Die Branche im Politik Poker ÖHV Jahreskongress 2023 Viele Krisen kaum Lösungen keine Einheitlichkeit
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Die Branche im Politik-Poker

ÖHV-Jahreskongress 2023: Viele Krisen, kaum Lösungen, keine Einheitlichkeit

Ein OEHV Kongress mit auch viel Selbstkritik und einer Premiere in Salzburg, im Hangar 7.Foto: Helge Kirchberger Photography_Red Bull Content Pool

Salzburg. Beim ÖHV-Kongress in Salzburg wurde nicht nur gefeiert, Österreichs Tourismusbranche hinterfragte auch die Rolle als selbst ernannter "Reiseweltmeister". Andere Länder und eine schleppende Politik halten die Branche unter Druck – entweder durch Bürokratie oder Parteien-Poker wie beim dringlichen Thema Migration und Arbeitskräfte. Die Hotellerie kämpft weiter.  

Rein statistisch ist der Titel, den Österreich gerne vor sich herträgt, durchaus gerechtfertigt: Betrachtet nach internationalen Gästeankünften pro Einwohner, kann allenfalls Malta und der eine oder andere Stadtstaat der Alpenrepublik das Wasser reichen. Hörte man beim jüngsten Kongress der Österreichischen Hoteliervereinigung – erstmals in der Stadt Salzburg – genau hin, so wurden immer öfter Deutschland oder Südtirol als vorbildlich bezeichnet. Dabei dominierten weniger selbstkritische Betrachtungen der Branche als die Kritik an der Politik.

Susanne Kraus-Winkler ist als Staatssekretärin Regierungsmitglied, aber nicht Tourismus-Ministerin wie es Elisabeth Köstinger war. Die Hotel-Expertin und Hotel-Unternehmerin Kraus-Winkler musste ihren Ex-Kollegen am Kongress Rede und Antwort stehen – stärker zu internationalen als streng österreichischen Diskussionen.

Auf neue EU-Einreiseformulare achten

So berichtete sie, dass sich die Tourismuswirtschaft auf das neue Einreise-Voranmeldesystem der Europäischen Union einstellen solle. "'EU Seamless Travel' setzen wir bereits um. Nach den nationalen Beschlüssen wird es eine sechsmonatige Vorlaufzeit geben. Daher wird es wohl mit April 2024 in Kraft treten", verwies sie auf die Neuerung, die alle Einreisenden aus bisher visa-befreiten Drittstaaten betreffen wird und dem US-System ESTA vergleichbar ist.

Musste als Staatssekretärin ihren Ex-Kollegen beim Kongress Rede und Antwort stehen: Susanne Kraus-Winkler.Foto: OEHV

Eher mit Ratschlägen als Infos trat der aus Österreich stammende Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, am ÖHV-Kongress auf. Er empfahl, die zahllosen Online-Leitfäden zu Förderungen bis 2027 besser zu nutzen, die "allen Tourismus-Akteuren eine angemessene Finanzierung ermöglichen". Weiterhin pries er das wohl noch in Aufbau befindliche neue Tourismus-Dashbord an, auf das ein Blick lohnt.

Migrationspolitik als Parteien-Poker

Zur Mitarbeiter-Problematik, in mehreren Panels diskutiert, bezog er klar Position: "Ich bin dagegen, Flucht, Asyl und Zuwanderung ständig zu vermischen. Aber es steht ausser Frage: Migration ist für Europa eine Notwendigkeit", sprach er sich für den Abbau bürokratischer Hürden für Zuwanderer aus Drittstaaten aus. Ein Thema, das auch von ÖHV-Präsident Walter Veit mehrfach angesprochen wurde: "Man sollte den jungen Menschen einen roten Teppich ausrollen, wenn sie zu uns kommen. Integration durch Arbeit muss die Devise sein, denn wer in einem Hotel arbeitet, kommt nicht auf die Idee, zu Silvester irgendwas anzuzünden."

Doch mit den offenen Armen für Menschen aus Drittstaaten, die er in Folge aber als zielgerichtete Einwanderung relativierte, ist Veit sich nicht unbedingt einig mit der regierenden, konservativen ÖVP. Diese fürchtet, bei einer Einwanderer-freundlicheren Linie noch mehr Wähler an die rechtspopulistische FPÖ zu verlieren, die gerade in tourismus-intensiven Regionen oft ihre besten Wahlergebnisse erzielt.

