Der Sonderweg rächt sich Schwedens Hotellerie leidet durch den deutlich späteren Re Start
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Der Sonderweg rächt sich

Schwedens Hotellerie leidet durch den deutlich späteren Re-Start

Schweden, ein traumhaftes Urlaubsland. Internationale Reisende stellen jedes Jahr 50% der Gäste. Jetzt fehlen sie.Foto: Ulf Lundinimagebank sweden.se

München. Nein, das Mittsommer-Geschäft ist für Susanne Andersson Pripp nicht ins Wasser gefallen. "Weil es ohnehin in Schweden ein Familienfest ist, bei dem die meisten nicht verreisen", sagt die Inhaberin des Best Western Hotell Ett und Best Western Hotel Gamla Teatern in Östersund, einer 50.000-Einwohner-Stadt in der Mitte Schwedens. Ansonsten ist aber alles, wovon die beiden Hotels zehren, abgesagt oder nicht existent. Trotz aller guten Vorsätze ist der schwedische Sonderweg in einer Sackgasse gelandet. Die Branche leidet und ist jetzt einer der Spätzünder im europäischenMarkt.

In diesem Jahr gab es kein Musikfestival, keinen Fussball-Cup und seit Monaten kaum internationale Gäste, die in den Häusern normalerweise 50% der Gäste ausmachen. Hochgerechnet verzeichnet Hotel-Inhaberin Andersson Pripp seit März nicht mehr als 15% Auslastung, und eine Änderung ist nur schleppend in Sicht.

Auch bei den schwedischen Platzhirschen Scandic und Radisson klingt mit Blick auf die letzten Monate nicht mehr Zuversicht durch. "Das schwedische Gastgewerbe macht die härtesten Zeiten durch, an die ich mich je erinnern kann", sagt Peter Jangbratt, Country Managing Director von Scandic Sweden. "Im Januar und Februar sahen wir eine gute Nachfrage. Der dramatische Rückgang folgte im März, als die Belegung des schwedischen Marktes auf etwa 11% zurückging." Vor allem die grösseren Städte seien von der Krise getroffen gewesen, "wenn auch insgesamt geringer als in den anderen nordischen Ländern durch die weniger weitreichenden staatlichen Beschränkungen".

Scandic liess alle 84 Häuser in Schweden geöffnet, "aber mit einer immens reduzierten Anzahl von Gästen und Team-Mitgliedern in unseren Hotels", so Peter Jangbratt. Die internationale Klientel brach durch die Reise-Beschränkungen der Corporate-Kunden in den nordischen Ländern ein. "Unternehmen und Stammkunden von Scandic, die in nicht Covid-19-betroffenen Sektoren tätig waren, blieben uns dagegen weiterhin treu", sagt der Country Managing Director.

Peter Jangbratt: Scandic liess alle 84 Häuser in Schweden geöffnet.Foto: Scandic Hotels

Auch Radisson liess in den letzten Monaten alle Radisson Blu und Radisson Collection Hotels in Schweden weiter geöffnet. Über Belegungszahlen will man sich aber nicht äussern und verweist lieber auf ungewöhnliche Aktionen. Statt Veranstaltungen fanden z.B. im Stockholm Waterfront Congress Center mit einem Labor Covid-19-Massentests statt. Maria Tullberg, die Direktorin des Radisson Blu Waterfront Stockholm, sagt: "Wir haben die Gelegenheit gesehen, während dieser herausfordernden Pandemie einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und unseren Team-Mitgliedern etwas Positives zu bieten, auf das wir uns konzentrieren können."

Kein Sonderweg für die Hotellerie

Etwas Positives bieten, Verantwortung übernehmen statt zu verbieten: Hygge und Lagom, Gemütliches und Masshalten – mit diesen Attributen haben Schweden und Schweden-Kenner in den letzten Monaten häufig den schwedischen Sonderweg erklärt und verteidigt. Bilder von lebendig gefüllten Restaurant-Terrassen, Menschen in Ski-Liften und offenen Kindergärten wie Schulen sorgten weltweit für Bewunderung bis Kopfschütteln. Die Möglichkeit, doch nicht alles herunterfahren und schliessen zu müssen, wurde interessiert verfolgt.

Für die Hotellerie in Schweden scheint der allgemeine Sonderweg aber kein Sonderweg im europäischen Branchenvergleich zu werden. Der Hotelmarkt ist hier genauso eingebrochen wie im Rest Europas und der Welt – und er könnte sich jetzt noch schwerer erholen als andernorts.

