Ein Cook verdirbt doch nicht den Brei Pauschalreise Absicherung: Staat zahlt für geschädigte Thomas Cook Kunden
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Ein Cook verdirbt doch nicht den Brei

Pauschalreise-Absicherung: Staat zahlt für geschädigte Thomas Cook-Kunden

Das Klischee von der Pauschalreise... Die grösste Krise unter den Reise-Veranstaltern - die Insolvenz von Thomas Cook - scheint zumindest beim Kunden das Vertrauen noch nicht zu zerstören.Foto: Michael Monahan Unsplash

Salzburg. "Die Insolvenz von Thomas Cook könnte der Pauschalreise einen Schlag versetzen, von dem sie sich in Deutschland nicht mehr erholt", sagte Gerhard Ziegler, Director Brand, Content & Community bei Holidaycheck, im Rahmen eines Auftritts bei "Brennpunkt e-Tourismus", einer Veranstaltung des Landes Salzburg an der dortigen Fachhochschule. Der Deutsche Reiseverband sieht das ganz anders: Er präsentierte auf seiner Jahrestagung an diesem Dienstag/Mittwoch eine aktuelle Studie zur – nicht angeschlagenen – Image der Branche nach Thomas Cook. Im Hintergrund aber hat in der Veranstalter-Branche die Diskussion um die künftige Kundengeld-Absicherung im Insolvenzfall begonnen. Überraschend gab die deutsche Bundesregierung am Mittwochmorgen bekannt, die benachteiligten Thomas Cook-Kunden auf Staatskosten zu entschädigen.

Dass Studierende des Tourismus-Lehrgangs einen grossen Teil des Publikums ausmachen, passte Ziegler optimal, hatte er doch 2018 in einer qualitativen Studie das Verhältnis der Millennials zur Pauschalreise analysieren lassen. Kurz gesagt: Es ist ein gestörtes Verhältnis. Denn das Thema Sicherheit steht bei jüngeren Menschen naturgemäss im Hintergrund. "Sicherheit ist aber das wichtigste Argument für die Buchung von Pauschalreisen. Wenn nun durch die mangelnde Insolvenz-Absicherung der Kundengelder gerade dieses Argument erschüttert wird, dann hat es prägende Folgen", befürchtet Ziegler.

Bis diese Woche schien festzustehen, dass aufgrund der schlechten Lösung in Deutschland in Bezug auf die Thomas Cook-Pleite am 25. September 2019 nicht alle Reisenden ihr Geld vollständig zurückbekommen werden. Die Limitierung der Versicherungssumme auf 110 Millionen Euro pro Jahr stammte noch aus D-Mark-Zeiten. Verbraucherschützer und Versicherungen haben mehrfach darauf hingewiesen, dass dieser Betrag nicht reichen dürfte.

Der alte und neue DRV-Präsident: Norbert Fiebig.Foto: DRV

"Die Deckelung von 110 Millionen Euro bezieht sich nur auf die vom Absicherer nach diesem Gesetz zu erstattenden Beträge. Nach § 651r I sind dem betroffenen Reisenden zu erstatten: der gezahlte Reisepreis, soweit diese wegen Zahlungsunfähigkeit des Veranstalters ausfallen und Zahlungen an die Leistungserbringer für erbrachte Reiseleistungen". Als erschwerend gilt, dass die Absicherung auf das jeweilige Jahr beschränkt bleibt und alle in diesem Jahr anfallenden Konkursfälle and andere Ereignisse umfasst. Im Falle Thomas Cook ging man bisher davon aus, dass die Schadenssumme für Konsumenten allein 300 bis 400 Millionen Euro ausmachen könnte – unabhängig von anderen Massenforderungen, etwa den offen gebliebenen Hotelrechnungen des Veranstalters.

Am Mittwochmorgen gab die Bundesregierung überraschend bekannt, dass sie den Reisenden die Differenz zwischen ihrer Zahlung und dem, was sie von Zurich oder von anderer Seite zurückerhalten haben, ausgleicht. Damit will man vor allem Rechtsstreitigkeiten verhindern.

Sowohl DSR-Präsident Norbert Fiebig wie auch Dr. Michael Frenzel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Wirtschaft, begrüssten beide diese unbürokratische und verbraucherfreundliche Lösung.

Am Mittwochnachmittag meldete sich der Kundengeld-Absicherer von Thomas Cook, die Zurich Gruppe Deutschland, zu Wort und gab bekannt, dass die Summe für die Rückholung der Urlaub und nicht mehr erbrachte Reiseleistungen bei 347 Millionen Euro liegt.

