Trendsetter denken nicht nur digital ITB Hospitality Day 2016 diskutierte über Innovationszwänge und Labs

Trendsetter denken nicht nur digital

ITB Hospitality Day 2016 diskutierte über Innovationszwänge und Labs

Moderator Hans-Jürgen Klesse mit Dr. Jens Pippig, René Massatti und Christoph Hoffmann.

Berlin. Innovationen in der Hotellerie stammten bisher oft aus dem Mittelstand, der intensiv im Kontakt mit Gästen steht und aus deren Anregungen oder Bedürfnissen Ideen entwickelt. Grössere Ketten arbeiten heute mit "Innovation Labs" und Trendforschern zusammen, um Gäste zu Fans zu machen. Entstehen so die Hotel-Konzepte von morgen und wie gross ist dabei der Einfluss der Technik und Digitalisierung? Eine Diskussionsrunde auf der ITB-Hotelkonferenz im März suchte nach Antworten.

Der Titel der Podiumsdiskussion am "ITB Hospitality Day" zog viele Neugierige an: "Innovation Labs - aus Gästen werden Fans. Wo und wie entstehen die zukunftsfähigsten Hotel-Konzepte? Wer lebt heute schon Innovationen?" Angesichts der massiven Berichterstattung über die unaufhaltsame Entwicklung der Hotellerie im Bereich Technologie und Digitalisierung - von Loyalty-Programmen über den Online-Checkin bis zu neuesten Buchungs-Apps - entsteht heute leicht der Eindruck, dass erfolgreiche Hoteliers ausschliesslich auf diesen Gebieten uptodate sein müssen. Vor diesem Hintergrund avancierte auch der zum Hospitality Day eingeladene Roboter Mario aus dem Marriott Hotel in Ghent zur Riesen-Attraktion bei den Fachbesuchern aus Nah und Fern.

Im Marketing sprechen die Erkenntnisse aus Innovation-Labs allerdings eine ganz andere Sprache. Hans-Jürgen Klesse, Journalist und Moderator der Runde: "In ihrer Selbstdarstellung setzt die Hotellerie heute schon zum grossen Teil auf Empathie und Wohlfühlen." Nicht zuletzt deshalb bezeichneten die Diskutanten Christoph Hoffmann, Geschäftsführer der 25hours Hotel Company, René Massatti, Chef-Stratege des Trendforschungs-Unternehmens TrendOne, und Jens Pippig, Geschäftsführer des ProSiebenSat1Media Accelerator, Roboter auch nicht als Mega-Trend für die Hotellerie. "Der Roboter wird den Innovationsgrad eines Hotels nicht entscheiden", so Pippig. Massatti ergänzte: "Der Gedanke, dass der Roboter den Menschen ersetzt, ist falsch. Er wird dem Menschen assistieren."

Christoph Hoffmann, The 25hours Hotel Company: Erfolg hat man auch noch ohne Hightech.

Besser: analog und Low-Tech

Hoffmann, der einzige Hotelier in der Runde, musste sich dennoch wiederholt gegen den Vorwurf wehren, seine Branche leide unter einem Ideen-Defizit und sei wenig innovativ. "Auf der technologischen Ebene sind wir nicht die First Mover, aber auf der emotionalen Ebene", entgegnete er. Vielleicht sei ja auch gar nicht so viel Innovation für den Erfolg eines Hotels nötig. 25hours suche nach Wegen abseits des Mainstreams. Dies könne auch einmal bedeuten, sich anstatt auf neueste Technologie auf analoge Dinge und Low-Tech zu konzentrieren. "Wir orientieren uns bei unserer Entwicklung an den guten alten Grand Hotels, in denen sich Menschen treffen, sich unterhalten, geniessen und kulturellen Austausch pflegen, beispielsweise durch literarische Zirkel."

