Hotellerie out of touch 10 ITB Hospitality Day 2015 Die Sharing Economy Welle lässt alle schwitzen

Hotellerie "out of touch"

10. ITB Hospitality Day 2015: Die Sharing Economy-Welle lässt alle schwitzen

Auf der Suche nach positiven Ansätzen: Moderator Hans-Jürgen Klesse, Marcus Bernhardt von Europcar, Robert Wissmath von Dicon, Michael Hartmann von der EHL und Marco Nussbaum von prizeotel.

Berlin. Wer nach dem Märchen vom selbstlosen Teilen sucht, wird bei der Sharing Economy nicht fündig. Im Gegenteil. Vor unseren Augen entsteht ein neuer Wirtschaftszweig, der sich fehlende Ressourcen und versäumte Entwicklungen einzelner Branchen zunutze macht. "Sharing Economy schafft keinen besseren Kapitalismus", meint Robert Wissmath, Geschäftsführer der DICON Marketing and Consulting Company, "aber sie erweitert die bisherigen Wirtschaftsprozesse." Es dauerte nicht lange, da wurde Airbnb, Aushängeschild der Sharing Economy und der grosse Sündenbock der Hotellerie, zum Thema. Die Diskussion zum Thema "Sharing Economy" an der 10. Hotelkonferenz der ITB Berlin Anfang März zeigte, dass die Hotellerie nun auf dem Weg ist, ihren Widerstand zu lockern und stärker über Synergien oder gar Kooperationen mit Sharing-Anbietern nachzudenken.

Das Unternehmen hat einen Marktwert von 10 Milliarden US$ und generierte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 250 Millionen US$. Im vergangenen Jahr zählte Airbnb zehn Millionen Nächtigungen in 192 Ländern. In einer relativ kurzen Zeitspanne werde das Startup wohl mehr Betten anbieten als IHG und Hilton – ohne ein einziges Hotel zu besitzen oder zu managen, reflektierte Marco Nussbaum, Chief Enabling Officer der Budget-Kette prizeotel, nüchtern. Und mahnte angesichts des Protests aus der Hotellerie: Es gehe gar nicht um die Zerstörung alter Geschäftsmodelle – sondern um Marktanteile.

Journalist Hans-Jürgen Klesse fragte konkret nach.

Was der neue, auf Teilen beruhende Wirtschaftszweig den etablierten Branchen aber vor allem vor Augen führt, ist der Verlust der Beziehung zum Kunden und das Gefühl für den Kunden. "Out of Touch", hiess es da. "Die Sharing Economy ist ein Ausdruck von dem, was Kunden wollen. Entweder man sträubt sich dagegen oder man geht mit", sagt Marcus Bernhardt, ex-Hotelier und heute Chief Commercial Officer des Autovermieters Europcar. Vor allem die Millennials wachsen in einer Teil- und Bewertungskultur auf und erwarten andere Hotelangebote und Services. Es sind die verschleppten Reformen, unter denen Branchen wie die Hotellerie leiden, bestätigt Nussbaum. Zu lange galt alles, was mit dem Netz zu tun hatte, als lästige Pflichtübung. Auf Druck kam und kommt es dann zu Experimenten, die scheinbar im unternehmenseigenen Bastelkurs entstanden sind.

Die Bedenken der Kunden in puncto Sharing Economy sind gering, versprechen sie doch ein günstigeres und authentischeres Erlebnis. Gleich mehrere Studien, die während der ITB vorgestellt wurden, bestätigen: es gibt eine gute und wachsende Akzeptanz für diese Reiseform. 17 Prozent der international von Travelzoo Befragten haben schon einmal eine Privatunterkunft für ihren Urlaub gebucht. Fast alle waren zufrieden. 50 Prozent sind interessiert und 70 Prozent der erfahrenen Urlauber bewerten sie sogar besser als eine Hotel-Unterbringung.

Hotellerie muss das Überraschende lernen

Michael Hartmann, Senior Executive Advisor der Ecole Hôtelière de Lausanne sieht der Entwicklung sehr entspannt ins Auge: "Wir kennen solche privaten Übernachtungsanbieter und Wohnungspensionen doch schon aus der Nachkriegszeit." Diese Angebote seien zwar mit der Professionalisierung der Hotellerie zunächst verschwunden.

Marco Nussbaum kritisierte auch die eigene Branche.

Heute tauchten sie eben wieder auf und nutzten die modernen Hilfsmittel. "Die Frage ist, ab wann wir die Zwei-Betten-Gesellschaft-suchende-Seniorin, den Ferienwohnungs-Nebenerwerbsbetreiber oder den professionellen Apartmenthaus-Sharer als Wettbewerber ernstnehmen müssen."

Aktuelle Studien legen nahe, die Entwicklung ernst zu nehmen. Das Shared-Segment wächst mit seiner Nutzung – quasi automatisch – und Hotels sind gefordert, mehr in Sachen lokaler Tipps und Kundennähe zu tun: "Sharing Economy-Fans wollen die Vermieter kennenlernen, ihre Kultur und persönlichen Empfehlungen für die Freizeitgestaltung und Restaurants in der Umgebung", so Prof. Dr. Roland Conrady von der Fachhochschule Worms, die mit der ITB ihre eigene Studie vorstellte. Danach ist u.a. "ein gemachtes Frühstück oder ein gefüllter Kühlschrank für die Mehrheit nachrangig."

