Tricks und Täuschungen Ein Buch entlarvt die Speaker Szene ihre Macher und ihr Fake Potenzial
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Tricks und Täuschungen

Ein Buch entlarvt die Speaker-Szene, ihre Macher und ihr Fake-Potenzial

Wer will schon vor leeren Rängen Reden halten? Dann wären die Traum-Honorare gefährdet.Foto: unsplash joao cruz

München. Sie sind keine Redner mehr, sie sind die erfolgreichsten, gefragtesten und besten Experten für Irgendetwas, sie sind Top-Speaker, Top-Keynote-Speaker oder Global Leading Speaker. Und zu ihren Vorträgen strömen stets mehrere Tausend Zuhörer… Immer beliebter werden Videochats und Podcasts, die letztlich aber nichts anderes sind als eine Dauer-Werbesendung. In seinem Buch "Seit ich lüge, läuft der Laden" geht der Marketingexperte Nils-Peter Hey auf eine kritisch-satirische Reise durch die Welt der Tricks und Täuschungen in der Redner-Szene.

Sie sind die meist gelesenen Autoren zu Irgendetwas und natürlich auch Bestseller-Autoren. Sie sind Mitglied in exklusiven Vereinen und mit zahlreichen Preisen gekürt. Sie rühmen sich ihrer Lehraufträge an renommierten Universitäten und brillieren manchmal auch mit einem Doktor- oder Professoren-Titel. Und sie haben alle eines gemeinsam: Sie treten immer lautstark auf, oftmals mit tatkräftiger Unterstützung von Redneragenturen, die mit ihrer Vermarktung gutes Geld verdienen.

Nils-Peter Hey kennt die Szene, in der er sich als Vortragsredner selbst seit Jahren bewegt. Nun nimmt er sie in seinem neuen Buch unter die Lupe. "Ich schreibe für die Menschen, die nicht bereit sind, Lügen, Fake und künstliche Selbstüberhöhung als notwendiges Übel zu akzeptieren", so der Inhaber der Unternehmensberatung "Fishfell" in München.

Buchautor Nils-Peter Hey: In der Szene müssen Qualität und Ehrlichkeit einkehren.Foto: privat

Mit dem Buch wolle er seinen Leser zu einem mündigen Konferenz-, Webinar- und Kursteilnehmer machen. Und nicht zuletzt sei das Buch auch für alle Vortragsredner geschrieben, die sich fragen, ob es so etwas wie eine "Speaker-Szene" überhaupt geben muss und ob sie Teil davon sein möchten. Es wolle ihm nicht in den Kopf gehen, warum das Faken von Erfolgen zur Methode werden müsse, so Hey. Er bewundere alle Berater und Speaker, die ihren Expertenstatus verdient hätten. Aber er verachte jeden, der sich durchs Leben lügt.

Neben Hey als Herausgeber beleuchten sechs weitere Autoren den schillernden Markt. Markus Reimer, promovierter Philosoph und seit über zehn Jahren Keynote-Speaker zu Themen wie Innovation, Agilität und Digitalisierung, übt sanfte Kritik auch an Redner-Agenturen, die zwar den Eindruck eines seriösen Redner-Angebots erweckten, doch nicht für Qualität bürgten. Der Kunde müsse daher der Selbstdarstellung glauben. Sein Fazit: Die Szene der Keynote-Speaker müsse sich neu erfinden und zwar auf der Basis von Qualität, Ehrlichkeit und gegenseitigem Respekt.

Horror-Honorare oder gar keine

Roman Kmenta, Spezialist zu "Pricing", setzt sich mit den "unglaublichen Honoraren der Speaker" auseinander. Professionelle Redner könne man schon ab 3.000 Euro buchen, die Teuersten kosteten mehr als 10.000 Euro. Neben dem Vortrag gegen Honorar gibt es dabei den Vortrag ohne Honorar – aus Marketing-Gründen und um Folgeaufträge zu generieren. Reichlich bizarr wird es dann, wenn der Redner bis zu 12.000 Euro dafür zahlt, dass er einen Vortrag halten kann.

Was Kmenta nicht erwähnt ist, wie so manche Redner-Agentur ihr Geschäft längst perfektioniert hat. Der Speaker zahlt nicht nur ein paar Tausend Euro dafür, dass er dort gelistet wird, er zahlt auch noch mal ein paar Tausend Euro dafür, damit bei seinem kostenlosen Auftritt auf einem Event ein professionelles Video von ihm gedreht wird. Denn das brauche man, um ihn besser vermarkten zu können und damit Aufträge generieren zu können. Auf die wartet so mancher Speaker dann allerdings vergebens.

