Der Reisende will mehr Zukunft Mobilität Der Markt hinkt den Erwartungen weit hinterher
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Der Reisende will mehr

Zukunft Mobilität: Der Markt hinkt den Erwartungen weit hinterher

Nahtlos reisen bedeutet in Zukunft auch, nur noch mit einem Ticket unterwegs zu sein und überall pro-aktiv seine persönlichen Reise-Informationen zu bekommen...Foto: Christian Mueller Fotolia

Berlin. Angst vor der totalen Vernetzung haben viele in diesen Tagen, doch der Gedanke an eine Digitalisierung, die unser Leben vereinfacht, greift ebenso weit. Schön wäre es, mit nur einer Karte Busse und Bahnen nutzen zu können oder beim Aussteigen aus der S-Bahn die nächsten Wege-Infos unaufgefordert auf seinem Handy zu erhalten… Hinter solchen Komfort-Versprechen für den mobilen Kunden steht das Milliarden-Geschäft mit den Kundendaten. Der Reisende möchte nur zwei Dinge: schnellen Service und noch mehr Service-Angebote. Und da wäre er sogar schon bereit dafür zu zahlen. Jedoch: Der Markt hinkt hier hinterher. Bei einem Workshop in Berlin zeigten Politiker, Berater und Verkehrsexperten den grossen Spagat zwischen Kunden-Erwartungen und Realität auf.

Thomas Jarzombek, seit fünf Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages, ist seit Februar dieses Jahres Vorsitzender der neu gegründeten Arbeitsgruppe "Digitale Agenda" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – und damit ein klarer Befürworter des Freihandelsabkommens mit den USA, das ganz Deutschland derzeit diskutiert. "Die Sharing Economy ist nicht aufzuhalten," postulierte der Abgeordnete: Deutschlands strenger Datenschutz widerspreche dem Nutzerverhalten, ist er überzeugt und sieht Deutschland alsbald als "Insel der Ahnungslosen" untergehen. Weil z.B. niemand den Taxi-Anbieter Uber zulassen will. Jarzombek kann sich deshalb vorstellen, bald Transport-Lizenzen zu vergeben und so einen rechtlichen Rahmen für die "regulierte Selbstregulierung" zu schaffen.

"Wir befinden uns in einer Phase der schöpferischen Zerstörung", fasste er zusammen: Ein neuer Anbieter kommt, ein alter muss gehen. Das amerikanische Wort dafür lautet "Disruption" und die Amerikaner finden es grossartig. In Europa denkt man anders. Ein Beispiel: Skepsis herrscht noch gegenüber dem selbstfahrenden Auto. Was den Hightech-begeisterten CDU-Politiker wiederum fragen lässt: Wie kann das sein, wo doch jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland davon abhängt?

Thomas Jarzombek, ein Mann für die 'Digitale Agenda'.Foto: Deutscher Bundestag, Lichtblick Achim Melde

Zukunftsangst spielt auf beiden Seiten eine Rolle – auf Seiten der Technologie-Befürworter genauso wie auf Seiten der Gegner. Einerseits hängen Millionen permanent mit der Nase am Display, auf der anderen Seite schalten viele Menschen ihre Bildschirme gezielt ab. Und viele denken genauso konträr darüber nach, ob nun der Schutz von Unternehmen oder die Rechte und der Schutz von Menschen höher zu bewerten sind…

So zeigte auch der jährliche "Medien-Workshop" des Travel Industry Clubs in Berlin, wie stark die hyperdynamische Entwicklung des Internets und die digitale Vernetzung inzwischen in unser Leben eingreifen und noch viel tiefer eingreifen werden.

Intransparenz frustriert

Die Stimme des Reisenden/Kunden erhob Nicole Göbel, Partner bei der Unternehmensberatung Accenture, die jährlich 4.000 Bahn-Reisende in acht westeuropäischen Ländern befragt und sich sicher ist, dass deren Wünsche sich auch auf die Airline- und Hotel-Branche übertragen lassen: "Die Kunden verlangen heute eine durchgängige Buchbarkeit ihrer Reise von Tür zu Tür – geduldiger sind sie nur noch, wenn sie solche Buchungen auf ihren Mobilgeräten machen," so ein Fazit. Die allgemeine Preis-Intransparenz in den einzelnen Branchen, kombiniert mit undurchsichtigen Konditionen, allerdings stelle noch eine grosse Zugangshürde dar, um die Reisenden zu mehr Online-Aktivität zu bewegen. "Ein Drittel aller Reisenden sind verwirrt," so Göbel, "deshalb wird der Boom der Vergleichsportale weiter voranschreiten."

