Künstliche Intelligenz diktiert den Zimmerpreis Der touristische Vertrieb zeigt den TechnologieKampf um den Reisenden
HI+

Künstliche Intelligenz diktiert den Zimmerpreis

Der touristische Vertrieb zeigt den Technologie-Kampf um den Reisenden

Der Hasenhorn Coaster in Todtnau. Die Hochschwarzwald Tourismus Gesellschaft will noch in diesem Jahr mit einem innovativen Preis-Prognose-Modell durchstarten.Fotos: Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Mayrhofen. Digitalisierung auf höchstem Niveau kann Tourismus-Organisationen besser ins Spiel bringen – etwa indem sie Hotel-Betriebe mit neuen Technologien in der Preisfindung unterstützen. Künstliche Intelligenz bestimmt künftig den Zimmerpreis. Chatbots im Gästeservice und Lösungen für "Headless Internet" bieten weitere Chancen für Destination Management Organisationen, ihre Rolle neu zu definieren. "Die DMO wird die digitale Leitstelle in der Region. Denn einzelne Leistungsträger können das technologisch nicht leisten", meinte der Salzburger Social Media-Berater Reinhard Lanner im Rahmen von "Tourism Fast Forward", dem österreichischen Treffpunkt von Tourismus-Praktikern und elektronischen Start-ups.

Josephine Karner von Microsoft Österreich öffnete die Handfläche symbolisch zur Blume, klickte mit Daumen und Zeigefinger in einem Raum, den nur sie durch ihre "Hololens" sah und liess so ein Gebäude auf der Bühne entstehen. So könne jeder Hotelier sein Haus auf Messen mitnehmen, sagte Karner trocken. Ungeachtet derart futuristischer Akzente machte die Konferenz im österreichischen Mayrhofen klar: Nicht nur animierende Hologramme beeinflussen die Reisewelt in nächster Zeit, sondern viele technologische Entwicklungen, die im Entscheidungs- und Buchungsprozess sinnvoll eingesetzt werden können.

Hier setzt der Hotelier Rudolf Tucek an. Er lässt auf eigene Rechnung eine nach Perfektionismus strebende Software für Tourismus-Organisationen namens S4C entwickeln. In der Wiener Zentrale der einst von Tucek gegründeten Cube Hotels sind seit rund zwei Jahren Technik-Freaks damit beschäftigt, Tuceks Vorstellungen umzusetzen. Der Weg des Konsumenten zum Produkt – von der Anreise bis zum Add-on in der Region – soll online auf einen Kontakt, die DMO, konzentriert werden: "Customers sind auch die einzelnen Leistungsträger gegenüber der DMO", erklärt Tucek seine Produkt-Bezeichnung. Das System vereinfacht also nicht die Zimmer-Vermittlung vom Hotel an den Kunden, sondern dient dem Verkauf von Zimmern und anderen touristischen Leistungen über die Tourismusverbände. Auf diese Art sollen Tourismusverbände das Gegengewicht zu Buchungsportalen wie Booking.com bilden.

Er will mit seiner Software den Tourismus-Markt revolutionieren: Hotelier Rudolf Tucek.

DMOs als Gegengewicht zu OTAs

Diese Argumentation respektive Perspektive war bei "Tourism Fast Forward" häufig anzutreffen. Riesen wie Google oder Microsoft statten Start-ups wie S4c oder Onlim unterschiedlich aus, andere Umsetzungen wie Semantify.it haben ein Universitäts-Gelände noch nicht verlassen – trotzdem präsentieren sich alle als Retter der Hotel-Branche, die unter der Provisionsmacht der Online-Portale leidet. Pikanterie am Rande: Booking.com war auch präsent. Vor der Saaltür, im Pausenraum, schlossen drei Booking-Damen Verträge ab.

Neues vermag Feratel-Eigentümer Dr. Markus Schröcksnadel an Tuceks Ansatz nicht erkennen: "Das gibt es bei uns alles schon. Aber die wenigsten Verbände machen davon Gebrauch". Die in Innsbruck ansässige Feratel zählt zu den Spezialisten für Informations- und Reservierungssysteme im touristischen Vertrieb an; Schröcksnadels Statement ist selbstverständlich vor dem Hintergrund neuer Konkurrenz zu sehen. Feratel hat bisher 4.000 Destinationen – überwiegend auf Basis des ursprünglich schweizerischen Destination Management-Systems "Deskline" – bislang mit IRS ausgestattet.

