Der grosse Wunsch Nachhaltigkeit ganz nah Die Tourismus Wissenschaft sucht neue Ansätze für die Branche
HI+

Der grosse Wunsch: Nachhaltigkeit ganz nah

Die Tourismus-Wissenschaft sucht neue Ansätze für die Branche

Der Alpentourismus soll sanft und nachhaltig bleiben, wünschen sich Reisende.Foto: unsplash Dominik Jirovsky

Wien. Verschiedene Umfragen tourismuswissenschaftlicher Institute rund um die Welt sehen einen Mega-Trend durch die globale Pandemie: Die Reisenden wollen auch künftig noch viel reisen, aber nachhaltiger. Natur und Klima werden ihnen wichtiger, auch lassen sie sich wohl stärker für Nah-Ziele begeistern. Ein Gedankenspiel der Wissenschaftler ist sogar, Reiseströme auf einen Radius innerhalb von 3.000 Kilometern zu verteilen.

Das in Wien erscheinende Magazin "TourismusWissen-quarterly" hat in seiner Juli-Ausgabe eine Anzahl von Institutsarbeiten über die zu erwartenden ökonomischen, sozialen, vor allem aber ökologischen Veränderungen der Tourismuswirtschaft publiziert. Insgesamt wirkten 40 Autoren in den – nicht immer repräsentativen – Arbeiten mit. Manche Folgerungen sind umstritten, einige Ergebnisse überraschend.

An der Studie "Zukunft des Alpentourismus nach CoV-19" – unter der Führung von Forschungsleiter Mario Jooss an der FH Salzburg – fielen vor allem Einschätzungen auf. 28% rechnen pandemiebedingt im Jahr 2020 damit, nicht verreisen zu können, doch nur 7% sind der Ansicht, auch längerfristig, also über die Corona-Zeit hinaus, seltener zu verreisen. Diesen stehen knapp 30% gegenüber, die in Zukunft sogar häufiger reisen wollen als vor der Corona-Krise.

Von der Menschheit, sprich den anderen, wird aber ein wachsendes ökologisches Bewusstsein erwartet: Mit 72% sagt eine grosse Mehrheit der Befragten: "Ja, der Tourismus im Alpenraum soll sich in Zukunft noch stärker in Richtung eines sanften, nachhaltigen Tourismus entwickeln, als Gegenentwurf zum Massentourismus". 28% sehen dies neutral, indem sie angeben, dass auch intensive Tourismusformen unter bestimmten Umständen und in gewissen Gebieten ihre Berechtigung haben. Keiner der Befragten erwartet wachsenden Massentourismus in den Alpen.

Hotspots meiden

Bei den Corona-bedingten Veränderungen im Reiseverhalten dominieren Nachhaltigkeitsaspekte. Die Hälfte gibt an, in Zukunft bei Reisen mehr auf Natur und Klima zu achten bzw. vermehrt sanften Tourismus zu wählen und dabei Hotspots eher zu meiden. Auch grenznahe Destinationen und Hygiene-Standards gewinnen demnach an Bedeutung. Das Risiko stärker abzusichern, indem man z.B. Storno-Versicherungen abschliesst oder Anzahlungen zu vermeiden versucht, findet bei den Befragten kaum Zuspruch.

Anita Zehrer: Familiengeführte Unternehmen geben sich sehrselbstbewusst - sie wollen nach der Krise weitermachen.Foto: MCI

Die FH Salzburg erwartet: "Die Alpen-Destinationen in Österreich und Deutschland werden mittel- bis langfristig durch die Corona-Krise profitieren." Das bejahen zwei Drittel der Befragten.

Zur Suche nach den wichtigsten Nachhaltigkeitsaspekten der Gäste im deutsch-österreichischen Alpenraum wurden die persönlichen Prioritäten abgefragt. "Gute Arbeitsbedingungen und eine hohe Qualifikation des touristischen Personals" erreichte die höchste Bewertung. Auch die Qualität der Gastgeber-Gast-Beziehung sowie der Schutz der regionalen Kultur rangieren vor "klassischen" Nachhaltigkeitsaspekten wie etwa der Möglichkeit zu ressourcen-schonender Anreise.

Erfolgreich mit einen Hashtag

In Tirol erarbeitete das Tourismusinstitut am Management Center Innsbruck unter der Leitung von Birgit Bosio unter dem Titel "#mitabstandnah" eine Hashtag-Analyse von hohem Gebrauchswert für die Tourismusverbände. Es wurde untersucht, welche Themen der Tourismusverbände unter welchen – Corona-bezogenen – Hashtags am besten vermittelt werden konnten.

