Gaskrise Die Szenarien sind durchgespielt Das Drama beginnt Seetel müsste drei Hotels in 8 Stunden schliessen

Gaskrise: Die Szenarien sind durchgespielt

Das Drama beginnt: Seetel müsste drei Hotels in 8 Stunden schliessen

Die Gasspeicher sind laut Bundesnetzagentur voll. Aber gilt dies bundesweit zu jeder Zeit? Und wie lange? Für Unternehmer wie Rolf Seelige-Steinhoff bleibt hier im Moment nur ein großes Wenn-Dann-Rechnen.Foto: adobe stock norn

Bansin/Usedom. Drei der 16 Ferienhotels der deutschen Seetel Hotels stehen auf der Schliessungsliste der deutschen Bundesnetzagentur. Eigentümer und Betreiber Rolf Seelige-Steinhoff soll sich bereithalten, die Betriebe binnen 8 Stunden zu schliessen. Das familiengeführte Unternehmen befürchtet eine Kettenreaktion der negativsten Art: von Millionen-Verlusten im operativen Umsatz über Abstufungen bei der nächsten Kredit-Anfrage bis hin zu verschimmelten Immobilien im nächsten Frühjahr. Rolf Seelige-Steinhoff, ein starker Unternehmer und hervorragender Analytiker, rechnet hier vor, was auf ihn zukommen kann. Klare Informationen von der Politik hat auch er nicht.

Herr Seelige-Steinhoff, der Winter steht vor der Tür, der deutsche Gas-Engpass ist weder für die Konsumenten noch für die Unternehmen klar gelöst, dafür laufen drei Atomkraftwerke weiter – bis April. Wie kalt wird es von Dezember bis März auf Usedom sein? Was steht Seetel Hotels bevor?

Im Winter kann es auf Usedom knackig-kalt werden – bis hin dass Eisschollen auf der Ostsee treiben. Von Dezember bis Ende März sieht es laut wetter.de die mittlere Tages-Mindesttemperatur bei 0 bzw. -1 Grad Celsius vor. Seetel Hotels betreiben auf der Insel 17 Betriebe, Hotels- und Apartmenthotels sowie Gastronomie; alle Betriebe laufen per Gas. Alternative Energiequellen gibt es auf Usedom nicht. Wir haben null Klarheit seitens der Politik. Keiner nimmt wahr, dass die AKWs bis April auch nur auf Standby laufen; auch die Medien geben das nicht immer präzise wieder. Was passiert denn ab April? Ist der Winter exakt am 1. April vorbei?

Sind Seetel Hotels gezwungen, auch nur 20% ihres Gasverbrauches zu reduzieren, ist das Geschäftsmodell vom Ergebnis her komplett in Frage gestellt. Überleben könnten wir im Winter vielleicht, wenn wir nur noch konstant mit 10 Grad Celsius heizen.

Dies könnte bedeuten, dass die Hotels direkt in ein Winter-Chaos hineinrutschen. Die Energiekrise und die Inflation erwischen Dienstleistungsbetriebe wie unsere auf allen Ebenen und bis in die letzten Ritzen. Die Kosten-Steigerungen sind dramatisch, leider auch noch dynamisch und unkontrollierbar.


Zudem bekommen die Konsumenten Angst: Durch Stornierungen und der allgemeinen Verunsicherungen hat Seetel Hotels allein in diesem Oktober 1,2 Millionen Euro Umsatz verloren. Eine Katastrophe! Wobei mir Gäste kürzlich sagten: Das Preisleistungsverhältnis in Usedomer Hotels sei absolut in Ordnung. Die Wahrnehmung der Reisenden ist: Alles wird teuer, sogar die Strandkörbe.

Wenn ich das jetzt weiterdenke, dann verkleinert sich sehr bald der Markt – auf der Angebotsseite wie in der Nachfrage.

'Aktuell sind die Unternehmer dieses Landes nicht mehr aktive Garanten der Wirtschaft, sondern nur passive Zuschauer der Politik', sagt Rolf Seelige-Steinhoff.Foto: SeetelHotels

Bitte bedenken Sie, es sind nicht nur Übernachtungen, die wegfallen, sondern auch Tagestouristen. Damit schrumpft die gesamte Wertschöpfungskette und das trifft vor allem den Einzelhandel und viele Kleingewerbe. Logisch: Bei eingeschränkten Leistungen für den Gast können die Preise nicht mehr erzielt werden, die Hotel-Auslastung sinkt und die Wirtschaftlichkeit des Betriebs bricht zusammen. Alle Partner in der touristischen Wertschöpfungskette brauchen einander.

Lassen Sie uns über die Ketten-Reaktion weitersprechen. Einen grossen Einfluss darauf hat die Bundesnetzagentur, die oberste Bundesbehörde in Sachen Strom und Gas, Teil des Wirtschaftsministeriums. In unserem Beitrag vom 29.7.2022 deutete diese durchaus die Möglichkeit von Abschaltungen einzelner Betriebe an. Seit dem Sommer hält sich auch das Gerücht einer "Schliessungsliste". Gibt es diese, ist Seetel Hotels betroffen?

