Versicherungen müssen zahlen Betriebsschliessung unter Corona Die Rechtsprechung ändert sich
HI+

Versicherungen müssen zahlen

Betriebsschliessung unter Corona: Die Rechtsprechung ändert sich

Das Virus hat gelehrt, auf das Kleingedruckte zu achten. Es geht um Millionen für Hotels und Milliarden für die Versicherer.Foto: unsplash morning brew

München. Gastronomie und Hotellerie leiden besonders unter den behördlich angeordneten Betriebsschliessungen in der Pandemie. Dabei haben viele frühzeitig eine entsprechende Betriebsschliessungs-Versicherung abgeschlossen. Aber viele Versicherer in Deutschland wollen nicht zahlen. Zwei Urteile haben die Weichen jedoch verstellt.

Eine einheitliche Rechtsprechung, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Versicherer zur Leistung verpflichtet sind, gibt es bisher nicht. Mit Urteil vom 22.10.2020 hat jedoch die 12. Zivilkammer des Landgerichts München I ein wegweisendes Urteil gefällt und für ein Stück mehr Klarheit gesorgt.

Typischerweise enthalten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen eine Regelung, wonach eine bestimmte Entschädigung zu zahlen ist, wenn die zuständigen Behörden aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den Betrieb schliessen. Entscheidend für den Anspruch im Einzelfall ist damit die konkrete Ausgestaltung einer solchen Klausel, denn der Verweis auf die gesetzlichen Regelungen des IfSG, deren Art und der Umfang sind hierfür von zentraler Bedeutung.

So bestätigte das LG Mannheim die Zahlungspflicht eines Versicherers, dessen AVB pauschal auf die Regelung der §§ 6,7 IfSG verwies und von einer Aufzählung aller darin enthaltenen Krankheiten absah. Der Versicherer hatte die Leistung mit dem Verweis darauf verweigert, dass das Corona-Virus bzw. Covid-19 erst nach Vertragsschluss zum Katalog des § 6 IfSG hinzugefügt wurde und damit nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei.

Dr. Christian Zerr: Die Analyse der Versicherungsbedingungen ist unumgänglich.Foto: GvW

Das Gericht lehnte dies ab: Eine Bezugnahme in der vorliegenden Form sei dynamisch und umfasse daher auch Erweiterungen des Gesetzestextes nach Vertragsschluss. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer gehe aufgrund der Formulierung davon aus, dass alle unter die §§ 6,7 IfSG fallenden Erreger und Krankheiten Grundlage der versicherten Betriebsunterbrechung sein können. Die ungenaue Formulierung geht daher zu Lasten des Versicherers – er könnte einen eindeutigen und abschliessenden Katalog von Krankheiten aufnehmen.

Verweisen die AVB dagegen gezielt auf nur einzelne Textpassagen des §§ 6,7 IfSG oder werden Krankheiten ausdrücklich aufgezählt, bringt der Versicherer nach Ansicht des LG Ellwangen damit seinen Willen zum Ausdruck, nur die tatsächlich aufgeführten Krankheiten als Grund für einen Betriebsausfall versichern zu wollen. Der Vertragsinhalt bleibt danach von nachträglichen Erweiterungen des IfSG unberührt.

Das Urteil aus München

Im vorliegenden Fall des LG München I verwies die fragliche Regelung der AVB auf die §§ 6,7 IfSG und zählte zusätzlich die darin genannten Krankheiten bzw. Krankheitserreger ausdrücklich auf. Die aufgeführte Liste war im Vergleich zur gesetzlichen Regelung des § 6 IfSG jedoch unvollständig. Diese Unvollständigkeit und damit der Wille des Versicherers, nur einzelne Krankheiten/Krankheitserreger aus dem Gesetzestext in den Vertrag aufzunehmen, war für den Versicherungsnehmer erst nach einem gezielten Abgleich des Vertrags mit dem Gesetzestext erkennbar. Auch hier wertete das Gericht die für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer unklare Formulierung zu Lasten des Versicherers.

