Die vergessene Zukunft Hotels 2022 Kein Nachwuchs mehr fremde Fachkräfte aufwendige Trainings
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Die vergessene Zukunft

Hotels 2022: Kein Nachwuchs mehr, fremde Fachkräfte, aufwendige Trainings

Die Ausbildungszahlen in Deutschland gingen 2020 um ein Viertel auf 17.600 zurück.Foto: unsplash joshua ness

München. Die Hotellerie blutet, auch in personeller Hinsicht. Und Hotels, die künftig noch viele Mitarbeiter brauchen, stellen sich einer zunehmend grösseren Herausforderung. Denn Nachwuchs ist aktuell immer weniger in Sicht, das Image hat durch die Lockdowns massiv gelitten. Derweil holen die Hotels ihre Leute mit aufwendigen Re-Onboarding-Prozessen zurück. Und die Fachkräfte ändern sich, während sich ihr Mangel weiter verschärft. Zeit zur Selbstreflexion.

Die Auszubildenden haben bereits die Hälfte oder ein Drittel ihrer Ausbildungszeit unter Corona-Bedingungen verbracht. Wenn sie Glück hatten, genossen sie Schulungen, besondere Projekte, Trainings und mentale Rückendeckung durch ihren Betrieb. In vielen Häusern waren sie Teil der Not-Teams. In manchen, wie bei einigen der noch 15 geöffneten Mitgliedshotels der Munich Hotel Alliance, lernten die Auszubildenden an der Seite des Direktors, auch einen Betrieb "allein" zu führen und mit Vertrauen Verantwortung zu übernehmen.

Und was ist mit denen, die eigentlich nachkommen sollen? Schon 2020 ist die Zahl der Auszubildenden im Vergleich zum Vorjahr um 11% gesunken, allein im Gastgewerbe fehlten 24,7%. 2021 könnte der Rückgang bei einem weiter anhaltenden längeren Lockdown noch deutlicher sein.

Immerhin hat die Bundesregierung vor kurzem eine Verdopplung der Ausbildungsprämien für Betriebe beschlossen, die trotz grosser wirtschaftlicher Probleme wegen Corona ihre Ausbildungsplätze erhalten oder sogar ausbauen: Sie können zum 1. Juni 2021 jeweils bis zu 6.000 Euro pro Ausbildungsplatz bekommen. Dies gilt auch für Unternehmen mit bis zu 499 Mitarbeitern statt nur maximal 249. Darüber hinaus soll die Übernahme-Prämie bis Ende 2021 verlängert und auf 4.000 und 6.000 Euro verdoppelt werden. Unternehmen wie Motel One hatten bereits in den letzten Monaten drei Studierende übernommen, deren frühere Betriebe die Ausbildung nicht mehr finanzieren wollten und konnten.

Prof. Stefan Nungesser: Schlechtes Image und schlechte Perspektiven treiben junge Leute aus der Branche.Foto: KK FH Kärnten

Das Image gemeinsam verbessern

Viele solcher Programme haben etwas angestossen, findet auch Eduard M. Singer, Branchenkenner und heutiger Citymanager in Frankfurt. Aber es brauche seiner Meinung nach mehr, z.B. einen grossen Ausbildungspakt, mithilfe dessen viele tausende neue Auszubildende gerade jetzt eingestellt werden müssten, um dem potenzierten Fachkräfte-Mangel entgegenzuwirken. Der Bund müsste hier Verantwortung übernehmen und die von der Pandemie massiv betroffene Branche stärken.

Auch Stefan Nungesser, Professor an der Fachhochschule Kärnten/Österreich, sieht klar, dass in dieser Krise die Jungen vergessen werden: Wenig Ansprache, wenig Perspektive, ausserdem nonstop schlechte Nachrichten über die Branche – in der Folge würden sich bereits einige der Hotel Management-Absolventen bzw. Studierenden an der Tourismusfakultät in Kärnten für Jobs in der Buchhaltung von Unternehmen, bei Steuerberatern oder in der Tech-Branche bewerben. "Denn der Nachwuchs denkt sich: Warum soll ich in so einer unsicheren Branche überhaupt arbeiten?", sagt Stefan Nungesser sichtlich bedrückt und sieht hier letztlich ein Führungsproblem in der Branche, das auch durch einen überfälligen Generationen-Wechsel gelöst werden muss.

