Im Spagat der Superlative 2017 war fast überall ein gutes Jahr trotzdem bleiben Frust und Fragen
HI+

Im Spagat der Superlative

2017 war fast überall ein gutes Jahr, trotzdem bleiben Frust und Fragen

2017 war ein turbulentes Jahr für die Hotelbranche.Foto: ampcool stock.adobe.com

Augsburg. Das vergangene Jahr war sehr turbulent und facettenreich, für Europas Hospitality-Branche in weiten Teilen jedoch äusserst erfolgreich. Einen Mega-Deal wie die Marriott/Starwood-Fusion ein Jahr zuvor gab es nicht, dafür unzählige kleinere Übernahmen und ungebrochene Investitionsfreude. Getrübt wurde das Klima dagegen von den Pokerspielen unberechenbarer Politiker – Stichworte Brexit, Trump und Rechtsradikalismus – sowie vom Terror. Nichtsdestotrotz profitierte die Branche von der weltweit wachsenden Reiselust. Trotzdem überlagern viel Emotion und Sorge die guten Zahlen: Viele Top-Manager fühlen sich mehr denn je als Getriebene – vor allem von der hyperdynamischen Technologie-Entwicklung. Ein Rückblick auf 2017.

Das ganze Jahr über ertönten laute Pipeline-Ankündigungen, angetrieben von niedrigen Zinsen und dem schier unermesslich scheinenden internationalen Kapitalstrom, der insbesondere an Investitionen in Europa interessiert schien. So kauften Thailänder die österreichische Gruppe Vienna House und die Louvre Group kauft sich über die französische Hôtels & Préférence Collection ins fehlende weltweite Upscale- und Luxushotel-Segment ein…

Unter ihrem gewaltigen Anlage-Druck zeigten sich Investoren nicht mehr wählerisch. So wechselten in Deutschland selbst unauffällige Mini-Gruppen plötzlich den Eigentümer: Welcome Hotels ging mit nur 12 Häusern an das britische Private Equity-Unternehmen Terra Firma, ebenso wie ein paar Wochen zuvor die 30 Achat Hotels an die Hannover Finanz gewechselt hatten. Deals auf diesem mittelständischen Niveau hätte sich vor drei Jahren noch niemand vorstellen können. Andere Mittelständler suchten andere Auswege, um in Sachen Expansion künftig mithalten zu können: So holte sich Otto Lindner den milliarden-schweren deutschen Fleischwaren-Fabrikanten Clemens Tönnies als Investment-Partner ins Boot. Beide investieren nun gezielt in Lindners jüngste Lifestyle-Marke me and all Hotels.

Barceló und NH – der erwartete erste grosse Deal des Jahres ist geplatzt. Hier: das Barceló Sants in Barcelona.

Der spanische Hotel-Investment-Markt befand auf historisch hohem Niveau, ausländische Investoren entdeckten nach Italiens grossen Städten jetzt auch die kleineren Destinationen und Regionen, Hotel-Märkte wie Österreich oder Polen gerieten zunehmend in den Fokus des Kapitals – nicht zuletzt auch, weil gute Gelegenheiten im Hotspot Deutschland immer rarer wurden und werden. Dort explodierten die Preise für Assets und Grundstücke, trotzdem zahlten die Investoren gerne… Das Geld muss einfach weg. Erfahrene Kaufleute zuckten 2017 häufiger zusammen – denn die nächste Krise kommt bestimmt, auch in Deutschland.

Ein leichtes Bröckeln setzte gegen Jahresende bei den chinesischen Beteiligungen an europäischen Hotelgruppen ein. Strengere Vorgaben der Regierung erschweren chinesischen Investoren Deals ausserhalb des Heimatlandes. Deshalb war es auch keine so grosse Überraschung, dass in dieser Woche NH Hotels das Übernahme-Angebot der spanischen Barceló Group rigoros ablehnte. Ein britischer Transaktionsspezialist hatte dies für unrealistisch gehalten: Kurz vor Weihnachten erklärte er im Hintergrund-Gespräch mit hospitalityInside.com, es sei rein formal sehr schwierig, dass ein privates Familien-Unternehmen eine börsennotierte Kette übernehme.

Schicksalsjahr für Accor?

