Lobby des prizeotel Bremen: eine neue Dimension - wie sein Vertrieb.

Bremen. Dreizehn kleine Logos reihen sich auf der prizeotel-Website zur imposanten Bookmark-Leiste: Das sind 13 Kanäle, über die das ein Jahr junge Budget-Design-Hotel aus Bremen mit seinen Gästen und Freunden kommuniziert und Buchungen generiert. Geschäftsführer Marco Nussbaum hat schon bei der Konzeption des 2 Sterne-Hotels auf Online-Vertrieb und Social Media gesetzt. Vom letzten klassischen Vertriebspartner wird er sich noch in diesem Sommer verabschieden. Die Marketing- und Vertriebspolitik des 127 Zimmer grossen Privathotels in Bremen ist glasklar und unaufdringlich. Was sie bringt, erläutert der prizeotel-Gründer hier im Detail. Marco Nussbaum jedenfalls bewegt sich lieber in der Web-Community als auf dem Golfplatz Gästen nachzujagen. "Die Hotellerie sollte sich von ihrer hybriden Zielgruppenorientierung und der Belegung sämtlicher, nur möglicher Vertriebskanäle verabschieden. Nur dann schafft sie es vielleicht, wieder Herr über ihre Raten und ihren eigenen Content zu werden!“ sagt er. Und genau das tut er.

Klickt man den "Social Media"-Button auf www.prizeotel.com an, so erscheinen sechs der 13 Bookmarks mit Verweis auf den hoteleigenen Auftritt in diesen Medien - in YouTube, facebook, Twitter, Flickr, myspace und MyVideo. Hier ist das junge Budget-Design Hotel mit eigenen Videos, Bildern, Textnachrichten und Fan-Pages vertreten. Aufsehen unter Insidern erregte der ehemalige NH Hoteles-Verkaufs- und Marketingchef Marco Nussbaum schon, als er vor über zwei Jahren ganz leger den prizeotel Podcast, ein Videotagebuch von der Baustelle und Aktivitäten im Rahmen der Voreröffnung drehte und seitdem vom Fortgang des Hotels berichtete. Seit der Eröffnung 2009 flattern Awards ins Haus - von Bewertungsplattformen genauso wie von Medien. Vergangene Woche erhielt das Hotel den "red dot"-Award vom Design Zentrum Nordrhein-Westfalen, mit dem international herausragendes Produktdesign ausgezeichnet wird.

Herr Nussbaum, man hat den Eindruck, das prizeotel Bremen-City ist auf allen Kanälen präsent… Auf welchen Kanälen sind Sie wirklich präsent?

Marco Nussbaum: Nur auf ganz selektiven - auf jenen, die unsere Hauptzielgruppe ansprechen, also individuelle Geschäftsreisende und Städtereisende. Und auf jenen, die darüber hinaus mit uns eine Schnittstelle haben, so dass Reservierungen und Stornierungen direkt in unser Property Management System laufen und so auch die Raten und Verfügbarkeiten gepflegt werden. Keine Schnittstelle - keine Zusammenarbeit! Wir wollen nicht mehr jeden einzelnen Kanal individuell pflegen müssen.

Sind das alles nur noch Online-Kanäle?

Marco Nussbaum: Ja, die letzten Verträge mit Veranstaltern, die einen Katalog haben, sind zum 1. April dieses Jahres ausgelaufen. In diesem Sommer werden wir zusätzlich unsere GDS-Buchbarkeit beenden. Das ist günstiger für uns als Budget-Hotel, da die Gebühren. einer GDS-Buchung z.B einfach viel zu hoch sind.

Das Gros der Hotels kann sich ein Leben ohne GDS aber nicht vorstellen...

Marco Nussbaum: Die Hotellerie sollte sich endlich von ihrem hybriden Vertrieb verabschieden!

Wer das prizeotel Bremen-City bisher nicht über eine unserer Online Travel Agencies bucht, sondern über ein klassisches Reisebüro und somit über GDS, der muss zusätzlich zu unserem tagesaktuellen Zimmerpreis die Transaktionsgebühr von 12 Euro selbst zahlen. Es ist die Aufgabe des Reisebüros, dem Kunden das zu erklären. Wir sind ein Budget-Hotel und unsere Aufgabe ist es nicht, einzelne Vertriebswege zu finanzieren. Ich kann mir vorstellen, dass viele Hotels so denken, es sich nur noch keiner richtig an das Thema heran traut.

