Ausgenockt Deutscher Hotelverband IHA Hilferufe aus allen Ecken Corona Rettungsschirm greift nicht schnell und exakt genug für die Branche Brandbrief an Regierung
HI+

Ausgenockt

Deutscher Hotelverband (IHA): Hilferufe aus allen Ecken – Corona-Rettungsschirm greift nicht schnell und exakt genug für die Branche – Brandbrief an Regierung

Ein Virus versetzt Hotellerie und Tourismus in diesem Jahr einen historischen Schlag: Die Branche liegt wirtschaftlich am Boden.Foto: Adobe Stock Sergey Nivens

Berlin. Hotellerie und Gastronomie liegen in Deutschland fast vollständig am Boden. Die Regierung hat vor zwei Tagen ihr 156 Milliarden schweres Corona-Hilfspaket verabschiedet, trotzdem haben der Deutschen Hotel- und Gaststättenverband und der Hotelverband Deutschland diese Woche in einem Brandbrief an die Kanzlerin dringend weitere, schärfer auf die Branche zugeschnittene Massnahmen verlangt. Die Politik will ausnahmsweise sehr schnell agieren, in der Praxis aber sperren sich z.B. die Hausbanken. Bis zum 14. April sollen alles durchdekliniert sein. "Das ist aber zu spät!", rufen Markus Luthe, der Hauptgeschäftsführer der IHA, und IHA-Vorsitzender Otto Lindner der Politik zu. Ein Interview über den aktuellen Stand und die Anspannung in der Branche.

Welches waren für Sie persönlich mit die schlimmsten Momente in den vergangenen vier Wochen? Und können Sie heute irgendwo etwas Positives entdecken?

Luthe: Als mir mein Team vom ersten Mitglied berichtete, das am Telefon weinte. Das habe ich in 25 Jahren Verbandsleben noch nicht verdauen müssen.

Lindner: Für mich war es der Moment in dieser Woche, als mir meine Hausbank eine seit Monaten schon per Handschlag zugesicherte Kreditlinie in Millionenhöhe plötzlich mit weiteren Auflagen versah. Verbunden mit der Aussage, dass es sich letztendlich um einen "ganz normalen Kredit" handeln würde, der in Ruhe geprüft werden müsse, natürlich jetzt vor dem Hintergrund der Corona-Krise. Und vor Mitte April würde keine Auszahlung passieren!!!

Positiv ist ganz sicher die ausnahmslos grosse Zustimmung und das Lob, das wir von unseren Mitgliedern derzeit über alle Kommunikationswege für unsere Arbeit erhalten. In der Not stehen die Mitglieder offenbar besonders eng zusammen und das gibt uns als IHA-Team in Haupt- und Ehrenamt viel Kraft und Energie.

Die Hotellerie liegt am Boden, national und international. STR und Fairmas belegen das mit ihren permanent aktualisierten Daten. Welche und wie viele Hotels sind in Deutschland denn überhaupt noch offen?

Luthe: Der Shutdown ist mittlerweile wohl nahezu vollständig, alle Graphen nähern sich der Grundlinie. Die Auslastungszahlen sind einstellig. Wie viele Hotels derzeit noch offen sind, wissen auch wir nicht genau. Wir starten in der nächsten Woche eine Umfrage zur Bestandsaufnahme, diese Woche hatten die Hilfsmassnahmen Priorität.

Wächter der politischen Versprechungen: Otto Lindner und Markus Luthe.Foto: IHA Linus Lintner

Welche Grösse haben die staatlichen Rettungsfonds in Deutschland und wie hoch sind bereits die Anträge für Kurzarbeit und auf Finanzhilfen?

Luthe: Die Bundesregierung hat einen 'Wirtschaftsstabilisierungs-Fonds' mit einem Volumen von bis zu 600 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Davon sind 400 Miliarden Euro Staatsgarantien für Verbindlichkeiten der Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und 50 Millionen Euro Umsatz, 100 Milliarden Euro für etwaige direkte staatliche Beteiligungen und 100 Milliarden Euro für Refinanzierungen durch die KfW. 50 Milliarden Euro stehen zusätzlich für kleine Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und für Solo-Selbständige zur Verfügung, die bis zu 15.000 Euro als Zuschuss erhalten können.

