Wien. Die EU zeigt sich kritisch gegenüber Gutscheinen als "Zahlungsmittel" im Tourismus, die Österreichische Hoteliervereinigung hingegen ging das Thema im Mai massiv und offensiv an. Sie gründete dafür sogar eine eigene Webseite. Gutscheine sollen die Liquidität von Hotels stärken. Eine Studie analysierte drei verschiedene Szenarien.
Nach schier endlosen Diskussionen in Deutschland und weiteren Alleingängen anderer EU-Staaten stellte die EU-Kommission im Mai klar: Verbraucher hätten weiterhin die Wahl, ob sie einen Gutschein akzeptieren möchten oder eine Kosten-Erstattung für ihr gebuchtes Flugticket, das Hotelzimmer oder die Pauschalreise bevorzugen. Das gelte für alle EU-Mitgliedsstaaten. Daraufhin wich z.B. Deutschland von seiner Ursprungsidee ab, dem Kunden eine Regelung aufzuzwingen, nach der dieser bei abgesagter Corona-Reise bis Ende 2021 einen Gutschein statt Rückzahlung des Geldes akzeptieren sollte.
Im Mai stieg dann die ÖHV in das Thema ein. Die eigene Plattform www.meinhotel.at wurde um eine Gutschein-Funktion erweitert. "Es war für uns der logische Schritt, um die Liquidität unserer Hotels zu stärken", sagt ÖHV-Generalsekretär Markus Gratzer. Mit dem Start waren bereits Gutscheine von rund 500 der rund 2.000 ÖHV-Mitgliedsbetriebe über die provisionsfrei arbeitende Website zu beziehen. "Weil wir nur die Plattform bieten, aber der Gutschein-Verkauf ebenso wie Zimmer-Buchungen direkt an die Betriebe gehen, können wir nicht sagen, ob die Aktion erfolgreich war", sagt Gratzer. Wichtig sei der Schritt gewesen, um den Konsumenten zu zeigen: "Es gibt uns noch". Doch in dem Moment, in dem sich die ersten Hotel-Öffnungen abzeichneten, habe sich das Interesse der Hoteliers laut Gratzer sofort wieder auf konkrete Buchungen verlagert. Die Thematik der Liquiditätssteigerung durch sofortige Bezahlung stand demnach nicht im Vordergrund.
Touristische Modelle "nach Verfügbarkeit"
Auf das Gutschein-Prinzip bauen seit vielen Jahren professionelle Couponing-Anbieter wie Groupon. Bei Reisen gehören im deutschen Sprachraum das Erlebnisportal Jollydays dazu, der Gutschein-Spezialist Connexgroup, die zur ProSiebenSat1-Gruppe zählende Jochen Schweizer mydays Holding sowie der Vertriebssystem-Spezialist Incert eTourism. Letzterer hat auf die Corona-Krise mit dem Online-Produkt www.urlaubsvorfreude.kaufen reagiert.
Vor etwa 15 Jahren hat sich das Linzer Reisebüro SST Touristik Vertrieb formiert und ist eigenen Angaben zufolge heute einer der weltweit grössten Vermarkter touristischer Leistungen auf Gutschein-Basis. Über 1,000 Hotels haben ihre Kapazitäten bereits auf diesem Weg vermarktet. 2019 wurden Gutscheine für 410.272 Übernachtungen an den Kunden gebracht. Anfangs agierte man über ebay, seit längerem setzt man nun beim Online-Vertrieb auf den eigenen Auftritt www.we-are.travel.
Einen besonderen Weg wählte Hoxami seit seiner Gründung: "Wir machen Ihre Leerkapazitäten zu Geld, ohne Ihre normale Auslastung zu verändern," verkündet das Unternehmen auf seiner Webseite. Es bezahlt für die Hotel-Unternehmen fällige Rechnungen, z.B. für Marketing-Dienstleistungen, Wäscheservice, Küchen-Ausstattung oder auch Steuerschulden. Im Gegenzug erhält Hoxami vom Hotelier – ansonsten leerbleibende – Zimmer auf Gutschein-Basis. Das System "Leere Zimmer gegen Ware" wird damit in Zeiten mangelnder Liquidität wertvoll.
Drei Szenarien untersucht
Ob sich das für die Hotellerie lohnt, hat Anfang 2020 die Prodinger Tourismusberatung Wien in einer umfassenden Studie analysiert. Als wichtigster Vorteil wurde dabei die Steigerung der Liquidität gesehen. Weitere Vorteile seien die Ansprache neuer Gästeschichten, die Kostenverteilung auf bis zu drei Jahre, 10% nicht eingelöste Gutscheine und Zusatzerträge im F&B sowie durch Upselling.
