KI ja aber nur vorsichtig Viele mysteriöse Tools Recruiting droht zur Software Party zu werden
HI+

KI ja, aber nur vorsichtig

Viele mysteriöse Tools: Recruiting droht zur Software-Party zu werden

Bei Bewerbungsgesprächen ist Kollege KI häufig schon mit dabei. Foto: pathdoc

München. Der Mangel an geeigneten Fachkräften in Kombination mit den neuen technologischen Möglichkeiten hat zu einer Flut von HR-Software geführt. Unzählige Anbieter versprechen Hilfe bei der Suche und Auswahl neuer Mitarbeiter mithilfe Künstlicher Intelligenz und Algorithmen. Schauen Sie aber genau hin! Banner im Stadion oder Plakate auf der Baustelle können auch immer noch Erfolg bringen. Und die Arbeitgeber dürfen auch selbst noch an ihrem eigenen Auftritt arbeiten. Bärbel Schwertfeger tummelte sich zwischen neuen Technologie-Tools.

"2019 wird eine bunte Party", warb der Veranstalter für sein "Expofestival Talentpro" im März in München mit "Early Morning Yoga" und "After Show Party". Andere HR-Veranstaltungen nennen sich Racer Symposium, Unleash oder Recruiter Slam. Offenbar steht für die – meist jungen – Recruiter heute vor allem eine unterhaltsame Show mit viel Spass und Party im Vordergrund.

In der Münchner Konzert- und Partyhalle Zenith präsentierten knapp 150 Aussteller bei der Talentpro ihre Lösungen, wie Unternehmen in Zeiten des Arbeits- und Fachkräfte-Mangels neue Mitarbeiter finden können. Zwischen den Messeständen stakte ein als Superman verkleideter "Super-Recruiter" auf Stelzen, Künstler der Pop-Akademie Mannheim spielten ein lautes Ständchen und das Weingut Lischer lud zur Riesling-Probe ein. Das HR-Betriebssystem Personio verteilte gelbe Postkarten mit dem Spruch "Have you hugged your HR person today?" Das solle gute Laune machen und sei doch super, erklärte eine junge Frau. Zudem gab es an Messeständen und den Vortragsarenen zahlreiche Vorträge.

Die deutsche HSMA bot einen separaten "Deep Dive HR 4.0 Day" an, bei dem es u.a. um Kulturwandel, Neuroleadership, Onboarding und Arbeitgeber-Bewertungsplattformen ging.

In der neuen Flut der Software-Tools muss man zunächst nur auffallen.Foto: Schwertfeger

"Wir kommen mit einem ernsthaften Anspruch", kommentierte Ulrich Rust, Vertriebsleiter bei der Online-Stellenbörse Jobware den immer häufiger zu beobachtenden Show- und Spass-Ansatz. Viele Unternehmen suchten händeringend nach Fachkräften. Sie müssten Aufträge ablehnen oder könnten nicht expandieren, weil ihnen das Personal dafür fehlt. Natürlich könne man das Thema positiv angehen, aber es sollte nicht nur darum gehen, dass sich die HR-Branche selbst feiert.

Kandidaten filtern, mit Chatbots sprechen

Der Recruiting-Markt wächst rasant, nicht zuletzt auch aufgrund der neuen technologischen Möglichkeiten. Neben den klassischen Online-Jobbörsen sind dabei unzählige Startups entstanden, die Unternehmen gegen Honorar Hilfe bei der Personalsuche versprechen. Grob gesagt lässt sich das Angebot in drei Bereiche aufteilen: das Auffinden von potentiellen Mitarbeitern, die möglichst schnelle und einfache Abwicklung von Bewerbungen und die Vorselektion oder Auswahl von Bewerbern.

Gerade im ersten Bereich tummeln sich viele Anbieter. Hier geht es um Active Sourcing, also die zielgerichtete Suche, Identifizierung sowie proaktive Ansprache möglicher Kandidaten in Karriere-Netzwerken und auf Online-Plattformen. Die Versprechen der Anbieter: mit Hilfe von Algorithmen und künstlicher Intelligenz mehr Bewerber zu generieren.

So durchsucht z.B. Talentwunder mit Hilfe von KI mehr als 75 Netzwerke nach passenden Kandidaten und verspricht: "Erreichen Sie über eine Milliarde aktive und passive Kandidaten". Auch "intuitive Such- und Filtermöglichkeiten inklusive Boolescher Operatoren" lassen sich buchen.

Das Startup Inga. aus Frankfurt spricht potentielle Kandidaten über eine platzierte Anzeige in Social Media an. In einem automatisierten Chat-Dialog erfährt Inga. dann mehr über den Kandidaten – und der mehr über das Angebot. Dabei wird der potentielle Bewerber mit Hilfe von geschickten Fragen und Anstössen so gelenkt, dass er mehr von sich preisgibt und nicht aussteigt. Am Ende des Chats soll er dann seine Kontaktdaten eintippen und es dem Startup erlauben, seine Daten an das suchende Unternehmen weiterzuleiten.

