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Der Bumerang

Mitarbeiter-Mangel: Mitten in der Krise müssen die Gehälter steigen

Mit dem langen Lockdown wandten sich viele Mitarbeiter weltweit von der Hospitality-Branche ab. Der Bumerang ist in der Luft. Foto: karenfoleyphoto stock adobe com

Augsburg. Der Mitarbeiter-Mangel in der Hotellerie schlägt seit dem Re-Start weltweit durch. Ein Drittel hat im Durchschnitt allein in Deutschland den Arbeitgeber oder die ganze Branche verlassen, und das ist noch wenig. Die Ferienhotellerie arbeitet aktuell bereits am Service-Limit. Die Stadt- und MICE-Hotellerie muss jonglieren, um weiter bei steigender Nachfrage leistungsstark zu bleiben. Es muss sich jetzt einiges endlich ändern. Wobei das auch schon lange vor Corona ein beliebter Satz war.

Grundsätzlich betrachtet ist einiges besser als vor einem Jahr, im ersten Corona-Sommer, selbst wenn statt des Kern-Virus jetzt dessen Varianten toben und Schutzmassnahmen vermutlich wieder anziehen. Das politische Chaos und vor allem der lange Lockdown mit den geschlossenen Hotels und Restaurants haben aber tiefe Spuren hinterlassen, wie schon mehrfach berichtet. Aktuell gilt es, den Betrieb trotz Mitarbeiter-Engpass am Laufen zu halten, u.a. einen guten Service zu liefern und Umsatz zu generieren. Nach Feierabend muss man über Geld und Arbeitszeiten nachdenken.

Holger Schroth hat für das neue Jahr schon höhere Gehälter budgetiert.Foto: Vier Jahreszeiten Kempinski München

Hotelier Holger Schroth blickt in Berchtesgaden auf einen Rekord-Juli und ein sich abzeichnendes gutes Umsatzjahr wie vor dem Corona-Ausbruch. "Dabei fahren wir nur 80% Belegung, um die Abstände im Spa und beim Frühstück sicherzustellen, und uns fehlen die internationalen Gäste und MICE-Umsätze", sagt der Managing Director des Kempinski Hotel Berchtesgaden und des Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski München.

Im Münchner Haus in der Einkaufsmeile Maximilianstrasse ist selbstredend noch Luft nach oben, aber immerhin steigt die Belegung auch hier kontinuierlich auf aktuell 45%. Im August erwartet er 50%, im September bis zu 60%. Damit kann Holger Schroth wieder ein Stückchen weiter über den Tellerrand blicken und planen. Ab August kommen alle Mitarbeiter wieder zu 100 Prozent ins Vier Jahreszeiten zurück, auch aus dem Home Office, um alle am Geschehen vor Ort teilhaben zu lassen – und um einzuspringen, wenn Not am Mann ist.

Schon in den letzten Monaten war im Kempinski München das Mithelfen in anderen Abteilungen und der Mitarbeiter-Austausch zwischen den Kempinski-Häusern im DACH-Raum unabdingbar. Denn auch hier wie in der gesamten Branche hat etwa ein Drittel der alten Belegschaft das Haus verlassen, viele davon gleich die Branche.

Da die Kurzarbeiter-Regelungen keine Beschäftigung von Fremdfirmen erlauben, mussten die Mitarbeiter vor allem im Housekeeping einspringen – eine Bereitschaft, die "verständliche" Grenzen hat, sagt Holger Schroth. "Aber wir müssen weiter jonglieren und mit Kurzarbeit planen, um die Kosten niedrig halten. Denn wir wissen nicht, ob der Aufwärtstrend weitergeht." Ab August nutzt er die Möglichkeit, die Kurzarbeit bis zu drei Monate zu unterbrechen, ohne dass die bisherigen Anträge enden. Zugleich erhält das Haus Bewerbungen und stellt wieder ein. Eine "Halb-Halb-Strategie", nennt Holger Schroth es.

Anke Maas: Die Mitarbeiter übergreifend und flexibel ausbilden.Foto: Julia Nimke-hrs

Auf den Nachwuchs setzen

Auch Anke Maas von Leonardo Hotels sieht eine "langsame, aber stetige Zunahme der Buchungen, obwohl natürlich immer noch Gäste aus Übersee fehlen und Geschäftsreisende überschaubar sind. Wir haben in der Stadt- und Businesshotellerie noch eine lange Durststrecke vor uns", sagt die HR-Direktorin von Leonardo Hotels Central Europe.

Einige Positionen mussten auch hier wiederbesetzt werden, aus der Kurzarbeit ist erst ein Teil der Mitarbeiter zurück. Das Ziel ist aber, "in erster Linie unsere Auszubildenden und Studenten zu übernehmen und gleich von Anfang an Karrierepläne zu definieren, damit sie mit uns wachsen können", berichtet sie. Die Mitarbeiter werden dabei abteilungsübergreifend ausgebildet. "Sie werden dort eingesetzt, wo nötig, lernen mit Krisen umzugehen, ein grosses Hotel auch mal in einem kleinen Team zu leiten oder mit Vorgesetzten und Teamkollegen über unsere LEAPP digital vernetzt zu bleiben", ergänzt sie. Mit LEAPP meint sie eine App, mit der neue wie auch zurückgekehrte Mitarbeiter über mehrere Wochen digital begleitet werden können. "Wenn wir diese Krise meistern, haben wir in ein paar Jahren Fachkräfte, die selbstbestimmter und selbstsicherer auftreten und mit ihrem Krisen-Knowhow unsere Hotels bereichern", hofft sie.