Auf Rückfrage unterstrich Veit aber seine Überzeugung, dass er mit seiner Linie die knapp 1.700 ÖHV-Mitglieder absolut repräsentiere. "Die Mitte geht nicht auf die Strasse, nur die radikalen Ränder. Die Mitte weiss, es braucht einen Zuzug in unseren Arbeitsmarkt, in unser Sozialsystem. Und natürlich muss man die, die schon da sind, auch arbeiten lassen, ohne jahrelange Verfahren zu führen." Er verweist vor allem auf das zweite Fachkräfte-Einwanderungsgesetz in Deutschland. "Deutschland hat die Zeichen der Zeit erkannt: Dort wandern jetzt die besten und fähigsten Kräfte hin. Müssen wir uns erst irgendwo ankleben, dass es bei uns etwas weitergeht?" fragte er rhetorisch in den Saal hinein.

'Man sollte den jungen Menschen einen roten Teppich ausrollen, wenn sie zu uns kommen', sagt Walter Veit.Foto: OEHV

Unterschiedliche Lösungen bei Abfederung der Energiekosten

Die Lösungssuche ging weiter zum Thema Energie. Nachdem Österreichs Regierung bei den Corona-Unterstützungen aufgrund des unbürokratischen "Giesskannen-Prinzips" auch mit Vorwürfen von Überförderungen einzelner Betriebe konfrontiert worden war, setzt man nun beim Energiepreis-Deckel wieder auf ein Antragsmodell: "Entscheidend ist doch die Senkung der Energiekosten. Gemeinsam mit der Abschaffung der kalten Progression und weiteren Massnahmen zur Stärkung der Kaufkraft wurden doch entscheidende Massnahmen gesetzt, damit sich die Leute weiterhin Urlaub leisten können", wollte sich Kraus-Winkler nicht alles schlecht reden lassen. Schliesslich habe man so dafür gesorgt, dass sich der Tourismus in Stadt und Land wieder Richtung Vorkrisen-Niveau bewege – abgesehen vom Januar, für den noch keine Zahlen vorliegen.

Das Lob der Branchenvertreter für den geöffneten Arbeitsmarkt Deutschland und die grosszügigere Abgeltung gestiegener Energiekosten hat eine politisch durchaus brisante Dimension. In Österreich regieren Konservative und Grüne, während sich Sozialdemokraten, Liberale und Rechtspopulisten in Opposition befinden. Dass ÖHV-Präsident Walter Veit trotz aller Kritik nicht wirklich auf sozialdemokratische Veränderung hofft, war an einem Detail zu erkennen: Die im ÖHV-Katalog enthaltene Forderung, stille Reserven zu aktivieren, weil die Buchwerte die Realität nur verzerrt abbilden, stellte Veit in seiner Rede selbst in Frage: "Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob es gescheit ist, die Eigenkapitalquote durch die Berücksichtigung der Verkehrswerte zu verbessern. Es sind politische Umbruchzeiten, die nicht unbedingt Veränderung zum Besseren mit sich bringen. Wenn wir unsere Bilanzen hinbringen, wo sie hingehören, dann nimmt man uns über Vermögens- und Erbschaftssteuern wieder etwas weg."

Alle einig: bitte nur Qualitätstourismus

Abgesehen von diesen politischen Details gab es jede Menge Übereinstimmung während des ÖHV-Kongresses. Etwa darüber, dass die Zukunft dem Qualitätstourismus gehören soll, dass die Tourismusstrategie auch nach Corona nicht gänzlich neu geschrieben werden muss und eine der wichtigsten Aufgaben zur Entlastung des Arbeitsmarktes die Verbesserung der Kinderbetreuung, besonders an Wochenenden und in Urlaubszeiten, sein muss.

