Der Hygiene Marathon beginnt Aufbruch zur Safe Journey Grosse Programme kleine Details und null Mut
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Der Hygiene-Marathon beginnt

Aufbruch zur "Safe Journey": Grosse Programme, kleine Details und null Mut

Hygiene-Massnahmen leicht verständlich kommuniziert von den Living Hotels.Foto: Living Hotels

München. Die ersten Hotels haben Hygiene-Manager eingestellt, die ersten Häuser empfangen ihre Gäste mit UV-Desinfektionsboxen fürs Handy und mit Thermometern. Viel Hygiene, viel Vertrauen, viele Gäste – auf diese Logik setzen derzeit alle Ketten und haben umfassende Hygiene-Programme lanciert. Ist das wirklich so einfach? Und wo liegen die Unterschiede in den Massnahmen? Alle sind emsig, aber einen Aufschlag für die zusätzlichen Hygiene-Kosten will niemand an den Gast weitergeben. Ein Beitrag von Sylvie Konzack und ein Kommentar von Maria Pütz-Willems.

Die Aufmerksamkeit war gross und laut, als sich Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger Mitte Mai im Münchner Westin Grand Hotel die neuen Hygiene-Massnahmen zeigen liess. Die 27 Mitglieder der Kooperation Munich Hotel Alliance hatten sie unter dem Motto "Welcome Back" zusammengestellt. Ein Checkin-Foto mit Schutzmaske, der Rundgang durch den deutlich weniger bestuhlten Ballsaal, zudem der Besuch des Paulaner Wirtshauses, bei dem sich der Minister beim Probesitzen schon Plexiglas zwischen allen Tischen vorstellt…

"Unsere Gäste erwarten zu Recht Lösungen von uns, die haben wir heute geliefert", betonten die Münchner Hotel-Manager Paul Peters und Holger Schroth. Es war PR pur – für den Minister. Und fast schon Betteln um Vertrauen – für die Hoteliers. Verschleiert blieb der Fakt, dass dahinter eine Mega-Massnahme steckt, die die Hoteliers viel Geld kostet und die hohen Fixkosten für die nächsten Monate weiter steigert – bei anhalten geringeren Umsätzen als in den Vorjahren. Steigenberger-CEO Thomas Willms sprach im hospitalityInside-Interview am 15. Mai über Beträge von 5 bis 10 Euro allein für die Reinigung pro Zimmer.

Mit den ersten Wiedereröffnungen ächzten die ersten Gastronomen bereits unter den hohen Hygiene-Auflagen bei verhaltenem Gästeandrang und machten teilweise wieder zu. Auch Anzeigen von Gästen, die Mitarbeiter ohne Mundschutz fotografieren, sorgten für Unmut.

Die Hotel-Betriebe, die derzeit fast überall hochfahren, wollen sich davon aber noch nicht entmutigen lassen. Seit Wochen basteln sie an Hygiene-Programmen und sind im Austausch mit Gästen und Firmen, die vor allem die neue Sicherheit als das neue Komfort-Versprechen suchen. Thomas Willms warb im Mai im Steigenberger Hotel München dafür, COO Jörg T. Böckeler im neuen Dorint-Hygiene-Film – die Unternehmensspitzen und ihre General Manager werben bei Kunden und Presse um Vertrauen. Hygiene ist Chefsache.

Dorint Hotels: Ein neuer Hygiene-Manager schult auch die Mitarbeiter der einzelnen Hotels.Foto: DHI

Die Massnahmen sind dabei vielerorts sehr ähnlich, weil es überall um die Aspekte Zugangsbegrenzung, Abstandsregelung, Personen-Leitsysteme, Mund-Nasenschutz sowie Desinfektionspunkte geht. "Digitale Hygiene-Massnahmen" erfahren dabei schon vor der Anreise einen Schub: Bei der Plaza Hotel Group z.B. bekommt jeder Gast eine digitale Gästemappe vorab zugesendet. Der Meldeschein kann unterwegs online ausgefüllt werden, oder der Gast nutzt dafür bei der Ankunft sein eigenes Smartphone dafür. Etliche Hotels und Hotelgruppen verweisen zugleich auf die digitale Zusendung von Zimmercodes für einen kontaktlosen Checkin.

Neue Jobs: Hygiene- und Emotions-Manager

Zugleich werden in den Lobbys und beim Vor-Ort-Checkin neue Hygiene-Massnahmen am Augenscheinlichsten sein – in unterschiedlichen wie kreativen Nuancen. Bei Lindner Hotels etwa weisen Pappaufsteller von Fussballern oder Turngeräte auf notwendige Abstände hin, und der Gast online oder selbst am Terminal einchecken, was der Hotelgruppe zufolge sehr gut angenommen wird. Bei Steigenberger tragen die Mitarbeiter auch hinter der Plexiglas-Scheibe einen Mund- und Nasenschutz, der verwendete Stift zum Unterschreiben landet sofort in der Schale für die Desinfektion.

