Noch mehr Betten für die Ukraine bitte Hilfe in der Not Hotel-Initiativen programmierten über Nacht Buchungsplattformen

Noch mehr Betten für die Ukraine bitte

Hilfe in der Not: Hotel-Initiativen programmierten über Nacht Buchungsplattformen

Der Krieg konnte nicht verhindert werden, dafür ist die europaweite Hilfsbereitschaft gross. Gebraucht wird dabei mehr denn je alles: Zimmer, Apartments, Wohnungen, Geld, Manpower.Foto: adobe stock lauritta 

Augsburg. Als vor sechs Wochen der Krieg in der Ukraine ausbrach, haben sich schnell europaweit auch Initiativen in der Hospitality-Branche gegründet und Buchungsplattformen programmiert. Diese bieten Betten entlang der Flüchtlingsrouten, Apartments und inzwischen auch Wohnungen für den längeren Aufenthalt. Selbst Booking.com macht mit. Alle Initiatoren haben Tag und Nacht ehrenamtlich gearbeitet und noch andere Erfahrungen gemacht.

"Wir sind jetzt in einer Situation, in der Sie das Rad nicht neu erfinden müssen und Sie keine eigene Plattform aufbauen müssen, sondern sich bestehenden anschliessen können bzw. sie unterstützen", war die Botschaft von Nils Omland letzte Woche beim Webinar der Initiative "Open Door". Diese will Aktionen aus der Hospitality-Branche für Flüchtlinge aus der Ukraine bündeln. Dahinter stehen Jonathan Humphries und Chris Mumford von der schweizerischen Consulting HoCoSo, gemeinsam mit Jon Hazan vom Event-Spezialisten Atlas Events.

Die Open Door Initiative traf sich erstmals virtuell, um Fachmedien zu erklären, wie sie oft über Nacht, binnen zwei Wochen, ganze Buchungsplattformen auf die Beine gestellt haben.

Nils Omland von Alliance4Ukraine startete mit seiner Story: Einen Tag nach dem Kriegsausbruch gründete er die Initiative, zunächst unter dem Namen Project Together. Zwölf Personen kümmern sich seither um eine Bandbreite an relevanten Flüchtlingsthemen wie Unterbringung, medizinische und physische Versorgung, Rechtsberatung, Übersetzung, Arbeitsvermittlung etc. Alliance4Ukraine versucht, alle Akteure und verschiedenen Initiativen zusammenzubringen und organisiert "Matching Calls", um sich gegenseitig zu unterstützen.

Alliance4Ukraine vermittelt keine einzelnen Privatpersonen und koordiniert auch nicht ihre Unterstützung, sondern fokussiert sich auf spezifische Unterstützung durch Organisationen, Stiftungen und Unternehmen. https://alliance4ukraine.org/

Hospitality Helps, gegründet von Michael Widmann und Christian Walter von PKF hotelexperts Wien, startete, weil Widmanns ukrainische Familie betroffen war. "Meine Familie stammt zur Hälfte aus Deutschland und zur Hälfte aus der Ukraine, und wir hatten diesen Krieg eigentlich vorausgesehen und sind mit unserer gesamten Familie zwei oder drei Wochen vor Kriegsbeginn ausgezogen", berichtet er.

Ausserdem beschäftigt PFK in seinem Büro in Kiew 22 Mitarbeitende. Als der Krieg, "mit dem wir rechneten, der uns aber trotzdem schockte", begann, starteten die beiden Hotel-Berater ein europaweites Netzwerk an Hotels, das inzwischen über 500 Hotels in etwa 50 Ländern zählt. Mit dabei sind überwiegend angelsächsische, aber auch nationale Ketten wie Marriott, Hilton, IHG, Radisson, Accor, Dorint und Ruby. "Alle machten so schnell es ging mit und sind voll dabei. Die Initiative funktioniert gut. Leider funktioniert sie zu gut", sagt er.

Ukraine-Hilfe in grosser Runde: Im Rahmen der 'Open Door Initiative' wollen mehrere Hospitality-Initiativen ihre Aktivitäten bündeln.Foto: Konzack 

"Eine Sache, für die ich Covid-19 dankbar bin, ist, dass wir gelernt haben, was exponentielles Wachstum ist", sagt Widmann. In der Dimension der Flüchtenden bedeutet das übersetzt: Täglich können im Moment ca. 10.000 Menschen untergebracht werden, "aber wir bräuchten 100.000 bis 200.000 pro Tag". Deshalb werden Unmengen weitere Zimmer benötigt, genauso finanzielle Mittel, Programmierer, Menschen, die mithelfen. Bedingung für jeden in der Zusammenarbeit ist, dass dies kostenlos geschieht, komplett ohne Rückerstattungen. https://hospitality-helps.org/en/home

Zimmer-Tauschbörse jetzt für Flüchtlinge

Von Beginn an war das Ziel von Hospitality Helps, sich in grossem Massstab zu organisieren. Kontakt nahm Widmann deshalb auch zu Preben Vestdam auf, Gründer und CEO des Software-Unternehmens Hotel Swaps. Dieser hatte bereits ein Reservierungssystem, bei dem Hotels Zimmer in ein System laden können und Gäste diese mit der Währung "Hotelmünzen" buchen. "Es ist eine Tauschplattform für Leute, die Hotels besitzen, damit sie Zimmer untereinander teilen können", berichtet er. https://www.hotelswaps.com/

Innerhalb von drei schlaflosen Tagen wandelte er das System mit seinem Team und viel Hilfe von STR, PKF etc. zu einer Reservierungsplattform für Hotels und Geflüchtete, die dort kostenfrei ein Zimmer erhalten. "Normalerweise würde ich dafür einen Monat benötigen", sagt er.

