Shutdown des alten Marketings Richard Adams Weckruf für schwerfällige Destination Manager
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Shutdown des alten Marketings

Richard Adams Weckruf für schwerfällige Destination Manager

Nach den Tourismus-Rekorden der Vorjahre sind neue Wege aus dem Labyrinth gefragt.Foto: unsplash ashley batz

München. Die nicht endenwollenden Lockdowns frieren auch die Erinnerung an so manche Destination ein. Vor allem erfolgsverwöhnte Manager im Städte-Tourismus müssen umschalten, ihr Tun selbstkritisch hinterfragen. Sonst laufen ihnen die kleinen, flexiblen Ziele den Rang ab.

Vor einem Jahr widmete sich der Autor dieses Beitrags, Richard Adam, an dieser Stelle der Erosion des Hospitality-Geschäfts und stellte die Berechtigung von Marken kritisch auf den Prüfstand. Der Artikel fand grosse Aufmerksamkeit. Der Tourismus-Experte, der sich selbst gerne Chief Executive Optimist nennt, hinterfragt heute die Arbeit der Destination Manager. Sie müssen sich umstellen: Die Touristenströme der Zukunft kommen nicht mehr von selbst. Auch, weil sich die Touristen ändern.

Die Branche sehnt sich verständlicherweise danach, bald wieder Hotel- und Restaurantgäste bedienen zu dürfen... Wie sehen Sie die Situation?

Die Situation ist rundum herausfordernd. Heute wissen wir, dass zum ersten Mal in der Geschichte die Reise-, Hospitality- und Tourismus-Branche einem globalen Lockdown gegenüberstand. Die vergangenen Monate haben aber auch gezeigt, dass verschiedene touristische Hotspots es nicht abwarten konnten, schnell genug für die Sommersaison wieder zu öffnen, was zu einer erneuten Ausbreitung des Virus führte.

In der Gesellschaft wird die Balance zwischen Geduld und Interessenkonflikt stark strapaziert. Obwohl es noch keine, auf soliden empirischen Daten basierenden wissenschaftlichen Untersuchungen darüber gibt, welche Strategien und Massnahmen sich als erfolgreich erweisen, um den nachhaltigen Tourismus und das Reisen wiederzubeleben, gibt es einige Prognosen, dass der Covid-19-Schlag die Zukunft des Reisens lange beeinflussen wird.

Richard Adam: Konzepte aus der Vergangenheit lassen sich nicht mehrkopieren.Foto: privat

Eine OECD-Studie, die im Oktober 2020 veröffentlicht wurde, besagt, dass der Tourismus 2020 um 80% zurückgegangen sein wird, was 2,8% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts ausmacht, letztendlich könnten es sogar bis zu -4,5% des globalen Bruttoinlandsprodukts allein aus dem Tourismus werden, was laut WTTC 60% der Arbeitsplätze im Tourismus gefährdet. (Red: Aktuellere Zahlen der OECD liegen derzeit nicht vor.)

Wann wird sich der Tourismus wieder erholen, nachdem er ein Jahr lang Einschränkungen und Verbote erlebt hat?

Die Welt verlässt sich auf Reports. Was die meisten Reports gemeinsam haben, ist ihre temporäre Überlebensperspektive und insbesondere ihr Fokus darauf, wie man die glorreiche Zeit vor der Krise mit Wachstum und Wohlstand wiederherstellen kann. Sicherlich werden Reisen und Tourismus früher oder später stark zurückkommen, aber anders, mit tiefgreifenden Folgen für das Verbraucherverhalten, Investitionen, Entwicklung, Management und Governance. Der Tourismus war auch vor Covid-19 nicht perfekt.

Zweifellos werden wir sehen, dass einige Konsummuster zu langfristigen Trendlinien zurückkehren, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Wir müssen zwischen vorübergehend verschobenem, beschleunigtem oder gestörtem Konsum und neuen, dauerhafteren Konsummustern unterscheiden.

In hospitalityInside.com beschreiben wir jede Woche die Nöte der Hospitality-Branche, so dass wir dies für dieses Segment jetzt hier nicht wiederholen möchten. Stattdessen sehen wir mit Blick auf die zukünftigen Herausforderungen für die professionellen Gastgeber auch eine grosse und wachsende Verantwortung der Destination Manager. Kein Reisender wird zurückkommen, weil "sein" Hotel wieder geöffnet hat. Die Destinationen werden in Zukunft eine noch entscheidendere Rolle spielen: Wie sicher sind sie, was und wie vermarkten sie sich? Oder?