Von der Gesamt-Haftungssumme von 110 Millionen Euro mussten bereits 59,6 Millionen Euro für die Rückführungen aufgewendet werden, berichtet Zurich in seiner Mitteilung. Den verbleibenden 50,4 Millionen Euro steht nach vorläufigen Berechnungen eine Gesamtschadenhöhe von 287,4 Millionen Euro gegenüber. Daraus ergibt sich eine Quote in Höhe von 17,5 Prozent für die Regulierung der Ansprüche der Thomas Cook Kunden. Man werde in den nächsten Tagen mit der Regulierung entsprechend der Quote beginnen, hiess es.

Andere Länder, andere Lösungen

Andere Staaten haben anders abgesichert. So ist in Grossbritannien keine Versicherungslösung in Kraft, sondern der Staat sichert gesetzlich die Kundenzahlungen ab. Die Lösung in Österreich sieht für jede gebuchte Pauschalreise einen Sicherungsschein vor: ohne finanzielle Obergrenze. Probleme traten nur auf, wenn Kunden langfristige Anzahlungen über dem gesetzlichen Limit von 20 Prozent leisteten. Generell empfehlen Juristen Deutschland dringend, sich u.a. am österreichischen Garantiefonds ein Beispiel zu nehmen. Auch andere EU-Staaten haben vergleichbare Lösungen.

Die MS Artania von Phoenix Reisen. Selbst die Diskussion um nicht-nachhaltige Kreuzfahrt-Schiffe scheint dem Image der Pauschalreise nicht zu schaden.Foto: map

Die deutsche Variante wurde schon seit längerem als möglicherweise nicht EU-konform kritisiert. Doch der deutsche Gesetzgeber berief sich bei seinem kritisierten pauschalen Höchstbetrag auf einen Gesetzesartikel, nach dem nur "die nach vernünftigem Ermessen vorhersehbaren Kosten abgedeckt sein" müssen. Dass es nach der Pleite von Thomas Cook nun zu Staatshaftungsklagen gegen Deutschland kommt, lag für Ziegler schon vor längerem auf der Hand. Mindestens eine Klage gegen den deutschen Staat wegen einer möglichen fehlerhaften Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie wurde schon eingereicht, schreibt die FAZ.

Vielleicht war dieses Klage-Gespenst auch ein Grund für die überraschende Hilfe der deutschen Regierung. Zwei Tage zuvor hatten die Verbandsfunktionäre gemeinsam mit Veranstaltern und anderen Branchen-Repräsentanten ausserdem einen Termin zu Thema Absicherung im Finanzministerium gehabt. Darauf bezogen äusserte sich Fiebig am ersten Tag der DSR-Tagung gegenüber der Presse: "Wunschziel ist es, individuelle Lösungen zu finden".

Das Problem sind die
grossen Veranstalter

In den Diskussionen während der DRV-Tagung, bei der Insider dieses Mal sehr viele Reisebüros und weniger Veranstalter als in den Vorjahren registrierten, galt es die Thomas Cook-Wunden zu lecken und der Branche die Schulter zu klopfen: Schliesslich wollte DRV-Präsident Fiebig am gestrigen Donnerstag auch wiedergewählt werden. Im Gespräch mit der Presse und auch in seiner Grundsatzrede vor den Mitgliedern wies er darauf hin, dass die Pauschalreise 25 Jahre lang "ihr Leistungsversprechen voll umfänglich eingelöst habe, inklusive des Rücktransports". Letzterer habe dank der Gemeinschaftsaktion der Branche am 28. September auch wieder funktioniert, so wie bei anderen Insolvenzen, Katastrophen oder Terror-Akten ebenfalls. 2.300 Reise-Veranstalter bzw. Reisebüros arbeiten mit dem Reisesicherungsschein.

"Nicht funktioniert hat dieses Mal die Kundengeld-Absicherung", gab er zu, da ein einziger Veranstalter eben die einst festgelegte Entschädigungsgrenze von 100 Millionen Euro bei weitem übertraf. "Das Problem sind die grossen Veranstalter", sagte Fiebig: Nach Thomas Cook gäbe es noch fünf Reiseveranstalter, die das bisherige Budget nochmals sprengen könnten. Also müssen künftig höhere Haftungssummen her.

Ein Szenario à la Thomas Cook soll sich erst gar nicht mehr wiederholen. Der DRV-Präsident schlug vor, die Insolvenz-Absicherung zu "individualisieren", damit die mittelständischen Unternehmen nicht mehr unter den folgenreichen Fehlern der grossen Reise-Veranstalter leiden müssen. Die Insolvenz-Absicherung müsse gewährleistet bleiben, untermauerte er, in der Margen-schwachen Branche allerdings auch noch wirtschaftlich darstellbar sein.