Die Buttons auf der prizeotel-Website zeigen sofort, welcheKommunikations- und Vertriebskanäle das Hotel fokussiert.

Das ist Provokation…

Marco Nussbaum: Ich denke sogar noch viel provozierender weiter: Alle Partner fordern immer Ratenparität von den Hotels. Warum schaffen es die Hotels umgekehrt nicht, auch Parität bei den Konditionen mit diesen Partnern durchzusetzen? Ich denke, hier sollten die Verbände noch viel aktiver werden.

Wir haben uns z.B. gegen das "Merchant Model" entschieden, das es dem Distributionspartner - ähnlich einem Veranstalter - erlaubt, auf eine Netto-Rate einen Aufschlag von 25% oder mehr aufzuschlagen. Gerade die Merchant-Modelle nehmen mehr und mehr ihren Platz im Online-Markt ein. Wieso sollten wir als Hotel eine andere Gebührenstruktur akzeptieren als bei den Retail-Modellen, bei denen wir auf die Endrate eine weitaus geringere Provision zahlen?!

Der Onlinekanal war ursprünglich dazu gedacht, Distributionskosten zu reduzieren, doch jetzt sind wir schon wieder bei ähnlichen Kosten, wie wir sie einst mit klassischen Veranstaltern hatten. Die statischen, unflexiblen Preise der Kataloganbieter sind für ein Produkt wie das unsere einfach nicht mehr zeitgemäss und stellen uns vor grosse Herausforderungen in der Einhaltung der geforderten Ratenparität.

Unser Hotel ist deshalb schlicht nur buchbar über ausgewählte Retail-Partner wie HRS, hotel.de, booking.de, Expedia und Venere sowie deren Affliliates. Wir forcieren alles, was uns den höchstmöglichen Deckungsbeitrag aus der Rate bringt. Ohne diese OTAs könnten wir als Budget-Hotel nicht überleben! Die13% Provision für HRS z.B. sind absolut akzeptabel verglichen mit dem Unterhalt für ein eigenes Verkaufsteam.

Sie sagen also, die OTAs haben eine grosse Macht am Markt. Welche Herausforderungen kommen da noch auf die Hoteliers zu?

Marco Nussbaum: Ein aktueller Werbeclip von priceline.com aus den USA verdeutlicht auf haarsträubende Weise, wie rücksichtslos die OTAs ihre Macht gegenüber den einzelnen Hotels ausspielen. Schauen Sie sich bitte das Video unter diesem Link an: http://www.youtube.com/prizeotel#p/a/f/0/1U0ohKpz84Y .

Was uns stört, ist eben der Eingriff in die Verfügbarkeitsstrategie. Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, an wen wir das letzte verfügbare Zimmer verkaufen. Das letzte Zimmer kriegt der, der uns den höchstmöglichen Deckungsbeitrag belässt.

Man sollte zudem nicht vergessen, dass einige OTAS selbst mächtige, börsennotierte Unternehmen sind und deshalb nur in Rendite denken. Das spiegelt sich aktuell in Spanien: Dort muss der Hotelier bei booking.com sogar schon für eine stornierte Buchung Provision zahlen! Die Begründung der OTA: "Ich habe meine Vertriebsleistung erbracht, wenn der Gast im Nachhinein storniert, kann das nicht mein Thema sein".

Bei hotel.de und booking.com kann der Hotelier aber seinen Platz im Ranking selbst mitbestimmen - er muss einfach nur mehr Provision zahlen und schon steht sein Hotel in der Trefferliste ganz oben. Was halten Sie davon?

Marco Nussbaum: Vereinzelt soll es sogar Städte geben, in denen Hotels eine Provision von mehr als 40% eingetragen haben! Das ist natürlich gerade für die individuelle und mittelständische Hotellerie im Verhältnis zur Kettenhotellerie von grossem Nachteil, da letztere einfach über die grössen Marketing-Budgets verfügen und sich somit immer ein optimales Ranking erkaufen können. Von der Irreführung des Verbrauchers ganz zu schweigen. Ihm wird suggeriert, Hotels "nach Beliebtheit" zu finden.

Wie viele Buchungen kommen bei Ihnen online, wie viele über die eigene Website?

Marco Nussbaum: Alle Online-Reservierungen zusammen bringen uns etwa 70% des Geschäfts. Davon ist unsere eigene Website der stärkste Kanal.