Die Wenigen arbeiten mehr als je zuvor

Die Gastronomie scheint Chancen wie diese wieder zu verpassen und im operativen Sumpf zu versinken. Armin Langer, früherer Sternekoch im Allgäu und heute Netzwerk-Veranstalter und Berater in der Branche, hat in den letzten Wochen mit vielen Sterneköchen gesprochen. "Die Stimmung ist gut. Alle sind froh, wieder volle Restaurants zu haben. Aber überall fehlen in der Spitzen-Gastronomie ein Drittel bis zur Hälfte der Mitarbeiter", sagt er. Manche hätten deswegen die Öffnungszeiten reduziert, andere wiederum die Ruhetage abgeschafft, um die Umsatz-Ausfälle auszugleichen.

Wie lange halten die übrig gebliebenen Mitarbeiter noch durch?Foto: unsplash  ashwini chaudhary

"Für das Team bedeutet das, noch mehr zu arbeiten als bisher, bei weniger Kollegen", sagt er und mahnt den ohnehin schon geringen Lohn gemessen an der tatsächlichen Arbeitszeit an. "Spätestens Weihnachten werden wir dann das nächste Problem haben, wenn auch die bisher gebliebenen Mitarbeiter nicht mehr können und wollen."

Die "ewige Litanei"?

"We are hiring", "Wir suchen Sie…", kann man derzeit überall lesen kann – und alle haben doch wieder nichts gelernt?

Für Antje Maesse klingt das wohl eher nach ewiger Litanei. Wenn die Geschäftsführerin von Haystax Executive Recruitment München in den letzten vier Jahren mit Young Professionals sprach, wo sie hingehen sollen, dann kamen eher jene Betriebe zum Zug, die im HR-Bereich engagiert sind und das entsprechende Marketing betreiben.

Corona hat dagegen nun das allgemeine Verlassen der Branche befördert: "Derzeit sind vom Weggang der Mitarbeiter vor allem das untere Management sowie Küche und Service betroffen", sagt sie.

Man könne aber jetzt schon nicht mehr gewisse Abteilungsleiter-Positionen besetzen, vor allem in der Reservierung und im Front Office, weil hier viele als Geschäftsführer-Assistenz in Investment-Firmen, Steuerbüros gewechselt sind, einige auch zu Zuliefer-Firmen. In der Finanzebene und in HR-Positionen ist dagegen die Wechsel-Bereitschaft traditionell gering geblieben und es gibt mehr Nachfrage als Kandidaten.

"Anders verhält es sich mit Direktoren/GMs bzw. Headoffice-Positionen. Hier ist das Angebot geringer, vor allem in den Städten und es gibt zu viele Suchende", sagt sie. Durch die Pandemie seien aus Europa, dem Mittleren Osten, Asien etc. viele Rückkehrer im Markt, und die meisten hätten reine Kettenhotel-Erfahrung. "Der Manager-Markt konzentriert sich aktuell auf die Ferienhotellerie aus den jeweiligen Regionen und die wollen keine reinen Städter oder Kettenmanager", auch weil letztere viele Bereiche gar nicht mehr kennen oder durch die Zentralisierung der Kettenhotellerie ausüben können. Für Antje Maesse wird sich das erst wieder einpendeln, wenn der MICE-Markt stärker wird.

Antje Maesse: Österreich und die Schweiz ziehen sogar ungelernte Kräfte noch schneller ab. Foto: Haystax

Die Gehälter müssen steigen

Wer künftig Mitarbeiter gewinnen will, muss sich in erster Linie "von Ein-Jahres-Verträgen bzw. Nettozuschlägen verabschieden", sagt die Personal-Vermittlerin. Die jungen Fachkräfte würden das nicht mehr mitmachen, auch weil die Alternativen besser sind. Bei neuen Hotels, vor allem in der Stadt, müssen dagegen die Gehälter steigen oder bereits Unterkünfte mit eingeplant werden, wie es in der Ferienhotellerie schon stattfindet, sagt Antje Maesse. "Auch muss man sich schneller öffnen für ungelernte Kräfte, die nicht unbedingt aus den gewünschten Nachbarländern kommen. Denn die bleiben entweder dort oder werden von Österreich und Schweiz gelockt."

Holger Schroth hat für 2022 bereits deutlich höhere Gehälter und Benefits als bisher budgetiert. "Es wird ein Rennen um die Mitarbeiter innerhalb der Hotellerie geben", ist er überzeugt.

