Der Hardware Overkill Der deutsche Wellness Markt stagniert Rückbesinnung auf Qualität
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Der Hardware-Overkill

Der deutsche Wellness-Markt stagniert: Rückbesinnung auf Qualität?

'Instagrammable' muss er sein, ansonsten ist ein Aussenpool eher Fluch als Segen. Trotzdem haben die Österreicher ihn zum Kultobjekt stilisiert - und damit auch Druck auf deutsche Hoteiers ausgeübt.Foto: Bergkristall Resort Oberstaufen

Düsseldorf. Wellness ist erwachsen geworden, Schoko-Bäder und andere Unsinns-Behandlungen sind passé. "Wellness ist ein unverzichtbarer Teil eines Ferienhotels geworden", sagt Michael Altewischer, Geschäftsführer der deutschen Kooperation Wellness Hotels & Resorts. Und trotzdem stagniert die Entwicklung in Deutschland: Familien-Betriebe schaffen es nicht mehr, im Hardware-Wettrüsten mitzuhalten, vor allem nicht mit den Österreichern. Doch der Druck erhöht sich auch noch durch Fachkräfte-Mangel, durch das Preis-Dumping dank OTAs und Marken-Hotels, die Wellbeing vermarkten, aber keine Kompetenz einbringen.

Wellness ist allgegenwärtig, vor allem in den Medien – in Gesundheits-Sendungen, Wissensbeiträgen, bei Ernährungsthemen, und natürlich in Sport und Freizeit… Vom Sauerstoff tanken beim Radeln bis zum Yoga mit Gipfel-Blick und dem Champagner im Pool. "Trotzdem müssen wir uns in Deutschland und Zentraleuropa warm anziehen", sagt Michael Altewischer selbstkritisch. 1997 hat er die Kooperation gegründet, heute zählt sie 42 Mitglieder. Einige haben in den letzten Jahren die Kooperation verlassen, andere kamen und kommen hinzu. Das hat viele Gründe.

Der Wettbewerb allein in Deutschland und Österreich ist massiv geworden; in der Schweiz hat er erst gar nicht zugenommen. "DACH ist nicht mehr führend", sagt er, "osteuropäische Länder wie Ungarn oder Serbien holen mit hochwertiger Hardware und gut ausgebildeten Mitarbeitern auf und international hat Asien das Sagen."

Und Deutschland, so Altewischers Fazit zu seinem Stamm-Markt, ist in Teilen steckengeblieben, nachdem deutsche Fördergelder um die Jahrtausendwende unter dem Aspekt saison-verlängernder Massnahmen kurzfristig Wellnesshotels an Nord-/Ostsee und in Bayern zur Blüte verhalfen. Die Hoteliers, meist familiengeführte Betriebe, investierten jedoch überwiegend in die Hardware – allerdings mit wenig Kreativität, dafür nach schneller "copy-paste" Methode.

Michael Altewischer: Die Wellness-Branche hat es nicht geschafft, sich Extras bezahlen zu lassen.Foto: W-H-R

Das Gleiche geschah in Österreich, dort nur noch schneller und flächendeckender. Mit dem Boom der Nachbarn, deren Wirtschaft deutlich stärker vom Tourismus abhängt als in Deutschland, setzte dann ein Wettbewerb im Aufrüsten ein. Und mit Häusern, die heute bis zu 3.000 qm und mehr an Spa anbieten, können die meisten deutschen Wellness-Hotels nicht mithalten, resümiert der W-H-R-Chef. Nur eines hat Wellness im Hotel geschafft: Das Segment hat die Saison verlängert! Nur – zu welchem Preis?

Die massenhafte Verbreitung von Hotels mit Schwimmbädern, Pool(s) und Behandlungsräumen hat zunächst die Nachfrage befriedigt, auf verschiedenen Preis-Level. Mittelständler mit mittel- und teilweise niedrigpreisigen Angeboten spüren heute den Preisdruck am meisten – und leiden häufig unter ihrer eigenen Mittelmässigkeit. Der Hardware-Overkill führt zu Markt-Schwund. "Aber auch gute deutsche Mittelständler haben es ab Mitte der 2000er Jahre nicht verstanden, ihr Potential zu heben", blickt Altewischer zurück. Umso standhafter stehen jetzt jene da, die rechtzeitig investiert haben: Von den W-H-R-Mitgliedern haben privat geführte Wellnesshotels wie beispielsweise das Waldhotel Tannenhäuschen in Wesel, das Strandhotel Georgshöhe auf der Insel Norderney, der Romantische Winkel im Harz oder das Landhotel Jammertal im Münsterland jeweils zwischen 10 und 20 Millionen investiert. Altwischer schätzt, dass Deutschland-weit von allen Betrieben aus der Boom-Zeit vor 20 Jahren vielleicht ein Viertel überlebt hat und heute wirtschaftlich gut dasteht.

