Einwanderung Erleichterungen gegen Fachkräfte Mangel
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Einwanderung: Erleichterungen gegen Fachkräfte-Mangel

Berlin. Mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland können derzeit offene Stellen nicht besetzen – spürbar mehr als ohnehin schon vor Ausbruch der Corona-Krise. Jetzt müssen Lösungen her, z.B. auch Mitarbeiter aus dem Ausland. Das weiss auch die Regierung in spe. Und das Holiday Inn Munich-Unterhaching erzählt, wie es geht.

Die Herausforderungen für die Wirtschaft sind gross. "Wir haben bei den Arbeitskräften den Zenit erreicht. In den kommenden Jahren wird es für die Unternehmen ein immer mühsameres Geschäft, sich gegen die Fachkräfte-Engpässe zu stemmen. Zur Energie-Wende gesellt sich für die Betriebe nun auch die Herausforderung einer Fachkräfte-Wende," fasst der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Achim Dercks, die Ergebnisse des jetzt erschienenen DIHK-Reports "Fachkräfte 2021" zusammen.

Der Report beruht auf den Antworten von rund 23.000 Unternehmen. 51% davon können offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen, weil sie keine passenden Arbeitskräfte finden. Das bedeutet nicht nur einen immensen Zuwachs gegenüber Herbst 2020 – damals hatten lediglich 32% der Unternehmen von Fachkräfte-Engpässen berichtet –, sondern auch ein Plus gegenüber der Lage vor der Corona-Krise: Im Herbst 2019 hatten "nur" 47% der Betriebe Schwierigkeiten bei der Akquise neuer Mitarbeiter.

Mitarbeiter gesucht: Für sie öffnen Arbeitgeber inzwischen die Hauptpforte, nicht mehr den Nebeneingang.Foto: Olivier Collet unsplash

Knappheiten bei Rohstoffen und Vorprodukten, Lieferketten-Probleme und der immer häufigere Engpass bei Fachkräften ist eine zusätzliche Herausforderung auch für die Umsetzung zentraler gesellschaftlicher Zukunftsaufgaben wie Digitalisierung, Klimawandel oder E-Mobilität. Dercks: "Und da dieser Fachkräfte-Mangel auch die öffentliche Verwaltung betrifft, erschwert das über längere Genehmigungsverfahren den Betrieben zusätzlich das Leben."

Dual Ausgebildete
händeringend gesucht

Die grössten Lücken bei qualifiziertem Personal melden mit 66% der Betriebe die Bauwirtschaft. Den stärksten Anstieg der Probleme bei Stellenbesetzungen gegenüber dem Vorjahr gibt es unter den Industrie-Unternehmen mit nun 53% nach 29% im Herbst 2020. Dabei lässt der besonders hohe Anteil von 5 % bei den Investitionsgüter-Produzenten wie etwa dem Maschinenbau befürchten, dass sich auch dadurch der Investitionsstau in Deutschland weiter verschärft.

Ein nach Dercks' Einschätzung "ernstzunehmendes Geschäftsrisiko für viele Betriebe" ist der jüngste Rückgang der Ausbildungsverträge um rund 8% gegenüber dem Vorjahr. Aktuell suchen 57% der Unternehmen, die Stellen nicht besetzen können, erfolglos Mitarbeiter, die eine duale Berufsausbildung absolviert haben. Auch Absolventen von Weiterbildungen etwa zum Meister oder Fachwirt sind gefragt – hier berichten 36% der Unternehmen mit Stellenbesetzungs-Problemen von einer erfolglosen Suche – bei Hochschul-Absolventen gibt es Engpässe vor allem in den MINT-Berufen.

Gravierende Folgen für Gesamtwirtschaft

Insgesamt erwarten 85% der Unternehmen negative Auswirkungen von dem wachsenden Fachkräftemangel. 61% der Betriebe sorgen sich um eine Mehrbelastung ihrer Belegschaften, 58% erwarten als Folge von Engpässen steigende Arbeitskosten. Und: 43% der Unternehmen gehen davon aus, dass sie Aufträge ablehnen oder ihr Angebot reduzieren müssen, weil nötiges Personal fehlt. Das bedeutet einen deutlichen Zuwachs gegenüber 2019 mit damals 39% und lässt weitreichende Konsequenzen erwarten.

"Insgesamt liegt die Zahl der aktuell nicht besetzten Stellen wohl eher bei 1,7 bis 1,8 Millionen. Das bremst die Wertschöpfung grob geschätzt um rund 90 Milliarden Euro – also circa 2,5% des Bruttoinlandsproduktes," argumentiert Dercks. Der DIHK empfiehlt deshalb, u.a. die Allianz für Aus- und Weiterbildung fortzusetzen, eine systematische und praxisnahe Berufsorientierung zu stärken sowie die technische Ausstattung sowie die Arbeits- und Lern-Bedingungen in den Berufsschulen zu verbessern. Zudem gilt es aus Sicht der Betriebe beispielsweise, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu stärken und die Regeln zur Fachkräftezuwanderung zu erleichtern.

Unternehmen steuern gegen, auch im Gastgewerbe

Auf den Fachkräfte-Mangel reagieren bereits jetzt 53% der Unternehmen mit Aktivitäten in Richtung einer höheren Arbeitgeberattraktivität, 46% wollen die eigene Ausbildung intensivieren. Platz drei der möglichen Massnahmen teilen sich mit je 34% Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland.

