Neues Gesetz Bundesregierung bringt die Branche um ihre Grundrechte
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Neues Gesetz: Bundesregierung bringt die Branche um ihre Grundrechte

Berlin. In Berlin hat der Bundestag an diesem Mittwoch die stark umstrittenen Änderungen im 3. Infektionsschutzgesetz durchgepeitscht, die fatale Auswirkungen auf das Gastgewerbe haben. Künftig kann die Regierung das Reisen komplett unterbinden! Der Branchenverband Dehoga wird mit zwei Mitgliedern beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichen.

Nach einer heftigen Debatte hat der Deutsche Bundestag am Nachmittag des 18. November 2020 die Änderungen im Infektionsschutzgesetz beschlossen. 415 Abgeordnete stimmten für die Vorlage von Union und SPD, 236 dagegen, acht enthielten sich. Die Regierung erhält damit, salopp gesagt, mehr Befugnisse, ihren Bürgern Massnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie vorzuschreiben und die Schliessung von Unternehmen durchzusetzen, ohne sich danach mit Gerichten auseinandersetzen zu müssen.

Der Skandal hinter der Gesetzesanpassung klingt harmlos. In Paragraph 28a des IfSG werden nun "Besondere Schutzmassnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankeit-2019" aufgelistet, die "notwendige Schutzmassnahmen" im Sinne des bisher sehr pauschal formulierten Paragraphen 28 sein können: vom Abstandsgebot über die Maskenpflicht bis zur Untersagung von Kultur- und Sportveranstaltungen oder Übernachtungsangeboten.

Damit wird die bisher geübte Praxis vom Parlament explizit weiter erlaubt. Erlassen werden können die Massnahmen, wenn eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite besteht".

IfSG sieht keine Entschädigungen vor

Definiert wird die "epidemische Lage" damit, dass entweder die WHO eine internationale Notlage ausrufen muss oder sich in Deutschland eine bedrohliche Lage über mehrere Länder ausbreitet. Letzteres ist sicherlich auch als Massregelung aufmüpfiger Bundesländer im föderalen System zu werten, die der Bundeskanzlerin nationale Entscheidungen vereitelt haben.

Absatz 3 des Paragraphen führt die 7-Tage-Inzidenzwerte von 35 und 50 als Schwellenwerte für Massnahmen auf, ohne jedoch festzulegen, welche Einschränkung ab wann erlaubt ist. Eine weitere Regelung sieht vor, dass die Verordnungen zeitlich zu befristen und mit einer allgemeinen Begründung zu versehen sind. Entschädigungen für die von den Massnahmen betroffenen Branchen sind in dem Gesetz nicht vorgesehen.

Das Bundesverfassungsgericht.Foto: Bundesverfassungsgericht │ bild_raum, Stephan Baumann, Karlsruhe

Zwei Dehoga-Mitglieder
wollen klagen

Der Dehoga wird, gemeinsam mit zwei Unternehmen, jeweils aus der Gastronomie und der Hotellerie, gegen diesen Beschluss Verfassungsbeschwerde einlegen, bestätigte Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges hospitalityInside.com am 19. November. Der Dehoga werde die von einer Anwaltskanzlei betreuten Verfahren unterstützen. Man müsse das Defizit korrigieren und dafür sorgen, dass die in eine Sonderopferrolle gedrängte Branche eine Entschädigung erhalte: Sie müsse ihre Betriebe schliessen, um andere Wirtschaftszweige und Schulen offen zu halten.

Hartges und Dehoga-Präsident Guido Zöllick hatten sich schon im Vorfeld der Debatte mehrfach gegen die Beschlussvorlage ausgesprochen. "Damit wird eine neue Rechtsgrundlage für umfangreiche Schutzmassnahmen geschaffen, die zweifelsohne einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Gastwirte und Hoteliers bedeuten. Es ist jedoch inkonsequent und unseres Erachtens verfassungswidrig, dass keine Entschädigung für diesen Fall für unsere Betriebe vorgesehen ist", so Zöllick.

Zuletzt bestätigten deutschlandweit Verwaltungsgerichte den aktuellen Lockdown im Gastgewerbe oft nur mit Verweis darauf, dass Entschädigungsleistungen für November angekündigt wurden. "Jetzt ist es umso wichtiger, für künftige Massnahmen klare Entschädigungsregelungen zu treffen," so Zöllick. "Alles andere käme einer Zwangsenteignung gleich."

Der grosse Aufschrei der Branche fehlt

Nach dem Änderungsbeschluss ging zumindest durch die Sozialen Medien ein kleiner Aufschrei aus der Branche. "Wenn der Staat nun unsere Betriebe schliessen darf und keine Regelung für den Schadensersatz getroffen hat, müssen wir ja in der Folge neue Pachtverträge und … Achtung… auch neue Arbeitsverträge abschliessen, die besagen, dass wir im Fall der angeordneten Betriebsschliessung eine fristlose Kündigung wegen Wegfall der Geschäftsgrundlage aussprechen dürfen. Ist ja eine logische Konsequenz", schrieb etwa Hotelier Haakon Herbst auf Facebook.

