Insolvenz Steht die Triage des Mittelstands an
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Insolvenz: Steht die Triage des Mittelstands an?

Köln. Letzten Freitag, 30. April, wurde die Aussetzung der Insolvenz-Antragspflicht von der deutschen Bundesregierung nicht mehr verlängert. Dorint-Aufsichtsratschef Dirk Iserlohe hat deshalb Verfassungsbeschwerde mit Eilantrag eingereicht. Gestern appellierte er erneut an die Politik und sprach von einer eventuell bevorstehende "Triage der mittelständischen Traditions-Hotelgesellschaften".

Der einzige Hotelier, der sich konstant juristisch und öffentlich zur Wehr setzt, ist Dirk Iserlohe. 71 Briefe hat er inzwischen ans Kanzleramt, an diverse Ministerien und Politiker geschrieben. Deren Reaktion ist bis heute fast gleich Null. Deshalb legte er jetzt beim Verfassungsgericht in Karlsruhe nach: Er fordert explizit den Ausgleich der Corona-Schäden, weil die Regierung die Hotels faktisch schliessen liess, sowie eine Reaktivierung der Insolvenz-Antragspflicht. Darüber hinaus werden weiterhin die Grundrechte der Berufsgruppe erheblich verletzt. Für ihn liegt der "schwarze Peter" nicht bei der EU, sondern beim Bundeswirtschaftsministerium.
Hier die Erläuterungen des engagierten Hoteliers im Wortlaut.

Dirk Iserlohe: Skepsis und Frust erfassen auch ihn angesichts Deutschlands realitätsferner Politik.Foto: Soenne-Architekturfotograf 

"Hotelbetriebe wie die der Dorint-Hotel Gruppe, sind Sonderopferträger, die seit vielen Monaten zum Wohle der Allgemeinheit faktisch geschlossen wurden. Zumindest bei den "Nicht-KMUs", also den grösseren mittelständischen Unternehmensgruppen, sind die Staatshilfen aufgrund der Limitierungen unzureichend. Mit einer Deckelung der Überbrückungshilfe III auf 12 Millionen Euro für sechs Monate können diese Unternehmen nicht überleben, zumal die Insolvenz-Antragspflicht kurz vor der Ziellinie gestern wieder reaktiviert ist."

Der Verweis der Bundesregierung auf die Notwendigkeit einer beihilferechtlichen Abstimmung, die angeblich bestimmte Limite vorgäbe, trifft nicht zu. Dies hat die EU Dirk Iserlohe bereits schriftlich bestätigt. Iserlohe ist daher entsetzt: "Der schwarze Peter liegt also nicht in Brüssel, sondern beim Bundeswirtschaftsministerium".
Nach der aktuellen Blitzumfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, Dehoga, warten aktuell noch ca. 80% der befragten Gastgeber-Unternehmen im Gastgewerbe auf die Auszahlung der Überbrückungshilfen III.

Unverständliche Limitierung in Deutschland

Die Europäische Kommission hatte bereits im April letzten Jahres festgelegt, dass die Pandemie eine aussergewöhnliche Situation darstellt. Und damit ihren Mitgliedsstaaten erlaubt, Entschädigungen für den Corona-Schaden, den bestimmte Wirtschaftssektoren erleiden, auszugleichen. Doch die Bundesregierung, vertreten durch das BMWi, stellt einen Beihilfeantrag nach dem anderen. Unverständlich, da doch der Europäische Gerichtshof bereits im Jahr 1988 festgehalten hatte, dass Entschädigungen keinen Beihilfecharakter besitzen!

Naturgemäss sind Förderprogramme ihrer Höhe nach beschränkt. Der Grund dafür ist, dass Regierungen der europäischen Mitgliedsstaaten in "Normalzeiten" selbstverständlich nur klein- und mittelständische Unternehmen oder Gründer von solchen Unternehmen fördern wollen. Denn dadurch werden Arbeitsplätze geschaffen und das jeweilige Land erhält einen Mehrwert. Die Politik will aber nur Neugründern und Klein- und Mittelständlern helfen, nicht aber grossen Konzernen, was durchaus nachvollziehbar ist.

