Ischgl droht Klagewelle
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Ischgl droht Klagewelle

Wien. Der Verbraucherschutzverein mit Sitz in Wien hat seit dem Frühjahr Corona-Patienten mit Bezug zu Ischgl oder anderen Tirol-Orten angeboten, sich einer Sammelklage anzuschliessen. Nachdem sich 6.000 Personen gemeldet hatten, akzeptierte der VSV im Juni 1.000 Betroffene, die angaben, sich während des Skiurlaubs in Ischgl mit dem Coronavirus infiziert zu haben. Aktuell geht es um vier Musterfälle.

In einem ersten Schritt wurde im Juni die Finanzprokuratur aufgefordert, die geltend gemachten Amtshaftungsansprüche dem Grunde nach anzuerkennen. Da dies nicht erfolgt ist, klagte nun der private Verbraucherschutzverein für vier dramatische und gut dokumentierte Musterfälle die Amtshaftungsansprüche ein.

Ein Betroffener sei an Covid-19 verstorben, bei zwei deutschen Fällen sei die Erkrankung so schwer verlaufen, dass die Patienten teilweise heute noch in Behandlung sind und vielleicht Dauerfolgen erleiden werden. Ein vierter Betroffener sei gesund, müsse jedoch mit Spätfolgen rechnen.

Jetzt klagen die Betroffenen. Ischgl steht erneut in den Schlagzeilen.Foto: TVB Paznaun Ischgl

Mit der stark reduzierten Zahl hofft man bei Gericht rasche Erfolge zu erzielen. Die Klagen wurden übrigens in Wien erhoben, da der VSV kein Vertrauen zur Staatsanwaltschaft Innsbruck hat. Dass es innerhalb der nun sechs Monate währenden Untersuchungen der Tiroler Gerichte noch zu keinen Einvernahmen gekommen ist, gilt als ein Zeichen für die zu enge Verknüpfung zwischen Justiz und Politik bzw. Tourismuswirtschaft in Tirol.

"Ich habe kein Vertrauen, dass die Staatsanwaltschaft Innsbruck effizient und ernstlich daran arbeitet, die Verantwortlichen für die schweren Fehler bei der Bekämpfung der Pandemie ausfindig zu machen und anzuklagen", sagte Peter Kolba vom VSV am 23. September im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien. Man konzentriere sich folglich über Musterprozesse in Wien den Schadenersatz für Opfer einzuklagen.

Jedenfalls unterstellt der VSV den Tiroler Behörden und den zuständigen Politikern auf Bundesebene Fehler beim Pandemie-Management in den Tiroler Skigebieten in den Monaten Februar und März 2020.
Der VSV wurde im Juni 2018 von dem Juristen Peter Kolba gegründet, der zuvor 26 Jahre Leiter des Bereiches Recht im Verein für Konsumenteninformation war.

Politisches Tauziehen im Hintergrund

Dass Tourismuskreise über die lange angekündigte Klage zürnen, ist angesichts der bevorstehenden schwierigen Wintersaison verständlich. Gerne würde man das vor allem von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bei jeder Gelegenheit genutzte Synonym "Ischgl" für den falschen Umgang mit der Pandemie los werden. Immerhin ist die Sammelklage auf Österreich konzentriert, was die mediale Wirkung im Ausland eher reduziert. Vor allem aber werden weder die regionalen Tourismusverbände noch der Ischgler Bürgermeister und vor allem keine der gastgebenden Tourismusbetriebe verklagt. Kolba, bis zur vergangenen Nationalratswahl als Oppositionspolitiker im Parlament, richtet seine Aufmerksamkeit allein auf Versäumnisse von politischen Entscheidungsträgern in Bund und Land.

Es geht um wenige Tage in den ersten März-Wochen, als die Infektionen in Ischgl bestätigt wurden, aber – anders als in Südtirol – vergingen noch Tage bis zur Sperre der Skigebiete. Vor allem kritisiert Kolba, dass anders als beim ersten bestätigten Coronafall in Innsbruck am 25. Februar, nach den ersten bestätigten Fällen in Ischgl nicht sofort alle betroffenen Betriebe unter Komplett-Quarantäne gestellt worden seien.

Zusätzlich geht es um den schon damals umstrittenen Satz des Tiroler Landessanitätsdirektors vom 5. März als Reaktion, nachdem in Island mehrere Rückkehrer aus Ischgl die ersten Corona-Fälle waren und Island Tirol zur Risikoregion erklärt hatte: "Es ist aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist."

Die verzögerte Quarantäne hatte dazu geführt, dass Mitarbeiter von Hotels, aber auch Stammgäste von Eingeweihten über die bevorstehende Quarantäne informiert wurden. Dadurch kam es zum ungeordneten Auszug aus dem Tal – das Virus wurde verbreitet. Auch weil sich viele nicht an die Aufforderung hielten, unverzüglich in die Heimat zurückzukehren und sich dort bei den Gesundheitsbehörden zu melden. Viele geben an, davon nichts gewusst zu haben.

Ein deutliches Indiz dafür, dass der VSV die Fälle nicht unbedingt gerichtlich ausfechten will, ist ein offener Brief an Bundeskanzler Sebastian Kurz, in dem eine aussergerichtliche Lösung angeregt wird. / Fred Fettner

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