Bei Dorint fordert der Mitarbeiter an der Rezeption die Zimmerkarte an, und der Gast kann sie selbst aus dem Gerät entnehmen. Ausserdem sorgt in jedem grösseren Dorint-Hotel künftig ein "Lobby Manager" für Orientierung und Ordnung und damit für etwas mehr Menscheln beim neuen "Ankommen mit Abstand". Diese Aufgabe übernehmen langjährig erfahrene Rezeptionisten.

Zudem gibt es einen frisch ernannten Hygiene-Manager für die ganze Gruppe: Philipp Kramer, seit Herbst 2019 bereits als Manager Quality & Audit bei Dorint Hotels. Er entwickelte jetzt einen Leitfaden für alle Hotel-Bereiche und eruierte, welche mit einem Gütesiegel versehen werden könnten.

Hygiene-Verantwortliche haben sich aktuell viele Ketten in unterschiedlichem Umfang auf die Fahnen geschrieben. Bei Four Seasons soll es für jedes Haus einen geben, bei IHG helfen "Clean Champions" den Gästen und Kollegen vor Ort, die erhöhten Reinlichkeits-Standards umzusetzen. Meliá plant einen Ansprechpartner für das "emotionale Wohlbefinden".

Ein Extra-Portion Hygiene bringen Living Hotels ein: Am Empfang stehen UV-Desinfektionsboxen für Handy, Tablet etc. – und Thermoscans. "Hier haben wir schnell gemerkt, dass es wichtig ist, dass auch wir von Hotelseite dieses Tool selbst nutzen. Wenn wir als Mitarbeiter unsere Temperatur messen lassen und die Gäste sehen, wie unkompliziert es ist, ist der Nachmach-Effekt viel schneller gegeben und man kommt so mit den Gästen ins Gespräch", sagt Lorenz ter Veen, COO von Living Hotels. Die Scans sind sichtbar im Eingangsbereich installiert, aber jeder Gast kann den Test für sich vornehmen. Die Mitarbeiter sehen nicht, wie das Lämpchen aufleuchtet, auch Daten werden nicht gespeichert – all das wird klar kommuniziert. Überhaupt sei die Kommunikation mit dem Gast über die Hygiene-Massnahmen geradezu elementar. Auch bei Fleming's stehen an der Rezeption kontaktlose Infrarot-Thermometer für Mitarbeiter und Gäste bereit. Kempinski wird dies in Deutschland nicht anbieten, auch wenn Fiebermessen in den Häusern in China obligatorisch ist.

Frühstück im Zimmer, Frühstück To Go und mehr: Die Hotellerie wird kreativ.Foto: unsplash Alex Block

Reinigen, vernebeln, versiegeln

Die Zimmer sind leerer und schmuckloser geworden. Nicht nur Steigenberger hat Schreibutensilien, Tablets, Zierkissen und mehr eliminiert. Fernbedienungen werden extra verpackt. Bei Kempinski gibt es in jedem Zimmer künftig Maske und Mini-Desinfektionsmittel als Standard-Amenities. Living Hotels reinigen noch intensiver als zuvor mit Ozongeräten die Luft in den Zimmern. Dorint will die Zimmer mit Langzeit-Desinfektionsmitteln vernebeln, die bis zu 30 Tage anhalten. Vernebelungen sind auch bei Motel One und H-Hotels ein Thema.

Grundsätzlich sollen trotz häufigerer Reinigung die Kontaktpunkte in den Zimmern durch Personal verringert werden. Bei Althoff Hotels soll man künftig an der Rezeption "beantragen" können, dass niemand das Zimmer während des kompletten Aufenthalts betritt. Radisson hängt Anhänger an die Tür, die über Reinigungs- und Desinfektionsverfahren informieren. Hilton ist dabei, ein "Hilton CleanStay Zimmer-Siegel" zu entwerfen. Dieses Papier-Label versiegelt buchstäblich die Tür: So erkennt jeder anreisende Gast, ob der Kleber noch unberührt ist oder schon aufgebrochen wurde. So viel sichtbare Fürsorge erhöht das Sicherheitsgefühl des Gastes sofort.

Kosten umlegen oder nicht?

Für das Thema F&B nach Corona erlebt vielerorts bereits der Room Service eine Renaissance. Die Mitglieder der Munich Hotel Alliance bieten dazu Bentobox-Systeme an – auch perspektivisch geeignet für Tagung und Events. Beim Frühstück setzen nahezu alle Ketten auf verlängerte Frühstückszeiten und Frühstück in Schichten, auf A-la-Carte, eine Menü-Auswahl oder Frühstück To Go.

