So geht es nicht weiter Ingrid Hartges Dehoga über komplizierte unberechenbare deutsche Politik
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So geht es (nicht) weiter

Ingrid Hartges, Dehoga, über komplizierte, unberechenbare deutsche Politik

Die Regierung in Berlin greift in der Pandemie jetzt endlich durch, aber auch mit Mitteln, die der Hospitality-Branche wieder massiv schaden werden.Foto: visitberlin Wolfgang Scholvien 

Berlin. Am Mittwoch noch hielt Ingrid Hartges einen Gesetzentwurf der Ampel-Koalitionäre in ihren Händen, in dem es hiess, es werde keine Betriebsschliessungen für Restaurants und keine Übernachtungsverbote geben. 24 Stunden später – gestern – war der zweite Teil dieses Satzes nicht mehr wahr. Parteiübergreifend waren sich die 16 Ministerpräsident(inn)en plötzlich einig: Der "volle" Instrumentenkasten muss zur Verfügung stehen. Die Dehoga-Geschäftsführerin zur aktuellen, wenig motivierenden Situation kurz vor Weihnachten.

Letzte Woche hatte die künftige Regierungskoalition aus SPD, FDP und Grünen ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. An diesem Dienstag gab es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Betriebs- und Schul-Schliessungen des letzten Frühjahrs aufgrund der gesundheitlichen Gefährdung als gerechtfertigt einstufte. Diese höchstrichterliche Aussage motivierte offenbar die Damen und Herren der Ministerpräsidenten-Konferenz mit der aktuell geschäftsführenden wie auch der designierten Bundesregierung, neue Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie vorzulegen, nachdem sich in Deutschland auf dem absoluten Peak befindet.


Frau Hartges, was war gestern plötzlich anders?

Nach den MPK-Beschlüssen wird der Gesetzgeber gebeten, den verfügbaren "Instrumenten-Katalog" zu erweitern. Danach sollen auch wieder Verbote touristischer Übernachtungen wie auch Schliessungen von Restaurants möglich sein.

Ist das Winter-, Weihnachts- und Frühjahrsgeschäft damit wieder komplett gefährdet?

Im Moment wissen wir nicht, welche Massnahmen die Bundesländer in den nächsten Tagen und Wochen auf der Basis des neuen Infektionsschutz-Gesetzes ergreifen werden! Das alte Infektionsschutz-Gesetz, das noch vor wenigen Wochen von der Ampel-Koalition zurückgestutzt worden war, führt diesen Katalog jetzt wieder ein. Sogar vorgestern noch hatte der Gesetzesentwurf es ausdrücklich ausgeschlossen, touristische Übernachtungen zu verbieten oder Restaurants zu schliessen. Das ist seit dem gestrigen Beschluss nun obsolet.

Dehoga-Geschäftsführerin Ingrid Hartges fürchtet im schlechten Fall einen weiteren Verlust von 100.000 Mitarbeitern.Foto: Svea Pietschmann 

Ab wann soll denn diese neue Regelung, die Schliessungen wieder erlaubt, gelten?

Wir rechnen in den nächsten Tagen mit einem neuen Änderungsantrag zum Infektionsschutzgesetz, der dann vermutlich in der Sitzungswoche vom 13. bis 17. Dezember durch Bundestag und Bundesrat gehen wird. 

Das ist dann ein echtes Weihnachtsgeschenk – und heisst nochmals: Der bundesweite Lockdown ist einerseits damit vom Tisch, aber die Bundesländer können ab der Weihnachtswoche unter Umständen individuell Schliessungen durchsetzen?

Ja, bei einer Eskalation des Pandemie-Geschehens können alle Bundesländer das unabhängig voneinander anordnen. Es soll aber gesetzlich klargestellt werden, dass diese Massnahmen auch regional differenziert werden können, auch nach Landkreisen beispielsweise. Momentan wäre es in der Tat schwierig, in Schleswig-Holstein einen Lockdown zu rechtfertigen, wenn dort nur eine Inzidenz von 151 herrscht. Die wäre dort unverhältnismässig. Anders in Sachsen mit einer Inzidenz von über 1.000.

Nach meiner Beobachtung ist der Druck gestiegen, weil die drei Bundesländer Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern bereits – durch einen erlaubten Rückgriff auf das alte Gesetz noch vor dem 24. November – in der Lage waren, im Falle von Hochinzidenzen zu schliessen. Und das haben Bayern und Sachsen ja auch lokal gemacht. Ab 15. Dezember wäre ihnen dieses Instrument nach aktueller Rechtslage verwehrt. Eine Folge davon ist, dass nun alle zugestimmt haben, ab Inzidenz von 350 Clubs und Diskotheken zu schliessen.