Und schliesslich müsse die Branche vor allem eines tun: gerade jetzt mit positiven, begeisternden Beispielen ihr Image verbessern und Aufmerksamkeit schaffen. Dafür nennt er u.a. die Kärntner Initiative "Gemeinsam aus dem Lockdown", die gezielt den Schulterschluss mit der Gastronomie, Industrie, Politik, Gesundheit, Kunst & Kultur sowie der Veranstaltungswirtschaft sucht und Ende Februar konkrete Öffnungsvorschläge für ein sicheres Wirtschaften präsentiert hat. Auch die Kunstaktion "Lego statt Gäste", die das Biohotel Daberer im österreichischen Dellach gestartet hatte und viele weitere Hotels und Medien anzog, lassen die Branche weiter interessant wirken. Oder die TikTok-Aktion #wearebored des Magda Hotel in Wien, bei der die Mitarbeiter in kleinen Videos augenzwinkernd zeigen, wie sie sich ohne Gäste im Haus die Zeit dort vertreiben und auf dem neuen TikTok-Channel des Hotels innerhalb von zwei Tagen mehr als zwei Millionen Ansichten erreichen konnten.

Bernhard Patter: Der F&B-Manager darf künftig auch mal ins Front Office.Foto: Kubiza

Re-Start, Re-Onboarding, Re-Union-Calls

Motivation und Startgefühl verschaffen derzeit in einigen Hotels auch Re-Start-Programme. "Diese sind als ein Re-Onboarding zu verstehen", betont der HR-Coach und Diavendo-Chef Bernhard Patter, weil Mitarbeiter vom Passwort bis zu kompletten Abläufen vieles nicht mehr präsent haben. Zugleich sind neue, flexiblere Prozesse gefragt, die auch im Lockdown zu guten Erfahrungen führten – wie der F&B Manager, der nun auch im Front Office eingesetzt wurde, was früher vielerorts undenkbar gewesen wäre. Change Management ist hier auch eine Chance im Re-Start und "schon ab der mittleren Führungsebene gefragt", so der Coach.

Bei der Munich Hotel Alliance mit 27 Vier- und Fünf-Sterne-Stadthotels in München beschreiben die Mitglieder solche geplanten Kampagnen, auch wenn die Budgets für notwendige Teambuilding-Massnahmen leider geschrumpft sind. Alle sehen vor allem die Herausforderung darin, die Mitarbeiter je nach Geschäftsaufkommen und Verordnungen Schritt für Schritt aus der Kurzarbeit zu holen und dabei gerecht vorzugehen. Für den Wiederaufbau eines service-orientierten Teams planen viele einen Probebetrieb für alle Mitarbeiter, Trainings, Welcome Days, das Vorziehen von Online-Pflichtschulungen und eine Restrukturierung der Abteilungen, "um die Silos aufzubrechen".

Dorint Hotels-COO Jörg T. Böckeler hat schon im Februar 2021 darüber informiert, dass mit den Führungskräften und vielen Mitarbeitern regelmässig "Re-Union-Calls" geführt werden. Zudem seien gerade in allen 57 geöffneten Hotels und Resorts intensive Schulungs- und Coaching-Programme gestartet – "als Kombination aus 'Willkommen zurück', operativen Prioritäten und Dankbarkeit den Mitarbeitern gegenüber". Per Webinar werden tägliche kleinere Lerneinheiten, dazu auch wöchentliche Trainings und Teambuilding-Massnahmen stattfinden. Man wolle gerade jetzt "jeden einzelnen Mitarbeiter weiter für das Unternehmen begeistern" und seine Talente fördern, so Böckelers Ziel.

Seetelhotels auf der Insel Usedom hat zum Re-Start bereits bestimmte Schulungsmassnahmen gestartet. "Wir wissen vom letzten Mal, dass es drei, vier Tage braucht, bis die Abläufe wieder vollends greifen", sagt der geschäftsführende Gesellschafter Rolf Seelige-Steinhoff und will beim Hochfahren auch Partner wie die Wäscherei oder die Lebensmittel-Lieferanten einbeziehen. Zudem hofft er, in diesem Zuge einige seiner Mitarbeiter, die gekündigt haben, wiederzugewinnen. Signalisiert hätten dies zumindest einige bereits.

