Von der Praxis weit entfernt UNWTO erklärt 2017 zum Jahr des Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung
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Von der Praxis weit entfernt

UNWTO erklärt 2017 zum Jahr des Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung

Die UNWTO-Themen in Sachen Nachhaltigkeit.

Salzburg. Die Welttourismus-Organisation UNWTO hat 2017 zum "Internationalen Jahr des Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung" erklärt. Dabei stellt sie ihre Diskussion im Internet zur Diskussion und fordert auch die Tourismus-Branche auf, sich bis Ende Juni u.a. mit Fallstudien zu beteiligen.

Auch Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum diskutieren, wie sich Unternehmen dem Thema annähern sollten. Beides zeigt: Noch nicht einmal die Intellektuellen sind sich einig. Es gibt sehr viele Vorstellungen von Annäherung, eine praktische Umsetzung nach einheitlichen Kriterien erscheint schon fast utopisch. Dabei steht bereits für jeden fünften Gast Nachhaltigkeit unter den Top 3-Urlaubsthemen.

Die UNWTO will aus der Praxis wissen, welche Modelle nachhaltig sind. Für die Organisation sind solche Inputs wichtig, um eine solide Wissensbasis zu schaffen. Wer sich zu den Fragen des Diskussionspapiers äussern und eigene Erfolgsgeschichten als Fallstudien bis Ende Juni bekannt machen möchte, erfährt Näheres dazu unter diesem Link.

Wie gewohnt sind die Beiträge in englischer Sprache, die "Executive Summary" wird später in sechs Sprachen zur Verfügung stehen. Deutsch ist nicht darunter. Eine deutschsprachige Diskussion startete jedoch das in Wien erscheinende Journal "TourismusWissen-quarterly". In seiner aktuellen Ausgabe 8 widmet man sich in fünf mehrseitigen und unterschiedlichen Forschungsbeiträgen dieser Thematik.

Da hinterfragt z.B. der Erlebnis-Wissenschaftler Gerhard Frank, Geschäftsführer seiner "Frank Erlebnisdramaturgie Gesellschaft": Was kann der Tourismus zur Entstehung eines nachhaltigen Lebensstils beitragen? "Tourismus kann starke Erfahrungen beitragen, die den Augenblick des Geschehens überdauern und kraft des mit ihnen verknüpften Feuers in den Tagträumen der Menschen fortwirkt", heisst es bei Frank. Seiner Meinung nach ist der ökologische Fussabdruck das Mass, das darüber entscheidet, ob eine physische Erfahrung als Baustein für einen zukunftsfähigen Mindset geeignet sei.

Harald Friedl: Wandel ohne Konzept?

Veränderungen brauchen Zeit und es gebe keinen Masterplan, auch nicht für den auch von der UNWTO propagierten Wandel. "Es braucht starke Gefühle, die sich mit diesen Erfahrungen verbinden und dafür sorgen, dass ... sie den Alltag schliesslich transformieren", heisst es weiter. Frank zeigt sich überzeugt, dass die gegenwärtigen, weltweiten anthropogenen Probleme gelöst werden können, wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen aufrichtig voneinander lernen. Der Tourismus stelle in diesem Kontext ein effektives Werkzeug dar. Wobei es eine Phase im internationalen Tourismus brauche, in der über sorgsam entwickelte Experimente erste Erfahrungen in dieser Richtung gesammelt werden.

Kritik an der UNWTO

Weniger positiv gestimmt ist Harald A. Friedl. Der Dreifach-Akademiker lehrt im Studiengang "Gesundheitsmanagement im Tourismus" an der Fachhochschule Joanneum, Bad Gleichenberg. "Auf welche Weise erhofft die UNWTO durch Bewusstsein, dieses seit der Aufklärung so innig beschworene Phänomen, Veränderungseffekte zu bewirken?" fragt er. Propagiert werde der Wandel, doch offen sei wovon und wohin? Friedl hinterfragt in einem Diskurs die – aus neurobiologischer Sicht – Chance von Wandel, der nicht auf Leidensdruck basiert. Er ist skeptisch, dass die UNWTO in Richtung einer postfossilen Gesellschaft agieren könne. "Wachstum ist sogar der von der UNWTO ausdrücklich erstgenannte Beitrag der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung". Das stehe grundsätzlicher Veränderung entgegen.