In den "Labs" von 25hours werden Geschichten, die ältere Hotels teilweise schon von zuhause aus mitbringen, für die Hotels der Gruppe neu erfunden. "Bei der Hotelsuche waren wir bislang immer eher opportunistisch unterwegs. Grosse Städte, urbane Lagen waren die einzigen Voraussetzungen. Das Drehbuch wurde danach geschrieben. An manchen Standorten, wie beispielsweise im Hamburger Hafen, schlagen uns die Ideen wie eine Welle entgegen", erklärte Hoffmann. Bei der internationalen Expansion spiele das Thema Planung von Ideen jetzt aber eine grössere Rolle. "Wir brauchen dort ein Kern-Kreativ-Team, das Ideen für Städte entwickelt, in denen wir noch nicht aktiv sind." Für diese Abteilung habe man auch den Arbeitstitel Innovation Lab gewählt. In den Teams entstehe ein kreatives Ping-Pong. "Ein Hotel ist ein Erlebnis, das an vielen Stellen unterschiedlich sein darf", so Hoffmann. Mit Star-Designern habe man nicht immer die besten Erfahrungen gemacht.

Die Basics müssen stimmen

Pippig, der weiterhin auf der Schwerfälligkeit der Branche beharrte, sagte: "Die Hotellerie ist eine Industrie, die auf Investitionsgütern sitzt wie Immobilien, Einrichtungen etc. Daher ist der Innovationsgedanke dort nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Branchen." Diese Branche müsse sich um ihre Güter herum profilieren. "Problematisch ist, wenn sie in der Mitte auf einer alten Immobilie festsitzen und sagen: Dieses Pferd reite ich, bis es zusammenbricht." Der Medien-Manager attestierte der Hotellerie klare Defizite bei der Umstellung auf Online-Buchungen in der Vergangenheit. Dies habe in anderen Branchen viel schneller funktioniert. Zudem hapere es in der Hotellerie oft an den einfachsten Dienstleistungen. "Ich finde es super, wenn das Bett sauber ist und die Dusche funktioniert. Und es wäre gut, wenn meine Rechnungsadresse mal stimmen würde oder das Internet funktioniert."

Damit könne man sich positiv differenzieren. "Wichtig finde ich auch, dass es eine freie Steckdose am Bett gibt und dass man vom Bett aus alle Lichter ausschalten kann", so Pippig weiter. Wer auf dieser Ebene schon Probleme habe, solle zunächst einmal diese beheben. "Bei einem 150 Zimmer-Hotel entstehen Kosten von 300.000 bis 500.000 Euro, um das Ausschalten aller Lichter vom Bett aus zu erreichen", konterte Hoffmann.

Trendforscher René Massatti: Visionen kann man auch mit Pappe formen.

Grundsätzlich gebe man bei 25hours geschätzte zehn Prozent mehr für die Einrichtung aus als Mitbewerber, so Hoffmann. Darunter falle auch die Entwicklung von Überraschungen in der Hardware, wie beispielsweise des höhenverstellbaren Übersee-Containers im 25hours Hafen City in Hamburg. Auch Kooperationen mit externen Gastronomen im F&B kosteten Geld. "Dadurch haben wir aber einen grösseren operativen Erfolg." Das Vorurteil, in der Hotellerie hätten alle nur den Kochlöffel im Kopf, entstamme der Historie, in der Hotels sehr lokale Produkte, quasi die Weiterentwicklung der Gasthäuser für Durchreisende, waren. "Die Hotellerie war nie eine technologie-getriebene Branche. Die OTAs sind eine ihrer Unterordnungen", so Hoffmann selbstbewusst.

Gemäss der Weisheit, dass jeder Trend auch einen Gegentrend auslöst, dreht 25hours den Technologie-Spiess sogar um und arbeitet mit der Firma Supersense aus Wien zusammen. Das Unternehmen, das vor einigen Jahren mit dem Kauf der letzten Polaroid-Fabrik auf sich aufmerksam gemacht hatte, bietet in seinem Geschäftshaus ausschliesslich analoge Dinge an. "Dort kann man sogar eigene Vinylschall-Platten pressen. Wir haben mit dem Geschäftsführer Florian Kap, der allgemein nur Doc genannt wird, eine Vereinbarung getroffen, dass er in unseren Hotels eine Intervention bieten soll, die ausschliesslich analog ist", so Hoffmann. Ein Beispiel: Im 25hours Hotel in Wien können sich Gäste in einer Sofortbild-Kabine selbst fotografieren lassen.

Virtuelle Realität auf dem Vormarsch

Mit analogen Mini-Trends gibt sich Trend-Forscher Massatti nicht zufrieden. Mit seinem Team betreibt er seit über zehn Jahren professionelles Trend-Scouting. Mehr als 80 Scouts beschäftigen sich dabei mit den grossen Mega-Trends und brechen diese für die Kunden herunter oder sammeln dazu weitere Informationen. Basis dafür sind 1.500 Trend-Sendungen pro Tag, von denen 200 in einer Datenbank gespeichert werden. "Wir blicken für unterschiedliche Branchen über den Tellerrand, ob Automotive, Reiseveranstalter oder Versicherungen."