Als Beispiele für die umfassende Umsetzung der technischen Möglichkeiten führt Schröcksnagel Ischgl und St. Tropez an, wo die Hotel-Buchung bei der örtlichen Information erfolgt. Im Laufe der Buchung poppen sportliche und kulturelle Aktivitäten unmittelbar auf und können mitgebucht werden. Tucek kann Schröcksnadels Gleichstellung mit Feratels Software nicht akzeptieren. "Wir saugen unsere Inhalte alle mit neuesten Technologien direkt aus dem Netz, nutzen alles, was Google als Open Source kostenfrei liefert." Details dazu will er noch nicht bekannt geben. Der grösste Unterschied wird jedoch sein: Nach Tuceks System müssen die Betriebe und Destinationen nicht mehr alle Daten aktiv einspielen, sondern es wird aggregiert, was bereits im Netz verfügbar ist.

Diskussionen um die Preis-Berechnung

Es ist vor allem die vollautomatische Preis-Berechnung, welche S4C vorerst eine besondere Stellung garantiert: Das System durchforscht in Millisekunden das Netz nach den Angeboten in der Zimmer-Kategorie für den gewünschten Termin und ermittelt über zwei Algorithmen den "Marktpreis". Nach den bisherigen Testläufen können die Preisdaten von rund 30 Prozent der Hotels der jeweils angefragten Kategorie aus dem Netz gefiltert werden. "Dieser Prozentsatz reicht mehr als aus, um den Marktpreis zu definieren", sagt Tucek.

Für Dr. Markus Schröcksnadel von Feratel ist das alles nichts Neues: Die Verbände nutzen ihre Möglichkeiten nicht.

Er ist fest davon überzeugt: Weil dieser Marktpreis in der Regel deutlich über dem sonst angebotenen "Bestpreis" liege, werden die Hotels die Buchung immer akzeptieren. Falls es einmal nicht klappt – etwa wenn das Haus komplett ausgebucht ist – werde dem Gast vom System automatisch eine Alternative vorgeschlagen. Da keine Kontingente im Hintergrund stehen, dem Gast aber eine Fixbuchung signalisiert wird, könnte gerade dieser Aspekt der Schwachpunkt des Systems werden. Schröcksnadel sieht – eher scherzhaft – eine weitere Schwäche: "Wenn alle dazu übergehen, den Preis aus Preisdaten aus dem Web zu errechnen, bricht das System in sich zusammen."

Für Tucek ist aber entscheidend, dass das Buchungssystem zur Kostensenkung im Vertrieb beitragen werde. Denn er sieht bisher gerade in der professionellen Preis-Berechnung der Hotellerie Mängel: "Der Markt bestimmt den Preis, nicht die Auslastung. Das ist eines der grossen Missverständnisse des hoch gelobten Revenue Managements". Für die Hotellerie gelte: Der Marktpreis ist der Marktpreis, ein anderer sei nicht zu erzielen. "Was netto übrig bleibt, ist allein eine Frage der Vertriebsstufen. Also muss man die Provisionsfresser entfernen und Packages selbst erstellen", poltert Tucek.

Einwände rechtlicher Natur will der Manager nur bedingt gelten lassen. Erfolgreiche Start-ups würden sich nicht durch derartige Überlegungen bremsen lassen. "Wichtig ist einfach das Tun. Aber natürlich machen uns in Österreich die Gewerbe-Ordnung und auf EU-Ebene die Reiserichtlinie das Leben nicht einfacher." Aber alles sei lösbar.

Hochschwarzwald Tourismus startet durch

Bei aller Gelassenheit ist Tucek, der nach dem 2016 abgeschlossenen Rechtsstreit mit den Eigentümern der VI-Hotels geschätzt mindestens drei Millionen Euro mehr am Konto hat, aber spätestens in Mayrhofen klar geworden, dass er das System nun auf den Markt bringen muss.

Auch am Thema Preis-Prognose arbeiten inzwischen schon andere Unternehmen. Noch dieses Jahr soll mit der Hochschwarzwald Tourismus Gesellschaft das Modell umgesetzt werden. "Es ist noch offen, ob wir nur das Prognose-Modell für das Destination Management nutzen oder schon die Komplettlösung mit dem Zusammenführen aller Leistungsträger starten", sagte Geschäftsführer Thorsten Rudolph.

Die Zusammenarbeit zwischen Tucek und der Hochschwarzwald Tourismus Gesellschaft hat zwei Gründe: Vor über 30 Jahren hatten sowohl Tucek als auch Rudolph, Absolvent der Wiener Wirtschaftsuniversität, zeitgleich ihre ersten Management-Funktionen im Umfeld des Österreichischen Verkehrsbüros inne.