Manches klinge eher nach einer magischen Beschwörungsformel als nach einem überzeugenden strategischen "Change"-Konzept. Als entscheidenden Faktor benennt er Erdöl. "Wie kannTourismus nachhaltig – also zukunftsfähig – sein, solange er von einem endlichen Rohstoff abhängt, dessen Produktions- und Verbrauchsbedingungen den Tourismus selbst nachweislich untergraben? Das klingt wie ein Raucher, der den Schmerz seiner Lungenkrebs-Diagnose mit dem wohltuenden Zug an einer Zigarette lindert."

Lücke zwischen Wissenschaft und Praxis

Neben diesen professoralen Diskussions-Beiträgen findet sich in TourismusWissen-quarterly auch Praxisnahes. Etwa im Beitrag von Bianca Besele, basierend auf ihrer Masterarbeit an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Salzburg. Die Forscherin, inzwischen bei Chiemgau Tourismus aktiv, fragte: Wie wird Nachhaltigkeit verstanden? Wie wird sie vom Tourismus kommuniziert und interpretiert? Sie nutzte dafür eine Fülle von Experten-Interviews und erkannte: Während in der Wissenschaft der Begriff bereits klar umrissen ist, ist bei der touristischen Praxis das Gegenteil der Fall.

Bianca Besele: Überall Unterschiede.

Hier klafft laut Besele eine Lücke. "Von Seiten der Befragten wurde das Thema Nachhaltigkeit unterschiedlich aufgefasst und transportiert." Fast alle sprachen sich gegen die wörtliche Verwendung des Begriffes in der touristischen Kommunikation aus. "Die Kommunikation kann, laut Experten, nur über die Verwendung passender Beispiele gelingen". Die Experten sprachen sich andererseits für die Schaffung eines Instrumentariums aus, welches jede touristische Aktion auf deren Nachhaltigkeitsgehalt hin prüft.

In mehreren Punkten registrierte Besele grosse Unterschiede zwischen österreichischen und bayerischen Managern. Die Österreicher seien sich als "Tourismus-Weltmeister" der Bedeutung des Wirtschaftszweigs insgesamt bewusster. Die Vermarktung regionaler Produkte, ebenso wie saisonverlängernde Massnahmen unter der Argumentation der Nachhaltigkeit seien in Österreich wesentlich weiter fortgeschritten. Auch halte das Thema Nachhaltigkeit auf der bayerischen Seite selten direkten Einzug in die Tourismus-Werbung.

Definitionen in der Region helfen weiter

Insgesamt stellte Besele eine grosse Spannweite beim subjektiven Zugang der Tourismus-Manager fest: Für den einen stellt Nachhaltigkeit eine ganzheitliche Zukunfts-Perspektive dar, der nächste wählt einen traditionsbewussten Zugang, der dritte kombiniert es mit der Nutzenfrage.

Wie man als Destination konkret diesem Thema näher treten soll, zeigt ein gemeinsamer Beitrag von Martin Balas, Karl Reiner und Peter Zimmer. Alle drei sind mit dem Zertifizierungssystem TourCert verbunden, das sich nach den Reise-Veranstaltern nun verstärkt Destinationen annimmt. Sie empfehlen, sich dem nachhaltigen Tourismus pragmatisch zu nähern.

Dazu gehört es, ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit in der Region zu entwickeln, die wichtigsten Akteure zu identifizieren und zuerst zu analysieren: Passt der Topf zum Deckel? Nach organisatorischen Festlegungen, wer die Führungsposition im Prozess einnehmen soll, gilt es einen Masterplan zu entwickeln. Ist das strategische Gesamtpaket umgesetzt, geht es an die nachhaltige Angebots- und Produktgestaltung. Abschliessend sieht das Autorenteam jedoch eine wichtige Aufgabe darin, die Nachhaltigkeitskriterien überprüfbar und messbar zu machen.

Laut Deutscher Zentrale für Tourismus steht bereits für jeden fünften Gast Nachhaltigkeit unter den Top 3-Urlaubsthemen. / Fred Fettner

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