Die Branche im Sandwich der Wirtschaft
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Die Branche im Sandwich der Wirtschaft

Wiesbaden. Die Zahl der internationalen Fluggäste ist stark angestiegen, ebenso die Ausgaben der Reisenden in Europa. Das sind positive News aus dem ersten Halbjahr 2022. Die Wirtschaft sendet allerdings immer negativere Signale. Das Gastgewerbe liegt im Sandwich, mit massivem Druck von allen Seiten. Gestern beschloss die deutsche Regierung endlich eine Gaspreis-Bremse. Eine Zusammenstellung zwischen Optimismus und Verunsicherung.

Der Aufschwung im ersten Halbjahr bewies einmal mehr, wie resilient der Tourismus sein kann – vor allem weil die Hospitality-Branche mit der Inflation auch deutlich höhere Preise durchsetzen konnte. Dennoch schleicht sich angesichts der multiplen Krisen und rapide schwächeren Konjunktur-Prognosen die "German Angst" ein. Die fatalen Auswirkungen treffen aber nicht alleine Deutschland.

Positiv: +172% Touristen im 1. Halbjahr

Die Ankünfte im internationalen Tourismus erreichten in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 weltweit 57% des Niveaus vor der Pandemie. Laut jüngstem UNWTO Welttourismus Barometer haben sich die Ankünfte von Januar bis Juli 2022 gegenüber dem gleichen Vorjahres-Zeitraum damit fast verdreifacht. Die stetige Erholung spiegelt den starken Nachholbedarf sowie die Lockerung oder Aufhebung der bisherigen Reise-Beschränkungen wieder.

Die Branche in Sandwich-Position: Trotz positiver Nachfrage wächst der Druck.Foto: adobe stock Billion Photos 

Schätzungsweise 474 Millionen Touristen reisten im Berichtszeitraum ins Ausland, verglichen mit 175 Millionen in den gleichen Monaten 2021. Im Juni und Juli 2022 wurden schätzungsweise 207 Millionen internationale Ankünfte verzeichnet, mehr als doppelt so viele wie in den gleichen beiden Monaten des Vorjahres. Diese Monate machen 44% der gesamten Ankünfte in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 aus. Europa verzeichnete 309 Millionen dieser Ankünfte, was 65% der Gesamtzahl entspricht.

Europa und Naher Osten als Zugpferde

Europa und der Nahe Osten verzeichneten im Zeitraum Januar-Juli 2022 die schnellste Erholung mit Ankünften, die 74% bzw. 76% des Niveaus von 2019 erreichten. Europa verzeichnete fast dreimal so viele internationale Ankünfte wie in den ersten sieben Monaten des Jahres 2021, wobei die Ergebnisse durch eine starke Nachfrage innerhalb der Region und durch Reisen aus den Vereinigten Staaten begünstigt wurden. Die Region verzeichnete eine besonders robuste Leistung im Juni und Juli. Die Ankünfte stiegen im Juli auf etwa 85% des Niveaus von 2019.

Der Nahe Osten verzeichnete von Januar bis Juli 2022 einen fast vierfachen Anstieg der internationalen Ankünfte im Vergleich zum Vorjahr. Die Ankünfte übertrafen im Juli das Niveau vor der Pandemie, was auf die aussergewöhnlichen Ergebnisse Saudi-Arabiens nach der Hadsch-Pilgerfahrt zurückzuführen ist. Nord- und Südamerika und Afrika verzeichneten von Januar bis Juli 2022 ebenfalls ein starkes Wachstum im Vergleich zu 2021 und erreichten 65% bzw. 60% des Niveaus von 2019. In Asien und dem Pazifik haben sich die Ankünfte in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 mehr als verdoppelt, obwohl sie 86% unter dem Niveau von 2019 blieben, da einige Grenzen für nicht unbedingt notwendige Reisen geschlossen blieben.

Mehrere Subregionen erreichten im Zeitraum Januar-Juli 2022 70 bis 85% ihrer Ankünfte vor der Pandemie. Der südliche Mittelmeerraum, die Karibik und Mittelamerika erholten sich am schnellsten auf das Niveau von 2019. Westeuropa und Nordeuropa verzeichneten ebenfalls starke Ergebnisse. Im Juli erreichten die Ankünfte in der Karibik, in Süd- und Mitteleuropa und in Mittelamerika fast das Niveau vor der Pandemie.