Absolut, Ihre Fragen sind berechtigt. Destinationen werden kreativ und progressiv werden müssen. Sie können nicht weiterhin die Konzepte der Vergangenheit kopieren.

Im Städtetourismus z.B. hat sich in den letzten Jahren eine Reihe von echten Hotspots herausgebildet. Dubai etwa, basierend auf der Drehkreuz-Strategie einer der verkehrsreichsten Fluggesellschaften der Welt und massiven Investitionen sowie auf dem Wachstum der relevanten Infrastruktur. Globale Destination-Evergreens wie London, Paris, Hongkong, Bangkok oder New York City und eine Reihe von vielen kleineren Städten hatten ebenfalls stetig steigende Besucherzahlen. Venedig, Barcelona und Amsterdam beklagten sich sogar über "Overtourism". Kurzum: Der Tourismus ist überall gewachsen und damit auch die Investitionen in neue Attraktionen, Hotels oder Einrichtungen, um zusätzliche Besucher anzulocken.

Aber der Erfolg ist nun nicht mehr programmierbar?

Nein. Während Manager von aufstrebenden Destinationen ehrgeizig sind oder oft gezwungen wurden, besondere Erlebnisse entlang der Visitor Journey zu schaffen, Angebote zu hinterfragen, zu überdenken und neu zu gestalten, verfallen die Verantwortlichen von reifen populären Hotspots in eine Mentalität der "Bewältigung" des Tourismus anstatt ihn zu entwickeln. Dies wirkt sich folglich auf die Einstellung der Verantwortlichen aus, vor allem dann, wenn sich das Wachstum über einen langen Zeitraum hinweg zeigt und das Berichten von Rekordzahlen und Eigenlob zur dominierenden Routine wird.

Rom, Trevi-Brunnen: Für viele Städte war ihr Dauer-Erfolg selbstverständlich, plötzlich meiden Menschen die Massen. Wie switchen Destination Manager nun um?Foto: unsplash jeff ackley

Im Gegensatz zu privaten Unternehmen, die aufgrund von Skalen-Effekten wachsen können, wird die öffentliche Hand in Hotspots blind, da sie sich über Besucherzahlen definiert und die bekannten Phänomene von Touristenfallen und fragwürdigen Praktiken entstehen.

Welche Ambitionen bleiben jenseits des "sich auf die Schulterklopfens"? Im Lichte der Theorie über den Produktlebenszyklus betrachtet, benötigten viele langjährig beliebte Orte bereits vor einem so einschneidenden Ereignis wie Covid-19 einen Relaunch, eine substanzielle Neupositionierung. In der Zeit nach Covid kann die Laissez-faire-Strategie des Massentourismus an beliebten Orten schwer nach hinten losgehen, wenn die Menschen beginnen, grosse Menschen-Mengen zu meiden.

Können Sie das bitte etwas präzisieren?

In Zeiten des Höhenflugs entwickelt man als öffentliches Tourismusbüro seinen strategischen Ansatz in der Regel nicht neu oder strukturiert ihn um, wie man es in weniger beliebten oder verzweifelten Destinationen tun würde. Warum sollte man Erfolgreiches ändern? Die tatsächliche Wirkung von Promotion-Massnahmen ist ohnehin fraglich, da die Tourismus-Budgets zu klein sind, um eine Markt-Durchdringung zu erreichen, es sei denn, man lässt sich etwas völlig Ungewöhnliches einfallen, was sehr selten ist.

Die Arbeit der Tourismus-Verantwortlichen in den Hotspots ist weniger herausfordernd und weniger anspruchsvoll, weil sie sich hinter ständig steigenden Zahlen verstecken konnten und ihre Stakeholder glauben machten, dass dies alles auf ihre brillante Arbeit zurückzuführen ist.

In den letzten Jahrzehnten des kontinuierlichen Wachstums bis zur Pandemie sagten die Führungskräfte der Tourismus-Destinationen im öffentlichen Sektor ihren Behörden immer wieder: "Wir wachsen, aber um nicht den Anschluss zu verlieren oder ein grösseres Stück vom Kuchen zu bekommen, brauchen wir grössere Werbebudgets, mehr Promotion, mehr Marken-Aufbau, mehr Geld für Suchmaschinen-Optimierung, mehr Präsenz auf Messen" und was auch immer die Routinen in der Branche sind. Das hat gut funktioniert, denn es schmeichelt dem Ego aller beteiligten Stakeholder, die eigenen Werbeaktivitäten zu sehen. Es ist in erster Linie Eigenwerbung für die Stakeholder.