Andreas Striebel vom Infinity Hotel und Conference Resort Munich ist hier in gewisser Weise zuversichtlich und handlungsfreudig: "Wir hatten das Thema Mitarbeiter-Mangel auch vorher schon und immer, wenn es darauf ankam, haben wir doch genug Mitarbeiter und die richtigen gefunden", sagt der Geschäftsführer des MICE-Hotels mit 439 Zimmern und 7.500 qm Eventfläche.

Es sei normal, dass Mitarbeiter gehen, wenn Betriebe so lange geschlossen hätten. Auch er hat ein Drittel seiner rund 200 Mitarbeiter verloren. Aber das Gleiche sage auch der Schreiner in der Nähe oder andere Branchen, und man dürfe infolge nicht in Panik verfallen.

Andreas Striebel bleibt optimistisch, vor allem für Events.Foto: Infinity Munich

Das sehen andere Insider anders, sprechen es aber nicht laut aus: Wie sollen Betreiber heute schon die Gehälter erhöhen, wenn sie nach Corona selbst noch – länger – keine Gewinne erzielen? Der internationale Geschäftsreiseverkehr soll ja erst 2025 wieder voll zurückkehren. Corona hat die Hotellerie in die Zange genommen. Eine Antwort auf den Mitarbeiter-Stress wird nach Meinung von Insidern das weitgehend personallose, stark digitalisierte Hotel sein.

Q4 auf wackeligen Füssen

Im Moment sei es viel wichtiger, dass ein möglicherweise unsicherer Herbst nicht herbei geschrieben wird und die Politik die Angst vor einer vierten Welle nicht weiter schürt, sondern Lösungen liefert, findet Andreas Striebel. Hier sei man in den letzten Monaten bereits oft enttäuscht worden und er selbst als grosser Hotelbetrieb durch etliche Raster gefallen. Schon jetzt zeige sich aufgrund der "Angstmacherei" grosse Unsicherheit bei den Firmen. Es gebe zwar Anfragen für Konferenzen und Events, aber wenig Verbindlichkeit. Auch das 4. Quartal steht inzwischen auf wackligen Füssen und alle Hoffnungen liegen nun auf 2022.

Die Branche befindet sich gerade in einer ambivalenten Zwischenzeit, die nicht über die Sorge um einen unsicheren Herbst weiter ausgebremst werden sollte. Auch potenzielle Mitarbeiter würde dies verunsichern, die über eine Rückkehr in die Branche nachdenken, sagt Holger Schroth und glaubt selbst weiter an steigende Buchungen im Oktober mit Blick auf mehr als 50% Geimpfte und gute Sicherheitskonzepte. Andreas Striebel glaubt sogar, dass "viele Mitarbeiter früher oder später wiederkommen werden, weil sie sich einmal aus bestimmten Gründen für die Branche entschieden hatten, gerade im Event-Bereich."

Dieser Optimismus ist löblich, aber erst nächstes Jahr vielleicht durch Zahlen zu untermauern. Aktuell bewegt sich der grosse Trend eher in der Abwärtsspirale. Und das Image der Branche ist so schlecht wie nie, weil die Tourismus-Branche weltweit nicht mehr als sicherer Arbeitsplatz gilt. Von der Bezahlung und den Arbeitszeiten ganz abgesehen. / Sylvie Konzack

 

STATISTIK: MITARBEITER-ZAHLEN SINKEN HEFTIG

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist im Gastgewerbe in Deutschland auf unter 1 Million gesunken. Laut Bundesagentur für Arbeit lag die Zahl dieser Beschäftigten in Gastronomie und Hotellerie im April bei 939.500. Das sind 153.900 weniger als in der Vor-Corona-Zeit im April 2019 und bedeutet einen Rückgang von 14,1%. Zum 30. Juni 2020 zählte das Gastgewerbe, laut Statista, noch 1,01 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.

Allein der Dehoga Bayern hat gerade gemeldet, dass aktuell 50.000 Arbeitskräfte im Bundesland fehlen. Zwischen Januar und Mai 2021 gingen dem Beherbergungsgewerbe des Freistaats, laut Bayerischem Landesamt für Statistik, 19,4% der Mitarbeiter im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verloren, die Gastronomie war mit 23,6% betroffen.

In einer Umfrage des Dehoga Bundesverbands Anfang Juni 2021 unter ca. 5.600 gastgewerblichen Betrieben nannten fast 30%, die bis dahin noch nicht geöffnet hatten, als Grund fehlende Mitarbeiter. 42,4% der Betriebe beklagten den Wechsel von Beschäftigten in andere Branchen. / red

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London. In den USA ziehen zwei Drittel der Arbeitssuchenden einen Job in der Hospitality-Branche noch nicht einmal in Betracht. 50 Prozent ehemaliger Hospitality-Angestellter wollen für kein Geld der Welt wieder zurück in ihren Job. In Grossbritannien sind nach dem Lockdown 200.000 Arbeitskräfte nötig, um die Branche wiederzubeleben. In Frankreich kämpft jedes einzelne Hotel mit einer Fluktuation von 15 bis 30 Prozent. Das tut alles richtig weh. Sarah Douag liefert Zahlen, beschreibt Frust und Folgen.

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