München. Seit 15 Jahren steigt der Terrorismus an. Von 9/11 in New York über Madrid, Kenia, Beirut, Bagdad bis Paris reichen die Anschläge. Und so besteht auch in der Hotellerie seit längerem eine erhöhte Alarm-Bereitschaft gegenüber potentiellen terroristischen Anschlägen. Doch man setzt offenbar flächendeckend auf "Business as usual", will agieren, nicht aber überreagieren. Die Interpretationen von Investment-Banken und das Verhalten von Investoren/Anlegern aber decken sich nicht immer mit den ersten Reaktionen der Reisenden. Beatrix Boutonnet erläutert heute, im ersten von zwei Teilen, wie Experten die terroristische Gefahr aktuell einschätzen und wie stark einzelne Destinationen unter den Folgen der Anschläge litten bzw. leiden.
Schock, Sprachlosigkeit und Trauer hinterliessen die Attentate in Paris und Istanbul 2015. Konkrete Auswirkungen aus den Folgen spürten dort vor allem die Hotels, Restaurants und Clubs, Discos, Museen und Konzerthäuser. Um zum berühmte Savoir-vivre der Seine-Metropole und zur Lebenslust Istanbuls zurück zu kommen, braucht es noch einige Zeit, auch wenn für die Einwohner das Leben weiter gehen muss.
Vorsichtiger gaben sich die Touristen - vor allem in Paris. Die Stadt und Frankreich sind mit mehr als 80 Millionen Besuchern pro Jahr das beliebteste Touristenziel weltweit. Über die gesamten Einbussen gibt es noch keine exakten Daten, bei den Flügen sah man in der zweiten November-Hälfte aber schon ein Minus von sechs Prozent. Die SNCF schätzt die Einbussen auf bis zu 300 Millionen Euro und auch in vielen Hotels standen Zimmer frei. Auch in Istanbul sank das Touristenaufkommen drastisch, wie erste letzte Woche berichtet. Die grossen Quellmärkte knicken zweistellig ein.
Und dennoch herrscht Zweck-Optimismus in Europa: Zum Jahreswechsel präsentierten die Ökonomen, wie gewohnt, die Konjunktur-Aussichten für 2016. Sie waren gut. Auch wenn die Schätzwerte auf die Stelle nach dem Komma genau angegeben werden, haftete ihnen dieses Mal dennoch mehr Unsicherheit an als sonst. Die Welt ist seit Ende 2015 unberechenbarer geworden.
Das geopolitische Risiko für die Wirtschaft sei derzeit so hoch wie seit 25 Jahren nicht mehr, sagen die Volkswirte der Citigroup in ihrem aktuellen Jahresausblick. Doch auch schon vor den Anschlägen in Paris gab es in der EU-City Brüssel Zweifel, ob Frankreich es in den nächsten zwei Jahren endlich schaffen würde, die Haushaltsdefizit-Regeln einzuhalten. Nun wird man bei der EU ein Auge zudrücken, da Anschläge als externer Schock gelten und daher nicht in die Kriterien eingerechnet werden.
Leisure leidet
"Der Geschäftstourismus ist dabei nicht das Problem", erklärt Ursula Kriegl, Executive Vice President Hotels & Hospitality bei JLL. Business Traveller haben keine Wahl, ob man reisen will oder nicht. Anders dagegen im Freizeit-Tourismus. Dort waren dann auch die Auswirkungen der Anschläge deutlich zu sehen, so Kriegl weiter. In der Hotellerie vermerkten vor allem gehobene und luxuriöse Hotels einen massiven Rückgang von bis zu 40 Prozent. Um den Rückgang gegenzusteuern, wurden in Paris die Bistro- und Restaurant-Besitzer mit verschieden Aktionen aktiv. In der Türkei und Ägypten greift der Staat subventionierend ein und verspricht hohe Sicherheitsvorkehrungen in Tourismus-Destinationen. Und so hoffen alle, die Zurückhaltung der Touristen bleibt nicht von Dauer.