Das Regelwerk der Förderprogramme widerspricht aber jetzt, in der "Stunde der Solidarität", der gebotenen Entschädigungspflicht eines jeden Staates, da die Förderprogramme

> keinen Rechtsanspruch des Antragsstellers entfalten,
> aufgrund der Limitierungen bei Nicht-KMUs unterproportional wirken,
> bei Betriebseinstellungen oder Insolvenzreife Fördermittel zurückgefordert werden.

Fazit: Fördermittel mildern zwar die Eingriffe ab, stellen aber keine unzureichende Kompensation von Verlusten dar, wenn trotz Gewährung eine Existenzgefährdung gegeben ist. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass Fördermittel bei einer Insolvenz nicht greifen.

Konzernchef Dirk Iserlohe erlebt gerade, dass die Dorint Hotelgruppe mit Hilfe der derzeitigen Förderprogramme nur circa 37% ihrer Verluste ausgleichen kann, ein kleiner Einzelbetrieb jedoch die Möglichkeit auf eine Erstattung von nahezu 100 % seines Verlustes hat.

"Wie sollen die Nicht-KMUs denn ihren Mitarbeitern für den Fall einer Insolvenz erklären, dass sie mit einer grossen Hotelgesellschaft den falschen Arbeitgeber gewählt haben? Das ist doch absurd und unfair!", so der über diese Ungerechtigkeit enttäuschte Iserlohe.

Infektionsgesetz von November sorgte für Enteignung

Iserlohe erinnert immer wieder an die Zeit vor dem 18. November 2020: Die Gerichte hätten da doch noch die Chance gehabt, den Gesetzgeber zu korrigieren, indem sie den eigens in § 65 IfSG angelegten Entschädigungs-Paragrafen zur Anwendung gebracht hätten. Mit der Einführung des § 28a IfSG hat der Gesetzgeber – nicht nur seiner Meinung nach – den Pfad der gerechten Differenzierung zwischen Verhütung und Bekämpfung, also zwischen Nicht-Störer und Störer sowie der Schwere nach verlassen.

"Der faktisch enteignend wirkende § 28a IfSG muss nun dringend vom Bundesverfassungsgericht unter die Lupe genommen werden", fordert Iserlohe. Grundrechte wie der Artikel 12 GG sind, wie der Ministerpräsident des Saarlandes, Tobias Hans, am 22. April 2021 im Bundesrat sagte, schwerstens verletzt. Der Regierende Bürgermeister in Berlin, Matthias Müller, sprach am gleichen Tag ebenfalls im Bundesrat sogar davon, dass die Beherbergungsverbote ein Fehler gewesen seien.

Hotelunternehmer Dirk Iserlohe fragt sich daher, was Bundesfinanzminister Olaf Scholz, SPD, mit "jede und jeder", meinte, als er sagte: "Wir haben die finanzielle Kraft, diese Krise zu bewältigen. Es ist genug Geld da und wir setzen es ein. Wir ergreifen alle notwendigen Massnahmen, um Beschäftigte und Unternehmen zu schützen. Darauf kann sich jede und jeder verlassen".

Iserlohe fühlt sich verlassen und für den Konzern mehr denn je in seinen Rechten, also in den Grundrechten der Gleichheit aus Artikel 3 GG verletzt.

Genauso wehrt er sich gegen die vielfach verwendete Begrifflichkeit des Zombi-Unternehmens: "Was soll das sein? Vielleicht ein Hotelbetrieb, der seit 2. November 2020 faktisch geschlossen worden ist? Der bisher keine angemessene Entschädigung erhalten hat, oder diese zu spät erhält? Und dann wegen der Reaktivierung der Insolvenzantragspflicht aufgegeben werden muss?" Er plädiert deshalb nochmals intensiv an die Vernunft der Bundesregierung und bittet darum, den frühere § 1 COVInsAG zu reaktivieren.

Der engagierte Dorint Aufsichtsratschef hofft jetzt auf ein Einsehen der Richter in Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht werde hoffentlich möglichst bald feststellen, dass die Verletzung der Grundrechte durch die Beherbergungsverbote ohne angemessene Entschädigungen und mangels eines ungleichen Verteilungsschlüssels gegeben ist. So dass es geboten sei, die Insolvenz-Antragspflicht weiterhin auszusetzen, solange der Gesetzgeber noch nachbessern muss. / kn

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