Titelgebend war der von der Tirol-Werbung initiierte Hashtag #mitabstandnah: "Mit Abstand nah" verbindet als Slogan mehrere Aspekte: Trotz des notwendigen räumlichen Abstands in Pandemiezeiten bleibt die geistige Nähe – etwa zum Urlaubsziel oder zwischen Gast und Gastgeber – bestehen. Weiter impliziert die Devise unterschwellig auch den Urlaub in der Nähe.

Dieser Hashtag mit Bezug auf die CoV-Krise fand schon knapp hinter den allgemeinen, stets eingesetzten Hashtags #visitaustria und #tyrol die höchste Präsenz. Über 20% der Posts verwendeten ihn, gefolgt von #dahoambleiben. Es zeigt sich dabei, dass englischsprachige Varianten, die mit #stay... beginnen, geringere Verbreitung erfahren. "Erfolgreich sind Hashtags vor allem dann, wenn es wenig alternative Schreibweisen oder Fehlerquellen gibt", ist ein wichtiges Fazit der Arbeit.

Im Zeitraum der Analyse bestimmte als Generalthema noch "Daheim bleiben" das Bild in der Öffentlichkeit. Die Tourismusverbände versuchen das vorsichtig als "Urlaub in der Heimat" zu interpretieren. So zeigt die MCI-Analyse, wie die Destination Management Organisationen versuchen, rund um das Kernthema "bleib daheim, halte durch" Anreize zu schaffen: Etwa im gleichen Umfang geht es um "Sehnsucht wecken" und "Nähe trotz Distanz", in etwas geringerem Umfang folgen "später verreisen" und allgemein "gesund bleiben" als Inhalte. Solidarität wurde seltener thematisiert, das Virus selbst fast nie.

Familien-Hotels krisenresistenter

Im Zentrum für Familien-Unternehmen wurde am MCI unter Anita Zehrer rasch eine explorative Studie "Resilienz von Familien-Unternehmen im Gastgewerbe in Krisenzeiten" erstellt. Die Arbeit basiert auf einer schriftlichen Erhebung, die 32 verwertbare Antworten brachte. Trotzdem sind die Aussagen für die klein strukturierte Hotellerie im Alpenraum teilweise signifikant.

Die Outdoor-Branche leidet momentan, aber der Wunsch nach Aktivitäten in frischer Luft gibt neue Perspektiven.Foto: unsplash david marcu

Wie häufig schon gesehen wird dabei die eigene Situation stets besser eingeschätzt als die der Branche insgesamt. Dies basiert häufig auf der Erfahrung aus vorhergehenden Krisen. 8% sehen ein hohes Risiko, das Geschäftsjahr als Betrieb nicht zu überleben. "Dieser Optimismus ist auch der Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten und den vorhandenen finanziellen Reserven geschuldet. Mehr als 90% der Befragten gaben an, das nötige Knowhow zu besitzen, um nach einer Krise wieder normal weitermachen zu können", heisst es. Fast zwei Drittel können auf Notfall-Reserven zurückgreifen.

Bei allem Optimismus sah man sich aber ausnahmslos genötigt, den Mitarbeiterstand – um bis zu 60 Personen – zu reduzieren. Unter den staatlichen Hilfsmassnahmen fanden Direktzuschüsse die grösste Zustimmung, Kurzarbeit schnitt überraschenderweise schlechter ab als etwa Steuerstundungen und Schnellkredite.

Outdoor-Branche besonders hart getroffen

Die Professoren Manuel Sand und Sven Gross befragten Ende April/Anfang Mai die unterschiedlichen Ebenen im Outdoor-Segment zu den Auswirkungen der Krise. 80% geben dabei an, maximal ein halbes Jahr finanziell überbrücken zu können. 17% sagen, über keinerlei finanzielle Rücklagen zu verfügen. Besonders betroffen zeigt sich der Bereich "Erlebnispädagogik".

Die Redewendung von der "Krise als Chance" findet bei einem Drittel der Befragten Zustimmung. Wobei man weniger auf "Nachholeffekte" nach überstandener Krise setzt als vielmehr auf ein verändertes Reiseverhalten: Aktivitäten in frischer Luft und reduzierte Fernreisen sollen die Perspektiven für die Outdoor-Anbieter verbessern.

Impuls für Sustainability?

Der Aspekt des veränderten Reiseverhaltens zu mehr Nachhaltigkeit als Folge der Corona-Krise stand bei zwei wissenschaftlichen internationalen Arbeiten im Mittelpunkt.