Michael Hartmann, Senior Executive Advisor, Ecole Hôtelière de Lausanne gestand: "Service-Surprise ist das, was die Hotels gerne anbieten würden!" Dabei sollte die Hotellerie mehr Individualität zu lassen. Statt Service-Robotern brauche man "Service-Samurais". Veränderungen, die top-down verordnet werden, funktionieren nur selten, sprach Hartmann aus Erfahrung. Der Luxus für den Gast wäre dann jener, ob er mit dieser Service-Surprise interagieren möchte oder nicht.

Marcus Bernhardt hat bereits Erfahrung mit Sharing-Modellen.

Und da naht denn auch schon das nächste Argument bzw. Problem, das die Hotellerie quer über alle Veränderungen mitschleppt: Mitarbeiter und ihre Ausbildung. "Wer in der Hotellerie den meisten Gästekontakt hat, wird am schlechtesten bezahlt," warf Nussbaum ketzerisch ein. Der EHL-Chef merkte an, dass in der Ausbildung in den vergangenen Jahren einiges an neuen Entwicklungen verschlafen wurde und nutzte die Gelegenheit, einen Ausbildungsrelaunch an der renommierten Hotelfachschule anzukündigen.

Synergien aus Shared Brands

Ausserdem stand das Thema "Marke" zur Diskussion - vor allem in einer Zeit, in der Plattformen die Macht an sich reissen. "Die Generation Y zeigt mehr Vertrauen in einen OTA als in eine Hotelmarke", meint Nussbaum. "Die Marke allein bringt uns nicht mehr weiter. Ihre Bedeutung nimmt ab. Der Gast wird durch die Marke nicht mehr bedient."

In einer technologie-getriebenen Welt ist ein Überleben nur durch branchen-übergreifende Partnerschaften möglich, unterstrich Europcar-CCO Bernhardt: "Wenn wir wissen, dass fast die Hälfte aller Pariser heute kein eigenes Auto mehr hat oder Menschen bereit sind, nicht nur ihre Wohnung, sondern zugleich auch ihr Auto einem 'Zwischenmieter' zu überlassen, während sie im Urlaub sind, dann sollten wir das geschäftsmässig nutzen." Europcar betreibt bereits Kooperationen mit CarSharing-Anbietern und ist dabei, kombinierte Lösungen für den Business- und Privatfahrzeuge-Sharing-Markt zu entwickeln.

Michael Hartmann, EHL: Wir brauchen Service-Samurais.

Dadurch werden neue Marken definiert, bestätigte DICON-Geschäftsführer Wissmath. Schon zeichnen sich Partnerschaften zwischen Shared Brands und traditionellen Reisemarken ab, die einen schnellen Anstieg erwarten liessen. Expedia bette bereits Airbnb-Content in seine Produktpalette ein. Internet-Riesen wie Amazon, Facebook, Google oder ebay könnten auf diesem Weg schon in den Startlöchern stehen. Neben Kooperationen gäbe es die Möglichkeit, eigene Shared Brands ins Leben zu rufen. Die Gesamtentwicklung zeige jedoch klar: Shared ist mehr als ein Hype – Anbieter und Produkte sind gekommen, um zu bleiben. Von der Branche werde ein völlig neues "Mind- und Tool-Set" erwartet.

Umstrittene Rolle der Community

Sharing Economy sei ohne Bewertungsportale nicht denkbar, erklärte Moderator Hans-Jürgen Klesse, Reporter der "Wirtschaftswoche". Wie bei Airbnb werde es überall zu wechselseitigen Bewertungssystemen kommen. Nussbaum ist davon überzeugt, dass der Einfluss der unterschiedlichen Communities immer stärker wird: "Ich glaube meiner Community und der Authentizität der Rezensionen."

Robert Wissmath: Personen-Bewertungen sind zu hinterfragen.

Eine Entwicklung, die für Wissmath sehr fragwürdig ist, weil "uns das System dazu zwingt, Personen zu bewerten. So wird der Konsument zum aktiven Gestalter der Wertschöpfungskette. Nur: Das Gestalten bzw. der Umgang damit muss noch gelernt werden." Eine weitere Herausforderung, die mit der Sharing Economy einhergeht, sei die Preisfindung. "Im Internet und in den Buchungsplattformen geht es immer über den Preis, Preis, Preis", kritisierte Nussbaum.

Für Wissmath ist der Preis der komplexeste Punkt und nicht mit dem Geiz-ist-geil-Argument zu lösen. Er forderte neue Geschäftsmodelle und Innovationen ein. Der prizeotel-Boss prognostizierte eine total datengetriebene Reise, die erst ihren Anfang genommen habe und die uns allen noch grosses Kopfzerbrechen bereiten werde…

Mit einem Gedanken, der zum Schluss der Diskussion von Michael Hartmann geäussert wurde, konnten sich alle Diskussionsteilnehmer identifizieren: Die Hotellerie ist ein soziales und kulturelles Produkt und das soll sie auch bleiben. / Romana Kanzian

Die Video-Aufzeichnung dieses ITB-Panels in voller Länge finden Sie direkt unter diesem Link oder über www.itb-kongress.de.

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