Heinrich Kürzeder weiss, wie das Geschäft läuft. Schliesslich hat er in 20 Jahren nach eigener Aussage knapp 10.000 Redner vermittelt. Als Gründer der Agentur "5 Sterne Redner" erhalte er täglich Bewerbungen von Nachwuchsrednern, die sich leichtfertig als Top-Speaker bezeichnen. Dabei passe Angebot und Nachfrage oft nicht zusammen. So werde er derzeit überschwemmt mit Angeboten zu Themen wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Change Management.

Täuschung und Entertainment

"Diese Angebote sind genauso sinnvoll wie einen Eimer Sand an den Strand mitzubringen", schreibt Kürzeder und betont, dass es keine Garantie für den "Durchbruch als Top-Speaker und den damit verbundenen, vermeintlichen grenzenlosen Reichtum" gebe, selbst wenn der Redner und seine Agentur alle wichtigen Voraussetzungen einer erfolgreichen Vermarktung erfüllen. Der Speaker-Vermittler warnt daher davor, seinen Job leichtfertig aufzugeben, um nur von seinen Vortragshonoraren zu leben. Das gelinge nur sehr wenigen.

Eher wissenschaftlich wird es in dem Beitrag der Soziologin Sonja Veelen. 2012 hat sie das Buch "Hochstapler - Wie sie uns täuschen" veröffentlicht und forscht weiter zu dem Thema. In ihrem Beitrag klärt sie über die Motive und Techniken beim Faken, Hochstapeln und Betrügen auf. Damit eine Täuschung gelingt, müsse man verstehen, wie sich eine "falsche" Wirklichkeit so konstruieren lässt, dass das Publikum sie für real hält.

Reden ist Entertainment. Auf dem Weg nach oben helfen getürkte Bestenlisten und gekaufte Follower.Foto: unsplash jaime lopes

Zu den Hauptmotiven für die vorsätzliche Täuschung gehöre die Gier nach Geld, Bekanntheit, Aufmerksamkeit oder Anerkennung, die wiederum zum Teil durch Persönlichkeitsstörungen hervorgerufen werden. Im Zusammenhang mit Hochstapeln seien dies vor allem Narzissmus und eine krankhafte Lügensucht.

Tatsächlich tummeln sich auf dem Markt einige Speaker, die bereits wiederholt durch ihre Lügen aufgeflogen sind. Das tut ihrem Erfolg jedoch keinen Abbruch und stört weder die Redner-Agenturen noch die Unternehmen, die die Speaker buchen. Und so mancher Veranstalter gibt sogar offen zu, dass ihn das nicht interessiert. Hauptsache, der Entertainment-Faktor stimmt. Das Betrugssystem – so scheint es – funktioniert prächtig, weil alle mitspielen.

Grosses Lexikon des kleinen Betrugs

Dass fünf der sechs Autoren sowie auch Nils-Peter Hey selbst Akteure in der Speaker-Szene sind, macht das Buch bisweilen zu einer Gratwanderung mit so manchem Absturz. Warum plädiert Felix Maria Arnet für "radikale Ehrlichkeit" und mehr Bescheidenheit, konterkariert sich aber gleichzeitig selbst, wenn er am Ende des Kapitels schreibt: "Laut Erfolg-Magazin gehört er zu den erfolgreichsten Trainern Deutschlands." Herausgeber Nils-Peter Hey wiederum schreibt, dass er "Top 100 Excellent Speaker" der Redneragentur Speakers Excellence ist, was seiner Vermarktung diene und etwas koste. Man kauft sich also ein. An anderer Stelle zweifelt er, ob die Mitgliedschaft in einem Top-100-Expertenpool nicht auch schon ein Fake sei. Denn die Auswahl sei letztlich willkürlich.

Andererseits kann Hey durch seine eigenen Erfahrungen wertvolle Einblicke in das Geschäft mit der Lüge bieten. Das tut er vor allem in dem "Grossen Lexikon des kleinen Betrugs", das den grössten Teil des Buches ausmacht. Dort erfährt der Leser von A bis Z, mit welchen Tricks und Lügen gearbeitet wird und das ist bisweilen albern, absurd und abenteuerlich.

Es reicht vom üblichen Abschreiben über die getürkte Bestenliste, gekaufte Follower, falsche Kundenstimmen, unglaubliche Vortragshäufigkeiten, pseudoexklusive Mitgliedschaften bis zu grossspurigen Zertifikaten. Die Reise durch die Welt des Betrügens thematisiert so manches, was bereits bekannt ist, zeigt aber auch, mit welcher Energie teils an den Täuschungen gearbeitet wird.

Sich selbst ins Bestseller-Ranking pushen... Es funktioniert.Foto: unsplash annie spratt

Amazon-Bestseller-
Ranking als Ziel

So berichtet Hey über ein Seminar, bei dem die 15 Teilnehmer beschlossen, sich zum Bestseller-Autor zu tricksen. Schliesslich ist so eigenes Buch, das auch noch ein angeblicher Bestseller ist, ein absoluter Pluspunkt in der Speaker-Vita. Doch ein Buch macht leider viel Arbeit und es kostet Zeit. Eine Lösung ist dabei ein Sammelband mit mehreren Autoren, den man dann gemeinsam bei Amazon auf Platz 1 der Bestsellerliste bringt.