Das alles kostet – sei es in der Anschaffung als auch im Personalaufwand. Doch auch Thomas Willms zögert – wie viele Hoteliers, wie hospitalityInside.com aus etlichen Telefonaten weiss –, diese Mehrkosten auf den Gast umzulegen. Auch Living Hotels "tragen die Investitionen für alle Massnahmen als Unternehmen gänzlich selbst"; diese bewegen sich laut, COO Lorenz ter Veen, "klar in einem sechsstelligen Bereich". Hygiene-Pauschalen oder Preiserhöhungen wären eigentlich ein Muss, das sagen alle in diesen Wochen hinter vorgehaltener Hand. Aber die Angst vor einem Preiskrieg ist auch schon ohne das gross.

Bleibt die Frage: Bringt viel auch viel? Wenn die Botschaft ankommt, dass Hotels extrem engagiert sind und zu den sichersten Stationen während der Reise zählen – vor allem bei internationalen Gästen, dann wäre ein wichtiges Ziel erreicht.

VDR-Präsident Christoph Carnier sagte noch letzte Woche im Gespräch mit diesem Medium: "Es besteht grundsätzlich kein Misstrauen gegenüber der Branche. Hotels sind keine Gefahr während der Reise." Und wer in der Vergangenheit in einem unsauberen Hotel war, habe dieses danach auch gemieden.

Die Entscheidung darüber werden aber letztlich die Geschäftsreisenden-Massen fällen, nicht die Touristen. Die Erholung im Business Travel lässt allerdings noch länger auf sich warten. Das heisst: Das Thema Hygiene entwickelt sich für die Hotels – so oder so – zur Dauer-Disziplin.

Momentan sorgen die verwirrenden Regelungen in den 16 deutschen Bundesländern noch für Konfusion auf der Seite der Firmen und Travel Manager. Auch Kooperationen mit Labor-Dienstleistern, Versicherungen, Zertifizierungsunternehmen und anderen tragen wenig zur Transparenz nach Aussen bei. Das Thema Hygiene-Sicherheit entwickelt sich trotzdem zur neuen ausschlaggebenden Buchungsentscheidung. / syk


Kommentar:
Der Hygiene-Aufschlag muss sein


Mein Friseur verlangt jetzt drei Euro Hygiene-Aufschlag pro Besuch; das ist sehr moderat. Meine Freundin hat den doppelten Preis gezahlt; das ist Wucher für ein-, zweimal Händedesinfizieren am Ständer und für eine billige, nicht anpassungsfähige Nasen-Mund-Maske. Aber ich kenne keine Frau, die diesen Aufschlag verweigert hat.

Und dann will die Hotellerie ihre Kosten nicht an den Gast weitergeben? An einen Reisenden, der über mehrere Tage ein "steriles" Zimmer erwartet, sich nur darin aufhält und Room Service kommen lässt? Und der die gleiche Hygiene in jedem anderen Hotel-Winkel ebenfalls erwartet?

Die Branche begeht gerade wieder grosse Fehler: Sie hat mal wieder kein Selbstbewusstsein, keinen Mut und keine Ahnung von Marketing. Wenn ein – akzeptiertes – Credo heisst: "Wir verkaufen kein Zimmer, sondern guten Schlaf", dann müsste die aktuelle Message lauten: "Wir verkaufen kein desinfiziertes Zimmer, sondern Sicherheit und Gesundheit bis in Zimmer".

Die Entscheidung, im Hotel Mustermann abzusteigen, fällt zudem schon lange vorher – durch die Reiserichtlinien der Travel Manager oder durch das Vertrauen in die einzelne Hotelmarke. Das Gefühl von Sicherheit und Gesundheit entsteht lange vorher im Kopf des Reisenden, nicht erst beim Einsteigen ins Flugzeug, in den Zug oder später an der Rezeption. Airlines und die Bahn werden die Hygiene-Zusatzkosten mit einpreisen – und erst gar nicht darüber sprechen.

Das neue Vertrauens-Marketing muss deshalb auch schon früher ansetzen, z.B. durch Videos auf der Webseite, die exakt dokumentieren, was das Hotel für den "sicheren" Aufenthalt tut. Damit man schon beim Online-Buchen ein gutes Gefühl entwickelt…

Hotels, die jetzt nicht mehr verlangen und damit ihre Zusatzkosten kompensieren, tragen weiter zu ihrem eigenen betriebswirtschaftlichen Selbstmord bei. Ich glaube, dass der Gast durchaus bereit ist, für Hygiene mehr zu bezahlen – auf jeden Fall mehr als für Öko-Massnahmen. Schliesslich geht es hier um seine ganz persönliche und direkt spürbare körperliche Unversehrtheit. / Maria Pütz-Willems

 

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