Damit wird es also noch vor Weihnachten wieder eine Flut von Verordnungswerken geben –  jeweils 30 bis 50 Seiten vermutlich… Das ist einfach der Wahnsinn, insbesondere auch für bundesweit tätige Unternehmen, wie sollen sie den Überblick behalten? Aber es wird wohl so kommen, denn das BVG hat den Ländern und dem Bund auferlegt, bei sogenannten "eingriffsintensiven" Massnahmen zu differenzieren.

Fürs ganze Land gilt bereits die 2G-Regel. In einigen Bundesländern gilt sogar die 2G+ Regelung. Die Meinungen in der Branche gehen dazu aber weit auseinander…. 

Ja, das stimmt. Das spiegelt auch die Dehoga-Umfrage von dieser Woche mit 9.700 Teilnehmern. Fast 60% der Betriebe haben keine Probleme mit einer 2G-Regelung.

Anders sieht es bei 2G+ aus. Der Zutritt für Geimpfte oder Genesene, die zusätzlich negativ getestet  sein müssen, ist nur für jeden dritten Unternehmer machbar. 

54,6% der Betriebe lehnen 2G+ ab. Die Antworten sind dabei stark abhängig vom Betriebstyp und von der Region. Für Cafés und Restaurants, die von spontanen Besuchen leben, bedeutet dies einen Quasi-Lockdown. Schliesslich fehlen landesweit immer noch enorme Test-Kapazitäten, die einen Spontantest ermöglichen würden. 2G+ kommt damit einem Quasi-Lockdown gleich. 

Was passiert denn mit den Betrieben, die nicht geschlossen werden, aber unter 2G+ auch keinen Umsatz mehr haben? Werden diese denn jetzt Ihrer Einschätzung nach Entschädigungen erhalten? Oder gilt das nur beim verordneten Lockdown?

Jetzt wird's kompliziert. Zunächst: Die Betriebe können seit Juli bis Ende Dezember die Überbrückungshilfe III Plus beantragen. Voraussetzung dafür ist ein Umsatz-Rückgang von 30%. Hier gibt es aktuell noch offene Fragen zu klären, also ob z.B. ein Unternehmer schliessen kann, weil die Kosten höher als die Umsätze sind, ohne dass er dadurch den Anspruch auf die Überbrückungshilfen verliert. Solche Fragen sind gerade in Klärung und ich gehe auch von der zeitnahen Klärung aus. Die massiven Umsatz-Einbussen sind ganz klar auf die Covid-19 Massnahmen zurückzuführen.

Die Massnahmen der Politik helfen aktuell wohl wenig, die Impfpflicht startet vermutlich erst im Februar oder März und wirkt dann sehr spät.Foto: moises gonzalez unsplash

Die nächste Überbrückungshilfe IV ist doch auch schon geklärt…?!

Punktuelle Verbesserungen erhoffen wir uns noch von der Überbrückungshilfe IV, die für Januar bis März vorgesehen ist. Sie ist deshalb auch schon Bestandteil des MPK-Beschlusses.

Und das hilft aber nur denjenigen, die den Beihilferahmen noch nicht ausgeschöpft haben. Letztere ist von 10 auf 12 Millionen Euro erhöht worden. Die Kleinbeihilfe von 1,8 auf 2,3 Millionen Euro. Den mittleren und grösseren Unternehmen stehen damit 2,5 Millionen Euro mehr zur Verfügung.

Das reicht aber natürlich nicht denjenigen, die den alten Beihilferahmen bereits ausgeschöpft haben und in den letzten Monaten bereits erhebliche Umsatzrückgänge von mehr als 30% hatten. Die grösste Herausforderung ist jetzt, die bestehenden Förderlücken zu schliessen.

Einige grössere Hotel-Gesellschaften haben unterdessen immer noch keine ausreichende Kompensation für die Schliessungen in 2021 bekommen, höre ich aus dem Markt… Und einige von ihnen rufen jetzt sogar nach einer offiziellen Schliessung ihrer Hotels. 

Ja, wir müssen jetzt nach den Grossen schauen. Das ist richtig. Bei den grössten Hotelgesellschaften bestehen die relevanten Förderlücken.