Im klassischen Beherbergungsgewerbe haben allerdings 88,7% der Betriebe 10 und mehr Beschäftigte. Und nur 0,6% der Unternehmen erzielen einen Umsatz von mehr als 10 Millionen Euro. Der Grossteil der mittelständisch geprägten Hotellerie in Deutschland mit ihrem gesamten Nettoumsatz von 29 Milliarden Euro und ihren 317.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten droht somit durchs Raster der Schutzschilde zu fallen.

Hinsichtlich der Liquiditätshilfen und des Kurzarbeitergelds werden die Förderbanken und Arbeitsagenturen derzeit überrannt, ihnen liegen Abertausende von Anträgen vor. Hier müssen schnell Lösungen zur Überwindung der Engpässe her. Nach einer ersten Erhebung teilte die Bundesagentur für Arbeit am 21. März mit, dass bereits 76.700 Betriebe wegen des Coronavirus Kurzarbeit angezeigt hätten. Im Vergleich zum Vorjahr haben sich die Zahlen jetzt schon mehr als verdoppelt.

Wie viele der Hilferufe kommen von kleinen und mittleren Unternehmen, wie viele von Hotelgruppen mit über 30 Häusern?

Lindner: Das kann keiner mehr zählen. Das Besondere und Frappierende an der Corona-Krise ist, dass ausnahmslos jeder betroffen ist. Die Hilferufe sind gleichverteilt, herzzerreissend und kommen aus allen Ecken – von der kleinen Kneipe bis zur grossen Hotelkette.

Welche Zeitspannen zur schnellen Abwicklung von Hilfsanträgen hat man der Branche versprochen? Kommen die versprochenen Hilfeleistungen der Bundesregierung auch rechtzeitig bei den Bedürftigen an? Wo klemmt's?

Luthe: Da die Liquiditätshilfen über die Hausbanken und damit indirekt abgewickelt werden sollen, sind die Verfahren hochkomplex und mit reichlich Besonderheiten und Eigenleben auf den diversen Stufen. Bis zum 14. April soll alles durchdekliniert sein. Das ist aber zu spät! Entsprechend "drängelig" werden wir bei den Ansprechpartnern vorstellig und pochen auf Abschlagszahlungen etc., weil den Betrieben jetzt die Liquidität fehlt.

Wie stark sind die Finanzhilfen an Kredit-Konditionen und/oder Sicherheiten gebunden?

Lindner: Die KfW nimmt der Hausbank der grossen Hotels bis zu 80% und bei kleinen und mittleren Hotels 90% des Risikos ab, sofern diese bis zum Stichtag 31.12.2019 nicht schon in finanziellen Schwierigkeiten waren. Wir haben allerdings auch Rückkopplungen, dass bei der Hausbank vor Ort dennoch mitunter entwürdigende und unangemessene eidesstattliche Erklärungen über die finanziellen Verhältnisse abverlangt werden. So darf die versprochene "schnelle und unbürokratische Hilfe" auf keinen Fall beim Unternehmer ankommen! Das kommt in den Erklärungen der Minister in den TV-Talkshows ganz anders rüber.

Wir haben aber aufgrund der dynamischen Informations- und Regelungslage aufgehört, den Mitgliedern das Fördermosaik aufzuarbeiten, sondern empfehlen ihnen, gleich mit den üblichen Unterlagen zu ihrer Hausbank zu gehen. Für IHA-Mitglieder haben die Spezialisten der Hotour Hotel Consulting dankenswerterweise eine kostenfreie Hotline eingerichtet, die optimal auf die Bankgespräche vorbereitet.

Unser Eindruck gegenwärtig ist, dass der Bankensektor durchaus bemüht ist, die Unterstützungssignale der Politik in konkrete Liquiditätshilfe umzusetzen, sich aber an den aufsichtsrechtlichen und beihilferechtlichen Grenzen erkennbar reibt, Stichwort: Basel I-III. Der Staat muss daher eine 100prozentige Haftungsfreistellung ermöglichen und die Finanzmarkt-Regulierung in der Corona-Krise ein Stück weit lockern. Nur dann kann der Schutzschild greifen.