Menschen mit ukrainischem Pass oder einer Aufenthaltsgenehmigung können Mitglied werden und erhalten sofort fünf Hotelmünzen, mit denen sie wiederum die Zimmer buchen können. "Gruppen wie Hilton, Marriott, Accor und IHG führten zugleich Webinare mit ihren General Managern und Franchise-Nehmern und ermutigten sie, sich anzuschliessen", so Vestdam.

Über die Plattform sind bisher über 100.000 Übernachtungen generiert worden. Permanent stehen zwischen 20.000 und 50.000 Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung. "Es ist wirklich ein Werkzeug, mit dem die Leute, wenn sie in einer Stadt ankommen, sehen können, was verfügbar ist", zeigt er sich erleichtert. "Viele gehen bereits zu Hotels und fragen, ob ein Zimmer frei ist. Das Hotel kann dann sagen: Wir sind Mitglied dieser Plattform, gehen Sie rein und schauen Sie nach, wir haben keine anderen Zimmer da drin." Jedes Mitglied kann dort frei einsehen, wer hier wo etwas anbietet und ebenso auf Kollegen vor Ort verweisen.

Auch Booking.com berichtete in dem Webinar über seine Flüchtlingshilfen. In den ersten Tagen hatten die Amsterdamer eine spezielle Rate für Flüchtlinge eingerichtet, die in die eigene Buchungsplattform integriert wurde. Zehn der am meisten betroffenen Länder nahmen daran teil, darunter Deutschland, Österreich und Polen. Letzte Woche hat Booking das System auf 21 Länder ausgeweitet und bis vorläufig 30. Juni 2022 verlängert, informiert Alexandra Wolframm, Leiterin Public Affairs und Regierungsbeziehungen für den DACH-Raum bei Booking.com.

Die Hotelpartner können die Zimmer kostenfrei anbieten oder, wenn es die eigene wirtschaftliche Lage nicht zulässt, zu einem Flüchtlingstarif, der bis zu 50% ermässigt ist. Für Hilton, die eine Million Zimmer u.a. für UN-Flüchtlingsorganisation zur Verfügung stellen, hat Booking einen nicht öffentlich zugänglichen Kanal für die Zimmer-Verteilung eingerichtet. https://partner.booking.com/en-gb/help/rates-availability/extranet-calendar/supporting-refugees-ukraine

Über die akuten Buchungen hinaus denkt Wunderflats. Dieses Unternehmen fokussiert sich auf temporär mietbare Wohnungen und versteht sich als Hilfsplattform für Privatpersonen, die länger andauernde Lösungen suchen. Mit Ausbruch des Krieges aktivierte das Team um den Gründer Jan Hase dafür zunächst die eigenen Vermieter zur kostenlosen Bereitstellung von Wohnungen. Zudem konnten Privatpersonen ihre Wohnung für mindestens einen Monat anbieten.

Aktuell hat Wunderflats rund 400.000 Übernachtungen in fast 20.000 Wohnungen vermittelt, viele davon auch für sechs Monate und mehr. 70% waren dabei bisher kostenfrei, der Rest wurde für eine geringe Miete bzw. unbegrenzt bereitgestellt. "Wir haben 4-Zimmer-Wohnungen für 250 Euro im Angebot und nicht erwartet, dass eine solche Masse an Wohnungen zu so niedrigen Preisen angeboten wird", sagt Jan Hase. "Aber für uns gilt das Gleiche wie für alle anderen: Uns gehen die Kapazitäten aus. Wir haben noch etwa 50.000 offene Anfragen von Flüchtlingen und nur noch 7.000 Wohnungen, die wir anbieten können. Deshalb sind wir auch in Gesprächen mit anderen Initiativen, um Anstrengungen bündeln." https://wunderflats.com/page/ukraine/home-de

Mit der Apartment-Allianz EveryBedHelps, die sich ebenso als Teil der Open Door-Initiative engagieren will, hat Wunderflats bereits über die Buchungsplattformen und bei Ersthilfe-Themen kooperiert. Florian Wichelmann von Nena Apartments hatten die Initiative gegründet und vereinte dort aktuell und vornehmlich über 60 Serviced Apartment-Anbieter in Deutschland. Viele Apartments werden dabei auch für mehrere Wochen zur Verfügung gestellt. Die Fluchtgeschichten, die zahlreiche Betreiber hautnah mitbekommen, reichen dabei von der Schwangeren, die dringend Obdach brauchte, bis zur Geflüchteten, die ein paar Tage nach ihrem Ankommen erfuhr, dass gerade Teile ihrer Familie durch eine Miene zu Tode kam. Manche haben die Familien infolge auch privat zu sich nach Hause genommen. 

