Es ist mehr als eine Lieferkette gebrochen Wie Corona den Wäscherei Verbund Servitex gleich mehrfach herausfordert
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Es ist mehr als eine Lieferkette gebrochen

Wie Corona den Wäscherei-Verbund Servitex gleich mehrfach herausfordert

Geschlossene Hotels brauchen keine frische Wäsche mehr: Ein neues Geschäftsmodell muss her.  Foto: Photographee eu stock adobe 

Berlin. Keine Herberge kann ohne Wäschereileben! Rolf Slickers, Geschäftsführer des Wäscherei-Verbunds Servitex, bleibt optimistisch. Obwohl Corona das etablierte Geschäftsmodell vor die Zerreissprobe stellt: "Unser Konzept ist nicht pandemie-tauglich." Für den Mittelständler haben sich ungeahnte Bedrohungen aufgetan: geschlossene Hotels, nicht mehr funktionierende Preismodelle, drastische Lohnsteigerungen, gestiegene Baumwoll-Preise, Horror-Preise für Fracht-Container und Amazon als Logistik-Wettbewerber. Es ist mehr als eine Lieferkette gebrochen.

Die Servitex GmbH mit Sitz in Berlin ist ein Verbund mittelständischer Dienstleister, der sich auf den Bereich Mietwäsche und Textilpflege in der Hotellerie spezialisiert hat. Momentan besteht der Servitex-Verbund aus sieben inhabergeführten Wäschereien mit insgesamt 14 Produktionsstätten. Das Portfolio des Unternehmens umfasst Frottee-, Bett- und Tischwäsche sowie Berufsbekleidung in unterschiedlicher Ausführung. Die Hotel-Kunden verteilen sich über die DACH-Region. Für sie übernimmt Servitex das gesamte Textilmanagement – vom Einkauf und Pflege bis hin zur Logistik.

Im Jahr 2019 hat Servitex ca. 400 Tonnen Schmutzwäsche pro Tag gewaschen. Anfang 2022 sieht die Welt bitterer aus. Dabei kennt Geschäftsführer Rolf Slickers die Branche bestens. Er kommt selbst aus der Hotellerie: Von 1997 bis 2017 hat er 4- und 5-Sterne Business- und Resort-Hotels geführt, u.a. für Unternehmen wie Maritim, InterContinental, Cunard, Scandic, Althoff Hotels, Dorint, die HR Group und Accor.

Rolf Slickers: Neue Technologie könnte helfen, ist aber teuer. Foto: Servitex 

Herr Slickers, wie hat die Pandemie Ihre Welt als etablierter Dienstleister verändert?

Die Pandemie hat bei unseren Wäscherei-Besitzern zu einem derartigen Nachfrage-Einbruch geführt, wie sie es seit dem letzten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben. Unser Geschäftsmodell ist nicht pandemietauglich! Das ist ein anderer neuer Fakt. Wenn Sie ein Auto leasen, müssen Sie jeden Monat dafür bezahlen – und Sie zahlen auch nicht weniger, wenn das Auto steht.

Bei uns ist das anders: Die Leasing-Rate ist Teil des Wäsche-Mietpreises. Betreibt ein Hotel plötzlich nur noch zwei Etagen oder schliesst es ganz, dann kriegen wir kein Geld mehr.

Wir hatten zwar Klauseln in unseren Verträgen, dass man jede Woche eine Mindestmenge waschen lassen muss, aber keiner unserer Kunden war in der Lage, das zu bezahlen. Wie denn auch im Lockdown? Sie hatten keine Einnahmen mehr. Wir haben uns mit unseren Kunden dann proaktiv darauf verständigt, dass die Verträge verlängert werden. Wir wollten ihnen in der Not natürlich auch helfen.

Ändern Sie jetzt Ihr Geschäftsmodell?

Ja. Wir sind gerade dabei, es umzustellen: Wir werden keine Verträge mehr auf eine Laufzeit von x Jahren vereinbaren, sondern nach der Anzahl der Waschungen abrechnen. Bis zur Pandemie konnten wir uns den Umsatz errechnen, weil wir zuverlässig wussten, dass ein 300-Zimmer-Hotel in Berlin 80% Belegung hat, ein 300-Zimmer-Hotel in Köln 76% und in Düsseldorf 73%. Heute kann ein Hotel noch 300 Zimmer haben, in Wirklichkeit werden aber nur 200 oder 150 Zimmer belegt. Und was macht man, wenn selbst grosse Ketten über Monate hinweg ein oder gar zwei Drittel ihrer Hotels schliessen?

Wie würden Sie in diesem Fall vertraglich reagieren?

Das würde bedeuten, dass wir jetzt in einen Vertrag hineinschreiben, dass der Vertrag erst dann endet, wenn alle Artikel z.B. 120mal gewaschen sind. Das festzustellen, ist allerdings ohne Technologie sehr aufwändig. Das funktioniert am besten mit einem RFID Chip in jedem einzelnen Wäschestück. Und das wiederum ist eine hohe Investition für uns und die Hotels, wenn diese ihre Anlieferungsbereiche mit Antennen versehen.

