Die Quelle sind Open Data GDI Smarte Assistenten werden das Reiseverhalten komplett umkrempeln
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Die Quelle sind Open Data

GDI: Smarte Assistenten werden das Reiseverhalten komplett umkrempeln

Mein smarter Assistent weiss mehr über mich als ich selbst: Sie werden die Zukunft, auch bei Reisen. Und sie chatten sogar mit anderen Assistenten für mein perfektes Urlaubserlebnis.Foto: Adobe Stock MyCreative

Zürich. Das Coronavirus gibt der Digitalisierung einen unerwarteten Schub: Allein durch die aktuelle Verlagerung der Arbeit ins Home Office oder das Online Schooling wird die Beziehung von "man and machine" positiv gestärkt. Solche Entwicklungen werden auch dem Tourismus zugutekommen, ist das Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut mit Sitz in Rüschlikon/Zürich überzeugt. Senior Researcher Jakub Samochowiec, auch Mitautor der Studie "Unterwegs mit smarten Assistenten", beschreibt neue Reiseprozess-Szenarien, die Kraft von Open Data und mögliche Chancen bei Krisen wie Corona.

Smarte Assistenten haben das Potenzial, den Tourismus in den kommenden zehn Jahren mindestens genauso zu prägen wie es Smartphones in den letzten zehn Jahren getan haben. Das jedenfalls meint die GDI-Studie von 2019, die die Zukunft des Reisens bis 2030 untersucht.

Als smarte Assistenten werden dabei digitale Ansprechpartner bezeichnet, die die natürliche Sprache verstehen und als Berater/Coach in allen Lebenssituationen zur Seite stehen. Als persönliches Reisebüro, Navigator, Übersetzer oder Tour Guide vernetzen sie unzählige Daten und sollen so über die Interessen und Vorlieben des Einzelnen besser Bescheid wissen als es fremde Auskunftspersonen je könnten.

Die Möglichkeiten gehen soweit, dass smarte Assistenten z.B. Restaurant-Buchungen entsprechend der Blutzuckerwerte vorschlagen bzw. gesamte Reiseplanungen übernehmen, auf Wunsch auch in Abstimmung mit anderen smarten Assistenten.

Eine schöne, neue Reisewelt? Jakub Samochowiec, Senior Researcher beim GDI, gibt Antworten.

Herr Samochowiec, das Coronavirus bringt derzeit das öffentliche und private Leben der gesamten Weltbevölkerung samt ihrer Volkswirtschaften durcheinander. Wäre es vorstellbar, dass in solchen Krisen smarte Assistenten Gesundheitszustände an die nationalen Behörden etc. weiterleiten und diese wiederum Anweisungen an Betroffene übermitteln?

Schon heute geben Mobilfunk-Anbieter aufgrund der Corona-Krise Bewegungsdaten an die Regierung weiter. Auch Google weiss von vielen Men-schen, wann sie wo waren. Wüsste Google auch, wer krank ist, könnten sie alle warnen, deren Wege sich gekreuzt haben oder direkt die Behörden benachrichtigen. Auch das Gesundheitsamt könnte die Bewegungsdaten positiv Getesteter anonymisiert auf einen Server des Gesundheitsamtes stellen. Wer will, kann dann die eigenen Bewegungsdaten hochladen und wird informiert, wenn man an einem Ort mit hohem Ansteckungsrisiko war.

Jakub Samochowiec, GDI: Smarte Assistenten sind auch Alltagscoach.Foto: Sandra Blaser

Mit smarten Assistenten, welche lokal auf einem Gerät laufen und nicht alle Daten mit Amazon oder Google teilen, liessen sich gewisse Dinge vielleicht auf eine Privatsphären-freundlichere Art erledigen. Schlussendlich muss man Privatsphäre und Volksgesundheit miteinander abwägen. Sollte man beispielsweise dazu verpflichtet sein mitzuteilen, wenn man krank ist? Sollte man dann auch seine Bewegungsdaten teilen müssen? Wieviel Privatsphäre würden wir bereit sein aufzugeben, könnten wir eine Situation wie jetzt verhindern?

