"Ich könnte wahrscheinlich keine Hotelgruppe mit 20 Häusern führen," sagt Accor-CEO Marc Hildebrand mit Blick auf seine Hotel-Unerfahrenheit, "aber in einem Konzern sind ja andere Denkansätze gefragt." Und diese will die Accor-Zentrale in Paris offenbar haben.
Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate hat den neuen Chef von Deutschlands grösster Hotelgruppe ebenso stark an Sach- wie Personalfragen herangeführt. Fast ungläubig hat er wahrgenommen, dass die Fluktuation bei Accor Deutschland 30 Prozent beträgt. Ihn schaudert's, wenn er da an die Zukunft denkt: Bei gleichbleibender Fluktuation würde das angesichts der Expansion bedeuten, dass Accor jährlich etwa 3.500 neue Mitarbeiter akquirieren müsste.
Die erwähnten 30% sind ein "normaler" Wert in der Branche, für den Neueinsteiger Hildebrand aber nicht hinnehmbar. Wenn pro Jahr ein Drittel der Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, entstehen schliesslich immense Kosten. Das haben ihm seine Human Resources-Experten mit exakten Zahlen belegt. Hinzu kommt der demographische Wandel: 60 Prozent der deutschen Accor-Mitarbeiter sind heute zwischen 21 und 35 Jahre alt. Gleichzeitig ist das Image der Branche so miserabel, dass sich auf einen Arbeitsplatz im Schnitt nur noch zehn Bewerber finden - bis dato waren es 50 bis 80 Bewerber gewesen.
Das Lohnniveau muss steigen!
"Die Hotellerie muss das Lohnniveau anheben", fordert der Mann an der Spitze von Deutschlands grösster Hotelgruppe. Er schüttelt nur den Kopf über das schlechte Image der Branche und deren Tarif-Wirrwarr. Doch wie würde Accor höhere Löhne und Gehälter finanzieren? Die Hotelgruppe beschäftigt derzeit etwas mehr als 8.500 Mitarbeiter. Auch hier wüsste Hildebrand eine Lösung, und er hat selbst auch schon die Unterstützung von Bundespolitikern gesucht: Würde die Bundesregierung den Mehrwertsteuer-Satz von 19 auf 7 Prozent senken, könnten die Hotels/Hotelgruppen von dem Ersparten ein Drittel zur Auflösung ihres Renovierungsstaus nutzen, ein Drittel zugunsten des Gastes/Kunden und ein Drittel zur Mitarbeiterförderung einsetzen. Diese "Umwegfinanzierung" würde der margen-geschüttelten Hotellerie entgegenkommen.
Politische Hilfe ist aber vorläufig nicht in Sicht. Deshalb müssen Hotelgruppen wie Accor, in denen die Mitarbeiterkosten einen grossen Fixbetrag ausmachen, sich selbst helfen. Und hier kommen Marc Hildebrand seine Erfahrungen aus früheren Konzernen zugute. In den Meetings der letzten Monate ging es immer wieder um Ideen, wie man noch im Jahr 2009 Einsparungen erzielen kann. So entstanden vier Vorschläge, bei denen der Betriebsrat zuerst zuckte, sich dann aber wohl sanft zeigte: Accor Deutschland bietet seinen Mitarbeitern auf freiwilliger Basis - und darauf liegt die Betonung - vier Massnahmen an:
1. die Verkürzung der Wochenarbeitszeit;
2. jeder Mitarbeiter darf bis zu 20 Tage unbezahlten Urlaub nehmen;
3. Accor verlängert die Elternzeit um zusätzliche zwei Jahre;
4. Mitarbeiter können für zwei bis sechs Monate ein "Sabbatical" einlegen, während dem ihnen Accor noch ein Drittel des Gehalts weiterzahlt.
Warten auf das Feedback
Diese Angebote hat das Accor-Management seinen Mitarbeitern erst vor wenigen Tagen gemacht; ein Feedback zeichnt sich von daher noch nicht ab. Bei der TUI hätten, so blickt Marc Hildebrand zurück, in der Krise nach 2001 immerhin 700 von 4.000 Mitarbeitern von solchen oder ähnlichen Angeboten Gebrauch gemacht.
Das Thema Human Resources liegt Hildebrand am Herzen: "Mitarbeiter sind das aller-, allerwichtigste in der Hotellerie!" betont er mehrfach.