Die Börse reagierte sofort. Gleich nach den Attentaten in Paris und Istanbul herrschte Verunsicherung auf dem Parkett. Die Aktien der Fluglinie Air France und grosser Hotelketten wie Accor gaben nach. "Anleger fürchteten, dass die Attentate Auswirkungen auf den Tourismus haben und die Leute weniger reisen werden", so die Börsenhändler. Inzwischen hat sich das wieder normalisiert. Die neue Gefährdungslage zeigt sich auch kaum in den Schätzwerten für Konsum, Investitionen und Wachstum, denn die Ökonomen fürchten keine nachhaltigen Auswirkungen auf die Wirtschaft. Bislang war das so.
Doch diesmal könnte die Ruhe vielleicht auch trügerisch sein. Insgesamt würden die Rückgänge im Einzelhandel, aber auch in der Reisebranche und Hotellerie keine grossen wirtschaftlichen Auswirkungen nach sich ziehen - falls es sich nicht um einen Auftakt zu ganzen Terror-Serien handle, so Volkswirt Malcolm Barr von der US-Bank J.P. Morgan. Doch genau das weiss man nicht. Und so behilft man sich damit, zu analysieren, was bisher war.
Konsum steigt wieder schnell an
Dellen in der Wirtschaft verursachen Anschläge immer. "Sie sind aber meist kurzfristiger Natur", so der britische Touristik-Risiko-Forscherin an der Bournemouth University, Yeganeh Morakabati. Menschen hätten ein kurzes Gedächtnis. Viele würden die Anschläge einfach schnell wieder vergessen. Das beweisen auch der Anschlag auf Satire-Magazin "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt im Januar 2015. Beide hinterliessen kaum negative Spuren in der französischen Wirtschaft.
Ähnliches sogar bei den Anschlägen des 11. September 2001. Diese lösten zuerst einen Nachfrage-Schock aus. Der Flugverkehr ging angesichts der veränderten Bedrohungslage stark zurück. Es kam parallel dazu zu einem Kursverfall der Aktien fast aller Fluggesellschaften. Die Erfahrung zeige aber, "dass solche Terror-Akte die konjunkturelle Entwicklung in den westlichen Volkswirtschaften nicht aus der Spur bringen", bestätigte auch der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. Nach einer kurzfristigen Delle normalisiere sich der private Konsum wieder.
In den USA habe sich der Einzelhandel selbst nach 9/11 schnell erholt, unterstreicht auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Die Umsätze seien nur im September schwach gewesen und hätten sich bereits nach drei Monaten wieder stabilisiert.
Selbst in der Reise- und Hotelbranche sehen die Experten nur eine kurzfristige Schwächung. Das ist auch gut so, denn sie steht allein in Frankreich für 7,5 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes, und auch in der Türkei ist sie eine tragende Säule der Binnenwirtschaft. Rund zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts und mehr als zwei Millionen Jobs hängen dort direkt oder indirekt am Tourismus. 2015 reisten nach türkischen Behörden-Angaben 5,5 Millionen Deutsche in die Türkei, Trend steigend – der Grossteil allerdings reist zu rund 95 Prozent an die Mittelmeer-Strände im Westen der Türkei weiter. Ob sich die Anschläge in Istanbul darauf negativ auswirken, ist noch offen.
In Tunesien versetzten die zwei Anschläge auf touristische Ziele im März und Juni 2015 dem Tourismussektor einen heftigen Rückschlag. Bereits nach dem Anschlag auf das Bardo-Museum war ein Rückgang um 22 Prozent auf 1,9 Millionen Touristen zu verzeichnen, die Einnahmen gingen um 15 Prozent zurück. Dieser Trend dürfte sich nach dem Attentat auf ein Hotel in Sousse im zweiten Halbjahr 2015 noch verstärken, sagte das Auswärtige Amt bereits letzten Sommer.
Die Zahlen zeigen: Umsatz-Rückgänge durch Terror-Anschläge können - gesamtwirtschaftlich gesehen - zumindest teilweise durch steigende Ausgaben in anderen Bereichen ausgeglichen werden. Auch Andreas Erben, Geschäftsführer bei Colliers International Hotel, sieht keine grösseren Auswirkungen: "Für uns sind Hotels nicht risikoreicher geworden." In der Vergangenheit hätte die Erholung des Hotelmarktes nach solchen Sonder-Ereignissen bis zu sechs Monate gebraucht, zwischenzeitlich fände die Erholung wesentlich schneller, meistens schon nach drei Monaten, statt.