Corona trifft in dieser Woche nicht nur die Messestädte derart heftig: Die Hotels sind bei einstelligen Belegungsraten angekommen.STR Fairmas Occupancy 16-22 March_Source STR.2020 Costar Realty

 

Sehen Sie bei der Bewilligung von Finanzhilfen einen Wettbewerb zwischen Ketten und mittelständischen Individualhotels aufkommen? Bzw. wie kann man das verhindern?

Lindner: Nein, ein Gegeneinander-Ausspielen darf und wird es nicht geben! Der Schutzschild muss wie versprochen für Hotels jedweder Grösse da sein – und er ist faktisch auch unbegrenzt ausgestattet.

Jetzt haben sich auch noch die OTAs über ihren europäischen Verband zu Wort gemeldet und drängen darauf, zu den gleichen Konditionen wie die Hotellerie unter den Rettungsschirm schlüpfen zu können...?

Luthe: Das klingt schon so, als ob sich unter den Schirm für die mit am stärksten betroffene Branche nun so viele Global Player drängeln wollen, dass für die Mittelständler vielleicht nur nasse Füsse übrig bleiben… Im Ernst: Ich ärgere mich schon, wenn Unternehmen, die ansonsten jeden Klimmzug unternehmen, um in Deutschland oder Europa keine oder kaum Steuern zu zahlen, in der Not wie selbstverständlich nach eben diesem Gemeinwesen als Solidargemeinschaft rufen.

Betriebe allein können die globale Krise nicht schultern. Es muss die gesamte Prozesskette einbezogen werden: Spricht der Verband daher auch mit Banken/Fonds/Eigentümern etc. wg. Kreditinfos/Infos zu Pacht-Reduzierungen? Auf welche Hilfsbereitschaft treffen Sie bei diesen Hotel-Partnern?

Lindner: Das sind individuelle Gespräche, die nicht der Verband, sondern die beteiligten Mieter/Vermieter bilateral führen müssen. Unsere Aufgabe als Verband ist es, die Rahmenbedingungen bei Finanzierung oder im Mietrecht möglichst positiv zu beeinflussen und konkrete Hilfestellungen zu geben. Klar ist, dass es eine Einigung geben muss und jeder seinen Anteil wird leisten müssen. Und das am besten ohne Gerichtsprozesse, sondern partnerschaftlich fair.

Wie realistisch und schnell umsetzbar sind Umnutzungen von leeren Hotels in Krankenhäuser oder "Hotel Offices"?

Lindner: Die Hilfsbereitschaft der Hoteliers ist enorm, es werden schon vielfältige Gespräche geführt und es gibt konkrete Planungen. Wir denken, dass solche provisorischen Umnutzungen in der Tat sehr schnell und pragmatisch erfolgen können.

Wie werden Sie die versprochene schnelle Hilfe kontrollieren können, um ggf. genauso schnell wieder neuen Druck auf die Politik ausüben zu können? Und bis wann müsste Ihrer Meinung nach das Wirtschaftsrad wieder angekurbelt werden?

Luthe: Alle Mitglieder sind aufgefordert, uns ein schnelles und klares Feedback zu geben, ob die Hilfen auch wirklich zeitnah und umfassend bei den Betrieben ankommen. Nur dann haben wir eine Chance, ggf. Nachjustierungen fordern und durchsetzen zu können.

Es gibt erste Branchen-Insider, die vorhersagen: Wenn die Restriktionen gelockert werden und auch nur annähernd ein "normales" Leben wieder hochkommt, wird der Urlaub in Deutschland durch die Decke gehen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Lindner: Eins ist klar: Der Unsinn, dass es sich um eine "Husten-Erkrankung" handelt und der "Massen-Immunisierung-Quatsch" von Boris Johnson und Donald Trump sind überholt. Niemand kann derzeit seriös prognostizieren, wie lange der Pandemie-Ausnahmezustand andauern wird und wann und wie Bewegungs- und Versammlungs-Restriktionen wieder gelockert werden.