Liebliche Landschaft, knallharte Betriebsführung: Missmanagement hat bei  Hochschwarzwald Tourismus keinen Platz.

Tucek startete erste elektronische Buchungsversuche für die österreichische Hotellerie, Rudolph wurde zum Geschäftsführer des ersten Charterflug-Veranstalters im Lande, "Touropa", erkoren. Wichtiger ist jedoch: Seit Beginn führt Rudolph die 2009 gegründete Hochschwarzwald Tourismus Gesellschaft – konzernähnlich wie ein Online-Reiseportal.

Bei der Tourismus-Organisation fällt vor allem die "Hochschwarzwald Card" ins Auge, die ganzjährig 100 infrastrukturelle Einrichtungen, inklusive der Bergbahnen, in den Aufenthalt inkludiert. Die Aufenthaltsdauer wurde so um die Hälfte verlängert, in den 380 Betrieben, welche die Card inkludieren, werden Jahr für Jahr sieben bis neun Prozent mehr Übernachtungen erzielt. Dahinter steckt eine an Reise-Konzernen orientierte Betriebsführung. "Wir sind knallhart, ohne Rücksicht auf politische Empfindlichkeiten. Wer durch Missmanagement auffällt, wird aus der Vermarktungsstruktur komplett ausgeblendet", betonte Rudolph. Mit dem S4C-Preis-Prognosemodell würden künftig Dumping-Betriebe frühzeitig erkannt und zur Rechenschaft gezogen werden.

Chatbots mit Kommunikationsproblemen

Künstliche Intelligenz erreicht auch auf anderer Ebene die DMOs. So spielt Mayrhofen im Kundenkontakt Vorreiter, indem man Chatbots einsetzt. "Das bestellt man nicht bei irgendeiner Agentur, die Entwicklung ist anspruchsvoll, denn wir wollen ja keine Gäste verlieren", verweist Geschäftsführer Andreas Lackner auf die Kommunikations-Probleme zwischen Mensch und Maschine, die in den Anfängen dramatisch sind. Dem Gast wird jedenfalls nicht verheimlicht, nicht mit einem Menschen zu kommunizieren.

Glaubt man Josephine Karner, dann sind nicht nur Facebook und vor allem eMails "old school", sondern die junge Generation meide sogar den zwischenmenschlichen Kontakt. Konkret führte die Microsoft-Vertreterin vier Vorteile von "Travelbots" an: geringere Call Center-Kosten, unmittelbare Antworten für den Gast, Mitarbeiter können sich auf Wesentliches konzentrieren. Vor allem aber vertritt sie die Ansicht, dass die Kundenzufriedenheit steige. "Chatbots sind perfekt: Ich brauche nicht zu warten und bekomme unmittelbar die neutrale Information." Als Beispiel nannte sie das Hipmunk Booking Bot über Skype. Hipmunk funktioniert im Prinzip wie ein OTA, mit dem Unterschied: Der Kunde definiert allgemein seine Reisewünsche und wird vom Chatbot entsprechend weiter geführt.

Buchen wir unsere Reisen bald über einen persönlichen digitalen Assistenten wie Echo Dot von Amazon?

Chancen des semantischen Web nutzen

Wichtiger für die Verbände scheinen aber die persönlichen digitalen Assistenten zu Freunden der Destination zu machen – wie Amazons Alexa, Apples Siri, Bings Cortana und Google Assistant on Google Home. Diese sollen mit sinnvollen und für das System leicht zu verarbeitenden Inhalten gefüttert werden. Wer das technologisch am besten schafft, wird gewinnen.

Am Semantic Technology Institute der Uni Innsbruck wird aktuell semantify.it entwickelt. Programmiert auf schema.org können so die Inhalte für das "Headless Internet" geliefert werden.

Denn wer heute googelt, erhält immer häufiger auf eine allgemeine Frage eine von Google automatisch gelieferte neutrale Übersicht. Dabei will es das STI nicht belassen. "Der nächste Schritt ist Automatic Direct Booking: ein Direktbuchungs-Agent, der alle Open Source-Daten sammelt und live an Siri & Co weitergibt", skizziert es STI-Projektleiter Elias Kärle in Mayrhofen. In einem Jahr seien in dieser Hinsicht nicht nur Demos möglich, sondern es könnten schon erste Modell-Regionen am Markt aktiv sein. Bislang hat das System den universitären Bereich aber noch nicht verlassen. Kärle ist keineswegs sicher, ob es je ein Spin-Off der Universität werden wird. Verbreitungspartner dieser Idee sind der Projektleiter STI, der Software-Produzent der Skischulen, Waldhart, das Buchungssystem Seekda, SAT als Agenturpartner und die ÖHV.