Das heisst, Sie steuern weitere Buchungen über Social Media und planen, diese Kanäle auch noch auszubauen?

Marco Nussbaum: Ja! Seit dieser Woche - also ganz aktuell - können unsere facebook-Fans das prizeotel Bremen-City direkt buchen. Es gibt eine direkte Schnittstelle von der Community-Website zu unserem PMS.

prizeotel-Gründer Marco Nussbaum und sein Designer Karim Rasheed.

Was motiviert Sie zu diesem Schritt?

Marco Nussbaum: Momentan ist es eher ein Marketing-Gag, aber auch die grosse Attraktivität von facebook ist ein Riesen-Motor - unabhängig davon, ob man diese Community mag oder nicht. Schliesslich zählt sie 400 Millionen Mitglieder und wächst weiter. Darüber hinaus unterstreicht es unseren Anspruch, innovativer Leader in unserem Segment zu sein.

Warum ist das prizeotel Bremen-City nicht bei Xing präsent?

Marco Nussbaum: Das ist eher ein Businessportal, und mir missfällt, dass viele Mitglieder ungefragt viele Newsletter und Einladungen versenden. Wir penetrieren selbst zum Beispiel keine eigenen Newsletter oder Mailings. Wir gehen nie unaufgefordert an unsere Kunden heran. Wir bombardieren keine Fremden mit Nachrichten oder Einladungen. Unsere facebook-Fans sind echte Fans, so wie die Kunden in unserer Datenbank echte Kunden sind, freiwillig Registrierte.

Wie vermitteln Sie der Internet-Gemeinde denn, was es Neues bei prizeotel gibt?

Marco Nussbaum: Wir stellen, fein abgestimmt auf unsere Zielgruppen Geschäfts- und Städtereisende, Angebote und kleinere News ein. Wir haben ab dem 1. Mai 2010 einen Social Media Newsroom, wo alle Informationen konsolidiert zu finden sind. Das aktuellste steht natürlich auf Twitter, facebook und in unserem Blog. Und wir reagieren natürlich auf alle Bewertungen unserer Gäste - das kann jeder online sehen. All das braucht aber natürlich Zeit.

Wieviele Mitarbeiter kümmern sich bei Ihnen um Social Media?

Marco Nussbaum: Ein Mitarbeiter, unser "Social Media Manager" hat die Aufgabe, unsere Social Media-Kanäle ständig mit Informationen zu pflegen und zu „durchforsten“. Nur so finden wir Bemerkungen von Gästen wie jenem jungen Mann, der gerade im Haus war und über Twitter verkündete, es gäbe keinen Schrank im Zimmer. Das haben wir sofort "klar gestellt". Ausserdem haben wir ganz neu einen "Online Reputation Manager". Bei beiden handelt es sich um internet-affine Studenten, die in Teilzeit hier arbeiten.

Die Hotelbewertungen werden immer wichtiger. Wir zählen zur Zeit über 800 Bewertungen über die eigene Homepage, rund 700 über booking.de, 300 über holidayCheck und 80 über Tripadvisor. In jedem internen Freitagsmeeting sind die Bewertungen Diskussionsthema. Diese Gast-Bemerkungen sind besser als jeder Mystery Check! Diese Kommentare sind unser Lebenselixier!

Der Kunde kauft in Zukunft nicht nur ein Hotel, er kauft auch die "Software". Besser denn je kann er heute durch die Bewertungsportale nachvollziehen, wie ein Hotel tickt, speziell wie es um die Freundlichkeit und Servicebereitschaft der Mitarbeiter bestellt ist. Deshalb nehmen alle Mitarbeiter bei prizeotel an einem Prämiensystem teil, dass sich nach den Bewertungen im Internet richtet.

Auf YouTube gibt es inzwischen 20 Videos von prizeotel. Welche Rolle in der Vermarktung spielen heute Videos und Podcasts?

Marco Nussbaum: Eine grosse Rolle. Unser prizeotel-Podcast über die Entstehung des Hotels erfreute sich von Anfang an grosser Beliebtheit, wodurch wir eine hohe emotionale Bindung zu unseren Kunden erzielen konnten. Stellen wir einen neuen Podcast bei iTunes ein, sind wir auf Anhieb in den Top 20 der Kategorie Management und Wirtschaft. Unser YouTube-Kanal erfreut sich ebenfalls grosser Zugriffszahlen und unser Geburtstagvideo hat auf Anhieb über 4.500 Klicks bekommen. Das alles zeigt uns: Unsere Massnahmen kommen beim User an.