Wellness zum Dumping-Preis, aber bitte mit Pool

"Der österreichische Relax Guide zählt für dieses Jahr 1.101 Wellness-Hotels für Österreich und für Deutschland aktuell 1.209 Häuser gegenüber 1.325 in 2019. Über die Masse kann er nur den Kopf schütteln: Wer kann angesichts dieser Dichte überhaupt noch Geld verdienen? Sogenannte "City Spas" sind hier noch gar nicht mitgezählt.

Von Mega-Wellness-Betrieben mit tausenden Quadratmetern an Spa, dem Aufrüsten der Hardware, dem harten Konkurrenz-Kampf und einigen wenigen Gewinnern haben vergangene Woche auch die drei Buch-Autoren und Wellness-Experten Dagmar Rizzato, Karin Niederer und Prof. Stefan Nungesser kritisch berichtet. Die beiden Beraterinnen haben erlebt, was Michael Altewischer jetzt auch nochmals bestätigt: "Man redet immer noch über die Ansammlung von Produkten, nicht über ein konsequent erarbeitetes und umgesetztes Betriebs-Konzept".

Mit einem neuen City-Wellness-Konzept zu günstigen Übernachtungspreisen und Modul-Paketen für Wellness wagten sich in Deutschland im Jahr 2012 a-ja Hotels in den Markt. In die Umsetzung dieser Idee floss viel Gehirnschmalz, die Umsetzung gestaltete sich schwieriger. Trotzdem bewertet Altewischer solche Reissbrett-Konzepte im Kern als gut: "Das ist Wellness für unter 100 Euro pro Nacht, Wellness fürs Volk". Wo Qualitätswellness inflationiert wird, kann der Gast aber keine Rundum-Betreuung die ganze Woche hinweg kostenfrei erwarten.

Das Laconicum im Stock Resort: Top-Betriebe können auf grosse Saunen-Landschaften kaum verzichten in Betrieben mittlerer Grösse sind sie heute Teil des Investitionsstaus.Foto: Stock Resort

Umgekehrt zeigen solche Konzepte einen anderen grossen Kardinal-Fehler der Wellness-Branche in ganz Zentral-Europa auf: Pool und Sauna erwartet der Gast – auch bei Tiefstpreisen – grundsätzlich als "all-in" Service. Die bittere Erkenntnis daraus: "Wir haben es als Branche versäumt, uns Extra-Leistungen auch gesondert zahlen zu lassen", so Altewischer.

Der Wellness-Experte beobachtet zudem, dass das Wellness-Angebot immer zielgruppen-spezifischer wird. So werben Business-Hotels wie z.B. das 303 Zimmer grosse Hyatt im Medienhafen Düsseldorf mit Wellness, bieten auf 485 qm lediglich einen "grossen Whirlpool" an. Dafür garantieren sie ihrer Geschäftsreisenden-Klientel wie auch Einheimischen täglich Behandlungen über 14 Stunden hinweg, von 9-23 Uhr.

Demgegenüber hat das familiengeführte Ferienhotel mit Wellness-Bereich kaum noch Chancen – oder doch? In den ersten zehn Jahren des neuen Jahrtausends habe der Mut viele mittelständische Unternehmer verlassen, Investitionen wurden vernachlässigt. "2005 haben viele eine neue, erweiterte Saunen-Landschaft oder neue Pools gebaut, 2015 hätte man diese aus Wettbewerbsgründen schon wieder renovieren können", hat Altewischer beobachtet. Gleichzeitig steigen die Energiekosten weiter, ebenso die Kosten für Distribution, da die Preise für Wellness-Urlaub heute massiv von den OTAs gedrückt werden; die margen-nagenden Kommissionen bleiben trotzdem stehen. "Kurztrips über Booking & Co zu buchen, ist heute für das jüngere Klientel üblich, wie wir aus unserer eigenen Umfrage mit beauty 24 aus 2019 wissen. Aber das Preisdiktat der Distributionskanäle können nur die Hoteliers selbst beenden", so Altewischer.