Wie das funktioniert, beschreibt Hey anhand eines realen Falles, bei dem er selbst mitgemacht hat. Als in einem Seminar die Idee dazu auftauchte, brach "eine gewaltige Gruppendynamik aus", schreibt er. Dabei musste jeder der 15 Autoren 1.500 Euro für die Organisation, Buchlayout, und Öffentlichkeitsarbeit hinblättern und ein Kapitel für das 300seitige Sammelsurium aus Selbstbeweihräucherungsbeiträgen verfassen. Das Ganze wurde dann als E-Book veröffentlicht und jeder kaufte mehrere Hunderte Exemplare für 99 Cent, um das Amazon-Ranking zu beeinflussen.

"Für ein paar Stunden schafften wir es auf Platz eins der Unterkategorie einer Unterkategorie einer Unterkategorie", schreibt Hey. "Damit waren wir nicht bloss Autoren, sondern Bestseller-Autoren und trommelten in den sozialen Netzwerken." Genutzt habe es unter dem Strich nicht viel. "Ich verbuche die Kosten als Lehrgeld und hake das als Jugendsünde ab", schreibt der Marketingexperte.

Ein wahrer Renner für Täuschungen sind persönliche Empfehlungen oder Referenzen von Unternehmen. Diese lassen sich wunderbar selbst fälschen, wobei Hey längst nicht alle Tricks beschreibt. Da listet dann ein einzelner Speaker zum Beispiel mehr als tausend Unternehmen auf, für die er angeblich alle tätig war. Einer der Tricks: Man lässt sich die Teilnehmerliste seines Vortrags geben und schreibt die Arbeitgeber aller Teilnehmer auf die Referenzliste. Erkennbar ist das oft an einer auffälligen Häufung von Unternehmen aus einer bestimmten Branche. Wenn z.B. mehr als 40 Kreissparkassen aus einer Region auf der Liste auftauchen, hat der Speaker halt einen Vortrag auf einer regionalen Sparkassen-Veranstaltung gehalten.

Beliebt: Podcasts mit viel Lob

Beliebt sind auch die gegenseitigen Referenzen, getreu dem Motto: Wenn Du was Nettes über mich schreibst, schreibe ich auch was Nettes über Dich. Dasselbe gilt für Videochats und Podcasts, bei dem sich Speaker interviewen, wobei das Interview oft nichts anderes als eine Dauer-Werbesendung für den Interviewten ist und bei der der Interviewer immer wieder in überschwängliche Lobeshymnen über seinen Gast ausbricht: Also das ist ja wahnsinnig toll, was Du da erzählst.

Getrickst und gelogen wird auch gern bei der Zahl der Vorträge. Schliesslich soll sie signalisieren, wie gefragt der Speaker ist. "Nicht jeder Toast, den man beim Sonntagskaffee auf den Opa ausbringt, ist eine Keynote", schreibt Hey. Selbst die besten der bestausgebuchten Redner schafften kaum mehr als 100 vollständig honorierte Vorträge pro Jahr.

Grosses Fake-Potenzial gibt es beim Begriff Dozent. Denn das macht was her und ziert Vita. Allerdings: Der Begriff ist nicht geschützt und daher kann sich jeder so nennen. Etwas schwieriger ist das beim Lehrbeauftragten. Denn der wird von der Hochschule berufen. Aber der Begriff allein sagt nicht viel aus. Denn vielleicht handelte es sich nur um einen einmaligen einstündigen Vortrag vor zehn Jahren.

Nach der Lektüre dürfte sich mancher Leser fragen, ob es bei all dem Lug und Trug überhaupt noch ehrliche Wege gibt, sich als Redner glaubwürdig und überzeugend darzustellen. Das sei durchaus möglich, aber es gehe eben nicht schnell und einfach, schreibt Hey. Es sei anstrengend und erfordere neben viel Arbeit immer auch eine grosse Portion Glück und das richtige Timing.

"Die Lüge ist wie ein Schnellball: Je länger man ihn wälzt, desto grösser wird er", zitiert Hey den grossen Reformator Martin Luther. Der Speaker-Markt ist dabei längst zu einer Lawine geworden, die mit rasantem Tempo ins Tal rauscht und dabei erhebliche Schäden anrichtet. / Bärbel Schwertfeger

Buchtipp: Nils-Peter Hey: "Seit ich lüge, läuft der Laden - So machen selbsternannte
Experten auf Boss, obwohl sie nur Hugo sind.", Richard-Pflaum Verlag München, Mai 2020, 19,90 Euro.

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