Dr. Jens Pippig setzt auf Accelarators und ausgewählte Startups.

Als wichtige Erfolgsfaktoren für die Hotellerie führte Massatti Gratis-WLan auf, starkes WLan und WLan im Umfeld des Hotels wie beispielsweise am Strand. Ein Trend beim Hotel-Marketing sei das sogenannte Multisense Marketing. Die virtuelle Realität werde künftig eine grosse Rolle spielen. Dies habe Marriott z.B. schon sehr gekonnt in New York umgesetzt, wo das Unternehmen eine Art Duschkabine vor Hochzeitskapellen stellte. Darin wurden unterschiedliche Situationen simuliert, für das Brautpaar beispielsweise tolle Plätze für Hochzeitsreisen.

"Vor allem aus Asien gibt es viele Entwicklungen in diesem Bereich. Der Ansatz, neue Dinge voran zu treiben, ist dort viel grösser als hier", sagte er. Er empfinde die Hotellerie als sehr zerklüftet und sehe in ihr keinen grossen Innovationswillen. Mit Unternehmen, die sich für Innovationen öffnen möchte, arbeiten Massatti und sein Team inzwischen bevorzugt in deren eigenen Häusern. "Wir arbeiten dabei sehr viel mit Karton, weil das ein nachhaltiges und flexibles Material ist." Bei der Arbeit mit Karton könne man sich beispielsweise leicht sein Wunschzimmer zusammenstellen. Gleichzeitig trage sie zum besseren Verständnis dafür bei, dass sich Unternehmen verändern können.

Lernen mit und von Startups

Der ProSiebenSat1Media Accelerator blickt auf eine ganz andere Weise über den eigenen Tellerrand hinaus: zweimal jährlich, per Innovationspreis an junge Unternehmen. Die ausgewählten Startups erhalten Zugang zu Mentoren und Kapital, zudem eine TV-Werbebühne im Wert von 500.000 Euro. Bei den Unternehmen handle es sich um Branchen mit Endkunden-Fokus aus den Bereichen eCommerce, Finanzen, Gesundheit, Reisen. Im Bereich Hotellerie habe man beispielsweise TripRebel gefördert, das Buchungssystem mit Optimierungschance der Buchung bis kurz vor dem Checkin, so Pippig.

"Es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen, was draussen am Markt geschieht. Und wenn wir uns an den Startups beteiligen, kann sich das irgendwann auszahlen. Das eigene Unternehmen lernt auch daraus und präsentiert sich als innovationsfreudiges Unternehmen", erklärte Pippig die Hintergründe für diese Aktivität. Für jede Branche gelte dabei: "An bestimmten Eckprozessen sollte man auf Masse setzen. Darüber kann man die Erlebnisse setzen, die differenzierend sind. Ich sehe auch bei unseren Startups, dass man erstmal die Basics sauber hinbekommen muss."

Das Publikum stimmte ab: Technologie wird die Hotellerie nicht dominieren.

In dieser Beziehung stimmte ihm Hoffmann klar zu: "Wir haben im Vertrieb die Welt nicht neu erfunden. Aber wir geben Acht auf die Gestaltung des Produktes und der Vertrieb funktioniert daher ganz gut." Ganz ohne Technologie geht es natürlich auch bei 25hours nicht. "Wir geben gerade viel Geld für technologische Innovationen aus, z.B. für Online Checkin und -out", gestand Hoffmann ein. "Wir sind vielleicht nicht die innovativste Industrie, die man sich vorstellen kann", so der CEO weiter. "Es geht aber hier auch um die Neudefinition der Dienstleistung und nicht nur der Technologie."

Beim Auditorium fand Hoffmanns Argumentation offensichtlich grossen Anklang. Denn auf die abschliessende Zuhörer-Frage "Wird Technologie der wichtigste Erfolgsfaktor der Hotellerie?" antworteten 74 Prozent mit "nein", 19 Prozent mit "ja" und sieben Prozent mit "vielleicht." / Susanne Stauss


Hier geht's zum Video dieser Talkrunde des ITB Hospitality Day 2016, in voller Länge!

 

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