Sank im März laut STR die Auslastung der schwedischen Hotellerie auf 29,3%, lag sie im April nur noch bei 10,3%. Auch die Airbnb-Co-Gastgeberfirma SwedBNB verzeichnete – laut Magazin "Short Time Rentalz" – im März etwa 80% Buchungsstornierungen sowie weitere 10% im April.

Seit Mitte März hatten viele Länder weitreichende Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sowie Reise-Warnungen ausgesprochen. Die Grenzen Schwedens standen zwar offen, aber ein Verreisen nach Schweden war seitens vieler Länderbehörden oder Arbeitgeber nicht gestattet. Und wer trotzdem fuhr, musste mit einer zweiwöchigen Quarantäne bei seiner Rückkehr rechnen.

Zugleich galten für die Branche, wie in anderen Ländern, amtliche Restriktionen. Bis heute dürfen keine Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern stattfinden. Hotels, Restaurants, Bars etc. unterliegen seit Ende März spezifischen Vorschriften, die vom schwedischen Gesundheitsamt und den County Medical Officers kontrolliert werden und ggf. auch behördliche Schliessungen zur Folge haben können. Dazu gehört vor allem, dass keine Warteschlangen an der Rezeption, Bar oder am Buffet entstehen sollen. Begrenzungen der Personenzahl auf einem Gelände können ausgesprochen werden.

Die Restaurants standen offen, viele Schweden blieben aber trotzdem zu Hause.Foto: Tina Stafrenimagebank sweden.se

In den Hotels und Restaurants sollen Hygiene-Massnahmen eingeführt werden, die die weitere Ausbreitung der Pandemie verringern. Susanne Andersson Pripp in Östersund hat in ihren Hotels z.B. seit Wochen das Hygiene-Programm von Best Western im Einsatz. In den schwedischen Scandic-Häusern greift das Programm "#StaySafe at Scandic" mit intensivierten Reinigungszyklen und einem überarbeiteten F&B-Angebot mit einzelnen Frühstückskartons oder einem ausschliesslichen Servieren am Restaurant-Tisch.

Drohende Massenarbeitslosigkeit

Die Restaurants standen offen, viele Schweden blieben aber trotzdem zu Hause, um ihren Beitrag zum Stopp der Pandemie zu leisten. Genauso hielten sich die Schweden ans Abwägen, ob ein Aufenthalt in einem Hotel bzw. die Reise wirklich notwendig ist. Das Prinzip der schwedischen Eigenverantwortlichkeit griff, wie von der Regierung und den Virologen erhofft. In den Hotels und Restaurants herrschte damit weitgehende Leere.

In einer Pressemitteilung vom 7. April 2020 schlug der Branchenverband Visita Sweden Alarm: In ganz Schweden hätten bereits mindestens 30.000 Menschen ihre Kündigung erhalten, viele Unternehmen seien bereits bankrott. Die Bedeutung der Branche sei wiederum zu gross, um nicht gerettet zu werden: 2018 hat die schwedische Hotellerie, laut Swedish Tourism AB, einen Umsatz von 296 Milliarden SEK erwirtschaftet und 169.000 Arbeitsplätze bereitgestellt. Ende Mai veröffentlichte Visita die Ergebnisse einer Studie mit dem schwedischen Umfrage-Institut HUI, wonach bis zu 80.000 Arbeitsplätze verschwinden könnten und 9.000 Unternehmen der Hotel- und Restaurant-Branche gefährdet seien. Dies trotz starker Kürzungen und bestehender Krisen-Unterstützung.

Die Regierung hat spät, aber immerhin reagiert, finden viele. Dazu gehören vor allem reduzierte Arbeitgeber-Beiträge und ein Mietsenkungssystem. Auch die Pakete zur Deckung kurzfristiger Fixkosten wären sehr willkommen gewesen, sagt Peter Jangbratt von Scandic: "Langfristig wird die staatliche Hilfe je nach Dauer der Krise aber erhöht werden müssen." Eine Forderung, die auch die Verbände klar formulieren. "Die Unterstützungsleistungen müssen auf Mai und Juni ausgeweitet werden", sagt Susanne Andersson Pripp als Vorsitzende der Swedish Tourism AB, der 170 touristische Unternehmen und Organisationen angehören.