Designed von A-Z: die Handschrift von Karim Rasheed im budget hotel prizeotel Bremen.

Über welchen Kanal erhalten Sie das meiste Feedback?

Marco Nussbaum: Über unsere eigene Homepage, hier bewerten uns unsere Gäste, hier sind wir mit ihnen im aktiven Dialog. Ich bin mir aber sicher, dass gerade facebook und auch Twitter weiter wachsen werden, da wir noch weit hinter den USA her hinken, was diese Medien angeht.

Was haben Sie seit der Eröffnung bzw. seit dem Vermarktungsstart in die neuen Kanäle investiert?

Marco Nussbaum: Einen sechsstelligen Betrag. Ein einzelner Podcast kostet allein schon etwa 3.000 Euro. Wir hatten aber das Glück, Marketingpartner für die einzelnen Podcasts anwerben zu können, ansonsten wäre das nicht möglich gewesen. Für uns stellt sich momentan die Frage, ob wir lieber in einen Videocutter oder einen Verkaufsmitarbeiter investieren sollen. Ich denke, es wird ein Videocutter.

Machen Sie auch Online-Werbung?

Marco Nussbaum: Ja, sehr gezielt bei den Multiplikator-Plattformen, die unsere Zielgruppen ansprechen. Wir haben z.B. Bannerwerbung auf den Seiten der Bremer-Tourismuszentrale, von bremen.de, dem Flughafen Bremen und bei hrs.com Bei Google kaufen wir keine "adwords" - da sind die OTAs einfach zu stark und haben grössere Marketingtöpfe. Speziell bei google ist es unser Ziel, dass keine Werbung angezeigt wird, wenn der Gast „prizeotel“ eingibt. Wenn der Gast uns schon direkt sucht, dann soll er bitte auch direkt auf unserer Homepage landen und nicht auf der eines anderen Anbieters.

Und nach welchen Kriterien bucht letztlich Ihr - preissensibler - Gast? Nach Ihrem Auftritt in den Social Media oder nach dem Zimmerpreis?

Marco Nussbaum: Der Gast von heute kennt nur noch zwei Kriterien für eine Buchung: den Preis und die Online-Bewertung anderer Gäste. Passt beides für ihn glaubwürdig zusammen, bucht er. Der Preis ist insofern immer entscheidend, als dass er für den Gast eine planbare Grösse darstellen und seinem Budget entsprechen muss.

'Ihre Bewertung ist unsere Motivation!' prizeotel-Mitarbeiter tragen eine Philosophie des Hauses auf dem Rücken ihres T-Shirts.Foto: map

Hat die Hotellerie kein Rückgrat in Sachen Preis?

Marco Nussbaum: Ja. Nirgendwo in Europa existiert ein derart gutes Preisleistungsverhältnis wie in Deutschland. Gerade deswegen sollte man versuchen, seine Preise durchzusetzen. Allerdings: Ein Preis muss auch glaubwürdig definiert sein. Die Hotelleistung muss transparent sein. Dazu tragen die Hotelbewertungsportale wesentlich bei. Und die Hotelsterne!

Sie sind ein Fan von klassischen Hotelsternen?

Marco Nussbaum: In der Tat. Dem Reisenden sagen diese Sterne immer noch mehr als wir Insider uns vorstellen können. Die Sterne aber sind nach wie vor eine hervorragende Orientierung. Und ich finde, dass der Hotelverband Deutschland hier sehr viel getan hat und sehr offen für Verbesserungsvorschläge ist.

Was bindet einen Gast letztlich an das prizeotel Bremen?

Marco Nussbaum: Für uns ist das Ziel, aus Neukunden Stammkunden und Multiplikatoren für unser Haus zu machen. Das funktioniert nur über die Qualität des Produkts! Das Internet macht das gesamte Hotel transparent. Gefällt jemandem etwas nicht im Zimmer oder entdeckt er Missstände, dann filmt er es mit seinem Handy und stellt das Ganze sofort in YouTube ein oder gibt eine negative Bewertung ab. Darauf hat ein Hotelier überhaupt keinen Einfluss mehr. Deshalb ist es heute mehr denn je wichtig, sein Produkt in Ordnung zu halten. Und das meine ich, trotz Social Media- und Online-Hype, wörtlich: Wir streichen unser Hotel alle sechs Monate von oben bis unten durch!

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Maria Pütz-Willems.

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