In seiner Kalkulation definiert Hoxami die Grenzkosten eines Hotels als die zusätzlichen Kosten, die dem durchschnittlich ausgelasteten Hotel durch Gutschein-Gäste übers Jahr entstehen. Der normale Verkaufspreis spielt keine Rolle. "Wir haben gesehen, dass diese Grenzkosten zugunsten des Hoteliers ausgelegt werden. Sie liegen um gut ein Drittel über den tatsächlichen variablen Kosten", zitiert Marco Riederer, Leiter Revenue Management & e-Commerce bei der Prodinger Tourismusberatung, aus der Analyse.
Untersucht wurde anhand von drei Simulationen mit Hotelbilanzen, ob sich das Gutschein-Modell als liquiditätssteigernde Massnahme auswirkt. Als Basis diente ein 65-Zimmer-Hotel, das an 279 Tagen geöffnet ist, 182 Vollbelegungstage bzw. 65% Betten-Auslastung verzeichnet. Eine Berechnungsbasis, die ab 2021 hoffentlich wieder als realistisch gelten darf.
• Im Szenario 1 übernahm Hoxami die Buchungsprovision: Für 18.015 Euro gab es im Gegenwert 380 Übernachtungen für zwei Personen im Doppelzimmer mit Halbpension, die im Zeitraum von Mai bis Oktober auf Gutscheinbasis und nach Verfügbarkeit eingelöst werden können.
• Im Szenario 2 investierte das Hotel in Möbel im Wert von 40.000 Euro. Dabei wurden eine reine Leasing-Variante, die reine Hoxami-Finanzierung und eine Variante, bei der die Leasing-Rate über Hoxami finanziert wird, verglichen.
• Im Szenario 3 wurde ein E-Auto neu angeschafft. Diese Investition kostete das Hotel Coupons für 450 Hotel-Übernachtungen
In allen drei Szenarien ging man bei den Übernachtungen pro Zimmer davon aus, dass 8% der verkauften Hotel-Gutscheine nicht eingelöst werden. Ebenfalls rechnete man mit zusätzlichen Nebenerlösen von 7 Euro pro Person und eingelöster Übernachtunng. Die errechneten variablen Kosten lagen pro Person pro Nacht bei 15,48 Euro.
Die Resultate: Der Blick auf die berechneten Szenarien zeigte, dass der Cashflow nur bei der Neuanschaffung im Szenario 3 rückläufig war. Am spannendsten war der Vergleich der unterschiedlichsten Finanzierungsvarianten beim Möbelkauf. Hier entstand die grösste Cashflow-Steigerung beim reinen Leasing. Die grösste Auslastungs-Steigerung gab es wenig überraschend bei der reinen Gutschein-Vermarktung, bei der aber Deckungsbeiträge und GOP rückläufig waren. Die positivste GOP-Entwicklung zeigte über alle Szenarien hinweg die Variante 2C, bei der die Leasingrate für die Möbel mit den Hotel-Coupons bezahlt wurde.
Riederer fasst die Ergebnisse zusammen: Der Gutschein-Vertrieb sei vor allem für gehobene Hotels in Ferien-Destinationen mit starker regionaler Schwankung sinnvoll. Bei Neuinvestitionen kommt Leasing günstiger, da es bilanzneutral, liquiditätsschonend und kostenoptimiert ist; werden aber die Leasing-Raten über das Gutschein-Modell bezahlt, können die Kosten gesenkt werden.
Damit vom Coupon-Vertrieb nicht nur der Vertriebspartner sowie die Gäste profitieren, sondern auch für das Beherbergungsunternehmen die Rechnung aufgeht, bedarf es einer klugen Steuerung, so dass die Coupons nur zu einem Zeitpunkt eingelöst werden sollten, wenn Auslastung und Kosten es erlauben. / Fred Fettner
Deutsches Drama um Reise-Gutscheine hält an Der Präsident des Deutschen Reiseverbandes, Norbert Fiebig, ist nicht glücklich über einen Änderungsantrag der deutschen Regierungskoalition zum neuesten Gesetzentwurf über die staatliche Absicherung von Reise-Gutscheinen. Demnach wird die Bundesregierung ermächtigt, von den Reiseveranstaltern, die an ihre Kunden Reise-Gutscheine ausgeben, für die staatliche Absicherung der Reisegutscheine eine Garantie-Prämie zu verlangen. |