Auch Skillconomy setzt einen Chatbot ein. Dem erklärt der Rekrutierer zunächst, was er sucht und erfährt, wie viele Kandidaten über welchen Kanal akquiriert werden können. Ein Mitarbeiter von Skillconomy eruiert in einem halbstündigen Telefonat detailliert den Bedarf. Im nächsten Schritt wählen Algorithmen die besten Kanäle aus und platzieren das Stellenangebot dort. Der Kunde erhält passende und wechselbereite Kandidaten über das Webportal.

Truffls funktioniert ähnlich wie Tinder. Der Kandidat gibt sein Profil ein und bekommt passende Jobs vorgeschlagen. Wer nach rechts wischt, bewirbt sich anonym auf die Stelle.

Chatbots führen automatisierte Dialoge mit Bewerbern. Diese entscheiden am Ende, ob sie ihre Daten dem Unternehmen schicken.Foto: Schwertfeger

Banner im Stadion, Plakate auf
der Baustelle

Allerdings ist die Identifikation potentieller Bewerber nur der erste Schritt. Der nächste und deutlich schwierigere Schritt ist es, den Kandidaten als Arbeitgeber zu überzeugen. Das funktioniert in der Regel nur über einen persönlichen Kontakt. Zudem auffallend: Die meisten Anbieter fokussieren sich auf die Zielgruppen IT, Vertrieb und Marketing.

Jobware-Vertriebsleiter Ulrich Rust rät Unternehmen, nicht nur auf die Suche im Internet zu setzen und berichtet von einem Unternehmen, das per Banner-Werbung im Fussball-Stadium neue Mitarbeiter gesucht hat. Auf einer 1 m hohen und 100 m langen Videobande beim SC Paderborn 07 wurde mehrmals für ein paar Sekunden ein Bewegtbild mit Teaser, Firmenlogo und Jobtitel eingeblendet. Für rund 2.000 Euro stellte Jobware das Gesamtpaket zur Verfügung. Für ein kommunales Baureferat wurden auf Plakaten an der Baustelle von Stuttgart 21 Bauingenieure gesucht. Und eine Bäckerei suchte auf zehn Plakaten im Ort nach Mitarbeitern. Doch auch für solche analogen Aktionen brauche es die passende Logistik. Wer druckt die Plakate, wer klebt sie? "Das Werbemittel muss funktionieren", sagt Rust. Da könne manchmal auch eine Methode der klassischen Produkt-Werbung passen.

Abbruch bei zähen Mobile-Bewerbungen

Hat man einen potentiellen Kandidaten an der Angel, muss natürlich auch die Bewerbung möglichst einfach sein. Gefragt ist dabei vor allem die mobile Bewerbung. Erstaunlicherweise lassen nur 39% der Grosskonzerne eine Bewerbung über das Mobiltelefon zu. Eine One-Click-Bewerbung bieten nur 17% bzw. 20% an. Das ist das Ergebnis einer Analyse der Personalmarketing-Agentur Wollmilchsau aus den Karriere-Angeboten der 160 DAX-notierten Unternehmen.

Ein weiteres Ergebnis: Fast jeder Zweite hat schon einmal eine Bewerbung per Mobilgerät abgebrochen, weil es zu lange dauerte oder zu kompliziert war. Hier könnten vor allem kleinere Unternehmen punkten. Auch hier gibt es mit yourfirm.de einen passenden Anbieter, der eine mobile Express-Bewerbung ermöglicht. Dabei verknüpft der Kandidat entweder seine Bewerbung mit nur einem Klick auf sein XING oder LinkedIn-Profil, oder er beantwortet drei Fragen, die eine erste, qualifizierte Einschätzung seiner Eignung für die ausgeschriebene Stelle ermöglicht.

Bewerber-Auswahl

Die Generierung grosser Bewerber-Zahlen führt unweigerlich zum nächsten Problem: Wie wähle ich die passenden Kandidaten aus? Auch hier versprechen Algorithmen Hilfe. Anhand bestimmter Kriterien können sie Bewerber in Windeseile sortieren. Das funktioniert gut bei eindeutigen Kriterien wie der Kenntnis einer bestimmten Programmier-Sprache. Doch so mancher Software-Anbieter verspricht mehr: Persönlichkeitserkennung per Sprachanalyse, Fähigkeitsbeurteilung anhand von WhatsApp-Sprachnachrichten oder Intelligenz-Messung über ein Smartphone-Spiel.

Hier ist allerdings grosse Vorsicht angebracht. Denn KI kann zwar grosse Datensätze in hoher Geschwindigkeit analysieren und Zusammenhänge finden, aber die Ergebnisse nicht kritisch hinterfragen. Ein bekanntes Beispiel ist eine Studie, die einen statistischen Zusammenhang zwischen Intelligenz und der Präferenz für Pommes Frites in Spiralform belegte. Das war natürlich eine Schein-Korrelation und zeigt, wie gefährlich ein zu grosses Vertrauen in die KI bei Auswahl-Entscheidungen sein kann. Jedes datenbasierte System ist nur so gut wie die Daten, die dort eingespeist werden.