Das sind alles nicht-technische Fragen. Auch besteht die Gefahr, dass gewisse Massnahmen jetzt für den Notfall eingesetzt, danach aber nicht wieder rückgängig gemacht werden.

Im Detail gedacht, könnten smarte Assistenten auch übermitteln, ob jemand das öffentliche Verkehrsmittel nutzen kann, die Firma oder das Hotel betreten darf?

Ja, das wäre denkbar. Auch wenn ich nicht sicher bin, ob und wie das bereits umgesetzt wird, geht der chinesische Social Credit Score in eine solche Richtung. Scheinbar braucht man eine bestimmte Mindestzahl an Punkten für gutes Verhalten, um etwa Hochgeschwindigkeitszüge zu nutzen oder ein Visum für eine Auslandsreise zu erhalten. Es würde auf der Hand liegen, diesen Score auch um Gesundheitsdaten zu erweitern und smarte Assistenten eignen sich prima dazu.

(Anm.d.Red.: China hat bereits ein "Quick Response" System fürs Smartphone umgesetzt: Die Mini-App Health Code sagt, wo und wie sich die Bürger bewegen. Die Nutzer können zwischen dem von Tencent entwickelten System Wechat oder Alipay von Alibaba wählen. Der Bürger gibt seinen Namen und Gesundheitszustand an, macht ein Selfie und ist – bei Alipay zumindest – damit per Gesichtserkennung identifizierbar, schreibt die Schweizer Tageszeitung NZZ am 14. März 2020. Die Ampel-Farben Grün, Gelb, Rot weisen den Weg: Mit Grün werden z.B. alle Menschen in Peking eingestuft, weil die Stadt nicht als Covid-19-Risikogebiet gilt. Wer Gelb hat, muss zwei Wochen in Quarantäne, und bei Rot hat man sich in Isolation zu begeben.)

In unserer Studie haben wir verschiedene unwahrscheinliche, aber folgenschwere Szenarien-Ideen entwickelt, sogenannte "Wildcards". Eine davon war, dass chinesische Touristen ausbleiben, weil der Social Credit Score aufgrund ökonomischer Schwierigkeiten für Auslandsreisen Minuspunkte vergibt. Chinesische Touristen bleiben jetzt auch ohne Social Credit Score weg. In Zukunft könnte das aber mittels eines von smarten Assistenten verwalteten Credit Scores geschehen.

Bei Ihren Wildcards war auch ein Szenario, dass wir uns durch die "Robo(ter)-Luxus-Wirtschaft" in eine "Gesellschaft der Freizeit" verwandeln, in der es keinen Bedarf mehr gibt zu arbeiten. Das Reisen würde dann für viele zur Hauptbeschäftigung, nicht nur in Form eines Urlaubs für vier Wochen im Jahr. Für den Reisemarkt wäre dies sicher ein Segen. Wie könnte dagegen das Reisen der Zukunft mit smarten Assistenten aussehen?

Grundsätzlich können solche Assistenten nicht nur für die Reise selbst benutzt werden, sondern in allen Lebenslagen: Denn alle Kenntnisse über unsere Interessen und Vorlieben werden miteinander verknüpft. Für den Kunden übernehmen sie dabei jegliche administrativen Aufgaben wie Ticketkäufe oder Check-in und verbinden sich auch mit anderen smarten Assistenten, wenn man z.B. mit Freunden gemeinsam in den Urlaub fahren will.

Steht man wiederum am Urlaubsort vor einem Aussichtspunkt, kann der Assistent über Augmented Reality besuchenswerte Orte oder Restaurants anzeigen, deren Speisekarte oder Bewertungen vorlesen und durch die Echtzeitdaten-Übertragung erfahren, ob noch ein Tisch frei ist. Dank Parkfeld-Sensoren zeigt der Assistent auch den Weg zum nächsten freien Parkplatz an.

