Nur Frischluft macht virusfrei Tipps für die optimale Lüftung in Räumen Bestandshotels tun sich schwer
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Nur Frischluft macht virusfrei

Tipps für die optimale Lüftung in Räumen – Bestandshotels tun sich schwer

Die Lüftung im Zimmer, in Restaurants und anderen Räumen: in Corona-Zeiten ein Thema mit Folgen.Foto: unsplash paul postema

Berlin. Der Bedarf an Frischluft steigt in diesen Corona-Zeiten – vor allem in geschlossenen Räumen. Frische Luft, richtig geleitet im Raum, verhindert Infektionen durch Aerosole wie im Falle des gefährlichen SAR-CoV-2-Erregers. Betreiber sind verpflichtet, ihre Lüftungsanlagen so zu installieren und zu warten, dass sie gesundheitliche Risiken für die Raum-Nutzer weitestgehend reduzieren. Damit haben Hotels, Gastronomie-Betriebe, Arzt-Praxen, Kliniken, aber auch Kindergärten, Schulen und Kommunen eine Riesen-Herausforderung – vor allem in Bestandsimmobilien. Die Praxis aber sieht anders aus als es die entscheidende Richtlinie VDI 6022 vorsieht. Und: Fliegen bleibt ebenfalls gefährlich dank der Luft.

Die VDI 6022 ist eine Richtlinie des Fachbereiches Technische Gebäudeausrüstung des Verein Deutscher Ingenieure und setzt heute die Massstäbe, auch im Schadensfall. In Hotellerie und Gastronomie wird verhältnismässig wenig über dieses wichtige Thema gesprochen. Das hat Gründe: "In der Branche gibt es sehr viele ältere Immobilien, denen vor vielen Jahren zentrale Anlagen Belüftungsanlagen eingebaut wurden", sagt Klaus Rohrbeck. Diese Zentral-Einheiten auszutauschen, wäre nicht nur aufwändig, sondern auch relativ teuer, bringt der Fachmann es gleich auf den Punkt. Und in diesen Monaten, in denen viele Hotel- und Gastro-Betriebe vor einer unsicheren Zukunft stehen, werden solche Investitionen zurückgestellt.

Rohrbeck ist seit Januar 2019 Head of Construction bei der Hostelgruppe a&o, Berlin. Insider kennen den Fachmann auch aus seiner zehnjährigen Accor-Zeit als Direktor Technik Zentraleuropa, wo rund 100 Neubauten und grosse Renovierungen für Accor-eigene Häuser und Franchise-Betriebe begleitet hat.

Problematische Lüftungskanäle

Klaus Rohrbeck: In Krisen werden Investitionen gerne zurückgestellt.Foto: a&o

"Die grösste Herausforderung aber ist für den sicheren Betrieb nicht der Austausch der Zentraleinheit, sondern die meist nicht bzw. zu sehr aufwändig durchführbare Reinigung der Lüftungskanäle, die durchs ganze Haus führen", fährt Rohrbeck fort. "In Bestandsimmobilien sind diese Schächte oft nur schwer oder gar nicht mehr zugänglich". Anders formuliert: Verkeimte, zugesetzte Lüftungskanäle bleiben eine Virenschleuder.

Neubauten sollten bei Umsetzung der VDI 6022 und der weiterentwichkelten Belüftungssysteme neuester Generation generell weit aus weniger Probleme haben – ebensowenig wie Betriebe, die keine mechanische Zuluft haben oder weitestgehend auf mechanische Zuluft / Umluft verzichten; die Räume müssen dann aber eine Zwangslüftung haben und regelmässig über geöffnete Fenster gelüftet werden, z.B. mit Fensterfalzlüftern.

Die Uelzener Firma wellreagain air plant und installiert Systeme oder einzelne Komponenten zur Raumluft-Reinigung "Die Nachfrage steigt", bestätigt Firmeninhaber Jürgen Harder, jetzt auch langsam aus der Hotellerie. Der Diplom-Ingenieur und Bau-Biologe vermarktet in Deutschland eine ursprünglich schweizerische Ingenieurs-Erfindung unter dem Namen "Leitfähige Luft"; das System wurde dort von der FH Luzern getestet und ist seit 25 Jahren in Spitälern, Kinderkliniken und Fitness Center eingebaut.

