Kleinere Brotkörbe Wie TUI Cruises Lebensmittel Verschwendung an Bord reduziert
HI+

Kleinere Brotkörbe

Wie TUI Cruises Lebensmittel-Verschwendung an Bord reduziert

Die 2.700 Gäste und rund 1.000 Crew-Mitglieder des Kreuzfahrt-Schiffs produzieren Tonnen an Müll.

Hannover. Im Rahmen eines Pilotprojekts auf dem Kreuzfahrtschiff "Mein Schiff 4" hat TUI Cruises Methoden entwickelt, um die Lebensmittel-Verschwendung an Bord zu reduzieren – ohne, dass die Gäste davon etwas merken. Für die ebenso simplen wie wirksamen Strategien ist die Kreuzfahrt-Tochter des TUI-Konzerns kürzlich vom Deutschen Reiseverband mit der Umweltauszeichnung "Eco Trophea" ausgezeichnet worden. Hans-Jürgen Klesse hat dem "schwimmenden Hotel" tief in seinen Müll-Bauch geschaut.

Mülltrennung wird an Bord grossgeschrieben: An der einen Wand stehen blaue, graue und rote Plastik-Tonnen: "Aerosol only", "White Glass", "Colored Glass", "Cans only" und "Medical Waste" steht auf den Schildern darüber. Schräg gegenüber geht es deutlich weniger geordnet zu: Die dort aufgestellten gelben Tonnen sind bis zum Rand gefüllt mit Küchenabfällen und gräulichen, undefinierbaren Lebensmittel-Resten. Ein leicht säuerlicher Gärungsgeruch liegt in der Luft. Willkommen im Garbage Room auf Deck 2 im Bauch der "Mein Schiff 4"!

Die gelbe Tonnenreihe ist eine Ausnahme: Normalerweise werden die Essensresten aus den Küchen und Restaurants des Schiffes sofort entsorgt: Alles was die 2.700 Gäste und die rund 1.000 Crew-Mitglieder nach den Mahlzeiten zurückgehen lassen, wird über Rohrleitungen direkt von den Restaurants und der Crew-Messe in einen Sammeltank tief unten im Schiff geleitet. Auch was zu lange auf den Buffets lag, was an Menüs zu viel produziert wurde, Kartoffel- oder Obstschalen und anderer organischer Abfall – alles landet zuerst im Tank, wird dann geschreddert und ausserhalb der 12 Seemeilen-Zone als Bio-Müll ins Meer verklappt.

Das Prozedere gehört zu dem Projekt "Lebensmittel-Verschwendung auf Kreuzfahrtschiffen vermeiden", das TUI Cruises vor gut einem Jahr zusammen mit Futouris gestartet hat, der Nachhaltigkeitsinitiative der deutschen Reisebranche. Weiterer Partner ist der gemeinnützige Verein United against Waste, dessen knapp 90 Mitglieder – vor allem aus der Nahrungsmittel-Industrie, der Gastronomie und der Hotellerie – der Lebensmittel-Verschwendung den Kampf angesagt haben. Die Idee, das Projekt erstmals an Bord eines Kreuzfahrt-Schiffes durchzuführen, hatte Lucienne Damm, die Umwelt-Managerin der Hamburger Kreuzfahrtreederei.

Lucienne Damm möchte TUI Cruises bis 2020 zur saubersten Kreuzfahrt-Flotte machen.

Mehr Müll, mehr Kosten

Bevor Damm vor sechs Jahren bei TUI Cruises anheuerte, war sie Referentin bei einem der schärfsten Kritiker der Kreuzschiff-Betreiber: dem Naturschutzbund Deutschland. Ihr Ziel ist ambitioniert: "Bis 2020 wollen wir die modernste und sauberste Kreuzfahrt-Flotte betreiben. Dazu gehören nicht nur die Verminderung von Emissionen in die Luft, die Reduzierung negativer Einflüsse in den angelaufenen Häfen und die Steigerung des Umwelt-Bewusstseins von Mitarbeitern und Gästen, sondern auch die Verringerung des Material- und Ressourcen-Verbrauchs und Abfall-Aufkommens".

Ihr wichtigster Mann an Bord für das Projekt ist Gregor Raimann. Der gelernte Koch und Hotelbetriebswirt ist Geschäftsführer und Gründer der Gastronomie-Beratung raimannConcepts. Die unterstützt Gastronomie-Unternehmer nicht nur bei Neueröffnungen und Betriebsübernahmen, sondern auch wenn die Zahlen nicht stimmen.

Darüber hinaus engagiert er sich zusammen mit UaW bei Projekten und Workshops zur Reduktion von Lebensmittel-Abfällen. Die Organisation schätzt, dass weltweit rund ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen wird. "In der Bundesrepublik landen pro Jahr 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll, allein in Hotellerie und Gastronomie sind es 200.000 Tonnen pro Jahr, 50 Prozent davon wären vermeidbar", sagt Raimann. Das verursacht nicht nur Umweltprobleme, sondern treibt auch die Kosten der Unternehmen in die Höhe.

