In der Tendenz negativ Rechtsanwälte sehen noch längst kein Recht auf Miet Minderung unter Corona
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In der Tendenz negativ

Rechtsanwälte sehen noch längst kein Recht auf Miet-Minderung unter Corona

Wer zahlt die immensen Kosten für ein leeres Hotel in Corona-Zeiten? Darüber sind sich auch die Gerichte nicht einig.Foto: unsplash ph b

München. Die erste Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hatte umgehend eine Debatte um das Recht auf Mietminderung in einer pandemischen Situation losgetreten. Angesichts der erneuten Zuspitzung der Lage in diesem Herbst hat die deutsche Bundesjustizministerin Christine Lambrecht diese Anregung jetzt positiv aufgenommen. Doch Rechtsxperten sehen wenig rechtlichen Spielraum für grosse Euphorie auf Seiten der Mieter. Eine Einschätzung, die nach dem zweiten Lockdown und nach dem aktuellen Beschluss der Regierung an diesem Mittwoch über weitere mögliche Schliessungen, die Diskussion neu aufwirbeln dürfte.

Durch den aktuellen, sogenannten "Lockdown light" in Deutschland und durch politische Stellungnahmen der Bundesjustizministerin bekommt die noch immer aktuelle Frage nach Miet-Minderungs- und Miet-Anpassungsrechten neuen Nährboden. Auf Grundlage zwischenzeitlich ergangener Corona-Miet-Minderungs-Urteile zum ersten Lockdown – durch Landgerichte – lässt sich allerdings eine Tendenz gegen Mietminderungsrechte ableiten.

Die bisherige Corona-Rechtsprechung der Landgerichte zeigt auf: Die Pandemie und die verhängten öffentlich-rechtlichen Betriebsverbote sowie Anordnungen zu Betriebsschliessungen während des ersten Lockdowns allein verleihen Mietern grundsätzlich kein gesetzliches Minderungs- oder Anpassungsrecht. Anders kann die Rechtslage unter Mietverträgen sein, die eine sogenannte Force Majeure-Klausel enthalten und so in bestimmten Fällen höherer Gewalt einzelne Pflichten der Parteien unter dem Mietvertrag suspendieren. Force Majeure-Klauseln können auf diese Weise explizite oder implizite Mietminderungsrechte bedingen.

Sajanee Arzner: Eine Pandemie rechtfertigt nicht sofort geringere Mieten.Foto: GvW

Landgerichte sind dagegen

Beispiele aus der Landesrechtsprechung: Das Landgericht Heidelberg hat als Erstes klargestellt: Behördliche Verfügungen zu Betriebsschliessungen und öffentlich-rechtliche Betriebsverbote berechtigen Mieter grundsätzlich nicht, die vertraglich geschuldete Miete ganz oder teilweise einzubehalten. Das Gericht prüft in seinem Urteil sowohl das mietvertragliche Mangelrecht als auch das Unmöglichkeitsrecht sowie das Recht des Wegfalls der Geschäftsgrundlage; es verneint damit ein pandemiebedingtes gesetzliches Miet-Minderungs- oder -Anpassungsrecht unter allen denkbar einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.

Auf vergleichbarer Grundlage lehnen auch das Landgericht Frankfurt am Main sowie das Landgericht Zweibrücken ein pandemiebedingtes Mietminderungs- oder Mietanpassungsrecht ab.

Gewinn-Erzielung ist Risiko des Pächters

Dabei sieht sich diese landgerichtliche Rechtsprechung in einer Linie mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Der BGH hatte im Kontext der seinerzeit neu eingeführten Nichtraucherschutz-Gesetze eine Grundsatzentscheidung zum "Verwendungsrisiko" der Miet- bzw. Pachtsache getroffen, die sogenannte Rauchverbots-Entscheidung. Das Verwendungsrisiko bezüglich der Pachtsache hat der BGH in dieser Leitentscheidung grundsätzlich dem Pächter zugeordnet. Klargestellt hat der BGH in diesem Zusammenhang insbesondere, dass das Risiko, mit dem Pachtobjekt Gewinne zu erzielen, zum Verwendungsrisiko des Pächters zählt. Wenn sich die Gewinn-Erwartung des Pächters auf Grund eines nachträglich eintretenden Umstands nicht erfüllt – so der BGH damals –, verwirklicht sich ein typisches Risiko des gewerblichen Pächters. Dies gelte auch in Fällen, in denen es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Massnahmen zu einer Beeinträchtigung des Gewerbebetriebes des Pächters komme.