Erfolgreicher ohne Wellness-Label

Gleichzeitig erhöht der Fachkräfte-Mangel die Verwundbarkeit der Wellness-Branche massiv: Nicht nur Kosmetiker(innen) sind absolute Mangelware. In Folge können einzelne, über viele Jahre hinweg erfolgreiche Betriebe ihr Wellness-Angebot nicht mehr sicherstellen. Das Resultat: In Deutschland haben einzelne Häuser inzwischen ihr Wellness-Siegel freiwillig abgelegt und/oder sind sogar aus Kooperationen ausgetreten. Andere entfernten den Begriff Wellness aus ihrer Hotel-Beschreibung und schrumpften sich selbst wieder zum "Hotel mit Schwimmbad". Doch das muss nicht immer negativ ausgehen.

Peter Staudacher entfernte 2008 aus dem Namen seines 4-Sterne-Hotels Staudacherhof in bester Lage von Garmisch-Partenkirchen den Zusatz "Wellness-Residenz": Der Eigentümer stieg damit aus – raus aus dem sich anbahnenden, ungleichen Wettbewerb mit den Quadratmeter-Riesen, die wenige Kilometer weiter auf österreichischer Seite entstanden – und dann auch noch dank geringerer Auflagen mit 30% weniger Kosten trumpfen konnten.

Yoga, von Menschen für Menschen: Ein gewohntes Bild im Spa-Garten des famiiengeführten Staudacherhofs in Garmisch-Partenkirchen. Das Hotel hat Wellness auf seinen wahren Kern reduziert - und ist glücklich damit.Foto: Staudacherhof

Das Hotel hat sein sechsköpfiges Therapeuten-Team um die Hälfte reduziert, der nominale Umsatz hat sich halbiert, aber der Pro-Kopf-Umsatz der Therapeuten blieb hoch und stabil. "Doch damit hatte ich auch weniger Personal-Sorgen und die drei Therapeuten sind top und schon seit Jahren im Haus. Unser Wellness-Umsatz ist heute stabil, er kommt nur von anderen Gästen".

Staudacher hat gelernt, radikaler zu denken, zu kalkulieren und gleichzeitig authentisch zu bleiben. Seit 110 Jahren lebt es sich in diesem Hause gut, und der neue Namenszusatz "Bavarian History & Lifestyle Hotel" erzeugt Begeisterung, wenn es zusätzlich noch mit einem unverändert 1.400 qm grossen Wellness-Bereich aufwartet. Das USP des Hotels, "Bayurveda" – eine Fusion aus bayerischer und ayurvedischer Küche samt Stoffwechsel-Kur – hat er sich schützen lassen. Aus dem Private Spa machte er eine Yoga-Schule, und statt drei Kosmetik-Linien gibt's jetzt nur noch eine. All diese Veränderungen haben keinen Gast aus dem Haus getrieben.

Der Staudacherhof bleibt bodenständig und realistisch. Das überträgt sich: Die Bewertungen der Gäste sind hervorragend. Auf diese Weise sieht das Familien-Unternehmen dem neu aufkommenden Wettbewerb vor Ort gelassen entgegen: Mindestens drei Hotels mit Wellness sind derzeit in Garmisch-Partenkirchen und dem Nachbarort Mittenwald geplant.

"Wir cremen die Gäste nur ein"

Das Beispiel Staudacherhof zeigt: Es geht nicht um Grösse, sondern um Qualität. Die Gäste schätzen – vor allem in Behandlungen – die persönliche Ansprache und eine individuelle Therapie. Fehlt ihnen die menschliche Zuwendung, bleiben sie fern. Dann ist der Umsatz ist weg. Und angesichts der hohen Wellnesshotel-Dichte in einzelnen Regionen bleiben die anspruchsvollen, verwöhnten Gäste bereits weg, wenn die Qualität der Therapeuten nicht mehr Top-Level hat.