Corona-Unterstützung: kein einheitliches Bild in DACH

Wie die Diskussion der Präsidenten der Hotelverbände in DACH zeigte, sind die Herausforderungen ähnlich, die Lösungen aber abseits rein betriebswirtschaftlicher Modelle durchaus unterschiedlich. Als es um einen Rückblick auf die Corona-Zeiten ging, klang das so: "Die Regierung musste zwar zuerst überzeugt werden, aber letztendlich sind wir sehr grosszügig entschädigt worden", gestand Otto Linder vom Hotelverband Deutschland ein [Anm.d.Red.: Beendet ist das Thema Entschädigung in Deutschland noch nicht; einzelne Hotelgruppen warten immer noch auf die letzten ihnen zustehenden Hilfen].

Manfred Pinzger vom Hoteliers- und Gastwirteverband Südtirol war da weniger glücklich: "Bei uns ist kaum Geld geflossen, vielleicht 10% der fehlenden Umsätze. Dafür gibt es jetzt Steuergutschriften, die wir beim italienischen Staat in den nächsten Jahrhunderten einlösen dürfen." Doch die Stärke der familiengeführten Privathotels zeige sich darin, dass es kaum Konkurse gab.

Nach der Kongress-Durststrecke durch Corona kamen jetzt rund 700 Teilnehmer zum 70. ÖHV-Geburtstag.Foto: OEHV

"Direkter Draht, gutes Lobbying, offene Hotels, die aber nur von Schweizern in Zwangsferien genutzt waren", bilanzierte Andreas Füllig von der hotelleriesuisse den Schweizer Weg. Positiv vermerkte er, dass es gelungen sei, Vorurteile zu korrigieren und das Image der Hotellerie im Land zu verbessern.

Österreich sei laut Veit wiederum gut über die sehr langen Schliesszeiten gekommen. Den Vorwurf der Überförderung habe die Tourismusbank ÖHT kontrolliert. "50 Bilanzen wurden untersucht, bei 48 entsprachen die Förderungen absolut den Notwendigkeiten, eine war demnach diskutabel und nur ein Betrieb hat durch die Unterstützungen sehr gut abgeschnitten", berichtete Veit.

Die Bilanz-Aufwertungsidee der ÖHV geht auf den Erfolg der HGV in Südtirol zurück. "Ich schätze, die Aufwertung zum Nulltarif haben sehr viele unserer Betriebe genutzt", sagte Pinzger. Zwar nütze das in der Kreditbeschaffung nur indirekt, aber steuerlich habe es sehr viel gebracht. "Da hat der italienische Staat einmal eine sehr gute Massnahme erlassen", lobte Pinzger die Regierung in Rom.

Die Kongress-armen Zeiten der vergangenen Corona-Jahre sorgten dieses Mal dafür, dass sich nur wenig Prominenz den Kongress anlässlich des 70. ÖHV-Geburtstages entgehen liess. Vor den 700 Teilnehmern illustrierte ÖHV-Präsident Veit fantasievoll, wofür dieser lange Zeitraum steht: Damals jubelte Österreich über Tourismus-Einnahmen im Gegenwert von 60 Millionen US-Dollar. Der – damalige – Fremdenverkehr sorgte so dafür, dass 1953 der Staat kein neues Defizit verzeichnete. Damals gab es in Wien sogar noch ein Skispringen. Damit sich ÖHV-Kongresse künftig weniger mit Diskussionen über die Zukunft des Wintertourismus bei ausbleibendem Schnee beschäftigen müssen, wurde zumindest der nächste Kongress erst auf April 2024 terminiert.

Auf der anderen Seite blickte der ÖHV-Kongress intensiv in die Zukunft. "Der Tourismus brachte Onlinekäufe, Bewertungsportale und Sharing Economy in unsere Büros und Wohnzimmer", erinnerte Veit. Nun soll die Branche bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz, Virtual Reality und Big Data wieder Schrittmacher sein. Nötig dafür seien Breitband und Leuchtturm-Projekte sowie Förderungen für bessere Schnittstellen zwischen Hotelsoftware, Vertriebs-IT und Payment Providern – und vieles mehr. Doch alles nütze wenig, wenn bei der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften in diesem Sektor nichts weitergehe.

Manches klingt dagegen einfach: So wartet der international längst umgesetzte digitale Meldeschein in Österreich seit 20 Jahren auf die Umsetzung. Genau so wie in Deutschland. Aber die Betonung liegt bei beiden Ländern aktuell immer noch auf dem Wörtchen "warten". / Fred Fettner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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