In der heutigen Informationsflut kommen diese Botschaften kaum noch beim Endverbraucher an. Ein weiterer Mythos ist, dass das Schaffen von Bekanntheit mehr Besucher generiert. Viele Orte auf der Welt sind für etwas bekannt, aber Bekanntheit ist nicht dasselbe wie Besuchsrelevanz. Schauen Sie sich die Erzählungen in der Tourismuswerbung an, sie erzählen alle die gleichen Geschichten von Schönheit, Landschaft, lebendiger Atmosphäre, Erholung und was auch immer sie für charakteristisch halten. Bekanntheit ist von geringem Wert, Relevanz ist der Schlüssel.

Tourismus-Organisationen haben aufgrund ihrer oft begrenzten Marketing-Budgets nicht die Durchschlagskraft, um ein Image zu verändern. Und selbst wenn sie es hätten, gibt es bessere und weitaus nachhaltigere Möglichkeiten, dieses Geld auszugeben.

Die Instagram-Manie wird bleiben, aber kleinere Ziele können auch das noch besser steuern.Foto: unsplash freemodels agency

Wie reagieren kleinere Sekundär-Destinationen auf den Wandel?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sekundäre Tourismus-Destinationen sich bemühen und kämpfen, um auf das nächste Level zu kommen, teilweise mit strategisch guten Konzepten oder zumindest mit kreativen oder intelligenten Massnahmen. Hotspots tun das nicht, weil es sowieso funktioniert. In die Falle des "Business as usual" zu tappen, ist sehr häufig, wenn der Druck, die Notwendigkeit oder der Ehrgeiz oder alle drei fehlen.

In Hotspots können die Tourismus-Manager im öffentlichen Sektor im Allgemeinen nicht viel falsch machen. In Sekundär-Destinationen müssen die Manager jedoch wesentliche Dinge richtig machen, um auf die nächste Stufe zu gelangen. Es ist sicherlich anspruchsvoller zu versuchen, aus Magermilch Sahne zu machen als um viel Sahne zu kreisen.

Aber was ist mit dem Reisenden, entscheidet er nicht über die Beliebtheit von Destinationen?

Wenn ein Ort als "cool und sexy" gilt, dann liegt das an der Schwarmintelligenz und nicht daran, dass die lokale Tourismusförderung ihn geschaffen hat. Ein Covid-19-Shutdown geht einher mit einem Shutdown und Neustart der üblichen Marketing-Aktivitäten. Es hat wenig Sinn, immer wieder die gleichen Bilder zu verbreiten.

Eine gute Gelegenheit, von Grund auf neu zu planen und alte Gewohnheiten über Bord zu werfen. In der heutigen Welt von Instagram, Facebook, WeChat & Co. ist man verloren, wenn die Mundpropaganda nicht für einen funktioniert und kein Marketing-Budget der Welt kann das kompensieren. Wie gesagt, Orte werden "cool und sexy", weil die Schwarmintelligenz sie identifiziert hat und nicht, weil die Tourismuswerbung den Reisenden erzählt, dass sie das sind.

Investitionen in Glaubwürdigkeit und Wertigkeit, in Fürsprache und Schwarmintelligenz durch Investitionen in das Besuchsererlebnis, basierend auf einer definierten Strategie, wer die Besucher sind oder wer sie sein sollten und wie Sie Best in Class werden, ist der nachhaltige und belastbare Weg. Seien Sie nicht gleich oder 'me too', seien Sie anders, seien Sie besser.

Leider ist "Customer Experience" zu einem aufgeblasenen Buzzword mit unterschiedlicher Bedeutung geworden. In einigen Fällen werden "Customer Experience Officers" eingestellt, um digitale Customer Journeys zu überwachen und zu verbessern. Das Erlebnis beim Besuch einer Destination ist viel komplexer und beginnt lange vor der eigentlichen Anreise und endet bzw. bestimmt die Bindung, wenn die Menschen wieder zu Hause angekommen sind.