Was in Mayrhofen auffiel: Auf Rückfrage stellte keiner der Fachleute in Abrede, dass vieles, was auf offenen Zugängen zu Daten von Google basiert, für die Tourismus-Organisationen und Hotels ein geliehenes Glück sein wird. Sind ausreichend Inhalte vorhanden, werden die Empfehlungen der elektronischen SekretärInnen und ButlerInnen für die Anbieter rasch kostspielig werden und es könnte auf so mancher "Open Source" das Geschlossen-Schild auftauchen. / Fred Fettner

WEB-ORGANISATION – WAS IST schema.org?

2011 entschlossen sich die vier "Big Player" am Suchmaschinen-Markt, Bing, Google, Yahoo! und Yandex, eine Union zu bilden, um Inhalte im Web besser zu strukturieren und somit für Suchmaschinen lesbar und verständlich zu machen. Nur Chinas Suchmaschine Baidu ist vermutlich aus politisch-strategischen Gründen nicht dabei. Die Initiative daraus wurde schema.org genannt.

Schema.org definiert eine Sammlung von Begriffen, um "Dinge" auf Webseiten zu beschreiben. So kann beispielsweise eine Hotelwebseite mit dem Term schema.org/Hotel "markiert" oder "annotiert" werden und zusätzlich besteht die Möglichkeit, eine ganze Reihe von Attributen anzugeben, die dieses Hotel beschreiben, wie z.B. der Name, die Adresse, Webseite und vieles mehr. Da diese Annotationen für den Benutzer der Webseite nicht sichtbar sind, spricht man hier auch oft von "Metadaten", die in den Quellcode integriert sind..

Auf dieser Basis nutzen die Suchmaschinen-Anbieter ihre Potenziale im Tourismus als Gratwanderung. Denn einerseits besteht weiterhin pro Jahr ihr "altes" Geschäftsmodell bezahlter Werbung, über das allein von Booking.com nach unterschiedlichsten Angaben bis zu 2,8 Milliarden US-Dollar fliessen sollen. Andererseits finden sich nun immer häufiger bei der Suche nach Beherbergungsbetrieben Bereiche auf der ersten Seite, wo direkte Buchungsmöglichkeiten über die jeweilige Suchmaschine angeboten werden. "Such-Maschinen werden daher immer mehr zu Antwort-Maschinen, die keine Verlinkungen zu Webseiten mehr auflisten, sondern nur noch direkte Antworten geben, extrahiert aus strukturierten Daten", sagt Kärle dazu. Den in den USA dafür gefundenen Begriff "headless web" empfinden die Profis am STI als unglücklich. Es fehlt dem Web nämlich nicht der Kopf, sondern eigentlich die grafische Anzeige, der Monitor. Eine deutschsprachige Bezeichnung wurde bis heute keine gefunden. / FF

 

Verwandte Artikel

Das Web lernt sprechen

Das Web lernt sprechen

21.6.2017

Nürnberg. Das semantische Web verändert die Welt. Maschinen erkennen Sprache und lernen mit dem Menschen zu sprechen – immer schneller und immer besser. Der "grosse Sprung" steht kurz bevor, ist Universitätsprofessor Dieter Fensel, Leiter des Semantic Technology Institute an der Universität Innsbruck, fest überzeugt. Das Web existiert nun seit 25 Jahren, erinnert Fensel. "Die Zukunft aber gehört nicht mehr Webseiten, sondern persönlichen Assistenz-Diensten. Viele junge Menschen, die nur über ihr Handy online sind, werden das World Wide Web gar nicht mehr kennen". Die Welt wird zum Dorf und Privatsphäre eine Illusion. Und Plattformen wie Booking.com wird es bald nicht mehr geben. Fred Fettner interviewte einen Akademiker, der den Wandel zu mehr Künstlicher Intelligenz und einem anderen Leben gut erklären kann.

{"host":"www.hospitalityinside.com","user-agent":"claudebot","accept":"*/*","x-forwarded-for":"3.144.102.239","x-forwarded-host":"www.hospitalityinside.com","x-forwarded-port":"443","x-forwarded-proto":"https","x-forwarded-server":"d9311dca5b36","x-real-ip":"3.144.102.239","accept-encoding":"gzip"}REACT_APP_OVERWRITE_FRONTEND_HOST:hospitalityinside.com &&& REACT_APP_GRAPHQL_ENDPOINT:http://app/api/v1