Von einer grossen Protestwelle allerdings kann man nicht sprechen. Im Gegenteil: Die Branche zieht sich eher frustriert und deprimiert zurück – und fängt verzweifelt neu an, zu rechnen. Nachdem die Infektionszahlen in Deutschland nach wie vor nicht signifikant und konstant sinken, sondern wellenartig rauf- und runtergehen, wird eine Verlängerung des zweiten Lockdowns weit in den Dezember hinein immer wahrscheinlicher. Das wäre garantiert der noch frühere Todesstoss für einige Unternehmen. Schliesslich fliessen die versprochenen November-Hilfen der Regierung immer noch nicht. Die Behörden sind völlig überfordert.

Bundesjustizministerin will Gewerbemietern helfen

Unterdessen denkt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht darüber nach, mit einer Änderung des Mietrechts Gewerbetreibende in der Corona-Krise zu unterstützen. "Ihnen fallen häufig Einnahmen weg, wenn sie durch Corona bedingte, staatlich angeordnete Beschränkungen die angemieteten Räume gar nicht mehr oder nur stark eingeschränkt nutzen", sagte sie der Funke-Mediengruppe, wie verschiedene Zeitungen berichteten. "Ich möchte gesetzlich klarstellen, dass dies regelmässig die Störung der Geschäftsgrundlage für ein Mietverhältnis bedeutet." Dadurch werde die Position des Gewerbemieters gestärkt, "wenn er mit dem Vermieter über eine neue Miet- bzw. Pachthöhe verhandeln möchte".

Allerdings würde dies nicht automatisch einen Anspruch auf Mietminderung bedeuten, räumt auch die Ministerin ein. Es müssten natürlich immer der Einzelfall und die konkreten vertraglichen Vereinbarungen geprüft und notfalls gerichtlich festgestellt werden, ob eine Anpassung des Vertrags verlangt werden könne. "Damit schnell Rechtssicherheit erzielt wird, möchte ich ebenfalls festschreiben, dass diese Verfahren von den Gerichten beschleunigt behandelt werden," so Lambrecht. Eine solche Regelung sei auch im Sinne der Vermieter. "Denn natürlich haben sie mehr davon, wenn sie einen guten Mieter haben, der bleibt und dann im nächsten Jahr auch wieder seine volle Miete bezahlen kann", so die Ministerin.

Woran diese Idee scheitern dürfte, zeigt der Gastbeitrag der Anwaltskanzlei GvW Graf von Westphalen in dieser Ausgabe von hospitalityInside.com (mehr unter diesem Link). Darüber hinaus zeigt auch MHP Hotels, bislang erfolgreicher Betreiber von Le Méridien Hotels, in der heutigen Ausgabe auf, was passiert, wenn Eigentümer ihren Teil der Krisen-Bewältigung nicht übernehmen wollen (mehr unter diesem Link).

Baden-Württemberg glaubt an den Tourismus

Unterdessen unterstreicht die Landesregierung Baden-Württemberg ihre Wertschätzung für den Tourismus mit einem weiteren Hilfs- und Förderprogramm. Zusätzlich zu den Soforthilfe-Programmen auf Bundes- und Landesebene hat sie jetzt das "Stabilisierungsprogramm für die Leitökonomie Tourismus" auf den Weg gebracht. Es besteht aus drei Programmteilen.

Der erste Teil, das Investitionsprogramm Tourismusbetriebe, umfasst eine Fördersumme von bis zu zwölf Millionen Euro und zielt darauf, die Investitionskraft im Gastgewerbe zu stärken. Den Unternehmen wird über die L-Bank ein zinsverbilligtes Darlehen ergänzt um einen Tilgungszuschuss zur Verfügung gestellt. Der Tilgungszuschuss wird mit einem Fördersatz von 25% und höchstens 200.000 Euro pro Vorhaben und Unternehmen gewährt. Die Tourismusfinanzierung richtet sich ausschliesslich an kleine und mittlere Unternehmen, wobei Investitionen beispielsweise im Rahmen von Gebäude-Modernisierungen, Neubauten oder Betriebsübernahmen ermöglicht werden sollen, sofern hiermit Investitionen in eine touristische Einrichtung gefördert werden.

Für weitere grossangelegte und multimediale Marketing-Kampagnen im Inland und grenznahen Ausland, um Baden-Württemberg dauerhaft als Reiseziel und Urlaubsland der ersten Wahl am Markt zu positionieren, stehen bis zu acht Millionen Euro bereit. Und für die Stabilisierung der kommunalen Thermen wurden in dem beschlossenen Programm 15 Millionen Euro bewilligt.

Hochschulen sollen helfen

Ausserdem hat das Wissenschaftsministerium des Landes das "Brückenprogramm Touristik" initiiert, um das Innovationspotenzial der Hochschulen in Baden-Württemberg und ihrer Absolventen noch besser zu nutzen. Letztere erhalten für eine Übergangszeit ein Beschäftigungsverhältnis an den Hochschulen und sollen das Land dabei unterstützen, Geschäftsmodelle, Angebote und Verfahren zu entwickeln, mit denen Unternehmen aus den Bereichen Tourismus, Hotellerie und Gastronomie die Krise bewältigen und Strategien für die Zeit nach Corona entwickeln können. Mit einer Million Euro sollen mindestens 25 Innovationsprojekte der staatlichen Hochschulen in Kooperation mit touristischen Unternehmen gefördert werden.

In Baden-Württemberg hängen 390.000 Arbeitsplätze vom Tourismus ab, er sorgte zuletzt für ein jährliches Bruttoumsatzvolumen von mehr als 25 Milliarden Euro im Jahr im Bundesland. / sst

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