Ich persönlich schaue sorgenvoll in ferne Länder wie Indien oder auf den afrikanischen Kontinent, wo die Welle gerade erst anfängt. Sicherlich staut sich in der westlichen Welt, so auch in Deutschland, ein erhebliches Erholungs-, Reise- und Tagungsbedürfnis auf. Es bleibt zu hoffen, dass es schon bald wieder Leben ins unsere Häuser bringen wird, aber ich kann nur jedem empfehlen, eher vorsichtig mit diesen Prognosen umzugehen!

Herr Luthe, Sie sind ja auch Deutschlands Vertreter im Executive Committee der HOTREC in Brüssel. Wie steht Deutschland im europäischen Vergleich da?

Luthe: Die Regierungen aller 29 HOTREC-Mitgliedsländer haben mittlerweile Rettungspakete für ihre unverschuldet in Not geratene Wirtschaft aufgelegt, deren Förderinstrumentarien sich selbstverständlich je nach Finanzierungs-, Steuer- und Sozialversicherungssystem zum Teil erheblich unterscheiden und kaum auf einen Nenner zu bringen sind.

Betrachtet man allein die Grössenordnung der aufgespannten Rettungsschirme, ragt das wahrlich riesig dimensionierte Hilfspaket in Deutschland, als dem grössten und wirtschaftlich leistungsfähigsten Land in Europa, deutlich hervor.

Aber es kommt für uns aus Branchensicht auf die Details an, ob die Hilfe praxistauglich ist und ob sie schnell bei den Hotelbetrieben ankommt. Uns scheint da z.B. das österreichische System bei der Gewährung von Liquiditätshilfen durchaus beispielhaft, wo der Österreichischen Hotel- und Tourismusbank eine effiziente Schlüsselrolle zukommt.

Informationsstand: 25.3.2020, 22.30 Uhr.


 

 

 

FAKTEN ZUM CORONA-DRAMA

Deutsche Urlaubsziele büssen allein für die Monate März und April 24 Milliarden Euro Umsatz ein, hat die Münchner Tourismusberatung DWIF hochgerechnet. Allein bei Reisen mit Übernachtungen brach der Umsatz um 9 Milliarden ein.

Rezession sagen die GfK-Experten nach ihrer aktuellen Konsumklima-Studie für März voraus. Corona drückt massiv auf die Verbraucher-Stimmung. Die Konjunktur-Erwartung büßt im März 20,4 Zähler ein und rutscht auf -19,2 Punkte. Ein niedrigerer Wert wurde zuletzt im August 2012 mit -20,0 Punkten gemessen. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt das Minus gut 27 Zähler.

BIP-Einbruch: Das Ifo-Institut hat für 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 4,3% erreichnet, wenn die deutsche Wirtschaft einen Monat still steht. Steht sie drei Monate still, könnte das BIP bis zu 20% fallen. Dann würden 700 Milliarden Euro Wohlstand verloren gehen (Quelle: FAZ-Interview 24.3.2020). / kn

Verwandte Artikel

Hotour spricht Klartext: Staatliche Hilfen sind kein Füllhorn

25.3.2020

Frankfurt. Martina Fidlschuster redet Klartext. Die Geschäftsführerin der Hotour Hotel Consulting ermahnt die Branche: Der Schutzschirm der deutschen Regierung ist kein Füllhorn mit Goldmünzen! Einiges aus ihren Gesprächen erinnert sie an die Unsicherheit und das Chaos nach dem Lehman-Crash 2008/2009.

{"host":"www.hospitalityinside.com","user-agent":"claudebot","accept":"*/*","x-forwarded-for":"3.94.150.98","x-forwarded-host":"www.hospitalityinside.com","x-forwarded-port":"443","x-forwarded-proto":"https","x-forwarded-server":"d9311dca5b36","x-real-ip":"3.94.150.98","accept-encoding":"gzip"}REACT_APP_OVERWRITE_FRONTEND_HOST:hospitalityinside.com &&& REACT_APP_GRAPHQL_ENDPOINT:http://app/api/v1