Abgesehen von einem nahtlosen und wertorientierten digitalen Erlebnis entlang aller digitalen Touchpoints werden Besucher mit der physischen Infrastruktur konfrontiert, die das Masterplanning, die Mobilitätskonzepte und die Infrastruktur einer Destination von der Anreise und der Umgebung über die Sehenswürdigkeiten bis hin zur Gastfreundschaft definiert. Ausserdem gibt es menschliche Begegnungen, die den Bedarf an oganisatorischer Entwicklung, Personal, Training und Rekrutierung definieren.

Paris, Rue Cremieux: Die Anwohner dieser Bilderbuch-Strasse verlangten Schutztore, um nicht mehr von Instagram-Freaks belästigt zu werden.Foto: unsplash charlota blunarova

Hochglanz-Werbekampagnen sind also passé?

Jede Visitor Journey und das daraus resultierende Besuchserlebnis ist so stark wie der schwächste Touchpoint. Daher bietet die Integration und Aktivierung aller Stakeholder innerhalb einer Tourismus-Destination, die die bestmögliche Visitor Journey ermöglicht, aufgrund von Bindung und Mundpropaganda einen grösseren Hebel als die glänzendste Werbekampagne.

Eine weitere Erkenntnis aus Covid-19 für die Stadtplanung könnte sein, dass die Menschen immer noch öffentliche Räume und Versammlungsorte schätzen und gleichzeitig ständig traumatisiert und misstrauisch gegenüber Menschenmassen sind. Dies wird sich nachhaltig auf die Logistik und die Gestaltung von Besucherströmen auswirken. Zukünftige Mobilität wird dies berücksichtigen müssen, was eine grosse Chance für die Verbesserung von Erlebnissen ist.

Wir haben inzwischen erkannt, dass die meisten Orte um Autos herum gebaut sind. Autos und Kraftfahrzeuge sind relevant für flexibles und individuelles Pendeln, aber sie machen Lärm, verursachen Abgase und verbrauchen einen Grossteil des Raums. Autofreie Umgebungen sind viel erholsamer und haben eine viel bessere Atmosphäre, was insgesamt ein besseres Besuchererlebnis darstellt.

Wie kann ich ein "gesundes" Destinationsmarketing gestalten?

Potenzielle Gäste erwarten nicht, dass sie hören "wir haben wieder geöffnet". Es wäre eine erfrischende Botschaft, zu sagen: "Das haben wir gelernt und machen es jetzt anders und das sind neue inspirierende Angebote für eine veränderte Nachfragelandschaft". Jetzt ist es an der Zeit, Ihre Destination mit der einzig möglichen Substanz zu impfen, um gesund zu bleiben: nachhaltige Besucher-Erlebnisse und echte Assets von Relevanz, die alle Perspektiven und Sinne ansprechen, um Wiederholungsbesucher und Fürsprecher zu gewinnen und Schwarmintelligenz zu erzeugen.

Schaffen und liefern Sie statt des Erwarteten das Unerwartete. Das alte System im Destinationsmarketing ist dazu nicht in der Lage, da es nur eine oberflächliche Illusion von Werbeerfolg liefert, das erfundene Argument von mehr Besuchern mit mehr Geld, das für Werbung ausgegeben wird.

Resilienz basiert auf Werten und Erlebnisangeboten, die Besucher anderswo nicht finden, und nicht auf grossen Werbe-Seifenblasen, die alle dasselbe sagen. Die Schwarmintelligenz kümmert sich nicht um Ihre Labelling-Initiativen, die sich "Marken" nennen, Ihre Travel Awards, Ihre bezahlten PR-Interviews in Reisemagazinen, die Strategie-Diagramme, die in Ihrem Computer sitzen ohne Bedeutung, Ihre Hochglanz-Werbung oder Instagram-Feeds.

Die einzige Wahrheit ist das, was Reisende oder Besucher sehen, erleben, mit nach Hause nehmen und anderen erzählen. In einer digitalen Welt umso mehr, denn Fürsprache bedeutet Glaubwürdigkeit, Promotion nicht. Werbung mag Bekanntheit schaffen; Glaubwürdigkeit schafft Relevanz für den Besuch und Relevanz ist der Schlüssel.

Vielen Dank für Ihre Einblicke, Herr Adam!

Dieses Interview ist ein Auszug aus den Einsichten, die Richard Adam in seinem 21seitigen, englischsprachigen Beitrag "The Road to Resilience" für das World Tourism Forum formuliert hat.

 

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