Die katalogartige Aufzählung der Krankheitserreger suggeriere dem Versicherungsnehmer, lediglich den Inhalt der §§ 6,7 IfSG wiederzugeben. Werde der Versicherungsschutz – im Vergleich zu der gesetzlichen Regelung der §§ 6,7 IfSG – eingeschränkt, so müsse dem Versicherungsnehmer jedoch klar und deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang ein Versicherungsschutz trotz der Einschränkung besteht. Dies war vorliegend nicht gewährleistet, so dass die Klausel nach Ansicht des LG München I gegen das Transparenzgebot verstösst und somit unwirksam ist.

Was bedeutet Betriebsschliessung?

Desweiteren nahm das LG München I zum Begriff der "Betriebsschliessung" Stellung. Vielfach hatten Versicherer Argumente gegen eine Leistungspflicht angeführt, die an den Begriffen der "Betriebsschliessung" bzw. die Art der behördlichen Anordnung anknüpften.

Das Gericht stellte fest, dass eine "Betriebsschliessung" auch dann vorliegt, wenn diese durch eine Allgemeinverfügung bzw. eine Verordnung und nicht – wie von dem Versicherer gefordert – durch eine behördliche Einzelanordnung veranlasst worden ist. Insofern wurde auch klargestellt, dass eine Betriebsschliessung "aufgrund des IfSG" keine individuelle Betroffenheit im Sinne einer konkreten Infektion im Betrieb erfordert. Auf die Rechtsform der Anordnung der Schliessung kommt es daher nicht an, da sowohl die Allgemeinverfügung als auch die Verordnungen die Schliessung rein tatsächlich "anordnen".

Es steht dem Versicherer frei, den Begriff "Anordnung" im Vertragstext entsprechend verwaltungsrechtlich einzuordnen oder genauer zu definieren. Tut er dies nicht, ist die Rechtsnatur der behördlichen Massnahme für den Zahlungsanspruch jedoch unerheblich.

Rebecca Brühl: Geschlossen ist geschlossen.Foto: GvW

"Schliessung" gilt auch bei Beherbergungsverbot

Eine versicherte "faktische" Betriebsschliessung eines Hotels liegt nach dem Urteil des LG Mannheim auch dann vor, wenn lediglich touristische Übernachtungen untersagt werden und der weitere Hotelbetrieb für Geschäftsreisende grundsätzlich gestattet bleibt. Der Versicherer hatte sich darauf berufen, dass der Betrieb durch die Anordnung nicht geschlossen worden sei, sondern lediglich eine Betriebseinschränkung auf die Unterbringung von Geschäftsreisenden vorgelegen habe.

Nach Ansicht des Gerichts reicht eine "faktische" Schliessung des Betriebs jedoch aus und liegt vor, wenn die Einschränkungen faktisch die gleichen Auswirkungen wie eine Schliessung des Hotels im konkreten Einzelfall haben, z.B. zur Desinfektion oder zur Eindämmung eines Krankheitsausbruchs, und damit ein Weiterbetrieb unter den noch zulässigen Umständen unzumutbar ist.

Diese Argumentation übernahm auch das LG München I im vorliegenden Fall für die Gastronomie. Danach liegt eine faktische Betriebsschliessung vor, wenn lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahme-Geschäft weiterhin möglich ist, das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten auf keinen Fall fortgeführt werden kann.

Erfasster Schaden von der Betriebsversicherung

Welcher Schaden von der Versicherung ersetzt wird, hängt von der konkreten Ausgestaltung des Vertrages ab. Im Fall des LG München I hatten die Parteien eine Tagesentschädigung für einen begrenzten Zeitraum von 30 Tagen vereinbart. Entgegen des Vortrags des Versicherers war die sich daraus ergebende Schadenssumme auch nicht nach § 76 VVG zu kürzen, da die Taxe den wirklichen Versicherungswert zu diesem Zeitpunkt nicht erheblich überstieg. Die Summe der Tagesentschädigung wurde dabei nach dem Willen der Parteien anhand der Umsatzzahlen der vergangenen Jahre berechnet und festgelegt.