Diese Länder haben die Pandemie überwunden

Von den Reisezielen, die Daten über internationale Ankünfte in den ersten fünf bis sieben Monaten des Jahres 2022 meldeten, übertrafen folgende das Niveau vor der Pandemie: die US-Jungferninseln, Albanien, St. Maarten, Äthiopien und Honduras, Andorra, Puerto Rico, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Dominikanische Republik, San Marino und El Salvador sowie Curaçao.

Reise-Ausgaben steigern sich wieder

Von den Reisezielen, die Daten zu den Einnahmen aus dem internationalen Tourismus in den ersten fünf bis sieben Monaten des Jahres 2022 meldeten, übertrafen Serbien, der Sudan, Rumänien, Albanien, Nordmazedonien, Pakistan, die Türkei, Bangladesch und Lettland, Mexiko und Portugal, Kenia und Kolumbien im Zeitraum Januar-Juli 2022 alle das Niveau vor der Pandemie.

Die anhaltende Erholung zeigt sich auch bei den Ausgaben im Ausreiseverkehr aus den wichtigsten Quellmärkten. Die Ausgaben aus Frankreich kletterten im Januar-Juli 2022 auf -12% im Vergleich zu 2019, während die Ausgaben aus Deutschland auf -14% stiegen. In Italien lagen die Ausgaben für den internationalen Tourismus bei -23% und in den Vereinigten Staaten bei -26%.

Die Kombination aus steigenden Zinssätzen in allen grossen Volkswirtschaften, steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen und den zunehmenden Aussichten auf eine globale Rezession, wie sie von der Weltbank aufgezeigt werden, stellen jedoch eine grosse Bedrohung für die Erholung des internationalen Tourismus für den Rest der Jahre 2022 und 2023 dar. Die potenzielle Verlangsamung lässt sich am jüngsten UNWTO-Vertrauensindex ablesen, der einen vorsichtigeren Ausblick widerspiegelt, sowie an den Buchungstrends, die Anzeichen für ein langsameres Wachstum aufweisen.

Fokus Europa: Auch die Übernachtungen stiegen

Nicht nur die Ankünfte, sondern auch die Übernachtungen sind in Europa deutlich gestiegen. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 erreichten sie in den Beherbergungsbetrieben der EU laut Eurostat 86% des Niveaus vor der Pandemie in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019. Von Januar bis Juni 2022 wurden mehr als 1 Milliarde Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben in der EU verbracht, was einem Anstieg von 149% gegenüber den 407 Millionen Übernachtungen im gleichen Sechsmonatszeitraum 2021 entspricht. In der ersten Jahreshälfte 2022 erreichten die Übernachtungen 86% der Übernachtungen des gleichen Zeitraums vor dem Covid.

Weitere Details zur Entwicklung in einzelnen europäischen Ländern geben diverse Tabellen des Europäischen Statistikamts unter diesem Link.

Während diese Zahlen aus der Tourismusbranche noch recht optimistisch klingen, weist die neueste Marktforschung in eine ganz andere Richtung.

Negativ: die Wirtschaftsttrends in Deutschland

Der ifo Geschäftsklimaindex, eine wichtige Kennziffer über die Stimmung in der deutschen Wirtschaft, ist im September auf 84,3 Punkte gefallen, nach 88,6 Punkten im August. Dies ist der niedrigste Wert seit Mai 2020. Der Rückgang zieht sich durch alle vier Wirtschaftsbereiche.

Der Pessimismus mit Blick auf die kommenden Monate hat deutlich zugenommen. Im Einzelhandel fielen die Erwartungen sogar auf ein historisches Tief. Die Erwartungen im verarbeitetenden Gewerbe waren zuletzt im April 2020 so pessimistisch wie jetzt. Die Stimmung hat sich in nahezu allen Branchen verschlechtert. Der Auftragsbestand war weiter rückläufig.