Raimanns Methode, daran etwas zu ändern, ist immer die gleiche. "Bevor ich Ideen und Vorschläge zur Abfall-Vermeidung entwickeln kann, muss ich mir genau ansehen, was in welchen Mengen anfällt und woher die Reste kommen", sagt Raimann. Das ist meist richtige Knochenarbeit: Die bis zu 100 Kilogramm schweren gelben Tonnen müssen auf einen Hubwagen mit integrierter Waage gewuchtet werden, vorher schaut er sich den Inhalt genau an.

Am Anfang steht die Analyse: Experte Gregor Raimann bei der Abfall-Messung.Foto: Klesse

5stellige Summen eingespart

Raimann hat schon viele ähnliche Projekte in Restaurants, Hotels, Betriebskantinen oder den Grossküchen von Caterern, Krankenhäusern und Gefängnissen durchgeführt, "Abfall-Messungen auf einem Kreuzfahrtschiff waren aber Neuland und eine ganz besondere Herausforderung, weil ich zu Beginn überhaupt nicht wusste, wo der Müll herkam". Anders als bei den meisten seiner Landprojekte gibt es auf "Mein Schiff 4" nicht nur ein Restaurant, sondern zehn, zusätzlich noch eine Messe für die Crew. Ein weiterer Unterschied: "Abfall fällt an Bord rund um die Uhr an". Vor allem aber musste Raimann sich in die minutiös getakteten Abläufe zwischen Lagerräumen, Küchen und Restaurants einarbeiten und die Küchenchefs für sein Thema sensibilisieren.

Grundlage seiner Arbeit ist ein von UaW entwickeltes, sogenanntes Abfall-Analyse-Tool, mit dem sich auch abschätzen lässt, was solche Projekte an Kosten-Ersparnissen bringen. Bei ähnlichen Aktionen in der Gastronomie und in Krankenhäusern sanken die Abfallmengen um rund ein Drittel – womit sich Einsparungen von knapp 40.000 Euro pro Jahr realisieren liessen. Raimann: "Es geht nicht darum, mit dem erhobenen Zeigefinger herumzulaufen, wir wollen Potenziale aufzeigen, indem wir das Ressourcen-Management verbessern – letztlich wollen wir Gutes noch besser machen".

Dass das mitunter gar nicht so einfach ist, zeigte sich nach den ersten Messungen im Hauptrestaurant "Atlantik" und im Buffet-Restaurant "Anckelmannsplatz" vor rund einem Jahr: "Vieles läuft bereits optimal und lässt sich kaum noch verbessern", freut sich TUI Cruises-Umweltmanagerin Damm heute. Weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist – bei den Projekten an Land immer eine der Hauptursachen für Lebensmittel-Verschwendung –, muss an Bord beispielsweise kaum noch etwas weggeworfen werden, "ein Beweis für gute Logistik und die enge Zusammenarbeit zwischen Lager und Küche", lobt Raimann.

Müll-Messungen bewirken mehr Gast-Komfort

Trotzdem fand der Berater neue Ansatzpunkte für Einsparungen. Bei der Müll-Beschau im "Atlantik"-Restaurant war Raimann nämlich aufgefallen, dass in seinen Messtonnen vor allem Brot und Brötchen landeten. Der Grund: Obwohl vor allem mittags längst nicht alle Tische im Restaurant besetzt waren, wurden überall gleichmässig gefüllte Brotkörbe eingedeckt. Ein Grossteil davon landete dann nach Ende der Tischzeiten aufgrund der strengen Hygiene-Vorschriften im Müll. Im Buffet-Restaurant "Anckelmannsplatz" wiederum war Überproduktion das Hauptproblem, letztlich eine Folge des TUI Cruises-Wohlfühlkonzepts: "Auch Gäste, die erst kurz vor Schliessung kommen, sollen noch üppig gefüllte Buffets vorfinden", sagt Lucienne Damm.

Überproduktion und strenge Hygiene-Vorschriften an Bord sind die Hauptursachen der Lebensmittel-Verschwendung.

Raimanns daraus abgeleitete Vorschläge sind ebenso simpel wie wirkungsvoll – was sich nach der zweiten Müllmessung im Juni letzten Jahres zeigte. Im "Atlantik" werden nur Brotkörbe eingedeckt, wenn die Tische auch besetzt sind, im "Anckelmannsplatz" liess der Berater die Behälter für Salat-Dressings und die Schüsseln für Fleisch, Fisch und Gemüse an den Wok-Stationen gegen kleinere Gefässe tauschen.