Das erlebte Amazon, wo die KI Frauen systematisch benachteiligte. Der Algorithmus hatte aus den Daten der überwiegend männlichen Mitarbeiter eine geringere Eignung für Bewerberinnen errechnet.
Umstritten ist auch die Sprachanalyse Precire. Hier muss der Kandidat etwa zehn Minuten willkürlich vom Computer ausgewählte und gestellte Fragen am Telefon beantworten und daraus errechnen die Algorithmen dann ein detailliertes Persönlichkeitsprofil.

Bewerbungen per Moble müssen intuitiv funktionieren und schnell beantwortet sein. In der Praxis sieht das anders aus.Foto: WrightStudio stock.adobe.com

Nur Verlierer bei Sprachanalyse

Experten haben daran ihre Zweifel. "Die fehlende wissenschaftliche Evaluierung und Rechtsprobleme beim Tool-Einsatz in HR werden als kritische Punkte der Sprachanalyse-Software diskutiert", schreibt Reiner Straub, Herausgeber des "Personalmagazin". Denn Daten dürfen in der Bewerber-Auswahl nur dann verarbeitet werden, wenn sie für eine Entscheidung erforderlich sind, wie es die Anwältin Nina Diercks im Magazin "Human Resources Manager" erklärt. Unternehmen, die die Sprachanalyse anwenden, könnten daher doppelt verlieren: Sie wissen nicht, ob der Algorithmus überhaupt zuverlässige Informationen liefert und sie könnten ein Bussgeld wegen des Verstosses gegen das Datenschutzgesetz riskieren.

Einen anderen Ansatz stellte Lorenz Berg, Berater bei dem Entwickler von Online-Assessments cut-e in Hamburg auf der Messe Talentpro vor. Im Gegensatz zu Precire, wo man behauptet, aus der Sprache und Stimme auf die Persönlichkeit schliessen zu können, konzentriert sich cut-e auf den Inhalt der Sprache. Die KI analysiert den Inhalt in einem Video-Interview und kategorisiert ihn. Dazu werden die Aussagen eines Bewerbers im Video-Interview zunächst automatisch transkribiert.

Dann durchsucht sie den Text nach allen positiven und negativen Indikationen für die jeweiligen Dimensionen des von cut-e entwickelten Persönlichkeits-Fragebogens ADEPT-15. Er misst 15 Aspekte der Persönlichkeit wie Flexibilität, Kooperationsbereitschaft oder Selbstwahrnehmung. Als Ergebnis erhält der Recruiter dann eine Auswertung auf den 15 Dimensionen des ADEPT-15. Dem Unternehmen bringe das einen Kostenvorteil von 30-50% und es verkürze die Reaktionszeit um die Hälfte. Und vor allem: Die Bewerber müssen keinen Persönlichkeitstest bearbeiten, was sie oft nicht gern tun.

Auch Arbeitgeber müssen überzeugen

Fazit: KI kann Unternehmen dabei unterstützen, neue Mitarbeiter zu finden und zu bewerten – auch wenn so manches Versprechen der Anbieter mit der gebührenden Vorsicht betrachtet werden sollte. Oftmals liegt das Problem aber auch ganz woanders. Das zeigt das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Video-Recruiting Anbieters Viasto, für die das Marktforschungsunternehmen Respondi 1.049 Arbeitnehmer in Deutschland befragte, die 2018 ein Vorstellungsgespräch führten.

Danach sagte mehr als ein Drittel der Kandidaten, die von Unternehmen zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden, die angebotene Stelle während des Auswahlprozesses ab. Die Gründe dafür sind natürlich vielfältig. Aber 21% - und damit mehr als ein Fünftel – entschieden sich gegen die Annahme der Stelle, nachdem sie die Unternehmensvertreter im Job-Interview kennengelernt hatten. 28% fanden den Auswahlprozess des Unternehmens zu lang oder nicht zufriedenstellend. Auch bei der Vorbereitung der Personaler und Vertreter der jeweiligen Fachabteilung auf das Job-Interview gibt es offenbar noch Verbesserungsbedarf. So waren nach Ansicht der Bewerber nur vier von zehn Interviewer wirklich gut auf das Gespräch vorbereitet. / Bärbel Schwertfeger

{"host":"www.hospitalityinside.com","user-agent":"Mozilla/5.0 AppleWebKit/537.36 (KHTML, like Gecko; compatible; ClaudeBot/1.0; +claudebot@anthropic.com)","accept":"*/*","x-forwarded-for":"3.133.149.168","x-forwarded-host":"www.hospitalityinside.com","x-forwarded-port":"443","x-forwarded-proto":"https","x-forwarded-server":"d9311dca5b36","x-real-ip":"3.133.149.168","accept-encoding":"gzip"}REACT_APP_OVERWRITE_FRONTEND_HOST:hospitalityinside.com &&& REACT_APP_GRAPHQL_ENDPOINT:http://app/api/v1