Im Dienstleistungssektor fielen die Einschätzungen zur aktuellen Lage ebenfalls deutlich schlechter aus. Die Firmen rechnen zudem mit einer weiteren spürbaren Verschlechterung in den kommenden Monaten. Insbesondere das Gastgewerbe befürchtet schwere Zeiten. Im Handel hat sich das Geschäftsklima nochmals verschlechtert. Die Geschäftslage drehte erstmals seit Februar 2021 wieder in den negativen Bereich. Auch der Ausblick verdüsterte sich weiter. Im Bau-Hauptgewerbe hat der Index merklich nachgegeben. Die Unternehmen waren mit den laufenden Geschäften weniger zufrieden. Die Erwartungen waren pessimistischer als im Vormonat.

Passend dazu befindet sich auch die Verbraucher-Stimmung im Sinkflug. Dies meldet das Marktforschungsinstitug GfK in seiner Komsumklima-Studie für September 2022. Die Konjunktur-Erwartung wie auch die Anschaffungsneigung verzeichnen zwar noch moderate Einbussen, der Indikator Einkommenserwartung verliert im September jedoch 22,4 Punkte und sinkt auf -67,7 Punkte. Dies ist ein neues Allzeittief. Seit Beginn der Erhebungen für Gesamtdeutschland im Jahre 1991 wurde bislang kein niedrigerer Wert für die Einkommensaussichten gemessen.

Konsequenzen: Dehoga Bayern stellt Forderungen

Angesichts all dieser Hiobsbotschaften erstaunt es kaum, dass der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband des tourismusstarken Bayern auf die existenzielle Not zahlreicher Mitglieder aufmerksam macht. Schliesslich sind die Unternehmen im Gastgewerbe nach den coronabedingten Verlusten in den Jahren 2020/2021 in Höhe von jeweils real 40% auch im September 2022 noch weit von einer Erholung entfernt. Von Januar bis Juli liegt der reale Umsatzverlust gegenüber 2019 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei -19,6%, nominal bei -9,7%.

Gleichzeitig erleben die Betriebe eine nie gekannte Kosten-Explosion bei Lebensmitteln, Personal und insbesondere Energie. "Für 90% der Betriebe sind die steigenden Energiekosten aktuell die grösste Herausforderung, fast 40% der Betriebe fühlen sich dadurch bereits existenziell bedroht", erläutert Dehoga Bayern Landesgeschäftsführer Thomas Geppert. "Derzeit arbeiten 447.000 Erwerbstätige allein in Bayerns Hotellerie und Gastronomie; das entspricht jedem 17. Erwerbstätigen im Freistaat. Im Tourismus arbeiten sogar über 600.000 Menschen. Unsere Branche ist zwar extrem kleinteilig strukturiert, hat in Summe jedoch eine enorme Bedeutung."

atischen Ausbau dezentraler Energiesysteme. Das Potential heimischer Energie müsse effizienter genutzt werden können. Akteure müssten vernetzt, Anreize gesetzt und Genehmigungshürden abgebaut werden.

Deutschland beschliesst Gaspreis-Bremse, Inflation jetzt 10%

Eine kleine Erleichterung dürfte der deutschen Hotellerie die Tatsache bescheren, dass die Bundesregierung gestern, 29.9.2022, die geplante und umstrittene Gasumlage gekippt hat, die zum 1. Oktober starten sollte – und stattdessen eine Gaspreisbremse einführen möchte. Mit einem über Kredite finanzierten 200-Milliarden-Euro-Paket sollen die hohen Energiekosten für die Verbraucher abgefedert werden, wie Bundeskanzler Olaf Scholz ankündigte. Die Finanzierung soll über den bestehenden Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds sichergestellt werden. Details dazu werden noch von einer Experten-Kommission erarbeitet. Scholz verwies zudem darauf, dass die Gasspeicher in Deutschland momentan zu mehr als 90 gefüllt seien.

Die Gaspreis-Bremse ist auch angesichts der weiter steigenden Inflationsrate in Deutschland bitter nötig. Wie das Statistische Bundesamt gestern nach einer Schätzung bekanntgab, hat die Inflationrate in Deutschland abermals einen kräftigen Sprung gemacht. Demnach lag sie im September bei 10%. Im August hatte sie noch 7,9% betragen. Das war der höchste Stand der Teuerung in Deutschland seit den 1950er Jahren. Besonders im Preis gestiegen sind neben der Energie auch Nahrungsmittel. Beides bereitet Hotellerie und Gastronomie gerade ein schweres Leben. / red

 

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