Hat Servitex in der Pandemie staatliche Hilfen bekommen?

Ja, unsere Eigentümer haben davon profitiert, aber in unterschiedlicher Höhe und leider eben auch noch mit grosser zeitlicher Verzögerung. Im Jahr 2019 lag der Umsatz des Unternehmens bei 89,6 Millionen Euro, in 2020 nur noch bei 46,2 Millionen. Wir sprechen wir also von einem Rückgang von 48,38%.

Die Zahlen für 2021 liegen noch nicht vor, ich schätze, dass wir auch hier bei einem Umsatz-Rückgang von 50% im Vergleich zu 2019 landen werden. Unsere Hoffnung, in 2022 wieder auf 75% des Umsatzes von 2019 zu kommen, hat die neue Virusvariante gerade zerstört.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, dass Servitex ein Verbund aus 14 Wäschereien ist, der sich genau vor 20 Jahren gegründet hat. Elf sind auf die Hotellerie spezialisiert, drei haben auch noch andere Standbeine wie Krankenhäuser und Pflege-Einrichtungen. Diese drei haben – aufgrund niedriger Umsatzanteile in der Hotellerie – viel weniger Unterstützung bekommen als ihre Kollegen im Verbund. Um unbeschadet durch die Krise zu kommen, mussten alle 15-25% ihrer Mitarbeiter abbauen. Vor der Pandemie waren es insgesamt 2.000 Mitarbeiter, heute sind es rund 1.600.

Der zentrale Einkauf der Hotelketten hat das Geschäft deutlich reduziert. Foto: Fliegel GmbH & Co KG Textilservice

Vor der Krise war also alles gut…

Vor Corona haben auch unsere Unternehmen vom stürmischen Wachstum der Hotelgesellschaften in den zehn Jahren bis 2019 durchaus profitiert, weil ein zufriedener Kunde durch die Expansion auch ständig neue Nachfrage generiert.
Wir haben unser Angebot 2016 sogar auf die ganze DACH-Region ausgedehnt, weil unsere inländischen Kunden von uns auch betreut werden wollten, wenn sie Neueröffnungen in Österreich oder der Schweiz planten.

Das reduziert den administrativen Aufwand enorm, wenn ich für eine grössere Anzahl von Hotels, die mehrere Wäschereipartner benötigen, nur einen zentralen Ansprechpartner und einheitliche Konditionen habe, wobei in der Schweiz natürlich ein ganz anderes Kosten-Niveau gilt. Zudem werden auf grosse Volumina Rückvergütungen gewährt, was den Konzernen zusätzliche Einnahmen beschert.

Ein Wachstums-Handicap ist für unsere Wäschereien über die Jahre die Verlagerung des Einkaufs geworden. Filialen von Hotelketten durften und dürfen mit uns oft keine lokalen Wäscheverträge abschliessen – sie hingen und hängen am Zentraleinkauf des Unternehmens, der bundesweite Rahmenverträge mit einheitlichen Konditionen bevorzugt. Als ich vor 40 Jahren anfing, gab es in Deutschland nur wenige Ketten – Maritim, Steigenberger, Kempinski und Dorint sowie fünf amerikanische Companies. Heute habe ich 215 Hotelgesellschaften in meinem Laptop und ständig werden es mehr.

Inwiefern unterstützen Hotelgruppen Ihr Unternehmen?

Viele sehen primär ihr Housekeeping, aber nicht mehr die Wäscherei dahinter. Und niemand hat auf dem Schirm, dass wir nicht nur eine Wäscherei, sondern eine vollständige Spedition sind. Und wir sind sogar die "grünste" Spedition der Welt! Wir fahren niemals leer! Kein Spediteur schafft es, von Hamburg nach Köln zu fahren und mit der gleichen Ladung wieder zurückzukommen. Wir fahren mit der sauberen Wäsche hin und der schmutzigen Wäsche wieder zurück. Diese logistische Superleistung aber nimmt niemand wahr.

Zu den aktuellen Herausforderungen unserer Branche – auch schon vor der Pandemie – hat übrigens unbewusst auch Angela Merkel beigetragen: Sie hat Mitte 2011 den Wehrdienst abgeschafft: eine politische Entscheidung, die sicher nicht mit Logistikern erörtert wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sehr viele deutsche Männer – so behaupte ich das jetzt einmal salopp – ihren Lkw-Führerschein bei der Bundeswehr gemacht. Damit konnten die späteren Studenten unter ihnen entweder als Lkw-Fahrer jobben oder in der Gastronomie/Hotellerie.

Und seitdem haben die Wäschereien auch noch ein verschärftes Logistik-Problem?