"Leitfähige Luft ist Luft mit einer hohen elektrischen Leitfähigkeit, wie sie in der Natur vorkommt, mit einer hohen Konzentration an Luft-Kleinionen. Sie verbessert die Raumluft-Qualität, reduziert Gerüche und fördert die Gesundheit. Die daraus resultierende ionisierte Atemluft ist von vergleichbar mit reiner Bergluft, die unser Wohlbefinden und unsere Leistung immens steigert." Diese Lösung reduziert nach seiner Aussage sogar die Luttmenge bei gleicher Raumluftqualität um ca. 30%. So können dann Luftkanäle kleiner dimensioniert werden.

Eine Lösung hat er auch für Bestandsimmobilien: Das System "Leitfähige Luft" wird am Ende des Lüftungskanals, also im Luftauslass, installiert. Die erzeugte Ionen-Konzentration sorge für eine Abscheidung von Partikeln aller Grössenordnungen. "Dadurch werden Gerüche reduziert, Stäube, Pollen, Keime, Sporen, Bakterien und Viren noch in der Raumluft zu grossen Partikeln verdichtet und durch Sedimentation der Atemluft entzogen und sinken zu Boden. Das Risiko einer Infektion sinkt dadurch signifikant."

Klaus Rohrbeck wagt eine Kosten-Schätzung aus seiner Erfahrung heraus: Bei einem Hotel-Neubau mit 100 Zimmern könnte eine Belüftungsanlage 350.000 bis 400.000 Euro kosten. Ein Umbau in einem Haus dieser Grössenordnung ist deutlich schwerer zu schätzen: Rohrbeck beziffert es auf mindestens das 15fache.

Foto: unsplash rnr8D3FNUNY

Viren aus der Luft filtern

Abstandhalten und das Tragen einer Mund-Nasen-Maske schützen nur minimal und ändern nichts an den Aerosolen, die im Raum wenige Minuten bis mehrere Stunden herumschweben können. Studien des Berliner Robert-Koch-Instituts haben gezeigt, dass beim normalen Sprechen und in Abhängigkeit von der Lautstärke Aerosole freigesetzt werden können, die potenziell Viren übertragen können. Allein das Einatmen solcher virusbelasteten Tröpfchen kann ausreichen, um sich zu infizieren – selbst wenn die infizierte Person nicht mehr im Raum ist.

Auch der VDI erläutert in seinem Newsletter vom 2. Juli 2020 ausführlich, wie man über Raumlufttechnische Anlagen Viren aus der Luft filtert. Diese Anlagen "können durch das Verdünnen und Abscheiden von Schadstoffen das Infektionsrisiko in Innenräumen deutlich reduzieren", schreibt dort der Diplom-Physiker Thomas Wollstein. "Dies ist eine Tatsache." Allerdings sei es notwendig, dass Betreiber bestimmter Anlagen den Betrieb ihrer Anlagen neu bewerten.

KEINE Wirkung zeigen Umluftkühlgeräte. Davon kann der Experte nur abraten. Solche Geräte saugen lediglich die im Raum vorhandene Luft an, kühlen sie und geben sie wieder in den Raum ab. "Obwohl die Richtlinie VDI 6022 Blatt 1 für solche Geräte Filter fordert, werden sie zumeist ohne Filter betrieben", sagt Wollstein. Sie führen auch keine Frischluft zu, so dass luftgetragene Schadstoffe weder ausgefiltert noch verdünnt werden. Demgegenüber weisen moderne RLT-Anlagen in Bürogebäuden mehrere Filterstufen auf und werden möglichst mit 100 % Aussenluft betrieben." Hier werden Schadstoffe, auch virenbeladene Tröpfchen, teilweise abgeschieden und ihre Konzentration durch Verdünnung reduziert.

Bei der Mehrzahl der Anlagen handele es sich heute um Lüftungsanlagen, die mit Frischluft angereichert sind, erläutert auch die Fläkt Group aus Herne, ein global agierender Spezialist für Luft- und Klimalösungen, auf ihrer Webseite. Hier sollte in Corona-Zeiten der Frischluft-Anteil drignend auf 100% erhöht werden, wiederholt das Unternehmen ebenso. Systeme mit Mischluft-Schaltung würden folglich jede Vorsichtsmassnahme konterkarieren.

Klaus Rohrbeck empfiehlt Gästen jedenfalls, die Umluft-Kühlung im Zimmer auszuschalten. Für Restaurants und Konferenzräume rät er, die Abstände und Hygiene-Massnahmen im Service wie auch bei der Essensausgabe streng einzuhalten, um zusätzliches Infektionspotential zu begrenzen und dementsprechend die Luftmengen zu reduzieren und nur mit Mindestluftraten zu betreiben ,zumal auch die Personenanzahl geringer ist. "Der Luftwechsel und die Luftgeschwindigkeit sind in einem Restaurant viel höher als in einem Hotelzimmer – und damit auch noch problemtischer".