Den familiengeführten Wellness-Betrieben fehlt häufig der "Kümmerer", eine Vertrauens- und Betreuungsperson für die Gäste. Ein guter Geist, der Stimmungen und Schwingungen rund um den Wohlfühl-Aufenthalt aufnimmt und in Service umsetzt. Fühlt der Gast sich umsorgt und verwöhnt, spielt es heute – anders als vor 20 Jahren – auch keine Rolle mehr, ob man die Behandlungsminute mit 1,40 oder 1,70 Euro kalkuliert.

"Viele Wellness-Hoteliers haben ausserdem noch nicht erkannt, dass man heute auch kleine Erlebnisse für die Seele erschaffen sollte, z.B. eine Lesung aus einem Buch oder eine kurze Meditation bei Sonnenuntergang", nennt Altewischer zwei Beispiele für die holistische Wellbeing-Erfahrung, die seit jeher Körper, Geist und Seele umfasst. Die Gäste erwarten dies alles, weil sie heute oft mehr Wellness-Hotels gesehen haben als ihr jeweiliger Gastgeber.

Der österreichische Wellness-Berater Dr. Franz Linser, Geschäftsführer von Linser Hospitality, formuliert das aktuelle Wellness-Drama so: "Unsere Gäste kommen mit echten Problemen zu uns und was machen wir? Wir cremen sie ein."

Matthias Brockmann: Jeder und alles muss flexibler werden.Foto: Travel Charme Hotels

Flexibler und schärfer in die Zukunft

Der Wellnessmarkt Deutschland hat damit nach 20 Jahren eine nüchterne Wende genommen. Wie geht es weiter? "Unsere Mitglieder wissen, sie müssen sich künftig gezielt positionieren und wir begleiten sie auf diesem Weg", sagt Altewischer. Wellness lässt sich kaum noch nach dem Muster 'One size fits all' vermitteln, sondern müsste künftig den unterschiedlichen Lebensphasen angepasst werden. Was wünschen sich 30-, 50- und 60-Jährige?

Michael Altewischers Fazit: Das klassische Thema Verwöhn-Wellness im Hotel hat noch lange nicht ausgedient, aber es gerät, vor dem Hintergrund der Vergleichbarkeit, zunehmend in eine preisliche Abwärtsspirale. Wer nicht rechtzeitig eine glaubwürdige, zusätzliche Alternative zur Verwöhn-Wellness entwickelt, hat es zukünftig schwerer.

All diese Fragen stellen sich nur Kooperationen bzw. mittelständische Familien-Unternehmer, sondern auch grössere Hotelgruppen. Matthias Brockmann, Geschäftsführer der Travel Charme Hotels & Resorts, ist mit Blick auf den Hardware-Overkill der vergangenen Jahre ebenfalls fest davon überzeugt: "Wir brauchen keine Wellness-Tempel mehr, wir müssen uns der Entwicklung schneller und flexibler anpassen". Mit neun Hotels in Operation und fünf Häusern in Planung, Bau oder Umbau, ist Travel Charme die einzig grössere Gruppe im deutschsprachigen Markt, deren DNA aus Wellness besteht.

Brockmann und sein Team denken konkret über flexiblere Behandlungsräume nach, über weniger Fitness-Geräte und weniger Thalasso-Wannen. Auch überholte Hot Stone oder Lomi Lomi-Massagen sollen verschwinden. Man müsse regionaler denken, die Konzepte schärfer zuschneiden… Nur von einem will Travel Charme nicht weg: dem Aussenpool. Auch wenn sein Unterhalt noch so teuer ist – 30 Grad Wasserwärme im Winter müssen garantiert bleiben, um "instagrammable" zu bleiben. Das Marketing lässt grüssen – und die Österreicher: Im Land der Wellness-Pioniere hat jedes neue Wellness-Resort inzwischen einen Aussenpool, vor der Bergkulisse oft dramatisch in Szene gesetzt. Darauf fliegen alle Gäste. Über alle Länder-Grenzen hinweg üben die Österreicher damit massiven Druck auf die übrigen Wellness-Betriebe aus, in Deutschland, Südtirol/Italien, in der Schweiz und sogar in Ungarn. Der Wettbewerb kennt halt keine Grenzen mehr. / Maria Pütz-Willems

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