Es gibt also viele Möglichkeiten – und touristische Leistungsträger könnten ihre Leistungen viel personalisierter und evaluierter anbieten. So können Hotels etwa Auslastungen von Räumen und Plätzen kommunizieren und smarten Assistenten so ein ganz individuelles Angebot über den Lieblingsplatz im Wellnessbereich etc. machen. Oder der smarte Assistent unterbreitet einen konkreten Ausflugsvorschlag mit Informationen über An- und Abreise vom Hotel, aktuellen Wartezeiten bei der Bergbahn oder der momentanen See-Temperatur. Viele dieser Daten existieren auch schon. Sie sind einfach nicht standardisiert und verknüpft.

Um von smarten Assistenten "erfasst" zu werden, sagen Sie, müssen Tourismus-Destinationen und touristische Leistungsträger vor Ort mit ihren Angeboten "maschinenlesbar" werden. Sie propagieren dabei die Möglichkeiten durch Open Data und dezentrale Assistenten.

Bereiten touristische Destinationen ihre Daten auf, machen Chatbots die Vermarktung effizienter.Foto: Mika Baumeister

Ja, Destination Management Organisationen könnten Hotels bei der Bereitstellung ihrer Daten unterstützen. Diese datenschutzrechtlich unbedenklicheren Daten zur Destination können dann von smarten Assistenten mit Gästedaten verknüpft werden. Der Assistent entscheidet also, welche der Destinationsdaten für seinen Nutzer relevant sind.

Werden Daten als Open Data offengelegt, können auch kleinere, privatsphären-freundlichere Assistenten wertvolle Ratschläge geben. Wir sehen ein entsprechend grosses Potenzial in Open Data, indem es keine Vermittler mehr braucht und wir uns alle unabhängig von den Monopolisten und grossen Tech-Unternehmen wie Google oder Booking machen.

Wir vergessen es oft: Das Internet hatte mal als Protokoll angefangen, mit Webseiten und Mails und wurde zunehmend von proprietären Plattformen kontrolliert wie Booking oder WhatsApp. Mit Open Data könnte man wieder ein Stück weit zum Plattform-Charakter des Internets zurückkehren; selbst mit smarten Assistenten.

Wie würden Reiseanbieter und -vermittler in diesen neuen Systemen technisch aufgehen? Wie sieht der Reisevertrieb der Zukunft aus?

Der smarte Assistent zieht sich aus den frei verfügbaren offenen Datensystemen die not-wendigen Informationen über und von Hotels und Destinationen; er fragt den Menschen, von dem er Vorlieben, Gesundheitswerte und anderes kennt, ob er dieses oder jenes wünscht und er bucht schliesslich komplette An- und Abreisen, Hotels, Restaurants und Erlebnisangebote für seinen Nutzer.

Apps und Webseiten sind dann als Zwischenhändler – oder auch als "Container", in denen die Daten zusammengetragen wurden – nicht mehr nötig. Webseiten braucht es nicht mehr im Sinne eines "Gesamtangebots", weil künftig nur noch die Details interessieren und Hotels alle möglichen Daten frei verfügbar in dezentralen Open Data-Systemen hinterlegt haben. Der Mensch will Ferien machen und nicht ein Hotel buchen oder gar eine App öffnen, auch wenn dabei vielleicht ein Teil der Vorfreude verloren geht. Durch die freie Verfügbarkeit von Daten wären auch Buchungs- und Vermittlungsplattformen wie Booking.com oder die von Airlines und Taxi-Zentralen künftig überflüssig.

Was ist mit smarten Assistenten noch nicht technisch umsetzbar?

Smarte Assistenten sind auf eine "Verdatung" der Welt angewiesen. Je besser sie die Welt verstehen, umso mehr können sie uns helfen. Aber bisher kennen sie die Erfahrungswerte von Menschen nicht. Ihnen fehlen viele Daten und damit das Verständnis, viele weitere Fragen beantworten zu können. Der smarte Assistent weiss vielleicht, welche Drinks es an der Hotelbar mit welchem Geschmack laut Cocktailkarte gibt, aber er weiss nicht, wie sich Sprudel anfühlt. Oder er weiss vielleicht nicht, dass dieser Drink dann nicht so schmeckt, wenn man vorher die Zähne geputzt hat. Unsere Erlebniswelt ist so komplex, dass es unklar ist, ob und wann Maschinen uns wirklich verstehen werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sylvie Konzack.

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