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Das Web lernt sprechen

Assistenz-Dienste werden unsere "Gesprächspartner": Der grosse Sprung ist da

Das semantische Web ist eine Revolution – nicht nur für die Reisebranche.Foto: psdesign1 Fotolia.com

Nürnberg. Das semantische Web verändert die Welt. Maschinen erkennen Sprache und lernen mit dem Menschen zu sprechen – immer schneller und immer besser. Der "grosse Sprung" steht kurz bevor, ist Universitätsprofessor Dieter Fensel, Leiter des Semantic Technology Institute an der Universität Innsbruck, fest überzeugt. Das Web existiert nun seit 25 Jahren, erinnert Fensel. "Die Zukunft aber gehört nicht mehr Webseiten, sondern persönlichen Assistenz-Diensten. Viele junge Menschen, die nur über ihr Handy online sind, werden das World Wide Web gar nicht mehr kennen". Die Welt wird zum Dorf und Privatsphäre eine Illusion. Und Plattformen wie Booking.com wird es bald nicht mehr geben. Fred Fettner interviewte einen Akademiker, der den Wandel zu mehr Künstlicher Intelligenz und einem anderen Leben gut erklären kann.

Semantik ist die Wissenschaft von der Bedeutung der Zeichen. Das können Wörter, Phrasen oder Symbole sein. In anderer Formulierung beschäftigt sie sich mit den Beziehungen zwischen den Zeichen und deren Bedeutungen. Wie ist das auf die Welt des Computers umzulegen?

Semantik erreicht, dass der Computer die Inhalte versteht. Das Semantic Web macht die Zeichen als Abbildung der Wirklichkeit für den Computer verständlich. Also dass F-E-N-S-E-L nicht nur sechs Zeichen sind, sondern diese für einen Namen stehen, hinter dem sich wieder eine Person mit einer Fülle von Eigenschaften verbirgt, welche über Verknüpfungen zugeordnet werden können. Dabei geht es längst nicht mehr ausschliesslich um aktive schriftliche Eingabe, sondern darum, alle Objekte der Wirklichkeit zu erfassen und zuzuordnen.

Momentan interessiert sich die Öffentlichkeit besonders intensiv für das selbstfahrende Fahrzeug. Dafür werden die technischen Daten, Ziele und Fähigkeiten des Fahrzeugs mit den erfassten Umgebungsdaten, bis hin zur Gesichtserkennung, erfasst und in Beziehung gesetzt. Ziel ist es, technisch alles zu erfassen, was wir auch als Mensch erfassen. Aber die Maschine soll die Summe der Informationen besser verarbeiten können. Bis es einmal heissen wird: Lasst nicht den Mensch ans Steuer, das ist zu gefährlich.

Prof. Dieter Fensel, Uni Innsbruck: Die Computer verstehen sogar schon Ironie.

Wie viel Gegenwart und wie viel Zukunft steckt in diesen Ansätzen?

Zum einen ist das semantische Web nur eine kleine Anwendung des grossen Kapitels Künstliche Intelligenz. Aber man muss zu dieser Frage sagen: Vieles hat schon heute Geschichte. Schon seit 1956 wird an der Künstlichen Intelligenz geforscht. John McCarthy und Marvin L. Minsky starteten das "Dartmouth Summer Research Project on Artifical Intelligence". Man dachte damals, in zehn Jahren seien die wesentlichen Ziele erreicht.

Als Flaschenhals wurde zu diesem Zeitpunkt jedoch schnell das Erfassen des menschlichen Wissens betrachtet. Die Eingabe, die Speicher-Kapazitäten... Auch eines wurde dabei zu wenig bedacht: Erfasstes Wissen ist eine Sache, doch der Experte Mensch entscheidet vieles nach Gespür, der Computer kann dem gegenüber nur auf "Papier-Wissen" zurückgreifen.

Hier setzt das World Wide Web ein...

Ja. Seit den 1990er Jahren tauchte die Chance auf, Wissen zusammenzuführen. Seit nunmehr 20 Jahren wird wieder intensiv an Künstlicher Intelligenz geforscht. Wir dachten damals – also 1996 – auch, bis zum Jahr 2000 werde das jetzt funktionieren, denn der Bottleneck schien überwunden, das weltweite Web steht als Gehirn der Menschheit zur Verfügung.