Es sei nach Thomas Cook sicher nicht einfach, die passenden Versicherer zu finden, die hier mitziehen. Deshalb warnte er vorsorglich: "Das wird sich deutlich in höheren Kosten und Prämien niederschlagen." Gleichzeitig warnte er: "Wir wollen keine gehetzten Schnellschüsse der Politik sehen!" Genau diese aber gab mit ihrer überraschenden Unterstützung der Reise-Veranstalter-Branche nun Gelegenheit, 2020 tiefer über die Insolvenz-Absicherung nachzudenken und neu zu definieren. Allein zum Thema Rückholkosten gab und gebe es nämlich sehr unterschiedliche Rechtsansichten, hörte man aus Fiebig raus. Im Fall Thomas Cook mussten 140.000 Reisende zurückgeholt werden.

Bei der Pauschalreise zählt nur das Preisleistungsverhältnis.Foto: Poseidon Garden Hotel Ischi, Ksenia Perepelkina Unsplash

Aktuelle DRV-Umfrage: Pauschalreise lebt weiter

Bleibt noch die Frage, ob die Veranstalter-Reise auch künftig noch als unsicher empfunden werden wird. Gerade bei jungen Menschen hatten die Fluglinien-Pleiten der Vorjahre ein Umdenken bewirkt. Für sie waren Reisebüro-Buchungen wieder attraktiv, weil Flüge – etwa mit der inzwischen auch insolventen Air Berlin – abgesichert waren; bei individueller Online-Buchung hingegen wäre das Geld verloren gewesen.

In der zweiten November-Hälfte, also kurz nach der TC-Pleite, ermittelte das Markforschungsinstitut forsa im Auftrag des DRV in einer repräsentativen Befragung die Reputation der Reisebranche und die Präferenzen der Bundesbürger beim Thema Reise. Befragt wurden 1.005 Bürger, die in den letzten drei Jahren mindestens eine Urlaubsreise unternommen hatten(systematisches Zufallsverfahren). Die Ergebnisse:

• Das Image der Reisewirtschaft bleibt positiv. Auf einer Skala von +5 bis -5 führt das Handwerk das Image-Ranking an, gefolgt der Reisewirtschaft mit +1,4. Mit weitem Abstand folgen auf Platz 3 dann Lebensmittel-Hersteller.

• Bei Personen, die schon mal eine Pauschalreise gebucht haben, ist das Image noch besser als bei denen, die bisher ausschliesslich individuell verreist sind. Daran hat auch die Insolvenz von Thomas Cook laut Umfrage nichts geändert. Insgesamt haben fast die Hälfte der Befragten in den vergangenen drei Jahren eine organisierte Reise mit einem Reiseveranstalter gebucht. Die Zufriedenheit ist dabei in allen Altersklassen hoch bis sehr hoch und liegt insgesamt bei 94%.

• Am wichtigsten ist den Befragten bei der Buchung einer Pauschalreise ein gutes Preis-Leistungsverhältnis sowie ein verlässliches Krisen-Management und Hilfe durch den Reiseveranstalter bei Problemen.

• 94% messen der finanziellen Absicherung im Fall von unvorhergesehenen Zwischenfällen oder der Absage einer Reise eine hohe Bedeutung bei.

• Und zum Klima: Ungeachtet der zunehmenden Diskussionen um Klimaschutz und Nachhaltigkeit spielen Massnahmen zum Klima- und Umweltschutz am Urlaubsziel derzeit lediglich eine untergeordnete Rolle bei der Buchungsentscheidung. Das sagen 15% der Befragten.

• Lediglich ein Fünftel der Befragten mit Reiseerfahrung haben sich schon einmal konkret darüber informiert, wie sie ihre Urlaubsreise möglichst umweltneutral gestalten können. Diese Ergebnisse sind unabhängig vom zur Verfügung stehenden Einkommen.

• Hingegen ist die umweltgerechte Gestaltung der Reise individuell Reisenden tendenziell wichtiger – ebenso der jüngeren Generation, also den 18- bis 29-Jährigen.

• Über die Hälfte der Befragten sind überzeugt, dass die Beratung in einem Reisebüro über das hinausgeht, was sie selbst im Internet herausfinden und buchen können.

• Kreuzfahrten hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. 15% der Deutschen nennen sie als bevorzugte Urlaubsart. Eine fast ebenso hohe Zahl kann sich vorstellen, in den nächsten Jahren einmal eine Kreuzfahrt zu unternehmen.

Die DRV-Mitglieder wählten am Mittwochnachmittag Norbert Fiebig erneut zu ihrem Präsidenten für die nächsten drei Jahre, mit einem eindeutigen Ergebnis von 98,15 Prozent. / Fred Fettner, Maria Pütz-Willems

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