Die mittlerweile weitgehend automatisierte Vermittlung erfolgt mit Partnern wie Apartmentservice.de und Apaleo, zugleich können Geflüchtete auch direkt über viele Anbieter Apartments via Voucher-Lösung kostenfrei buchen. https://everybedhelps.com/#/booking/search

EveryBedHelps arbeitet auch mit Gut.org und damit #Unterkunft Ukraine zusammen. Dies sowohl im Kontakt mit den Geflüchteten als auch über eine Spenden-Plattform, die vor allem auch Anschluss-Unterkünfte finanzieren soll – eine der grossen Herausforderungen in den nächsten Wochen, wenn die Reisezeit anrollt und Hotels wieder gut gebucht sind und aufgrund der Corona-Krise verständlicherweise Umsätze generieren müssen.

Hinter #Unterkunft Ukraine stehen die Gründer Lucas Kunert und Felix Oldenburg als Founder von gut.org. "Wir sind nicht wirklich Teil der Hospitality-Branche, zumindest waren wir das vor vier Jahren nicht, ich hatte absolut nichts mit Immobilien und Unterkunft und Gastgewerbe zu tun", so Oldenburg. Spätestens der Krieg änderte das.

Über gut.org als gemeinnützige Holding-Gesellschaft wurden bisher mehr als 10.000 kostenlose Privatunterkünfte angeboten. 370.000 Angebote konnten für kostenlose Privatunterkünfte mobilisiert werden, mehr als 10.000 Menschen vorübergehend in Privatwohnungen untergebracht werden. Aktuell versucht #Unterkunft Ukraine das System noch Missbrauch-sicherer zu machen und mit Hilfsorganisationen in jeder Region in Deutschland zusammenzuarbeiten. "Sie sollen unser Angebot als Datenquelle nutzen", sagt er. Die Initiative selbst hat in diesem Sinne auch schon mit Alliance4Ukraine, Booking.com oder Wunderflats zusammengearbeitet. https://unterkunft-ukraine.de/

Viele Aufgaben bleiben für alle

Herausfordernd jetzt ist, dass noch immer zu wenig Unterkunftsangebote für eine wachsende Zahl an Anfragen bestehen. "Für uns ist hier auch frustrierend, dass es sehr schwierig ist, mit den lokalen Hotelverbänden zusammenzuarbeiten. Sie wollen ihre eigenen Ideen durchsetzen und konzentrieren sich nur auf ihre eigenen Dinge, aus welchen Gründen auch immer. Sie sind nicht in der Lage, eine solidere internationale Reaktion zu entwickeln", sagt Widmann von HospitalityHelps.

Schwierig ist auch, dass es immer wieder Fälle gibt, in denen das System missbraucht wird. "Aber natürlich: Es ist besser, etwas zu tun, egal wie unvollkommen es ist, als nichts", betont auch Vestdam.

Herausfordernd in den nächsten Wochen wird das Bereitstellen von ausreichenden Anschluss-Unterkünften sein, zudem physische und psychologische Betreuungsangebote, Bildung – und Jobs, denn viele Ukrainer haben den Wunsch zu arbeiten. Wichtig ist dabei, dass mehr Regionen und Länder in die Flüchtlingshilfe einbezogen werden, um Druck aus vielen Kapazitätsengpässen vor Ort zu nehmen. Und dies alles "bei einer gewissen Ermüdung", die Hase von Wunderflats bereits sieht. "In den ersten Tagen boten viele Privatpersonen ihre Häuser an. Wir stellen fest, dass dies sehr schnell abnimmt", sagt er.

Dennoch: "Die langfristige Vision, die sich abzeichnet, ist, dass hier wirklich ein neues Gemeingut entsteht", findet Oldenburg von Gut.org. "Stellen Sie sich vor, was diese enorme Anzahl von Menschen, die sich bereit erklärt haben, ihre Türen und Häuser zu öffnen, in zukünftigen Krisen tun könnte. Aber damit das möglich wird, müssen wir erst einmal die enorme Komplexität der derzeitigen Reaktion bewältigen."

Und dies müsse künftig auch bedeuten, auf andere Krisen und Geflüchtete mehr zu schauen, findet Widmann. "Seien wir ehrlich, einer der ersten Kritikpunkte an jeglicher Hilfe war: Ihr helft den blonden, blauäugigen Ukrainern. Warum helft ihr nicht den afghanischen und syrischen Flüchtlingen? Und ich denke, das ist bis zu einem gewissen Grad eine berechtigte Kritik. Man muss ein bisschen in den Spiegel schauen. Sind wir immer so hilfsbereit, wie wir es jetzt sind? Ich denke, wir müssen uns mit grösseren Problemen in der Welt befassen. Aber man kann nicht alle Probleme der Welt gleichzeitig angehen. Deshalb konzentrieren wir uns auf diese Initiative und nehmen keine Diskriminierungen vor." / Sylvie Konzack

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