"Wird nachhaltiger Tourismus als Phönix aus der Covid-19-Krise steigen?" fragten Martin Balas, Dagmar Lund-Durlacher und Wolfgang Strasdas, die gemeinsam für das Zentrum für nachhaltigen Tourismus in Eberswalde stehen.
Im Beitrag wird eine Fülle internationaler Studien zusammengeführt. Viele davon würden zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Klimaschutz weiterhin für wichtig hält.

Harald Friedl denkt Reisen neu, als regional gesteuertes Erlebnis.Foto: FH Joanneum

Weitgehend unbekannt ist in Europa die Arbeit einer Forschungsgruppe in Mexiko. Sie fragte nach Reise-Ängsten nach Covid-19 und erhielt diese Antworten in folgender Reihenfolge: Einhaltung von Hygiene- und Sicherheitsstandards, das Erkranken in der Urlaubsdestination, aber auch mangelndes Vertrauen in Reiseunternehmen bzgl. der Einhaltung versprochener Leistungen.

Folglich erwarten die Befragten in Lateinamerika primär Informationen über präventive Schutzmassnahmen in den Destinationen.

ZENAT schliesst generell daraus, dass der Aufbau von Vertrauen, eine transparente Kommunikation sowie ein stimmiges Angebot für aktuelle Reiseleistungen unabdingbar sind. "Insbesondere die Themen Hygiene und Sicherheit, Gesundheit und Erfüllung der Leistungsversprechen aller Beteiligten sind ins Zentrum von Basisqualitäten gerückt und werden das Angebot in den nächsten Monaten und Jahren bestimmen."

Tourismus auf 3.000 km umverteilen

Unter dem Titel "Eine neuartige Krise als nachhaltige Chance" hat das internationale ACTNetwork unter der Führung von Susanne Becken, Harald A. Friedl und Paul Peeters neue Perspektiven zusammengeführt.

Dabei spielt das Tourismus-Verkehrsmodell von Breda eine zentrale Rolle. Dieses veranschaulicht die grundsätzliche Möglichkeit, die weltweiten Tourismusströme – hypothetisch – ohne nennenswerte ökonomische Verluste pro Land auf näher gelegene Ziele innerhalb von 3.000 Kilometern umzuverteilen. Für die überragende Mehrheit der Destinationen konnten keine signifikanten Einbussen an Gästen errechnet werden, weil diese wesentlich durch eine gesteigerte regionale Nachfrage kompensiert würden. Bei Neuseeland z.B. ergab das Rechenmodell sogar ein Gästeplus von 1%.

Zu spürbaren Einbussen an Einnahmen käme es jedoch bei weniger entwickelten Destinationen, weil deren internationaler Langstrecken-Reiseverkehr durch eine weniger finanzkräftige Regionalnachfrage kompensiert werden müsste. Dabei handelt es sich aber nur um eine geringe Anzahl sehr kleiner, abgelegener Gebiete oder Inseln, die nur 2,6% des globalen Reiseverkehrs repräsentieren.

Vor der Covid-19-Krise stellten Ankünfte von Langstrecken-Reisenden lediglich einen kleinen Anteil am Gesamtreisevolumen dar. Doch dieser geringe Anteil verursachte rund 50% der globalen Reisekilometer.

Eine starke Verlagerung der touristischen Nachfrage nach Binnenmärkten hätte spürbare Mehrwerte, sowohl für Einheimische als auch für Touristen aus nahen Quellmärkten. "Damit würde die Lebensqualität für die betroffenen Einheimischen und die Genussqualität für Gäste steigen, was langfristig die Attraktivität für internationale Touristen erhöhen würde, die in Zukunft bereit wären, für höhere Kosten und somit bei höherer Wertschätzung die jeweilige Region wieder zu besuchen," so das optimistische Resümee der internationalen ACT-Expertenrunde. "Insofern werden die langfristigen Auswirkungen dieser Pandemie als eine Chance für die erfrischende Wertschätzung des lokalen und regionalen Lebensraums betrachtet". Und damit wächst auch eine grössere Vorfreude auf weniger häufige, aber dafür sinnstiftende Fernreisen. / Fred Fettner

{"host":"www.hospitalityinside.com","user-agent":"Mozilla/5.0 AppleWebKit/537.36 (KHTML, like Gecko; compatible; ClaudeBot/1.0; +claudebot@anthropic.com)","accept":"*/*","x-forwarded-for":"3.146.37.35","x-forwarded-host":"www.hospitalityinside.com","x-forwarded-port":"443","x-forwarded-proto":"https","x-forwarded-server":"d9311dca5b36","x-real-ip":"3.146.37.35","accept-encoding":"gzip"}REACT_APP_OVERWRITE_FRONTEND_HOST:hospitalityinside.com &&& REACT_APP_GRAPHQL_ENDPOINT:http://app/api/v1