Tatsächlich passierte jedoch erst einmal sehr wenig und semantische Sprachen wurden links liegen gelassen. Ein entscheidendes Momentum für einen Sprung war sicher Google. Google war lange ein Gegner des semantischen Web. In der Rolle als Suchmaschine war diese Position auch absolut begründet. Doch mit dem Wandel von einer Such- zu einer Antwort-Maschine hat sich auch die Position von Google gewandelt. Längst stehen ja bereits die geschäftlichen Transaktionen im Fokus. Seit der generellen Abkehr von der Position einer reinen Suchmaschine ist Google der grösste Supporter von Künstlicher Intelligenz und sicher global der führende Driver.

Warum soll es nun wirklich einen entscheidenden Schritt vorwärts gehen? An einer halbwegs funktionierenden Sprach-Erkennung wird doch seit Jahrzehnten gearbeitet.

Gerade die Sprach-Erkennung, eine Funktion der Semantik, hat in den letzten Jahren tatsächlich einen Sprung vorwärts gemacht. Die besten Anbieter liegen da sicher schon bei über 90 Prozent des Möglichen.

Von der Such- zur Antwortmaschine: Google ist eine treibende Kraft bei Künstlicher Intelligenz.

Mit welcher technologischen Veränderung ist das verbunden?

Das Web hat sich relativ schnell entwickelt und reduzierte den Aufwand für die Wissensakquisition. Doch inzwischen kommen sprunghaft jede Sekunde neue Daten-Mengen hinzu. Man nehme nur die Videos von installierten Kameras – und als nächstes werden es Billionen von Sensoren sein, deren Daten online übermittelt werden. Wenn nun seit vier bis fünf Jahren im Web semantisch annotiert wird, ist der Sprung vorgegeben.

Entscheidend ist dabei schema.org: Google hat sich auf diese Sprache mit den drei anderen Grössen Yahoo!, Bing und Yandex geeinigt. Nur das chinesische Bindu ist nicht an Bord. Für uns Wissenschaftler war schema.org sicher zuerst eine negative Überraschung. Man kommt schliesslich mit einem totalen Anspruch daher – und deshalb dachten wir: Wie trivial! Aber die Vereinfachung war wohl notwendig, damit sich alle Big Player darauf einigen können.

Zwischenfrage: Warum sind die Chinesen nicht dabei? Aus Sicherheitsgründen?

Das ist Spekulation. Vielleicht hat man im Rahmen staatlicher Überprüfung einfach noch genug Menschen, die das manuell durchlesen. Wobei gesagt werden muss: Die einheitliche Sprache erleichtert nicht nur die Information, sondern gleichzeitig die Überwachung. Je genauer das Abbild wird, desto leichter für die Geheimdienste, alles im Auge zu behalten und zu bewerten. Sind die Daten semantisch annotiert, dann muss der Computer nicht mehr mittels Statistik raten. Es sind ja keineswegs nur Geheimdienste: Alle erfassen die Informationen, Apple und Google wissen heute schon extrem viel. Sie haben gewaltige Datensätze – und das wird durch das Semantic Web noch einfacher.

Für Datenschützer keine erfreulichen Perspektiven?

Wenn man so will, gab es früher in den Dörfern keine Privatsphäre. Anonymität kam erst mit der Urbanisierung. Jetzt zieht die Technik nach, die Welt wird zum Dorf und Privatsphäre eine Illusion. Wobei: Wer will, kann auch heute viel mehr von sich selbst schützen. Viele verschenken ihre Daten, genauer gesagt: Sie opfern für Leistungen ihre Daten. Die Dienste nutzen das nicht nur in böser Absicht, sie sind für den Nutzer ja auch eine Bereicherung oder häufiger noch eine Vereinfachung. Wenn ich am Flughafen abends verspätet ankomme, meinen Anschlussflug verpasst habe, dann wird mir sofort von meinem Assistenz-System das Airporthotel angeboten – und zwar zu einem günstigen Corporate-Tarif.

Wer heute ein Hotel-Suchergebnis im Web aufruft, hat links unten mit Google 1.0 die typischen Links als Suchergebnis. Darüber findet man aber längst die Werbung, die Google reich macht. Aber die rechte Seite gehört schon Google eCommerce, eine Einheit, die das Unternehmen noch reicher machen soll.

Sprich mit der schwarzen Box: Der virtuelle Sprachassistent  von Amazon hält auch Einzug in die Schlafzimmer.

Mit Google 3.0 schliesslich wird die Suchmaschine zum Orakel, das nicht mehr auf die Frage wartet, sondern schon vorher liefert, was der Nutzer im nächsten Moment brauchen wird: Mein online gebuchter Flug hat Verspätung. Das ist für das System aus den Flugdaten erkennbar. Das System ergreift die nächsten Massnahmen, indem es gespeicherte Termine verschiebt, Abholende und das gebuchte Hotel informiert – oder eben ein Hotel am Flughafen zur Buchung vorschlägt.