Ja. Im Bereich der Insel Usedom und direkter Umgebung sind angeblich über 50 Unternehmen betroffen, die alle verschiedenen Branchen angehören – vom Futtermittel-Vertreiber über den Supermarkt bis hin zum Hotel. Nach meinem Wissen sollen drei unserer Hotels runtergefahren werden: der Ahlbecker Hof, das Ostseehotel und das Hotel Kaiserstrand – und ich vermute auch, dass das erst kürzlich eröffnete Kinderresort dazugehören wird.

Welche Verluste erwarten Sie bei Schliessungen?

Wir haben es für die ersten drei Hotels durchgerechnet: Eine Schliessung würde einen kompletten Umsatz-Ausfall bedeuten bei gleichzeitig weiterlaufenden Fixkosten: Pro Monat wäre das pro Objekt Summen zwischen 280.000 und 500.000 Euro. Bei einer viermonatigen Schliessung reden wir bei den drei Objekten also von 3,36 bis 6 Millionen Euro.

Nach welchen Kriterien werden die evtl. zu schliessenden Hotels ausgesucht?

Es können nur Betriebe "identifiziert" werden, deren Gasverbrauch automatisch und direkt an die Bundesnetzagentur gemeldet werden kann. Die Betriebe müssen in ihrem Verbrauch zudem bei über 1,5 Megawatt-Stunden Gas pro Jahr liegen. Solche Unternehmensangaben landen in einem Portal und die Firmen werden auf ihre Systemrelevanz hin überprüft.

Durch welche Kriterien ergibt sich denn die Systemrelevanz?

Die Unternehmer sollen – auf relativ kurzen – Checklisten pauschal ankreuzen, ob ihre Firma z.B. relevant ist für das öffentliche Leben, einem sozialen Zweck dient oder Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt hat. Man versucht also, die Folgen einer Abschaltung pauschal und schnell statistisch zu erfassen. Ich vermute, dass von den über 50 Firmen auf Usedom keine einzige systemrelevant ist. Unternehmen, die evtl. mit einer Schliessung rechnen müssen, müssen übrigens 24 Stunden erreichbar sein, um irgendwann die Information zu bekommen "Achtung, Sie haben jetzt 8 Stunden Zeit, um ihr Hotel herunterzufahren". Oder es drohen erhebliche Konsequenzen.

Aktuell sind die Unternehmer dieses Landes nicht mehr aktive Garanten der Wirtschaft, sondern nur passive Zuschauer der Politik. Gegen die Politik juristisch anzukommen, ist fast nicht möglich. Die Einschätzung von Juristen hierzu ist frustrierend.

In Corona mussten die touristischen Betriebe ja auch "herunterfahren". Wie alle seitdem wissen, ist das gar nicht möglich, es kann alles nur bis auf Notbetrieb reduziert werden. Und selbst das schafft man nicht in 8 Stunden. Was soll diese Zeitvorgabe? Und selbst dann muss noch ein Not-Team im Haus sein.

Die Szenarien sind seitens der Bundesnetzagentur durchgespielt. Und die Regierung hat in der Gaskrise das Recht, in die jeweiligen Eigentumsrechte einzugreifen. Die Bundesnetzagentur ist gehalten, die Energie-Grundversorgung zu sichern.

Gilt diese Liste nur für eine Region oder eine Destination oder für das ganze Land? Und woher haben Sie diese Informationen?

Die Liste gibt es für alle Regionen im ganzen Land. Jeder kann bei seinem regionalen Gasnetz-Betreiber einmal nachfragen. Anders als bei Schliessungen in der Pandemie haben hier die einzelnen Bundesländer kein Mitspracherecht, alles obliegt der Bundespolitik.

Idyllisch normalerweise auch im Winter – in diesem Jahr rückt jedoch die mögliche Kälte in den Vordergrund und wie dies die Gasversorgung in den Seetel Hotels einschränken wird.Foto: SeetelHotels

Und Energie-Alternativen haben Sie gar keine?

Nein. Unsere Hotelbetriebe sind mit modernen Heizungsanlagen ausgestattet. Auf Ölheizung oder auf Flüssiggas umzustellen, funktioniert i.d.R. nicht, weil die knapp geschnittenen Grundstücke auf der Insel noch nicht einmal genug Platz für die Tanks hergeben. Wir haben auch keine bautechnischen Voraussetzungen dazu. Ein Hotel-Kollege auf Usedom konnte glücklicherweise von Gas auf Öl umstellen, weil die Kapazitäten es hergaben.

Welche Herausforderungen kämen bei einer Schliessung auf Sie als Unternehmer ausserdem noch dazu?