Die schwedischen Hotels sind noch fast leer, genauso wie die Seen.Clive Tompsettimagebank sweden.se

Und Thomas Jakobsson, Chef-Ökonom bei Visita Sweden, erklärt gegenüber hospitalityInside.com: "Wir sind dankbar für die Unterstützung, die entwickelt wurde, und für die Geschwindigkeit, mit der sie entwickelt wurde. Wir sind jedoch besorgt, dass die Politiker angesichts der geänderten Reise-Empfehlungen jetzt ihre Hände in den Schoss legen. Die schwedischen Hotels sind noch fast leer, und die Buchungssituation ist prekär. Die unterstützenden Massnahmen müssen so schnell wie möglich verlängert werden, da sonst die Schliessung von 25% der Unternehmen der Hotellerie zu erwarten ist. Dies wird wiederum zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit führen."

Skeptische Nachbarn

Die Situation bleibt in Schweden prekär, weil Schweden bisher in den Lockerungswellen vieler Staaten aussen vor bleibt. Neben Deutschland zögern selbst die befreundeten Nachbarn Dänemark und Norwegen mit dem Erlass der Reise-Warnungen. Zu gering scheint noch das Vertrauen mit Blick auf die hohe Zahl an aktuell mehr als 5.300 Toten bei über 70.000 Infizierten im Vergleich zu rund 10 Millionen Einwohnern, zu frisch die gestiegene Zahl an Neuinfektionen im Juni. War bisher vor allem der Grossraum Stockholm mit den angrenzenden Regionen und die Regionen Örebro und Jämtland betroffen, so wurde mit der Ausweitung der Testkapazitäten insbesondere im Grossraum Göteborg und Jönköping eine erhebliche Zahl von Fällen nachgemeldet.

Aktuell sinken die Neuinfektionen wieder, aber Schweden selbst rät noch bis 15. Juli 2020 zu Reisen in die meisten Staaten ab. Lediglich für zehn Länder hat die Regierung mit Stichtag 30. Juni 2020 gerade ihre Empfehlung abgegeben – für die Urlaubsländer Spanien, Italien und Griechenland sowie Belgien, Frankreich, Island, Kroatien, Luxemburg, Portugal und die Schweiz. Nicht dazu gehören Deutschland, Dänemark, Norwegen und Finnland, weil diese Länder ihre Grenzen für Reisende aus Schweden nicht geöffnet hätten, sagte Aussenministerin Ann Linde bei einer Pressekonferenz.

Die Norweger und Deutschen hatten 2018 mit Abstand die meisten Übernachtungen im Land erzeugt. Der Stachel sitzt tief.

Willkommen im sicheren Schweden: Der Branchenverband wirbt mit diesem Label.Foto: Visita

Nur ganz wenige Auslandstouristen

Den Re-Start der schwedischen Hotellerie hemmen die zögerlichen Grenzöffnungen in jedem Fall, die Hoffnungen ruhen in diesem Jahr deshalb hauptsächlich auf dem Inlandstourismus. Seit Anfang Juni empfiehlt die Regierung wieder Reisen innerhalb Schwedens. Die Zahl der Ferienhaus-Buchungen ist bereits gewachsen. "Wir können sehen, dass die Anzahl der Buchungen aufgrund der geänderten Reise-Empfehlungen für Inlandsreisende gestiegen ist, aber es sind nicht einmal so viele wie im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres, zudem gab es bereits eine viel höhere Anzahl bestehender Buchungen", bleibt Thomas Jakobsson von Visita Sweden ernüchtet. Er fürchtet zudem, dass viele Tagestouristen in diesem Jahre auf die Sparbremse drücken. "Wir erwarten auch, dass der ausländische Tourismus in diesem Sommer minimal sein wird und dies zu einem grossen Umsatz-Verlust führen wird."

Um dem unsicheren Sommer zu begegnen, haben mehrere Gemeinden bereits begonnen, in Kampagnen und Initiativen zu investieren, die Einheimische zu Ausflügen in der Umgebung anlocken sollen. Visita hat eine Informationskampagne gestartet, die mittels Broschüren und "Safe to Visit" -Aufklebern das Vertrauen in die Hygiene-Massnahmen der Hotels und Restaurants fördern soll.

Trotz aller Bemühungen sind die Ein- und Ausreise-Lockerungen der einzelnen Länder zum Zünglein an der Wage geworden. Vom Aufschwung, der sich in Europa vielerorts zaghaft zeigt, profitiert Schweden nur dann, wenn die Infektionszahlen im Land weiter sinken und der weitere Weg Schwedens Vertrauen bei Regierungen und internationalen Gästen schafft. So gesehen scheinen sich gerade jene Länder schneller zu erholen, die frühzeitig das gesellschaftliche Leben heruntergefahren haben. Schwedens Sonderweg würde damit ein Stück weit enden und zur Aufholjagd werden. / Sylvie Konzack

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