Auf ungebremster Einkaufstour war das ganze Jahr über AccorHotels; der letzte von zwölf Deals war die im Oktober angekündigte Übernahme der australischen Mantra Group. Netter Gag am Rande: In diesem AccorHotels-Video auf LinkedIn stellt sich CEO Sébastien Bazin Quiz-Fragen und meint, AccorHotels habe 2017 nur sechs Unternehmen übernommen… Eine smarte PR-Idee des Konzerns, dessen Chef sein unerschütterliches Selbstbewusstsein beibehält – auch nach seiner ersten und zugleich grossen Schlappe im November: Der ehrgeizige Manager musste vor zwei Monaten eingestehen, dass die Idee, Nicht-Accor-Hotels über die eigene Online-Plattform mit zu vermarkten, gescheitert war – zum einen am Misstrauen der Externen gegenüber einem Mitbewerber, zum anderen ganz offensichtlich an der erbrachten Vertriebsleistung.

Nach Rückschlägen in 2017 wird Sébastien Bazin nun zeigen müssen, dass seine Strategie aufgeht.

2018 könnte für Bazin ein Schicksalsjahr werden: Er muss, wie mehrfach berichtet, das milliardenschwere Booster-Projekt mit der zugrunde liegenden Trennung von AccorHotels und AccorInvest erfolgreich umsetzen – oder sein Sessel wandelt sich zum Schleudersitz. Noch vor dem Jahreswechsel 2017/2018 wollte er verkünden, welche Mega-Investoren Aktien von AccorInvest kaufen würden. Das geschah nicht, stattdessen verschickte Accor am 27. Dezember 2017 – zur Beruhigung der Aktionäre – eine ultrakurze Mitteilung, dass man "etliche detaillierte Interessensbekundungen" erhalten habe und hoffentlich bald zu einem Abschluss komme. Schafft Bazin diesen Klimmzug nicht, könnte Europas grösste Hotelkette über Nacht selbst zu einem Übernahme-Kandidaten werden.

"Der Konsolidierungstrend von 2016 hat sich 2017 fortgesetzt und wird es wahrscheinlich auch im Jahr 2018 und danach tun", fasst Matthew Pohlman, Partner im Bereich Hospitality & Leisure der international agierenden Kanzlei Goodwin in London, zusammen. "Der Hotelmarken-Sektor ist im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren heute noch stark fragmentiert. Sie müssen ihre Marktanteile halten und ausbauen. Es gibt im Prinzip nur zwei Wege, dies zu erreichen – über organisches Wachstum oder Wachstum durchAkquisitionen. Es ist zu erwarten, dass Hotel-Gesellschaften 2018 beide Strategien verfolgen werden".

OTAs und HR als Frust-Themen

Die Hoteliers sind inzwischen höchst sensibilisiert, wenn es darum geht, Vertriebskosten zu senken. Sie sind bereit, Neues zu versuchen, machen aber auch schnell einen Rückzieher, wenn der versprochene Erfolg nicht eintritt. Wie die Gäste buchen, kann ihnen ohnehin niemand vorschreiben. Und so wirken sich die vielen weltweit eingeführten oder geplanten Restriktionen und Bussgelder gegen OTAs, insbesondere Airbnb, zwar kurzfristig auf deren Gewinn, langfristig aber sicher nicht auf deren Überlebenschancen aus.

Die Konsolidierung im Hotelsektor geht auch 2018 weiter, so Matthew Pohlman von Goodwin.

Der Kampf um die Buchungshoheit, der bisher in halb Europa entweder von Wettbewerbsbehörden oder Gerichten auf faktischer Basis entschieden wurde und die Entwicklung mal pro, mal contra OTAs oder Hotellerie trieb, hat 2017 aber eine neue emotionale Note bekommen: So blitzte unerwartete Aggression auf, als der Hotelverband Deutschland Anfang Dezember die Branche zu einer Sammelklage gegen HRS aufrief, um Schadensersatz wegen Wettbewerbs-Behinderung aufgrund der jahrelang verfolgten Bestpreis-Klausel einzufordern. HRS wehrt sich seitdem heftig und sieht eine "klare Sach- und Rechtslage", die keinen Raum für eine Klage lasse. Der Aufruf zur Sammelklage sei unseriös, so HRS. Seitdem diskutieren die Deutschen mal wieder heftig.

Dieser Vorgang zeigt, wie angespannt die Nerven aller sind: Es gibt einfach zu viele neuralgische Punkte, die den Hoteliers das Leben in diesen Zeiten erschweren. Zur Furcht vor dem immer mächtigeren, weil fusionierten Wettbewerb gesellt sich ein enormer Kostendruck – nicht allein durch die Buchungs-Kommissionen und die IT-Kosten dahinter, sondern auch noch durch zunehmende Energie- und HR-Kosten.