Jörg Böckeler: Selbst mit Führungskräften gibt es regelmässig 'Re-Union' Calls.Foto: Dorint

Stellenanzeigen ziehen wieder an

Auch im Bereich Recruiting tut sich in der Branche bereits einiges: Zwar registrierte das Karriere-Portal Hotelcareer im ersten und zweiten Lockdown noch eine starke Unsicherheit und einen entsprechenden Rückgang der Stellenanzeigen von bis zu 65% im DACH-Raum. Aber "obwohl weiter keine konkreten Öffnungspläne bekannt sind, steigt die Zahl der ausgeschriebenen Stellen seit Beginn des Jahres kontinuierlich. Die Hoffnung der Branche auf baldige Perspektiven und Öffnungsschritte ist gross", so eine Sprecherin von Hotelcareer auf Nachfrage von hospitalityInside.com. Ähnliche Beobachtungen macht auch Garry Levin von der Berliner Agentur LHC International: "Gefühlt sind die Auftragslage und die Aktivität am Arbeitsmarkt deutlich stärker als nach Beginn der Corona-Pandemie". Und er fragt sich: "Haben die Unternehmen die Geduld verloren bzw. legen keinen Wert mehr auf die fragile Politik?"

Hotelcareer sieht auf der Bewerber-Seite zurzeit am häufigsten Suchen im Bereich Küche, als Koch oder Küchenchef. Auch auf der Arbeitgeber-Seite steht die Küche mit 25,5% an der Spitze aller Stellenanzeigen, fast gleichauf mit Restaurant/Service. "Im Vergleich zu 2019 hat sich das Bewerbungsinteresse deutlich gesteigert", schätzt Hotelcareer die Situation ein. Auf das gesamte Jahr 2020 konnten sogar 11% mehr Bewerbungen als 2019 verzeichnet werden.

Für Unternehmen wie Motel One ist das Wasser auf die Mühlen der Hoffnung. Das Münchner Unternehmen wird beim Wiederhochfahren neue Mitarbeiter einstellen müssen und könnte dann auch schnell wieder auf einen deutlichen Umsatz-Zuwachs hoffen. "Wir haben während der Corona-Krise neue Gästegruppen erschliessen können, und unsere Sales-Abteilung baut diese neuen Felder gerade sehr aktiv weiter aus", so Co-CEO Daniel Müller.

Video-Calls zumindest sind eine gute Möglichkeit, mit den Mitarbeitern in Verbindung zu bleiben.Foto: unsplash compare fibre

Härterer War for Talent und mehr frustrierte Fachkräfte

Und morgen könnte trotz allem alles noch schlimmer werden, weil Corona im HR-Bereich wie ein Brennglas wirkt. Die jüngsten Lockdown-Verschärfungen angesichts der dritten Welle, die weiter fehlenden Öffnungsperspektiven bis in den Sommer hinein und die Diskussionen um Urlauber-Schwemmen nach Mallorca statt nach Malente & Co. – sie machen den Mitarbeitern Angst und verstärken den Druck.

"Unsere Mitarbeiter sind seit über zwölf Monaten in Kurzarbeit, und wir schicken unsere Gäste erst einmal ins Ausland und unsere Hotels bleiben leer?", fragt Garry Levin. "Für die Motivation der Arbeitskräfte, in der Branche zu bleiben, ist das auf lange Sicht absolut schädlich. Wir erleben jeden Tag, wie tolle Mitarbeiter aus der Hotellerie die Branche verlassen, und mit solch einem Schlag wird das Ganze noch stärker gepuscht. Ich denke, dass sich die Hotellerie auf einen noch viel stärkeren War for Talent gefasst machen muss, sobald es wieder weitergeht." Auch Bernhard Patter sieht eine weiter zunehmende Enttäuschung, Frustration und Orientierungslosigkeit durch die neuerliche Verschiebung in den Sommer. "Das kann auch die Führungskraft auf Dauer nicht kompensieren. Vor allem mit welcher Aussage zu einer Perspektive?", sagt er.

Hotelcareer bleibt zwar optimistisch, weil "die durchweg hohen Zahlen an Bewerbungen eindeutig darauf schliessen lassen, dass nach wie vor viele ihre Zukunft in der Hospitality sehen". Die Stellenbörse räumt aber auch ein, dass aufgrund der fehlenden Perspektiven gerade Mitarbeiter mit langer Branchen-Zugehörigkeit und entsprechendem Branchenwissen das Gastgewerbe verlassen könnten.

