Editorial 27 11 2020 Eine schöne Bescherung
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Eine schöne Bescherung

Liebe Insider,


nachdem in diesen Tagen immer mehr europäische Länder ihre pandemischen Weihnachts- und Winter-Experimente mit ihrer Bevölkerung offenlegen – und es ironischerweise "Strategie" nennen –, haben wir grosse Hotelgruppen und Kooperationen in Deutschland gefragt, ob sie ihre Häuser überhaupt noch öffnen oder ins neue Jahr hinein offenhalten möchten. Eine einheitliche Linie gibt es natürlich nicht. "Eine schöne Bescherung" ist es auf keinen Fall.

Unsere Korrespondenten haben in Frankreich, Italien, Spanien, Österreich und der Schweiz nachgefragt: Das Elend ist ziemlich gleich verteilt. Überall stehen Hoteliers und Gastronomen mit dem Rücken an der Wand. Die Gastronomie muss fast überall schliessen, genau so wie die Ski-Resorts in den Alpen. Hotels, die offen halten, werden nichts verdienen. Wer schliessen will, rechnet zuerst aus, was ihm mehr bringt: der eigene Umsatz oder die versprochenen Staatshilfen – sofern sie denn gezahlt werden. Fast jede Umfrage endet damit, dass das Geld noch nicht eingetroffen ist und die Insolvenzen sich folglich aufbauen.

Es gibt keine Strategie, nur wilde Verschärfungen und Drohungen: Fährt z.B. ein Bayer nur für einen Tag zu seinem Vergnügen über die Grenze nach Österreich, dann muss er bei seiner Rückkehr 10 Tage in Quarantäne. Wie will man das denn kontrollieren? Die Ministerpräsidenten der Länder wollen das Volk im verschärften Lockdown halten.

Kanzleramtschef Helge Braun sagte gestern sogar, der Lockdown könne bis März gehen… Bis dahin könnten die ersten Impf-Erfolge eingesetzt haben. Darüber spricht man aber nicht gerne laut in Berlin; das Kalkül mit dieser Hoffnung wäre das Eingeständnis für die eigene Unfähigkeit, die Krise zu managen.

Momentan würde man für viele Dinge eine Glaskugel benötigen – auch für einen Forecast 2021. Analytik-Unternehmen, IT-Profis und Revenue Management-Experten sagen, es funktioniert: mit Fokus auf das Wesentliche und im Team aus Mensch & Maschine.

Und was in China funktioniert hat, sollte auch in Europa funktionieren. Davon ist Christoph Mares, COO von Mandarin Oriental Hotels, überzeugt. Er erzählt, wie die Luxushotel-Gruppe bislang gegen die Pandemie angekämpft hat – u.a. mit viel Kreativität und Flexibilität. Diese beiden Themen heute zeigen Wege auf, machen etwas Mut.

Im Rechtsstaat Deutschland, auf den sich die Politik selbst gerne und immer wieder beruft, kann jetzt nur noch die dritte Gewalt im Staat die Stimmung heben. Die ersten sieben deutschen Hoteliers haben beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht: Sie wollen sich ihr Grundrecht auf die freie Berufsausübung erstreiten.

Es ist jetzt langsam genug mit der staatlichen Schikane, bei allem Respekt vor den Kranken. Gar nichts steht mehr in der Verhältnismässigkeit. Und wem will man überhaupt noch vertrauen?

Die Gesellschaft verändert sich, das Wirtschaftsleben auch. Noch mehr Home Office ist gewünscht, noch mehr Virtuelles geht schon fast nicht mehr für die Berufstätigen. Die ITB hat diese Woche ihr Programm 2021 vorgestellt: vier Tage Dauerfeuer via Bildschirm!

Demgegenüber hat Accor jetzt all seine losen Lifestyle-Marken in eine strukturierte Lifestyle-Divison im Konzern überführt – und wird von der Trend-Metropole London aus vermutlich drüber nachdenken, wie man diesen "Lebensstil" einem noch grösseren Publikum vermittelt – virtuell oder in Echt? In einem Jahr frage ich dann mal nach, wie viele ihren Cocktail aus Versehen in den Screen gekippt haben…

Im Dauer-Lockdown beginnen die Welten zu verschwimmen. Mit der VR-Brille auf der Nase kann ich jeder Depression zuvorkommen, indem ich alle 10 Minuten in eine neue Traum-Destination entschwinde, meinen Irish Pub oder meinen Italiener besuche... Ich werde auf der Couch die ganze Welt umarmen und meine vielen Bonuspunkte vom Display meiner mutierten Corona-App leidenschaftlich abküssen. Wenn ich brav mitmache und genügend Sozialpunkte gesammelt habe, darf ich bald wieder verreisen.

 

Ihre Maria Pütz-Willems
Chefredakteurin

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