In der Tat! Jedes Jahr gehen inzwischen 30.000 Lkw-Fahrer in Rente. Es kommen aber nur 15.000 neue nach. Nach den neuesten Schätzungen fehlen uns in Deutschland jetzt schon bis zu 70.000 Fahrer – eine dramatische Verknappung des Angebots!

Zudem ahnte niemand, dass ein Jeff Bezos Amazon erfindet und dazu eine Mega-Logistik aufbaut. Von 1,9 Milliarden Paketen 2019 in Deutschland hat Amazon 849 Millionen versendet, das sind knapp 28% des Paketmarktes.

Servitex ist nicht nur Wäscherei, sondern auch eine umweltfreundliche Spedition: Ihre Lkws fahren nie leer zurück.Foto: Mike Auerbach

Ich fürchte, dass unser grösster Konkurrent bald Amazon heissen könnte. Weil er die letzte Meile zum Kunden bereits jetzt perfekt beherrscht. Das Hotel weiss z.B., dass wir die frische Wäsche montags bringen, Amazon fügt noch die genaue Uhrzeit für die Lieferung dazu und das Fahrzeug lässt sich zudem noch online tracken. Amazon wird sicherlich auch eines der ersten Unternehmen sein, das mit selbstfahrenden Lkws unterwegs sein wird. Meine grosse Sorge ist, eines Tages nur noch eine Wäscherei zu sein, deren Wäsche Amazon zum Kunden bringt.

All das bedeutet dann auch, dass bei Ihnen die Kosten künftig explodieren werden, richtig?

Ja, es wird eine sehr grosse Herausforderung werden. Letzten Sommer, selbst angesichts des Booms, konnten wir unsere Mitarbeiter nur unter dramatischer Erhöhung unserer Löhne überhaupt noch halten. Die jetzt, für 2022 gesetzlich festgelegten 12 Euro Mindestlohn haben wir selbst schon vor drei Monaten eingeführt. (Anm.d.Red.: Der Dehoga lässt diesen Betrag derzeit juristisch prüfen.)

Immer mehr Hotels kündigen an, ihre Kosten-Steigerungen definitiv an den Gast weiterzugeben. Können Sie das auch?

Wir waren gezwungen, mit unseren Kunden über signifikante Preisanpassungen zu sprechen und sind dann glücklicherweise auf viel Verständnis gestossen. Normalerweise melden wir uns in Preisfragen erst beim Kunden, wenn sich die Kosten-Parameter um mehr als 5% verändern. Aber jetzt haben wir alleine in diesem Jahr schon 20% höhere Lohnkosten. Und in einem Kosten-Schema, bei dem der Lohn 50% ausmacht, lässt sich das nicht mehr anderthalb Jahre vorfinanzieren. Und die Energiekosten sind alleine in den letzten zwölf Monaten ja auch noch um 24% und mehr gestiegen…

Gibt es noch andere Treiber in Ihrem speziellen Segment?

Oh ja! Die Baumwoll-Preise. China produziert ein Fünftel der weltweiten Baumwolle. 80% davon werden aber von den Uiguren im Land produziert – einer muslimischen Minderheit, der die Chinesen nur Übles wollen, wie wir aus den Medien wissen. Konsequenzen für uns hat das, weil der deutsche Staat ein Lieferketten-Gesetz eingeführt hat, das ab 1.1.2023 alle Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern betrifft. Das heisst, fast niemand kann mehr Baumwolle einkaufen, ohne seine ganze Lieferkette zu entblössen: Die Compliance muss gewahrt werden!

Genauso treiben übrigens die Container, die uns unsere Baumwoll-Wäsche aus Asien oder auch Afrika bringen sollen, die Kosten. Wir sprachen ja schon über die Logistik. Ein Übersee-Container kostet normalerweise 1.800 Dollar – in der Pandemie haben unsere Lieferanten zeitweise schon 16.000 Dollar bezahlt, was sich natürlich auch auf die Kosten der Textilien ausgewirkt hat.

Glauben Sie, dass jemand in der Politik auch nur eine leise Ahnung davon hat, in welch verstricktem Netzwerk Hotel-Wäschereien hängen?

Wahrscheinlich nicht. Fakt ist und bleibt: Mit wenigen Ausnahmen kann keine Herberge ohne Wäscherei leben. Das zentrale Kundenversprechen eines Hotels heisst "Erholsamer Schlaf". Frische und hygienisch einwandfreie Wäsche ist ein enorm wichtiger Bestandteil davon. Vor allem in der Pandemie. Somit ist es in diesen Zeiten von noch grösserer Bedeutung als je zuvor, eine partnerschaftlich denkende und zuverlässige Wäscherei an seiner Seite zu wissen! Wir haben uns trotz allem entschieden, unsere Spezialisierung auf die Hotel-Branche beizubehalten.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch, Herr Slickers!

Interview: Maria Pütz-Willems

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