Jürgen Harder: Bergluft-ähnliche Luft lässt sich produzieren. Foto: privat

Das Problem mit Temperatur und Feuchte

Lufttemperatur und -feuchte spielen eine grosse Rolle. Trockene und kalte Luft lässt die Schleimhäute austrocknen, was für Infektionen anfälliger macht. Deshalb sollten auch Mitarbeiter, die in solchen Räumen arbeiten müssen, regelmässig Pausen einlegen. Die trockene Luft begünstigt auch das Verdunsten der virenbeladenen Aerosole. Diese werden dadurch kleiner und können länger in der Schwebe bleiben, also weitere Distanzen überbrücken.


Die VDI-Tipps für den Anlagen-Betreiber:

■ Erhöhung des Frischluftanteils: Die Konzentration von Viren in frischer Aussenluft ist die geringstmögliche. Frischluft verdünnt daher die Konzentration der luftgetragenen Viren im Raum. Wo immer möglich, sollten RLT-Anlagen mit 100 % frischer Aussenluft betrieben werden. Dies ist die wichtigste Einflussgrösse.

■ Befeuchtung der Raumluft: In Aufenthaltsräumen sollte eine relative Feuchte von 30 bis 65 % eingehalten werden.

■ Filterung: Wo aus technischen Gründen Umluftbetrieb nötig ist, sollte die Raumluft nach Möglichkeit durch Umluftreinigungsgeräte mit Schwebstoff-Filtern gefiltert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass sich nicht durch die hohe Feuchte Mikroorganismen auf den Filtern vermehren.

■ Bestrahlung: Kurzwellige Ultraviolettstrahlung wird in RLT-Anlagen eingesetzt, um die Vermehrung von Mikroorganismen zu reduzieren. Eine Wirksamkeit gegen Viren wird vermutet, ist jedoch noch nicht nachgewiesen.

■ Verkürzung von Instandhaltungsintervallen: RLT-Anlagen und alle ihre Komponenten sind nach den Vorgaben der Hersteller sowie nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik instandzuhalten. Hier sind für RLT-Anlagen insbesondere die Richtlinienreihe VDI 6022 und die Richtlinie VDI 3810 Blatt 4 zu nennen.

■ Vor dem Hintergrund des aktuell erhöhten Risikos kann eine Verkürzung der sonst üblichen Instandhaltungsintervalle erforderlich sein, insbesondere für Inspektionen und Filterwechsel.

■ Organisatorische Massnahmen wie die Einführung von Regenerationspausen, die Vergrösserung der Abstände zwischen den Beschäftigten und persönliche Schutzausrüstung wie Atemmasken bieten weiteres Potenzial zur Risikominderung.

Bei besonderen Gefahren wie SARS-CoV-2 ist der Anlagen-Betreiber damit als Arbeitgeber ebenso in Verantwortung wie gegenüber den Hotel-Gästen. Er muss vorausschauend agieren und sich fortschrittlicher Techniken bedienen. Das Infektionsschutzgesetz orientiert sich daher am Stand der Technik, dem höchsten Schutzniveau. Das höchste Rechtsgut, Leib und Leben, hat Vorrang. / map

WAS IST VDI 6022?

Es ist eine Richtlinie des Fachbereiches Technische Gebäudeausrüstung des Vereins Deutscher Ingenieure. 2003 hat der SWKI die Inhalte der VDI 6022 übernommen und als SWKI VA104-1 veröffentlicht. Die VDI-Richtlinie ist in den Sprachen Deutsch und Englisch abgefasst, die SWKI-Version in Deutsch und Französisch. Diese Richtlinie gilt als anerkannte Regel der Technik. Im Schadensfall stützen sich Gutachter bei der Beurteilung der Haftung oft darauf, ob solche Richtlinien eingehalten wurden.

Die Richtlinie VDI 6022 beschreibt den Stand der Technik bezüglich der Hygieneanforderungen an Raumlufttechnische Anlagen und Geräte und an die Beurteilung der Raumluftqualität. Die Richtlinienreihe liegt seit 2011 in der dritten, überarbeiteten Fassung vor. Sie trägt den Haupttitel "Raumlufttechnik, Raumluftqualität" (Quelle: wikipedia).


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