Bizarr Absaufen im Boom Deutschlands Hotellerie kann nicht weiter blühen wegen fehlender Mitarbeiter
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Bizarr: Absaufen im Boom

Deutschlands Hotellerie kann nicht weiter blühen wegen fehlender Mitarbeiter

Die Mitarbeiter stehen nicht mehr Schlange heute. Jedes Jahr steigt die Zahl der offenen Stellen.Foto: Andrey Popov stock.adobe.com

Frankfurt. Die Mitarbeiter sind weg. Oder sie kommen erst nicht. Die Misere ist da. Die Branche kann nicht mehr länger vor ihrem eigenen Problem weglaufen, aber sie versucht es noch: Politiker und Verbände sprechen noch von Fachkräfte-Mangel, Hoteliers und andere Experten aber von einem Mitarbeiter-Mangel. Deutschlands Hotellerie boomt wie nie in ihrer Geschichte: Die Touristen strömen, das Kapital fliesst, der Hotelbau boomt. Es ist eine einzige Erfolgsstory – aber eine die von Dritten getrieben wird. Diejenigen, die diese Story zum nachhaltigen Erfolg machen müssen, sind die Betreiber und Einzelhoteliers. Einzelne kämpfen bereits, werden kreativ. Das gesamte Bild aber zeigt. Die Branche säuft ab, mitten im Boom.

Frankfurt ist zum Hot Spot geworden. Die Stadt entwickelt sich von der reinen Business-Destination zunehmend zum Städtereiseziel, touristische Ankünfte steigen kontinuierlich, der Hotelbau-Boom ist unaufhaltbar. Für das Jahr 2018 meldet die Tourismus+Congress GmbH Frankfurt am Main 10.149.671 Übernachtungen und 5.934.778 Millionen Übernachtungsgäste. Mit 298 Beherbergungsbetrieben und 56.092 Betten ist das Angebot auch im Jahr 2018 weiter gestiegen. Gleichzeitig sind die Miet- und Immobilienpreise in der Stadt in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert.

Das ist nur ein Beispiel von vielen in Grossstädten. In Hamburg ist die Lage mindestens so prekär, in München noch schlimmer. Azubis und die Geringverdiener am Hierarchie-Ende im Hotel trifft das Missverhältnis von Verdienst und Markt-Mieten am Härtesten. Den Ferienhotels geht es aber noch schlechter, vor allem in den Bergen und an der See. Aber auch jene Ferienhotels, die nur eine Stunde ausserhalb der Grossstadt stehen, bekommen keine Kräfte mehr. "Branche blutet langsam aus" und "Das Gastgewerbe steht vor dem Kollaps"… Mit diesen negativen Schlagzeilen bewarb der Kassensystem-Spezialist Gastrofix aus Berlin sein jüngstes monothematisches Kundenmagazin "Restaurant Digital World", das klarmachen möchte, dass z.B. die Digitalisierung des Betriebs eine Hilfe in diesem Chaos sein könnte.

Frankfurt entwickelt sich zum Touristen-Ziel. Gleichzeitig steigen die Miet- und Immobilienpreise, zum Nachteil der Hotel-Mitarbeiter.Foto: Motel One Frankfurt

Arbeitskräfte-Mangel, nicht Fachkräfte-Mangel!

Das Gute an dieser PR-Initiative eines Suppliers ist: Er hat in zwei Schlagzeilen die ganze Misere so zutreffend beschrieben, wie es der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband nie formulieren würde. "Wir haben keinen Fachkräfte-Mangel, sondern einen handfesten Arbeitskräfte-Mangel", legt dann auch Prof. Dr. Christian Buer im Gespräch mit hospitalityInside.com nach; als ex-Hotelier und Professor für Hotel Management an der Hochschule Heilbronn erlebt er täglich den Spagat zwischen Leidenschaft und Frust in einer der schönsten Branchen der Welt. Er selbst hat sein eigenes Motivationsmodell kreiert, um wenigstens noch ein paar junge Leute mehr in die Branche zu hieven.

Tagelang könnte man gleichermassen über inkompetente Politiker, schläfrige Verbände, geizige Unternehmer, miese Chefs und fehlgesteuerte Ausbildungssysteme schimpfen. Deutschland blamiert sich in diesem Desaster noch mehr, sagte man diesem hochentwickelten Land doch bisher immer Weitsicht, kluge Systeme und einen hohen Bildungsgrad nach. Das war einmal. Das Mitarbeiter-Desaster ist Fakt. Einzelhoteliers wie CEOs grosser Gruppen müssen sehr viel Energie und Geld aufwenden, um die Fehler aus Bundes- und Branchen-Politik wettzumachen.