Kleine Änderungen gab es auch an den beiden Dessert-Stationen: Dort gibt es nun fertig zugeschnittene Kuchen- und Tortenstücke. Vorher mussten die Gäste ihre Kuchenportionen selbst schneiden. "Im Vergleich zur ersten Messung konnten wir die Lebensmittel-Abfälle allein im Anckelmannsplatz um 20 Prozent verringern", sagt Raimann, "bezogen auf die gesamte Reise sank die Überproduktion von 6,6 auf 5,5 Tonnen".

Für den Gast sind die Veränderungen kaum spürbar: Von neuen Eindeck-Regeln an den Tischen und den kleineren Behältern merkt er so gut wie nichts, Einschränkungen allenfalls optisch wahrnehmbar: Die Buffet-Deko aus Obst- und Gemüse-Schnitzereien wurde gestrichen, auch auf – echte – Demo-Brote in der Backstube wird verzichtet: "Stattdessen sind wir auf Salzteig-Deko umgestiegen – sieht fast genauso aus, hält aber ewig", sagt der Berater.
Direkt betroffen sind die "Mein Schiff 4"-Passagiere nur von einem seiner Vorschläge – das aber positiv: Das "Ankelmannsplatz" auf Deck 12 hat jetzt von morgens um 7 bis abends um 21.30 Uhr durchgehend geöffnet, die Übergänge vom Frühstück zum Mittag, vom Mittag zum Kuchenbuffet und vom Cafe-Betrieb zum Abendessen erfolgen fliessend.

Massnahmen, die auf der 'MeinSchiff 4' funktionieren, werden später auf die ganze Flotte übertragen.Fotos: TUI Cruises

Massnahmen auf alle Schiffe ausdehnen

Was hinsichtlich der Verbrauchsmengen auf den ersten Blick widersinnig erscheint, ergibt bei genauem Hinsehen durchaus Sinn. Damit sich zu den Stosszeiten keine langen Schlangen bilden, sind alle Buffet-Stationen doppelt vorhanden. Weil die Buffets bisher immer wieder aufgefüllt wurden, landete ein Grossteil der "letzten Beladung" nach der Schliessung des Restaurants im Müll. "Seit der durchgehenden Öffnung halten wir beispielsweise zum Frühstück nur die Hälfte der Stationen bis zum Ende offen, die andere Hälfte stellen wir schon aufs Mittagessen um", erklärt Raimann sein Konzept. "Dadurch muss weniger weggeworfen werden – und der Gast hat sogar noch den Vorteil, dass er nicht mehr so streng an die Tischzeiten gebunden ist."

TUI Cruises-Umweltmanagerin Damm ist mehr als zufrieden mit Raimanns Arbeit: "Und das Projekt ist noch nicht zu Ende – wir hoffen, dass wir sogar noch bessere Ergebnisse erzielen können". Das Projekt auf der "Mein Schiff 4" läuft noch einige Monate weiter, dann sollen die als besonders wirksam identifizierten Massnahmen sukzessive auf allen Schiffen der TUI-Cruises-Flotte eingeführt werden. "Anschliessend werden die Ergebnisse der Branche zur Verfügung gestellt", verspricht Damm.

Was ausser positiver PR für die Reederei dabei herausspringt, mag die Umweltmanagerin aber nicht verraten. "Wir haben ausgerechnet, was wir an Kosten sparen, wollen die Zahl aber nicht veröffentlichen." Der Grund: Der härter werdende Wettbewerb zwischen den Kreuzfahrt-Reedereien. Wer weiss, wieviel gespart wird, könnte auch überschlägig ausrechnen, wie hoch der Wareneinsatz pro Passagier und Tag ist. Zwar gibt es Zahlen aus Projekten in der Hotellerie, die sind aber nur begrenzt übertragbar, warnt Berater Raimann: "Kreuzfahrtschiffe sind wesentlich grösser als die meisten Hotels an Land und die Einkaufspreise sind wegen der grossen Mengen günstiger. Andererseits müssen an Bord strengere Hygiene-Regeln beachtet werden, was die Kosten in die Höhe treibt."

 

 

{"host":"www.hospitalityinside.com","user-agent":"Mozilla/5.0 AppleWebKit/537.36 (KHTML, like Gecko; compatible; ClaudeBot/1.0; +claudebot@anthropic.com)","accept":"*/*","x-forwarded-for":"18.189.180.244","x-forwarded-host":"www.hospitalityinside.com","x-forwarded-port":"443","x-forwarded-proto":"https","x-forwarded-server":"d9311dca5b36","x-real-ip":"18.189.180.244","accept-encoding":"gzip"}REACT_APP_OVERWRITE_FRONTEND_HOST:hospitalityinside.com &&& REACT_APP_GRAPHQL_ENDPOINT:http://app/api/v1