Das sind einige, aber ich möchte nur zwei hier erläutern, da sie sehr wichtig sind. Wir wären nach Corona erneut gezwungen, die Mitarbeiter der betroffenen Häuser theoretisch in die Kurzarbeit zu schicken, durch die sie aber nur 60% ihres Gehaltes bekommen würden. Und jetzt würde es auch den Arbeitgeber treffen: Wir müssen alle Sozialbeiträge dieses Mal selbst zahlen. Ist man in der Lage, die Mitarbeiter in andere Hotels zu transferieren, würde das die Situation natürlich lindern.

Aber die Folgen ziehen noch ganz andere Kreise. So haben wir festgestellt, dass die Banken überhaupt nicht auf einen ausgesetzten Kapitaldienst vorbereitet sind, der mit einer Schliessung einhergehen wird. Aber selbst, wenn es nur auf eine Zins-Aussetzung hinauslaufen würde, würde jede Hotelgruppe in der Banken-Bewertung sinken – und damit bei der nächste Kreditanfrage schlechter eingestuft werden.

Welcher Schaden entstünde denn der Immobilie? Seetel Hotels ist Eigentümer und Betreiber. Was droht denn Eigentümern/Investoren und Betreibern beim Gebäude?

Das fängt mit ganz einfachen Fragen an. Sollte wir in einen Versorgungsengpass geraten, würden stark reduzierte Gasmengen bedeuten, dass in verschiedenen Leitungen der Gasdruck nicht mehr aufrecht gehalten werden kann. Kurzfristig entwickelt sich hier ein Riesenproblem. Was passiert schliesslich auch, wenn die Schliessungen beendet sind und wir den Betrieb unter Umständen mechanisch wieder hochfahren müssen? Sollte die Hotelbelegung sofort wieder anziehen, könnte das System kollabieren.

Der Supergau aber wäre die Feuchtigkeit im Gebäude. Angenommen, in den heruntergefahrenen Gebäuden bleibt die Temperatur bei 10 Grad oder auch nur wenig darunter, haben wir eine entsprechend höhere Luftfeuchtigkeit. Und die Temperatur, z.B. durch Sonnen-Einstrahlung, steigt schnell an und kondensiert die Luftfeuchtigkeit in den Gips-Elementen. Das erhöht die Gefahr, dass der Schwefel im Gips zu schimmeln anfängt. Was dieser schwarze Schimmel final anrichtet, wissen wir aber erst, wenn der Winter vorbei ist.

Irgendwann kommt dann ein Gutachter – wohl Ende April, wenn der Winter vorbei ist. Das heisst, der vielbeschäftigte Mann taucht erst Mitte Juni vor Ort auf, danach sprechen wir die Handwerker bezüglich der Reparaturen an, die sich später dann noch verlängern, weil kontaminierte Bereiche herausgebrochen, erneuert und ordnungsgemäss auf einer Deponie entsorgt werden müssen… Wenn alles fertig ist, haben wir Herbst 2023, haben immense Kosten zu stemmen, müssen neue Kredite aufnehmen und die deutschen Gasspeicher sind vermutlich immer noch leer.

Aber wir rechnen schon vorher: Der Schimmel-Schaden könnte 5.000 Euro pro Zimmer mit Bad kosten, macht bei 300 Zimmer einen Schaden von 1,5 Millionen Euro!

Warum spricht von Ihren Kollegen so gut wie niemand so offen und präzise über die Misere der Hotellerie?

Die Politik suggeriert uns einen milden Winter. Wahrscheinlich stützen sich die Kollegen darauf. Viele Betreiber vergessen, dass sie sich ja auch mit dem Eigentümer austauschen und Vereinbarungen finden müssen. Und ich persönlich finde, die Medien-Landschaft hat total versagt. Mir ist unbegreiflich, weshalb so vieles nicht kommuniziert wird.

Glauben Sie der Regierung, dass die Gas-Speicher in Deutschland voll sind?

Ja, das können wir täglich auf der Homepage der Bundesnetzagentur sehen. Aber es gibt zwei Probleme. Erstens: Befinden sich Gasreserven im Norden, Gas aber kurzfristig im Süden gebraucht wird, haben wir ein simples logistisches Problem: Gas kann man leider nicht schneller befördern. Und zweitens: Die Gas-Speichermenge reicht nicht aus, um die im Winter erhöhte Nachfrage sowie das neue, eingeleitete Gas mittelfristig abzusichern.

Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, wollte mit seinem jüngsten Tweet am 22. Oktober vielleicht Mut machen, geschafft hat er das Gegenteil. Seine "Zuversicht" enthält dreimal das Wort "wenn"… Zitat: "Die Bundesnetzagentur ist zuversichtlich, wenn Industrie & Verbraucher mindestens 20% Gas einsparen & [wenn] die LNG Terminals planmässig kommen [und wenn] es keinen kalten Winter gibt".

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Seelige-Steinhoff. 

 

 

 

 

 

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