Der Frust der Reisenden über die Intransparenz wird konkret zu einer veränderten Kommunikation führen: zu "push & pull". Das heisst, der Reisende muss beim Aussteigen aus der S-Bahn künftig keine Infos mehr abfragen, sondern erhält auf seinem Smartphone "unaufgefordert" die Wegbeschreibung von der S-Bahn bis zu seinem Ziel.

Aufgeschlossene Südeuropäer

Der Kunde will fraglos einen schnellen Service und zusätzliche Service-Angebote – z.B. für Entertainment auf langweiligen Zugfahrten. Dafür ist er laut Accenture durchaus bereit zu zahlen. Umgekehrt willigt er dafür auch ein, Daten über sich selbst preiszugeben 65% der befragten Deutschen würden heute "customized data" zur Verfügung stellen – in Italien und Spanien sind es bereits 84%.

Kann man künftig Bahn-Tickets bei Amazon kaufen?

Laut Accenture hinkt die tatsächliche Markt-Entwicklung den Erwartungen der Kunden weit hinterher. So wünschen sich auch deutsche Kunden, ihr Handy stärker für Ticket-Käufe einzusetzen. Weshalb kann man ein Bahn-Ticket nur bei der Bahn kaufen? Die Kunden können sich auch vorstellen, ihre Fahrkarte bei Amazon, Google, Facebook oder iTunes zu kaufen, ganz nach dem Motto: Wer mir mein Weihnachtsgeschenk pünktlich nach Hause liefert, kann mir auch ein Ticket verkaufen. Das lässt sich auch auf die Hotellerie übertragen: Weshalb kann der Kunde seine Reise nur über Reisebüros oder OTAs buchen? Die jüngste Ankündigung von Amazon, bald Hotelzimmer verkaufen zu wollen, zeigt, dass sich hier die Rollenverteilungen im Markt komplett und massiv ändern könnten.

Amazon und Google beobachten angeblich sehr stark die Bewegungen der Deutschen Bahn, da diese im wichtigsten Quellmarkt Europas mit über die meisten personalisierten Kundendaten verfügt. Täglich benutzen über 2,2 Millionen Reisende einen Zug der Deutschen Bahn.

Seamless reisen: Macht die Bahn es möglich?

Der Moloch Bahn ist ein Mobilitätsgigant. Und damit ein ebenso gigantischer wie begehrter Datenspeicher. Jeder Schritt der DB in Richtung digitale Vernetzung wäre ein grosser Schritt Richtung Zukunft. Das kann sich niemand besser vorstellen als Oliver Wolff, der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. Der VDV ist der Branchenverband des Öffentlichen Personennahverkehrs, der in seinen Regionalbahnen, Bussen oder S-Bahnen z.B. täglich 20 Millionen Fahrgäste befördert. Was würde nun passieren, wenn die DB und der VDV als volumenstarke Player ihre Angebote digital verschmelzen würden – also ein bargeldloses, nahtloses Reisen mit allen Verkehrsmitteln ermöglichen?

Oliver Wolff, VDV: Die Bahnen werden Seamless-Reisen umsetzen.

Das wäre Wolffs Traum: "Das Ticketing muss in die Digitalisierung überführt werden, in 15 Jahren sollten die letzten Ticket-Automaten abgebaut sein", formuliert er ein Ziel. Der 50jährige von heute, der bereits ein Smartphone zu bedienen weiss, sollte es spätestens dann im Schlaf beherrschen und kein Problem mehr mit Online-Buchungen haben… "Wer dann älter ist und/oder das System nicht beherrscht, sollte kostenlos fahren dürfen," fordert er.

Vorbild Tokio

Ideen dieser Art hat sich Wolff im Ausland geholt, u.a. aus Japan, wo jeder Reisende in Tokio mit der "SUICA Card" im Bahnverbund seamless reisen kann. Die Chipkarte funktioniert ausserdem berührungslos und ist zugleich Geldkarte. Inzwischen kann man mit ihr auch in vielen Geschäften einkaufen – was Wolff wiederum zur ketzerischen Bemerkung veranlasste: "In Japan baut man über neue Bahnhöfe und Verkehrsknotenpunkte Shopping Malls, in Deutschland Springbrunnen."

Es ist zu erwarten, dass sich die grossen Verkehrsunternehmen in Deutschland zusammentun und an gemeinsamen Lösungen basteln. Das Mega-Geschäft mit den Daten von Millionen Reisenden werden sie vermutlich nicht Amazon oder Google überlassen wollen. / map

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