Neue Dimension des Terrors beunruhigt
Ökonomisch schwer wiegt dennoch, dass nun öffentliche Gelder in die innere Sicherheit fliessen, die anderswo fehlen. Zusätzliche Polizisten, Security Checks und Kontrollen stellen volkswirtschaftliche Mehrausgaben dar, die wenig produktiv sind und in andern Bereichen, wie Bildung und Tourismus, dann schlicht fehlen.
Sorge bereitet den Terrorismus-Experten durchaus die neue Dimension des Terrors. Meist waren die Wirkungen von Anschlägen bisher regional und zeitlich begrenzt. Das könnte sich nun ändern, fürchten sie. Der aktuelle Terrorismus kommt plötzlich nicht mehr aus weit entfernten Ländern und trifft prominente Ziele, sondern kommt aus dem Inneren der europäischen Gesellschaft und greift den Alltag an. Die Attentäter von Paris waren Franzosen. Das ist ein völlig neues Bedrohungsgefühl und schürt die Angst.
Deren Auswirkungen auf die Wirtschaft sind zwar ebenso wie der kurzfristige Buchungsrückgang berechenbar, doch die gefühlte Bedrohung hat nie etwas mit der tatsächlichen Bedrohung zu tun, selbst wenn Risiko-Forscher Ortwin Renn ermittelt hat, dass die Wahrscheinlichkeit, in Europa tatsächlich selbst von einem Terroranschlag betroffen zu sein, extrem gering sei - sogar geringer als die Gefahr, an einer Pilzvergiftung zu sterben.
Für diese Risiko-Analysen liegt die Berechnung von deutlich unter 1.000 Terror-Opfern in Europa in den letzten zehn Jahren im Verhältnis zur Gesamt-Bevölkerung zugrunde. Dennoch, so schränkt Renn auch ein, hätten die Anschläge von 9/11 die öffentliche Wahrnehmung verändert.
Und auch das Internet tut das Seine dazu: Die Geschwindigkeit, mit der sich Nachrichten und Bilder heute über die Medien und die Sozialen Medien verbreitet werden, die Tiefe der Integration der Finanzmärkte sowie die grössere Abhängigkeit anderer Märkte von den Finanzmärkten erhöhten die Markt-Relevanz politischer Ereignisse deutlich. Die Terroristen wissen genau, dass sie mit ihren Anschlägen viele negative Folge-Wirkungen auslösen. Vor allem, weil sie sich nun gezielt direkt gegen Touristen wenden. Medienwirksam sollen damit unermessliches Leid und massive Schäden verursacht werden - mit dem Ziel, die westlichen Werte zu erschüttern.
Terrorismus-Folgen
Die Anschläge können jedes Hotel, jedes Restaurant, jedes Unternehmen treffen – direkt oder indirekt, zu massiven Schäden an Gebäuden oder an der Infrastruktur führen. Für die Stadt oder das Land zieht ein Terror-Anschlag immer Buchungsrückgänge und Stornos als erste Reaktion nach sich - nicht immer aber in gleicher Stärke.
Während nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo die Buchungen nur moderat zurückgingen, gab es nach dem Anschlag im Bardo Museum in Tunesien über 3.000 Stornos und einen Reservierungsrückgang von 60 Prozent, so das tunesische Tourismus-Ministerium. "Für viele Menschen ist Terrorismus leider Teil des täglichen Lebens geworden. Dies wirkt sich durchaus auf die Entscheidung aus, in welche Destination man fährt. Ich halte jedoch die allgemeine Gefährdungslage über das Sonder-Ereignis hinaus für viel wichtiger. Meldungen vom Auswärtigen Amt, welche Reisestrecken, Routen und Länder man meiden sollte, sind langfristiger zu bewerten", erklärt Andreas Erben.
Das hat Tunesien und jüngst auch Ägypten erneut erfahren müssen. Viele ihrer Stamm-Urlauber sind 2015 auf "sichere Destinationen" im nördlichen Mittelmeer ausgewichen. Jetzt droht auch der Türkei, von den Touristen eventuell ignoriert zu werden.
Nächste Woche in Teil 2: Die Einschätzung von Investoren, Versicherungen und Hotels