Der Versicherer begehrte eine Herabsetzung der Taxe mit dem Argument, der tatsächliche Schaden läge erheblich unter der vereinbarten Taxe, da der Umsatz des Betriebes aufgrund der Pandemie bereits vor der Schliessung stark gesunken sei. Das LG München I folgte dem nicht. Es sei schon dem Sinn und Zweck der vereinbarten Taxe zu entnehmen, dass die Umsatzzahlen in der Zeit unmittelbar vor der Anordnung der Schliessung nicht als Massstab für eine erhebliche Abweichung des tatsächlich eingetretenen Schadens von der berechneten Taxe berücksichtigt werden können. Den Parteien sei bei Abschluss des Vertrags bewusst gewesen, dass die versicherten Krankheiten bereits im Vorfeld einer Schliessung Einschränkungen des Betriebs mit sich bringen könnten und letztlich auch den versicherten Schaden auslösen.

Zudem wurde die Taxe unabhängig von der tatsächlichen Schliessung des Betriebs auf eine Höchstdauer von 30 Tagen beschränkt, so dass der tatsächliche Schaden für den Versicherungsnehmer weitaus höher liegen kann als die vereinbarte Taxe. Die Argumentation des Versicherers, die Taxe anhand der pandemiebedingt gesunkenen Umsatzzahlen unmittelbar vor der Schliessung anzupassen, wäre somit ein Zirkelschluss, der eine Versicherung für Krankheiten für den Versicherungsnehmer vom Prinzip her wertlos machen würde.

Im Fall, der vor dem LG Mannheim verhandelt wurde, fehlte hingegen die Vereinbarung einer konkreten Taxe. Stattdessen wurden der "Betriebsgewinn und die Kosten, die der Versicherungsnehmer ohne Unterbrechung des Betriebes in dem Bewertungszeitraum erwirtschaftet hätte", als Versicherungswert vereinbart. Während der Versicherungsnehmer als Berechnungszeitraum für die Umsatzwerte die entsprechenden Monate des Vorjahres ansetzen wollte, sprach sich das Gericht für eine Bewertung anhand der letzten 12 Monate aus. Dies würde der vertraglichen Vereinbarung und dem Interessenausgleich beider Parteien am ehesten gerecht werden.

Fazit: Bei Betriebsschliessungsversicherungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gilt daher verstärkt, dass die exakte Formulierung der AVB entscheidend ist und vergleichbare Lebenssachverhalte dementsprechend rechtlich völlig unterschiedlich beurteilt werden können. Die eingehende Analyse der AVBs ist daher nicht nur im Rahmen der Erfolgsaussichten einer Klage von grösster Bedeutung, sondern auch bei der Beurteilung, ob der Versicherungsnehmer ein zunächst scheinbar niedriges Zahlungsangebot der Versicherung annehmen sollte, oder nicht.

Autoren dieses Gastbeitrags sind Dr. Christian Zerr und Rebecca Brühl, Rechtsanwälte der Kanzlei GvW Graf von Westphalen, München.

{"host":"www.hospitalityinside.com","user-agent":"Mozilla/5.0 AppleWebKit/537.36 (KHTML, like Gecko; compatible; ClaudeBot/1.0; +claudebot@anthropic.com)","accept":"*/*","x-forwarded-for":"3.140.188.16","x-forwarded-host":"www.hospitalityinside.com","x-forwarded-port":"443","x-forwarded-proto":"https","x-forwarded-server":"d9311dca5b36","x-real-ip":"3.140.188.16","accept-encoding":"gzip"}REACT_APP_OVERWRITE_FRONTEND_HOST:hospitalityinside.com &&& REACT_APP_GRAPHQL_ENDPOINT:http://app/api/v1