Und deshalb schockiert es ihn auch nicht, wenn Gilles Pélission, der CEO der Muttergesellschaft Accor S.A., letzte Woche ein Sparprogramm über 100 Millionen Euro ausruft. Denn das bedeutet nicht, dass alle Hotels pauschal zum Sparen verurteilt werden. So erhält Accor Hotellerie Deutschland trotz dieser Ankündigung noch 20 Millionen extra zur Renovierung seiner Budget-Hotels. Der neue Deutschland-Chef lobt nicht nur in diesem Punkt seine Vorgesetzten in der Zentrale: "Für mich entscheidet Paris mit sehr viel Augenmass. Wenn man dort Argumente vorbringt, wird man auch gehört."
Hildebrand, so sagt er selbst, habe in München keine Deutschland-Strategie vorgefunden. Jetzt entstehe langsam eine, auch auf Basis veränderter Marktvoraussetzungen. So empfindet Marc Hildebrand die deutsche Accor-Gruppe als ein Unternehmen, dass durch die Integration der ehemaligen Dorint-Hotels stark verändert wurde: "Accor deckt jetzt die gesamte Palette von 1- bis 5 Sterne-Hotels ab. Gleichzeitig hat sich das Wettbewerbsfeld verändert. Accors Monopol im Budget-Bereich existiert nicht mehr. Und es hat sich, als drittes, das soziale Umfeld verändert," fasst Marc Hildebrand zusammen.
"Machen, kommunizieren, schnell sein"
Letzteres berührt vor allem die Kommunikation zwischen Chefetage und dem Rest. So hat Hildebrand inzwischen einmal monatlich in München ein 20minütiges Mitarbeiter-Briefing eingeführt, bei dem der Chef zu allen spricht. Zusätzlich erläutert ein Mitarbeiter noch ein Spezialthema, danach haben die Mitarbeiter Zeit, sich beim Kaffee untereinander zu unterhalten und auch dem CEO Fragen zu stellen. Ein leichtes Raunen erfolgte, als Marc Hildebrand letzte Woche zum ersten Mega-Conference Call mit rund 250 Direktoren aufrief. "In anderen, globalen Firmen ist das schon lange Praxis," sagt er. "Machen, kommunizieren, schnell sein" - so etwa lässt sich Hildebrands Devise zusammenfassen.
Für die nahe Zukunft hat der Accor-Chef zwei Prioritäten ausgemacht: das Thema Human Resources und profitables Wachstum. Auch wenn Accor S.A. in der letzten Woche seine Geschäftszahlen 2008 vorstellte, werden weiterhin keine Zahlen nur für Deutschland publiziert. Hildebrand kann nur eingrenzen: "2008 war ein Rekordjahr für die Accor Hotellerie Deutschland. In den letzten drei Jahren konnte der Preis über alle Marken hinweg um fünf bis sieben Prozent hochgezogen werden, auch wenn uns das in dem einen oder anderen Markt Belegung gekostet hat." Und er fügt hinzu: "So gehen wir auch mit der Krise um!"
Die Früchte der vergangenen Jahre sollte man nicht so schnell aufgeben. "Pro Euro Verlust beim Preis braucht man ein halbes Jahr, um ihn wieder aufzufangen," sagt er. Deshalb hofft Hildebrand, dass ab 2010 die Preise wieder anziehen werden.
Accor Deutschland wird auch dieses Jahr insgesamt wieder fünf Millionen Euro zur geforderten Sparsumme von 100 Millionen Euro beitragen - so, wie das Unternehmen es schon letztes Jahr getan hat. Jedes Hotel, so der neue Deutschland-Chef, sei aufgefordert, sich mit kreativen Massnahmen daran zu beteiligen.
Trotz Sparmassnahmen ist in Deutschland jetzt wieder Expansion angesagt - zur Hälfte getrieben aus der Franchise-Entwicklung mit den Marken all seasons und Mercure, aber auch übers Franchising mit Etap und Ibis, von denen etliche Häuser renoviert werden sollen. "Insgesamt möchten wir in den nächsten fünf Jahren etwa 100 Häuser dazunehmen - die Franchisebetriebe eingerechnet," gibt Hildebrand vor. Gleichzeitig aber werde man diverse Häuser, die die Qualitätskriterien nicht mehr erfüllen, abgeben. Bedeutet das, dass Accor künftig weiterhin Master-Franchisepartner wie Grand City füttert? Der neue CEO schüttelt den Kopf: "Unsere Vorgaben seitens des Konzerns bauen auf Rendite-Berechnungen auf. Erfüllen deshalb Häuser unsere Rendite-Anforderungen nicht mehr, müssen wir sie abgeben." - Der neue Accor-CEO hat gesprochen. / Maria Pütz-Willems