Die in diesem Grundsatzurteil des BGH niedergelegte Risiko-Verteilung nahmen die vorgenannten Landgerichte jetzt zum Anlass, das Verwendungsrisiko der Mietsache auch in der Corona-Pandemie beim Mieter zu verorten. Dieser Logik folgend, schlossen die Landgerichte ein gesetzliches pandemiebedingtes Miet-Minderungsrecht vollständig aus.

Landgericht München schert aus

Anders hat bislang nur das Landgericht München I bei einer Gewerberaummiete entschieden, das ein teilweises Miet-Minderungsrecht auf Basis des mietrechtlichen Mangelrechts angenommen hat.

Christian Zerr: Force Majeure verändert Diskussionen.Foto: GvW

Im konkreten Fall hat das Gericht für den Monat April eine 80-prozentige Mietminderung zugesprochen, da die angeordnete Schliessung nicht den ganzen Monat andauerte. Für den Monat Mai, in dem bis zum 11. Mai 2020 eine Verkaufsflächen-Beschränkung auf 800 qm bestanden hatte und danach ein umfangreiches Abstands- und Hygiene-Konzept eingehalten werden musste, hielt es eine 50-prozentige Mietminderung für angemessen. Für Juni hat es die Minderung auf 15 Prozent angesetzt.

Nach Auffassung des Gerichts können staatliche Öffnungsverbote oder sonstige, Mietzweck einschränkende Anordnungen, wie Flächen-Beschränkungen oder Abstands- und Hygieneregelungen, einen Mietmangel darstellen. Auch einen Fall der Störung der Geschäftsgrundlage sieht das Landgericht München I als gegeben an. Dies rechtfertige ebenfalls eine Reduzierung der geschuldeten Miete, "wobei die Höhe der gesetzlichen Minderung entspräche".

Bessere Chancen mit Force Majeure-Klauseln

Ein anderes Bild kann sich bei Verträgen mit Force Majeure-Klauseln ergeben, die in bestimmten Fällen höherer Gewalt einzelne Pflichten der Parteien unter dem jeweiligen Mietvertrag suspendieren.

Wenn sich der Lockdown unter die individuelle Force Majeure-Klausel fassen lässt, so kann diese – je nach Wortlaut und Auslegung im Gesamtkontext – unmittelbare Grundlage für ein vertragliches pandemiebedingtes Miet-Minderungsrecht sein. In vielen Fällen enthalten die einschlägigen Force Majeure-Klauseln überdies entsprechende Parameter für die Berechnung der konkreten Höhe der vertraglich gewährten Mietreduktion.

Darüber hinaus enthält jede Force Majeure-Klausel eine implizite Aussage zur vereinbarten Risikoverteilung zwischen den Parteien. Auf diese Weise kann auch eine Force Majeure-Klausel, die kein unmittelbares Miet-Minderungsrecht im Falle eines Umstandes höherer Gewalt regelt, Anknüpfungspunkt für ein Mietminderungsrecht sein.

Steht eine Miet-Minderungswelle bevor?

Solange die Frage eines gesetzlichen pandemiebedingten Miet-Minderungsrechts noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, wird die Rechtslage weiterhin nicht eindeutig bewertet werden können. Die bislang veröffentlichten landgerichtlichen Entscheidungen weisen zwar in eine eindeutige Richtung. Es wäre aber nicht das erste Mal, wenn der BGH die Vorinstanzen doch noch eines "Besseren" belehrt.

Offen bleibt auch, ob die Bundesjustizministerin mit ihrer Forderung durchdringt, staatlich angeordnete, Corona-bedingte Nutzungsbeschränkungen als gesetzlichen Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu qualifizieren; dies würde ein Miet-Anpassungsrecht auslösen und die Rechts- und Verhandlungsposition der Mieter deutlich stärken.

Dennoch wird es angesichts der bisherigen landgerichtlichen Rechtsprechung wohl zunächst keine mit dem Frühjahr vergleichbare Miet-Minderungswelle geben; schon weil die mieterschützenden Kündigungsbeschränkungen für pandemiebedingte Mietrückstände nach dem "Covid-19-Gesetz" aus dem Frühjahr inzwischen ausgelaufen sind und der Bund die finanzielle Härte des neuen Lockdown Light mit weiteren Liquiditätshilfen abfedern will. / Christian Zerr, Sajanee Arzner

Die Autoren dieses Beitrags, Christian Zerr und Sajanee Arzner, arbeiten bei GvW Graf von Westphalen, einer international tätigen unabhängigen Wirtschaftskanzlei mit Standorten in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/M, Hamburg, München und Stuttgart.

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