Vor allem letzteres, die immer beschwerlichere Suche nach guten Fachkräften, ist nicht mehr zu leugnen. Jedes Hotel und jede Hotelgruppe kocht hier ihr eigenes Süppchen – eine öffentlichkeitswirksame, konzertierte Aktion gibt es in keinem Land oder gar koordiniert von der Hotrec, dem europäischen Dachverband der Branche. Wer Zeit hat, OTAs zu jagen, sollte auch Zeit haben, über dringendst notwendige Kampagnen zur Image-Verbesserung der Branche nachzudenken. Aus der Lifestyle-Perspektive von Reisenden gehören Hotels heute zu den "most sexy" Adressen, als Branche mit "sexy" Unternehmen und Arbeitgebern aber versagt diese völlig.

Symbolisch: die Digitalisierung und ihr Anti-Trend

All diese Themen trieben und treiben die Manager vor sich hin. Bei allen Problemen soll inzwischen die Digitalisierung helfen, doch tut sie das wirklich? Wie schnell werden Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge überall Einzug halten, wo selbst im Wirtschaftswunderland Deutschland ausserhalb der Grossstädte oft noch Internet-Diaspora herrscht?

Der Gegenentwurf zu hoch-technisierten Hotelzimmern: rustikale Gemütlichkeit in der Albergo Diffuso Santo Stefano di Sessanio.

Hinzu kommt, dass die Bewohner der Metropolen, in denen Siri, Alexa und Hotelroboter James schon Einzug gehalten haben, inzwischen für ganz andere Werte empfänglich sind: 25hours bietet das analoge Zimmer an und Reiseveranstalter ASI wirbt mit Digital Detox statt Dauerbeschallung und sammelt bei den Teilnehmern seiner Aktiv- und Erlebnisreisen auf freiwilliger Basis die Handys ein. Der Anti-Trend zum Trend ist auch schon da.

2017 war auch das Jahr, in dem der "Fidget Spinner" in fast jedem westlichen Haushalt Einzug hielt: ein handteller-grosses Spielzeug mit mindestens drei Flügeln und einem Kugellager, mit dem sich Menschen beruhigen können. Im Forbes-Magazin wurden Fidget Spinner als "Must-Have Office Toy For 2017" bezeichnet. Von März bis Juni wurden laut Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels alleine in Deutschland über eine Million Euro mit diesem neuen analogen Trend-Spielzeug umgesetzt.

Die Digitalisierung scheint die Menschen wieder zusammen zu bringen und lässt sie ihr eigenes Tun stärker reflektieren. Das spiegelt sich auch im Boom der neuen Hostels oder Serviced Apartments mit kuscheligen Gemeinschaftsräumen und -küchen. Oder in den Alberghi Diffusi, historischen italienischen Dörfern, die in authentische, originelle und gemütliche Feriendomizile umgewandelt werden.

Nun sitzt der CEO an seinem Schreibtisch und brütet. Wie soll er aus all dieser Dynamik, dem verschärften Wettbewerb, den Trends und Antitrends, den rechtlichen Vorgaben, den wachsenden Kosten, dem Investitions-Druck, den überhöhten Asset-Preisen und vor allem auch angesichts unberechenbarer Gäste seine Strategie 2018-2020 stricken? Das heisst bei vielen immer noch: Try and Error! / map, sst

Verwandte Artikel

Macher mit Mut gesucht

Macher mit Mut gesucht

11.1.2017

Augsburg. Im Rückblick auf 2015 haben wir vor zwölf Monaten von einer "Verschärfung" der Trends gesprochen. Im Blick zurück auf 2016 würde ich heute von einer Zuspitzung der Trends sprechen, vor allem angesichts des turbulenten gesellschaftspolitischen Umfelds, das im vergangenen Jahr entstand. In der Hotellerie haben Übernahmen Betten-Giganten entstehen lassen, und die Chinesen haben eine andere Art von "Change", Wandel, gebracht. Die Gewichte haben sich verschoben. Der Druck auf die globalen Player wird in diesem Jahr noch weiter wachsen, denn sie alle müssen ihre Investitionen und Konzepte beweisen. Die Schere zwischen Mega und Mini scheint weiter aufzugehen, und genau das ist die Chance für die Kreativen und den Mittelstand. Deshalb braucht es im Jahr 2017 Macher mit Mut.

{"host":"www.hospitalityinside.com","user-agent":"Mozilla/5.0 AppleWebKit/537.36 (KHTML, like Gecko; compatible; ClaudeBot/1.0; +claudebot@anthropic.com)","accept":"*/*","x-forwarded-for":"18.188.20.56","x-forwarded-host":"www.hospitalityinside.com","x-forwarded-port":"443","x-forwarded-proto":"https","x-forwarded-server":"d9311dca5b36","x-real-ip":"18.188.20.56","accept-encoding":"gzip"}REACT_APP_OVERWRITE_FRONTEND_HOST:hospitalityinside.com &&& REACT_APP_GRAPHQL_ENDPOINT:http://app/api/v1