Garry Levin: Künftig kommen Mitarbeiter aus allen Branchen.Foto: LHC International

Prof. Stefan Nungesser empfiehlt gerade hier, neue Bindungsprozesse und Aufgaben-Konzepte für die älteren Mitarbeiter zu entwickeln. Aber Experten wie er sowie Eduard Singer und Bernhard Patter glauben ohnehin, dass die Branche auf ein noch schwerwiegenderes Problem bei ihrem Nachwuchs zusteuern wird: Insgesamt gehen derzeit fast alle in der Branche davon aus, dass der Fachkräfte-Mangel nach Corona – quasi der "neue" Fachkräftemangel – noch grösser sein wird als zuvor und noch mehr internationale Mitarbeiter in die Hotellerie bringen wird, weil deutsche nicht mehr zu finden sind. "Dabei wird auch der Trend wirken, dass viele in der Branche die neu erlebte Work-Life-Balance interessant finden und jetzt mehr Zeit mit der Familie verbringen wollen", sagt Rolf Seelige-Steinhoff. Er will deshalb die eigenen Prozesse und Abläufe noch stärker hinterfragen, um hier als Arbeitgeber attraktiver zu werden.

Recruiting: 85% weniger Hotelkunden

Für den Recruiter Garry Levin ein Schritt, der bei vielen Betrieben längst überfällig ist. Beim Gründer und Managing Director von LHC International hat sich selbst innerhalb des Corona-Jahres die Kundenstruktur von 100% Hotellerie auf 15% reduziert, in einem neuen Strauss von weiteren Branchen wie Tech, E-Commerce und Automobile. Für ihn muss der enorme Image-Schaden, den die Branche durch die Krise erfahren hat, künftig mehr denn je mit einer längst überfälligen Funktionsspezialisierung aufgefangen werden.

"Bisher hat die Hotellerie bei einem Kandidaten für einen Bilanzbuchhalter in einem Grandhotel oft und gern die Bedingung gestellt, dass dieser aus der Luxushotellerie kommen muss, am besten 30 Jahre alt ist, 20 Jahre Hotelerfahrung mitbringt, sieben Sprachen spricht und nur 40.000 Euro Jahresgehalt haben möchte", sagt Garry Levin.

"Aber das war früher schon nicht möglich und ist heute nicht mehr wichtig, weil allein die Bilanz-Expertise zählt und es hier gute, auch bessere Spezialisten aus anderen Branchen gibt, die einen frischen Blick mitbringen." Und nur so könne die Branche auch ihrem ewigen Fachkräfte-Dilemma entkommen. "Denn wozu braucht es noch die teuren GMs, wenn alles mit hoch spezialisierten Kräften zentralisiert ist?" Vielmehr müsse man bei Letzteren die Gehälter nachziehen, um attraktiv zu sein.

Daniel Müller bleibt optimistisch: 'Am Ende sind wir ein Ort für Typen'.Foto: Motel One

Trotzdem: Fachkräfte bereinigen sich

Es droht also eine gewisse Marktbereinigung der Fachkräfte? "Na ja, ein bisschen", sagt Levin. "Aber im positiven Sinne. Die Branche braucht eine Umstrukturierung der Bereiche; zu sehr ist sie bisher auf das Scaling fokussiert und zu wenig auf die Prozess-Optimierung." Und in diesem Sinne gelte es nun ernsthaft, Experten aus anderen Branchen zu gewinnen, sie für die Branche zu begeistern und sie dabei nicht als Quereinsteiger zu betrachten, sondern als solche, die für Input und neues Knowhow sorgen.

Viele Hochschul-Professoren betonen in diesen Tagen zugleich, dass dazu auch der stärkere Schulterschluss mit anderen Branchen und der Blick auf die interdisziplinären Bereiche wie Naturwissenschaft, Soziologie, Psychologie und Informatik gehöre, um die Bedeutung des gesamten Tourismus notwendigerweise zu stärken. Denn darin sind sich fast alle einig: Der Tourismus bleibt auch weiterhin eine Wachstumsbranche. "Und dies muss in der aktuellen Situation mit den Vorteilen der Branche auch die Botschaft bleiben", sagt Stefan Nungesser.

Die seit langem bestehenden Forderungen und Notwendigkeiten der Branche werden da relevanter denn je – sei es die längst überfällige Modernisierung der Ausbildungsinhalte oder die Notwendigkeit der höheren Raten, um auch die Mitarbeiter deutlich attraktiver bezahlen zu können. Denn sie sind auch nach Corona der wichtigste Teil des Hospitality-Erfolgskonzepts – das werden Hoteliers gerade jetzt nicht müde zu betonen. Tech-Immobilien, die gerade Millionen mit personallosen, kontaktlosen und kalten Konzepten einsammeln können, sind nicht die "skalierbare" Zukunft der Hotellerie.

"Am Ende sind wir ein Ort für Typen", ist Daniel Müller überzeugt-optimistisch. "Es gibt Typen von Menschen, die finden nur in der Hotellerie diese positiv-spezielle Atmosphäre und Arbeit, und diese werden weiter zu uns kommen." / Sylvie Konzack

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