Die Blamage bläht sich gar noch weiter auf, weil der Tourismus in Deutschland nur so boomt – aber wirtschaftlich nicht voll aufgesogen werden kann. Warum? Weil Mitarbeiter fehlen. Mittelständler machen mittags nicht mehr auf, Restaurant-Terrassen bleiben geschlossen, Speisekarten werden kleiner, immer weniger Mitarbeiter sprechen Deutsch… Und nur das bleibt im Gedächtnis der Touristen und Geschäftsreisenden hängen.

Alles positiv, nur nicht bei den Mitarbeitern

Hochpreisländer mit starren Gesetzen trifft das Desaster deutlich härter als andere, die beispielsweise Aushilfekräfte unbürokratisch und für ein paar Dollar am Tag einsetzen können. Die Negativ-Spirale bohrt sich in Deutschland weiter in den touristischen Boden, und jeder Insider fragt, sich wie das angesichts des Hotelbau-Booms im Land überhaupt noch zu schaffen ist.

Die nackten Fakten sprechen für sich. 111.828 zusätzliche Hotel-Zimmer drängen in den nächsten drei Jahren in Deutschland auf dem Markt, wenn alle angekündigten 776 Neu-, Um- und Ausbauten umgesetzt werden, rechnet der jüngste "Branchenreport" des Hotelverbands Deutschland vor. Letztes Jahr waren es im Dreijahres-Forecast nur 695 Objekte gewesen. Der Run auf Deutschland spiegelt sich auch im projektierten Investitionsvolumen: Es beträgt aktuell rund 19,6 Milliarden Euro; letztes Jahr waren es drei Milliarden weniger gewesen.

Die Hotellerie verzeichnet das neunte Wachstumsjahr in Folge – seit dem Lehman-Crash 2008 eine traumhafte Entwicklung; alle Kennziffern gehen nach oben. Umso bizarrer ist die aktuelle Situation: Auf dem vorläufigen Höhepunkt der Tourismus-Entwicklung säuft die Hotellerie ab. Sie findet keine Mitarbeiter mehr. Nicht mehr in ausreichender Menge und nicht mehr in ausreichender Kompetenz.

Von 80 Azubis bleiben nur 24 in der Branche, so der aktuelle IHA-Report.Foto: Marko Novkov

Bittere Statistik

Der vor wenigen Wochen erschienene IHA-Branchenreport 2019 liefert die aktuellen Markt-Zahlen: Das gesamte Gastgewerbe beschäftigt aktuell 2,36 Millionen Menschen und ist damit einer der stärksten Arbeitgeber-Branchen in Deutschland.

Mit den Arbeitskräften aber wird's zunehmend kritisch. Der IHA-Report hält fest: Seit 2014 sind in Hotellerie wie Gastronomie jedes Jahr mehr offene Stellen gemeldet worden. Konkret sieht es heute so aus: Im Januar 2019 waren im Beherbergungsbereich 13.748 offene Stellen gemeldet – versus 12.844 zum gleichen Zeitpunkt des vergangenen Jahres. In der Gastronomie waren im Januar 2019 deutschlandweit 22.394 offene Stellen gemeldet – +1,4% mehr als im Vorjahreszeitraum. "Insgesamt wird der Fach- und Arbeitskräftebedarf in den kommenden Jahren nicht abnehmen, so dass das arbeits¬intensive Gastgewerbe vor grossen Herausforderungen steht…" lautet das Fazit.

Die Nachwuchs-Statistik kann noch mehr frustrieren: 100 Azubis werden gesucht, 80 gefunden. 33 davon brechen ab. Von den 47 Verbleibenden werden 23 später abwandern. Der Branche bleiben also nur 24 erhalten. Das hat natürlich viele Ursachen, vom immer noch miserablen Image der Branche über schwierige Arbeitszeiten bis zu schlechter Bezahlung und hohen Abwerbequoten aus anderen Branchen. Das Ergebnis ist die Summe jahrzehntelangen Nichtstuns.

Angesichts des oben beschriebenen Rahmens sind Kreativität, konkretes und vor allem schnelles Handeln gefragt… Ideen und Anregungen dazu liefert hospitalityInside.com in einem weiteren, separaten Beitrag: darüber, wie Ferienhotels Mitarbeiter finden und halten, und wie Immobilien-Entwickler in der Grossstadt mehr Wohnraum für Hotel-Mitarbeiter schaffen möchten und so die Not der Branche zu einem neuen Geschäftsmodell machen. / map

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