Die Basis dafür ist Semantic Web. 90 Prozent der weltweit erfassten Daten wurden in den vergangenen zwei Jahren kreiert. Big Data, ein noch unpräzise definierter Terminus, bildet die Basis. Durch Semantik kommt die Möglichkeit effizienter Auswertung hinzu und ebnet den Weg zu Künstlicher Intelligenz.

Um noch einmal auf die Sprach-Erkennung zurückzukommen. Siri versteht Sprache schon sehr gut, selbst meine Umgangssprache, obwohl die Software nicht personalisiert ist. Möglich wird das durch die riesigen Datenmengen, eben auch mündliche Eingaben. Das erhöht die Trefferquote. Sogar Ironie wird immer häufiger von den Computern richtig interpretiert. So wie man heute orthografische Unsicherheit durch Google-Eingabe entschiedet: Wie schreibt es die Mehrheit?

Ist das die sogenannte Schwarm-Intelligenz?

Ja. Betrachtet man die Entwicklung der menschlichen Sprache, so steht am Beginn immer der Austausch bei gemeinsamen Tätigkeiten. Siri ist ja nicht allein. Google, Amazon und Microsoft verfügen über ähnliche Standards. Es gibt immer einen kritischen Punkt, ab dem es dramatisch schnell geht. Im Bereich Sprach-Erkennung sehe ich ihn erreicht.

Ist das Ergebnis damit eine immer grössere Vereinfachung mit dem daraus folgenden Ergebnis einer simplen, leicht verständlichen, da oberflächlichen Einheitssprache?

Ich fürchte aktuell eher die Tendenz zur Fragmentierung. Alle Angebote, die ich erhalte, bestätigen meine Welt.

Wie sind die unmittelbaren Auswirkungen in der Hotellerie?

Insgesamt überwiegen die konstruktiven Anwendungsmöglichkeiten von Chatbots (Red: textbasierte Dialog-Systeme oder persönliche virtuelle Assistenten). So entwickelte das Start-up aus unserem Institut Onim mit der Destination Management Organisation Mayrhofen einen Chatbot, der mit dem Anfragenden kommuniziert. Fragen werden beantwortet, der Gast wird zur Buchung geführt. Es wird also eine Conversion-Rate geben.

Viele junge Menschen werden das World Wide Web gar nicht mehr kennen – die Zukunft gehört den persönlichen Assistenz-Diensten.

Weiss der Interessent, dass er mit einer Maschine kommuniziert?

Ich gehe davon aus, dass darauf hingewiesen wird. Bei Dating-Websites und in Internet-Debatten wird das manchmal verheimlicht, aber eigentlich sollte jeder es – noch – erkennen können. Also im Falle Mayrhofen geht es natürlich um schriftliche Kommunikation.

Generell gilt: Das Web existiert nun seit 25 Jahren. Aber die nächste Revolution steht eindeutig bevor. Nicht mehr Webseiten, sondern persönlichen Assistenzdiensten gehört die Zukunft. Wer heute am Smartphone googelt, erhält schon keine Links mehr, sondern die Antworten von Google-now. Am iPhone kommen die Antworten von Siri, auf Facebook von deren Chatbot. Ich interagiere mit einer Schicht über dem Web. Viele junge Menschen, die nur über ihr Handy online sind, werden das World Wide Web gar nicht mehr kennen.

Interagiere ich aber nur mehr mit dem Assistenz-System, erhalte ich auf meine persönlichen Vorlieben abgestimmte bzw. gefilterte Vorschläge. Für die Anbieter bedeutet das: Ich muss in diesen Assistenz-Systemen gut positioniert sein. Präsenz schaffe ich nur, wenn ich einen reichen Content, auch um das Haus herum, habe. Das kann ich als Destination Management Organisation selbst steuern – als Hotelier muss ich das mittragen, ich will ja auch drinnen sein.

Entscheidend ist es, den gesamten buchbaren Content in schema.org zu beschreiben und so automatisiert buchbar zu sein (Red: schema.org ist beschrieben in dem unten verlinkten Artikel). Vorbei ist es dann mit den mühsamen händischen Vorgängen und auch die Channel Manager haben ausgedient. Eine neue Art der Buchung, für die das einzelne Haus natürlich eine Booking Engine benötigt.

Und was macht dann Booking.com?

Booking.com generiert bislang Buchungen und kann weiter generieren, aber die Vorhersage ist: Diese Portale werden verschwinden. Das brauche ich dann nicht mehr.

Herr Prof. Fensel, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Fred Fettner.

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