Ein aktuelles Beispiel für den Fachkräfte-Mangel im Gastgewerbe liefert das Holiday Inn München-Unterhaching. Lange konnte es sich im Wettbewerb um neue Azubis und Mitarbeiter behaupten. Im Schnitt begrüsste es jährlich etwa 10 neue Auszubildende, 2018 waren es sogar 18, in diesem Herbst sind es nur noch fünf. "Das ist für uns ein deutlicher Weckruf, dass wir noch weiter auf potenzielle Auszubildende zugehen müssen", erklärt Personalchefin Claudia Schulze-Clewing.

Nachwuchskräfte lassen sich noch begeistern - durch faire Angebote und faire Gespräche.Foto: unsplash petr sevcovic

Sie ist u.a. "Ausbildungsbotschafterin des bayerischen Gastgewerbes" und hat in den letzten Jahren massgeblich dafür gesorgt, dass ihr Haus bei Azubis und Arbeitnehmern hoch im Kurs stand. Überzeugt haben etwa eine faire Bezahlung, beschränkte Wochenend-Dienste, viele Fortbildungsangebote, Benefits wie Mitarbeiter-Wohnungen, eine Azubi-WG direkt im Hotel und auch ein Mitarbeiter-Auto. Zum HR-Erfolg beigetragen haben zudem Aktivitäten wie Messebesuche, Info-Veranstaltungen in Schulen oder die Kooperation mit verschiedenen Arbeitsagenturen. Diese sollen noch intensiviert und ausgebaut werden.

Das HR-Team erörtert aktuell ausserdem u.a. flexiblere Arbeitszeitmodelle. Auch soll der Dienstplan noch enger mit den Mitarbeitern abgestimmt und in einem "Wunschbuch" vorgemerkt werden. Dass diese Massnahmen helfen werden, ist sich die Personalreferentin sicher, "doch das Ruder komplett herumreissen werden sie nicht – das können wir nicht allein."

Blick ins Ausland scheitert an Bürokratie

"Der hiesige Markt ist schlichtweg leergefegt. Eine Lösung sehe ich nur durch den Zufluss von ausländischen Kräften – daher arbeiten wir schon jetzt mit EURES, dem Portal für internationale Fachkräfte, zusammen." Schulze-Clewing würde gerne noch mehr Menschen aus dem Ausland anwerben. Doch Bürokratie und Vorschriften stünden dabei oft im Weg. "In vielen Jobs dürfen nur zertifizierte 'Ausgebildete' arbeiten – ein solches Zertifikat gibt es allerdings nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Andere Länder bilden in den Betrieben aus, also 'Learning by doing'. Ausländische Fachkräfte sind oftmals hochqualifiziert, sollen aber hier in die Berufsschule zu Azubis im ersten Lehrjahr gehen." Das sei nicht praktikabel.

Die HR-Managerin fordert daher schnellstmöglich Unterstützung bei Aufenthalts-Genehmigungen und Arbeitserlaubnissen sowie die Vereinfachung formeller Prozesse. "Es gibt so viele, sehr gute Hotel-Fachkräfte, die in Deutschland in ihrem Job nicht arbeiten dürfen, weil sie nicht genau die hier geforderten Qualifikationsbescheinigungen besitzen. Ein Pâtissier beispielsweise darf in Deutschland kein Schnitzel anfassen, weil er Spezialitätenkoch ist." Solche Regelungen verschärften die ohnehin angespannte Situation zusätzlich.

Neuer Koalitionsvertrag für mehr Einwanderer

Dass der Fachkräfte-Mangel eines der grössten Hindernisse für die Sicherung von Wohlstand ist, hat auch die designierte Bundesregierung erkannt und dem Thema mehrere Passagen ihres Koalitionsvertrags gewidmet. So heisst es dort u.a., dass die Bundesregierung ihre Fachkräfte-Strategie und die Nationale Weiterbildungsstrategie weiterentwickeln werde.

Wesentliche Bausteine seien erstens eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, zweitens, es älteren Erwerbstätigen zu ermöglichen, mindestens bis zum Renteneintrittsalter zu arbeiten. Drittens benötige das Land einen neuen Schub für berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung oder Neuorientierung auch in der Mitte des Erwerbslebens und Viertens brauche Deutschland mehr Arbeitskräfte-Einwanderung. Dazu solle das Einwanderungsrecht weiterentwickelt und bewährte Ansätze des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wie die Westbalkanregelung entfristen werden.

Geplant ist zudem die Einführung einer Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems, um Arbeitskräften zur Jobsuche den gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Blue Card soll im nationalen Recht auf nicht-akademische Berufe ausgeweitet werden. Voraussetzung wird ein konkretes Jobangebot zu marktüblichen Konditionen sein. Zugleich sollen die Hürden bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland abgesenkt, Bürokratie abgebaut und Verfahren beschleunigt werden. Fünftens müssten Arbeitsbedingungen in den Bereichen attraktiver werden, in denen bereits jetzt oder absehbar ein Mangel an Fachkräften herrscht.

Die geplanten Erleichterungen bei der Gewinnung ausländischer Fachkräfte durch den Abbau von Hürden stiessen beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband auf grosse Zustimmung. Dies, so Präsident Guido Zöllick, betreffe insbesondere die verbesserte Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland sowie Verfahrensbeschleunigungen. - Weitere Infos zum DIHK Fachkräfte-Dossier unter diesem Link. / red

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