Bei der Überbrückungshilfe III für grössere Unternehmen, die für unsere Branche vor allem die Monate Januar bis Juni 2021 betrifft, haben wir zum zweiten Mal einen Schadensausgleich nach 107 2B AEUV erreicht. Weil klar war, dass die von der EU festlegte Fixkosten-Grenze von 12 Millionen Euro bei den grössten Unternehmen keinesfalls ausreichen wird – auch nicht nach den 40 Millionen Euro, die die Unternehmen nur für die Zeit der Schliessung von Januar bis Mai 2021 bekamen.

Sprechen wir hier immer noch von 10-15 grösseren Unternehmen? Diese Zahl nannten Sie uns schon im Sommer.

Ja, für diese galt und gilt leider immer noch die Begrenzung des Schadensausgleichs auf 40 Millionen – was absolut keine vergleichbare Hilfe ist gegenüber dem, was die übrigen Unternehmen erhalten haben.

Zu den geflossenen Hilfen über alle Branchen hinweg kann ich Ihnen sagen: Mit Stand vom 30.11.2021 waren von den beantragten 14,8 Milliarden Euro an November-/Dezember-Hilfen 13,8 Milliarden ausbezahlt. Zur Überbrückungshilfe III: 534.000 Anträge wurden gestellt, 417.000 bewilligt mit einem Auszahlungsvolumen von 24,03 Mrd Euro. 

Werden Sie die neue Regierung mit einem FDP-Finanzminister und einem Grünen-Wirtschaftsminister überzeugen können?

Diese beiden Ministerien, so wissen wir, werden sich personell neu aufstellen, dies betrifft insbesondere die Staatssekretäre. Kontinuität wird hoffentlich auf der Arbeitsebene gewährleistet. Neue Ansprechpartner machen es nicht einfacher. Deshalb bin ich schon froh, dass wir die Zusage für eine Fortführung der Hilfen bis Ende März 2022 bereits erreicht haben – auch wenn das für die grossen Gruppen noch keine Lösung ist. Mir ist es wichtig, mit den Betroffenen im Dialog Handlungsbedarf und Lösungsvorschläge zu identifizieren.

Keine gesicherten Entschädigungen, Hilfen ja, aber nicht für alle – wird denn wenigstens das Kurzarbeitergeld in bisheriger Höhe weitergezahlt? Bewilligt ist es ja schon bis 31. März 2022. 

Das ist aktuell eines der grössten Probleme. Seit Wochen fordern wir die Verlängerung der aufgestockten Beiträge beim Kurzarbeitergeld. Es kann und darf nicht sein, dass Beschäftigte die bereits sechs Monate in Kurzarbeit waren, ab dem 1. Januar auf 60% zurückfallen.. Ich befürchte einen weiteren Verlust von 100.000 Mitarbeitern.

Mit dem KUG verbunden ist zudem die Frage, ob die 100-prozentige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge fortgeführt wird. Diese Regelung darf keinesfalls zum 31. Dezember auslaufen. Der bisherige Bundesarbeitminister Hubertus Heil will von Januar bis März 2022 nur noch 50% erstatten. Mit einem eindringlichen Appell haben wir uns gestern erneut an Hubertus Heil gewandt. Unsere Unternehmer und Mitarbeiter dürfen jedenfalls jetzt nicht im Stich gelassen werden!

Noch ein letzter Satz zur Impfpflicht bitte. Wird sie im Februar kommen?

Wahrscheinlich ja, man spricht über Februar/März. Jetzt kommt es darauf an, die Impfpflicht verfassungskonform zu gestalten. In der Dehoga-Umfrage haben sich 70% der Unternehmen dafür ausgesprochen. Alle sehen ja auch, dass es anderen Ländern gelingt, mit einer hohen Impfquote die Pandemie zu bekämpfen. Wir müssen noch intensiver aufklären und impfen, impfen, impfen. Und die Politik ist gefordert, dass jetzt maximal professionell zu organisieren. 

Das Chaos der letzten Wochen darf einfach nicht weitergehen. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmer mir sagt: Jetzt habe ich endlich meine Nicht-Geimpften überzeugt, sich impfen zu lassen und sie kriegen keinen Termin. Ich will mich dann selbst darum kümmern, bekomme aber auch keinen Termin für meine Mitarbeiter. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Vielen Dank für das Gespräch am Ende einer sehr stressigen Woche!

Interview: Maria Pütz-Willems 

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